Foto: Jugendhof SteinkimmenHermann Giesecke

Die Tagung als Stätte politischer Jugendbildung

Ein Beitrag zur Didaktik der außerschulischen Politischen Bildung

Diss. Kiel 1964 (Phil. Fak.)

EINLEITUNG

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© Hermann Giesecke

Zu dieser Edition:
Meine Dissertation mußte damals nicht gedruckt, sondern der Fakultät lediglich in einer Reihe von Kopien der maschinenschriftlichen Fassung  übergeben werden.  Aus dem Material entstanden  zwei Publikationen: Didaktik der politischen Bildung (München 1965) und Politische Bildung in der Jugendarbeit (München 1966). Die Dissertation habe ich teilweise bereits während meiner Tätigkeit im Jugendhof Steinkimmen (1960 - 1963) verfasst, deshalb spiegelt sie die aus dieser Arbeit erwachsenen pädagogischen Erfahrungen und Urteile unmittelbarer wider als die beiden Publikationen,  in die  Ergebnisse weiterer Diskussionen und zusätzliche Reflexionen aus größerer zeitlicher Distanz eingegangen sind.
Offensichtliche Tippfehler wurden korrigiert. Darüber hinaus wurde das Original jedoch nicht verändert. Im Original befinden sich die Fußnoten - nach Kapiteln gezählt - auf der jeweiligen Textseite; für diese Edition wurden sie an den Schluß des jeweiligen Kapitels gesetzt, die ursprüngliche Numerierung wurde beibehalten.
Die Edition ist vollständig, es fehlen lediglich das Deckblatt und der übliche Lebenslauf.
Um die Zitierfähigkeit zu gewährleisten,  wurden die ursprünglichen Seitenangaben mit aufgenommen und erscheinen am linken Textrand; sie beenden die jeweilige Textseite des Originals.
Über den damaligen politisch-pädagogischen Hintergrund finden sich nähere  Angaben in meiner Autobiographie Mein Leben ist lernen. (H. Giesecke, März 2003)
 
 


VORBEMERKUNG:
Die folgende Untersuchung stützt sich auf Erfahrungen, die der Verfasser von 1955 - 1960 als freier Mitarbeiter der "Stätte der Begegnung e.V." in Vlotho/Weser und von 1960- 1963 als Dozent für politische Bildung und als Leiter des Jugendhofes Steinkimmen bei Delmenhorst machen konnte.
Zu den eigenen Unterrichtserfahrungen kommen Einblicke in zahlreiche andere Vorhaben der Jugend- und Erwachsenenbildung, mit denen der Verfasser beruflich zu tun hatte. Die Untersuchung beschränkt sich im wesentlichen auf die Lehrerfahrungen im Jugendhof Steinkimmen. Nur wo es zum Verständnis nötig ist, werden darüber hinausgehende Beobachtungen und Erfahrungen in den Bericht einbezogen.
 

Einleitung:

1) Politische Bildung in der außerschulischen Jugendarbeit

Über die Entwicklung der politischen Bildung nach 1945 in Deutschland sind inzwischen einige zusammenfassende Darstellungen erschienen(1).

Die Diskussion der politischen Bildung hat sich vor allem auf die schulische Situation konzentriert. Lange Zeit schien es so, als ob die Grundsatzfragen geklärt seien und nun daran gedacht werden könne, die Ergebnisse dieser Klärung in die Unterrichtspraxis umzusetzen. Aber gerade solche Versuche machten deutlich, wie wenig Übereinstimmung in den Grundsatzfragen tatsächlich besteht. Nicht zuletzt die Diskussion um die Rahmenvereinbarung hat der Unsicherheit im Grundsätzlichen zum Teil temperamentvollen Ausdruck gegeben. Andererseits ist durch die Diskussion um die schulische Seite der politischen Bildung der Blick von den entsprechenden Bemühungen der Erwachsenenbildung und der außerschulischen Jugendarbeit abgelenkt worden. Obwohl die politisch-bildenden Maßnahmen der außerschulischen Jugendarbeit recht umfangreich sind, -

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wie schon ein Blick in die entsprechenden Haushaltstitel der Bundes- und Landesjugendpläne zeigt - , finden sich kaum wissenschaftliche Arbeiten über Methoden, Ziele und Ergebnisse. Die bisher vorliegende Literatur über die außerschulische Jugendarbeit beschäftigt sich ausschließlich mit Teilaspekten und höchstens am Rande ausdrücklich mit Maßnahmen der politischen Bildung(2). Das diesem Bereich gegenüber zu verzeichnende wissenschaftliche Interesse steht gegenwärtig in keinem Verhältnis zum Umfang der Praxis und wohl auch nicht zur pädagogischen Bedeutung dessen, was im einzelnen dort geschieht.

Institutionell wurden diese Maßnahmen bisher als "Jugendpflege" und "Jugendwohlfahrt" pädagogisch als "Jugendsozialarbeit" bezeichnet. Diese Bezeichnungen können heute nicht als angemessen gelten (3).

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Die zu erwartende Vermehrung der "freien Zeit" wird zweifellos den unter dem Begriff der "außerschulischen Jugendarbeit" zusammengefaßten Maßnahmen weit größere Bedeutung zuweisen als bisher. Daß sie auch stärker in das Blickfeld der Erziehungswissenschaft geraten, ist umso notwendiger, als allenthalben in der Praxis bisher mehr oder weniger "selbstverständliche" Zielsetzungen, Methoden und Inhalte in Frage gestellt werden müssen, weil ihnen von den jugendlichen Partnern zunehmend die Gefolgschaft versagt wird. Besonders ins Gewicht fällt dabei, daß die außerschulische Jugendarbeit sich bei der notwendig werdenden Neuorientierung so gut wie kaum auf eine Tradition stützen kann. Weder ist heute Jugendgruppenarbeit sinnvoll an der Jugendbewegung, noch "Tagungsarbeit" am Modell der "Freizeiten" der zwanziger Jahre zu messen (4). Auch der kritische Vergleich mit Maßstäben der schulischen Erziehung und Unterrichtung muß fragwürdig bleiben, weil er auf zum Teil prinzipiell verschiedene Vergleichspunkte zielt. Die Traditionslosigkeit der außerschulischen Jugendarbeit äußert sich in der Praxis zunehmend in blinder Anpassung an kurzfristige Wünsche und Aktualitäten sowie im Auseinanderfallen von Aktion und Bewußtsein.

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Daß man sich heute nicht mehr an den Vorbildern der zwanziger Jahre orientieren kann, ist letztlich in den gesellschaftlichen Wandlungen seit etwa 1950 begründet, die unter dem Stichwort der "Konsumgesellschaft" zusammengefaßt werden können. Die moderne "Freizeit' hat alle außerschulischen Bildungsmaßnahmen vor eine neue Lage gestellt. Dabei ist nicht einmal die bloße Vermehrung von freier Zeit so wichtig, wie etwa das zunehmende Auseinanderdriften von Berufs- und Freizeiteinstellungen. Nimmt man die Zunahme des materiellen Wohlstandes und die ebenso zunehmende Beliebigkeit des Freizeitverhaltens mit in den Blick, dann wird klar, daß eben die Gleichzeitigkeit dieser Trends zu einem qualitativen Umschlag gegenüber der Situation der zwanziger Jahre führen mußte. Deshalb haben heute die Begriffe der "Freizeit" und des "Berufes" eine gegenüber früheren Vorstellungen so fundamental verschiedene Bedeutung. Folgen wir der neueren Freizeitforschung, die zwischen "produktiver", "reproduktiver" und "verhaltensbeliebiger" Zeit unterscheidet (5), so stellen wir fest, daß gerade die Zunahme von "verhaltensbeliebiger" Zeit die pädagogische Besinnung vor neue Probleme stellt, während bisher "Freizeitpädagogik" fast ausschließlich an der "reproduktiven" Zeit orientiert war und mit den Begriffen von "Erholung" und "Entspannung" auf das Berufsleben als das Primäre und "Eigentliche" zurückverwies. Insofern nun die meisten Maßnahmen der außerschulischen Jugendarbeit in der "freien", genauer "verhaltensbeliebigen" Zeit der Menschen stattfinden, wird die Frage umso dringender, ob die Erziehungswissenschaft nicht für diesen Bereich ganz neue Kategorien entwickeln müsse.

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2) Ziel und Methode der Untersuchung

Aus den bisherigen Überlegungen geht hervor, daß unsere Untersuchung ein Beitrag zur "Freizeiterziehung" sein wird, insofern sie nämlich von Maßnahmen berichtet, die in der freien Zeit der Jugendlichen stattfanden. Ihr Ziel ist es, für politisch bildende Maßnahmen im außerschulischen Bereich eine Theorie zu entwickeln, die auch für andere als die dabei zu Grunde gelegten Unterrichtsvorhaben brauchbar sein kann. Dabei ist nun eine knappe Explikation der zu Grunde gelegten Methode unerläßlich. Unser Ausgangsmaterial besteht in den unterrichtlichen Erfahrungen, die über einen Zeitraum von 6 Jahren mit politisch-bildenden Tagungen für Jugendliche gemacht werden konnten. Da wir verschiedene Bedingungen der Tagung angesichts neuer Teilnehmerkreise je nach Belieben konstant halten oder verändern konnten, hatten wir es dabei mit einer "'Experimentiersituation" zu tun. Wir konnten so beobachten, wie sich verschiedene Gruppen von Jugendlichen in der Kommunikation zu einander und zu den Lehrkräften sowie zum Sachangebot der politischen Bildung verhielten. Bei der Interpretation dieses Experimentes muß die Vorentscheidung, die in der verwendeten Methode liegt, mit bedacht werden, weil sie ja bereits die Auswahl der Beobachtungen und deren Deutung mitbestimmt. Theoretisch wären folgende Methoden anwendbar:

a) Der historische Vergleich. Wir könnten zu Maßnahmen der zwanziger Jahre Vergleiche anstellen und von da aus die Besonderheiten der Wandlungen in den Blick bekommen. Aber solche Vergleiche haben nur Sinn unter der Voraussetzung einer vergleichbaren Zeit- und Bildungssituation. Die gesellschaftlichen Wandlungen aber, die heute "Freizeit" in ihrer Bedeutung konstituieren, sind derart radikal, daß davon nicht gesprochen werden kann. Während bei allen

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gesellschaftlich voll institutionalisierten Erziehungsgebilden, etwa der Schule, der historische Vergleich nicht nur sinnvoll, sondern auch zum Verständnis notwendig bleibt, müßte er in unserem Falle schon deshalb unergiebig bleiben, weil dieser Erziehungsbereich sich ja gerade durch seine Traditionslosigkeit auszeichnet (6).

b) Eine verallgemeinernde Methode wie die aller sozialwissenschaftlichen Erhebung verbietet sich schon deshalb, weil es uns erst in zweiter Linie um die Ermittlung abstrakter und deshalb vergleichbarer Merkmale und schon gar nicht um deren Quantifizierung geht. Die Verallgemeinerungen, die wir aus unserem Material ableiten wollen, können nicht vorweg durch Festlegung von Merkmalen vorgenommen werden, weil ja gerade das Besondere der Unterrichtssituation "Tagung" in den Blick kommen soll.

c) Schriftliche Selbstaussagen der Jugendlichen heranzuziehen, wäre - bedenkt man alle Einschränkungen dieser Methode - (7) im Vergleich zum Ertrag unnötig aufwendig gewesen. Nach unseren eigenen Erfahrungen mit schriftlichen Aufzeichnungen von Jugendlichen erscheint uns fraglich, ob der Akt des Schreibens für sie nicht von solcher "Offizialität" ist, daß sie sich darin anders äußern, als sie es zum selben Zeitpunkt in einem informellen Gespräch tun würden, - von der Schwierigkeit des schriftlichen Ausdrucks im Vergleich zum mündlichen ganz zu schweigen  (8).

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d) Die Methode der "Gruppendiskussion" hätte unserem Gegenstand noch am ehesten entsprochen (9). Sie hätte aber, sollte sie wissenschaftlich objektivierbar sein, einen erheblichen Aufwand an Vorbereitung und Auswertung gekostet, der mit dem uns zur Verfügung stehenden personellen und materiellen Bestand nicht zu leisten war. Einige Versuche wurden unternommen, verrieten aber einen prinzipiellen Mangel, der uns den Verzicht leicht machte: Die vom Tonband abgeschriebenen Diskussionen gaben zwar Wort für Wort die Gespräche wieder, nicht aber die feinen emotionalen Nuancen und schon gar nicht das "Klima". Nur was an solchen Gesprächen als Aufeinanderfolge von Worten und Argumenten rationalisierbar ist, wäre auch objektivierbar. Die Erfahrung lehrt aber, daß informelle Gespräche auf unwägbare irrationale Bedingungen angewiesen sind. Ein Gespräch kann in der Wiederholung mit anderen Personen und unter den scheinbar gleichen äußeren Umständen qualitativ anders verlaufen als vorher. Welche Aufzeichnung soll nun objektiviert werden? Kann man hier noch die Fehlerwahrscheinlichkeit in mathematischen Toleranzen angeben, wie immerhin noch in der Meinungsforschung? Offensichtlich werden solche Methoden umso ungenauer, je individueller ihr Gegenstand oder ihre Fragestellung ist.

e) Solche Rechtfertigungen geben uns den Mut zu einer Methode Zuflucht zu nehmen, die nur scheinbar durch "modernere" überholt ist: Die "teilnehmende Beobachtung". Mittel der wissenschaftlichen Erkenntnis ist hier die Beobachtung der Sachverhalte, die gedeutet werden sollen. Dabei nimmt der Beobachter zugleich teil an der Erziehungswirklichkeit, die er erkennen will. Der besondere Vorteil dieser Erkenntnismethode liegt darin. daß durch sie die Beobachtungssituation selbst nicht verändert wird. Unsere

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Jugendlichen haben niemals bemerkt, daß sie zum Zwecke einer wissenschaftlichen Arbeit beobachtet wurden. Der erzieherische Umgang selbst blieb also unbeeinflußt davon. Dieser Methode sind Verallgemeinerungen durch die Entwicklung von Hypothesen ebenso möglich wie Einfühlung in die individuelle Situation, Deutungen von isolierten Aussagen ebenso wie das Erfassen ihrer irrationalen Umgebung. Ihr wesentlicher Nachteil ist, daß sie, für sich genommen, praktisch unkontrollierbar bleibt. Sie bringt im Sinne einer positivistischen Empirie kein verifizierbares "Material" hervor. Nun kann sie sich allerdings Rechenschaft über die Kategorien ablegen, mit denen sie beobachtet. Diese Rechenschaft käme ihrer methodischen Selbstzensur gleich. In unserem Falle kam eine weitere kontrollierende Wirkung hinzu. Da unsere Tagungen immer mit einem Team von Mitarbeitern durchgeführt wurden, wurden auch die Beobachtungen durch insgesamt etwa 30 Mitarbeiter mitkontrolliert. Allzu subjektive Meinungen über die Beobachtungen wurden dadurch mit einiger Sicherheit ausgeschlossen.

Wir beschreiben im Verlauf der Untersuchung zunächst die besondere Unterrichtssituation "Tagung". Dabei wird der Gegenstand als eine Interaktion verschiedener Faktoren verstanden, also als eine allseitige Wechselbeziehung. Zu unterscheiden sind dabei allgemeine Faktoren, die jede Maßnahme der außerschulischen Jugendarbeit mitbestimmen, von besonderen Faktoren, die zunächst nur für eine bestimmte Veranstaltungsform, nämlich die Tagung, Gültigkeit haben. Wir glauben nachweisen zu können, daß keine pädagogische Maßnahme der außerschulischen Jugendarbeit verständlich wird ohne ein solches Modell, das auch die pädagogischen Wirkungen der nichtpädagogischen Faktoren berücksichtigt. Insbesondere kann das, was in unserem Falle "Tagungsgestaltung" heißt, nur auf diesem weiten Hintergrund einsichtig werden. Die Darstellung unserer eigenen

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Praxis verläßt dabei in dem Maße die beschriebene Erziehungswirklichkeit zugunsten einer idealtypischen Darstellung, wie die Theorie eine Praxis immer notwendig überhöht. Nicht die Tatsachen und Ereignisse als solche werden dabei idealisiert. Indem sie vielmehr aufeinander bezogen und zu einer Theorie zusammengedacht werden, spiegeln sie die Praxis nicht nur wider, sondern werden zugleich zu ihrem neuen Anspruch.

Um unsere eigenen politischen Lehrmaßnahmen auf Jugendtagungen hinreichend deuten zu können, muß das Problem einer politischen Lehre im II. Teil zunächst grundsätzlich in den Blick genommen werden. Dabei wird sich erweisen, daß die Probleme einer politischen Didaktik im Sinne einer Theorie der Lehrinhalte so kompliziert und vielschichtig sind, daß von einer in der bisherigen Literatur erreichten Klärung im Grundsätzlichen keineswegs gesprochen werden kann. Es darf deshalb auch nicht erwartet werden, daß es uns in diesem II. Teil gelingen könnte, mehr als eine kritische Problembeschreibung zu geben. Sie soll uns dazu dienen, einen Problemhintergrund für das Verständnis des in III. Teil zu erläuternden didaktischen Modells unserer eigenen Arbeit zu zeichnen.

In der bisherigen Literatur findet sich keine didaktische Theorie des Politischen, die über Einzelansätze hinausginge. Das liegt nicht zuletzt daran, daß die pädagogischen und fachwissenschaftlichen Beiträge zur politischen Bildung bisher zu wenig miteinander verbunden wurden. Erst die sogenannte "'Rahmenvereinbarung" hat diese längst fällige Diskussion in Gang gebracht. Sie leidet nicht nur unter dem wechselseitigen Ideologieverdacht, sondern, wie sich zeigen wird, vor allem auch unter zahlreichen sprachlichen und begrifflichen Mißverständnissen. Manche Begriffe - wie der des "Interesses" - haben in den Fachwissenschaften einerseits und in

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der Pädagogik andererseits verschiedene Bedeutung. Andere sind, aus dem wissenschaftlichen Sprachgebrauch herausgenommen, in die öffentliche Schlagwort-Argumentation abgesunken. Ihre Ungenauigkeit hindert nun auch das wissenschaftliche Verständnis, was vor allem die politischen Wissenschaften leicht dazu führt, neue Begriffe einzuführen, die dieses Schicksal nicht erleiden sollen. Insofern nun der politischen Pädagogik gerade an der Verbreitung politischer Kenntnisse und Einsichten gelegen ist, kann sie die begriffliche Komplizierung der Fachwissenschaften nur bis zu einem bestimmten Grade mitvollziehen. Ihre Versuche aber, auch im Begrifflichen "anschaulich" zu bleiben, rufen nun wieder den Ideologieverdacht der Fachwissenschatten auf den Plan.

Dieses sprachliche Dilemma, das ja das allgemein gesellschaftliche der Massenkommunikation widerspiegelt, ist bisher kaum in seiner Bedeutung für die politische Pädagogik gesehen worden. Wir führen es hier auch nur an, um eine gewiß nicht ausreichende Erklärung für das bisherige Nebeneinander von politischer Pädagogik und Fachwissenschaften zu geben. Es muß zum Beispiel auffallen, daß in der Zeitschrift "Gesellschaft-Staat-Erziehung", der wir viele wichtige Beiträge zur politischen Bildung verdanken, seit Jahren neben den Pädagogen auch die Fachwissenschaftler zu Wort kommen, daß es aber kaum jeweils wirklich eine Diskussion zwischen ihnen gegeben hat, die über den Rahmen von Angriff und Antwort hinausgegangen wäre. Man hat vielmehr bei der Durchsicht der Jahrgänge den Eindruck, daß beide Partner im wesentlichen darauf bedacht sind, ihre eigenen Gesichtspunkte und Ansprüche im Auge zu behalten und weniger die Klärung des jeweils diskutierten Problems.

Das sprachliche Problem, das wir meinen. ist vielleicht am anschaulichsten am Schicksal des Begrif-

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fes der "Partnerschaft" zu skizzieren. Zunächst blieb er innerhalb der pädagogischen Diskussion. Man überprüfte, ob das mit ihm Gemeinte zur Einrichtung einer neuen politischen Pädagogik ausreichte oder nicht. Auch dabei gab es schon recht interessante, für das politische Selbstverständnis der deutschen politischen Pädagogik aufschlußreiche Mißverständnisse, aber sie blieben immerhin überschaubar und kontrollierbar. Ganz anders wurde die Lage, als dann der Begriff der "Partnerschaft" als sozialpolitischer Begriff in die Massenkommunikation geriet und mit Assoziationen ausgestattet wurde, die im sozialpolitischen Kampfe eingesetzt werden konnten, Da die sogenannte "Sozialpartnerschaft" im wesentlichen von den Unternehmern ausging und die Gewerkschaften sie als einen gegen sich gerichteten Kampfbegriff. empfanden, geriet jede pädagogische Argumentation, die sich des Begriffes der "Partnerschaft" bediente, in eine hoffnungslose ideologische Lage. Der Begriff mußte nun, zur Not im nachhinein, ideologisch denunziert werden, wo immer er auftauchte. Diese Entwicklung im einzelnen einmal nachzuzeichnen wäre eine ebenso lohnende wie aufschlußreiche Aufgabe.

Hier geht es uns nur darum, das Sprachproblem bewußt zu machen für unsere eigene Untersuchung. Es wird sich im folgenden nicht nur darin niederschlagen, daß wir in einem erheblichen Umfange die politikwissenschaftlichen Stellungnahmen zur politischeu Bildung berücksichtigen, sondern auch darin, daß wir selbst soweit wie möglich "festgelegte" Begriffe vermeiden wollen und gelegentlich lieber einer sprachlich komplizierteren Darstellung den Vorzug geben.

Im III. Teil stellen wir die didaktische Theorie dar, mit deren Maßstäben wir in unseren Jugendtagungen gearbeitet haben. Sie ist unter anderem

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aus der Reflexion über die im II. Teil genannten "Brennpunkte einer politischen Lehre" erwachsen, und versucht eine mögliche produktive Antwort darauf zu geben. Unbestritten an ihr kann lediglich sein, daß sie praktiziert wurde und somit praktikabel ist. Im übrigen aber kann nur die Diskussion erweisen, ob sie sowohl den politischen wie den fachwissenschaftlichen Ansprüchen standhalten kann.

Der IV. Teil gibt nicht nur eine auf die Tagungssituation bezogene Zusammenfassung der Ergebnisse, sondern auch erste Hinweise auf eine allgemeine politische Didaktik und deren Aufgabenstellung.

Im Anhang geben wir eine Befragung über Meinungen unserer jugendlichen Partner zur Tagungsgestaltung wieder. Wir verweisen diese Befragung deshalb in den Anhang, weil sie in ihrer bescheidenen Anlage keinen methodischen Eigenwert beanspruchen, sondern lediglich noch einmal zur Illustration bestimmter Zusammenhänge dienen kann. Wenn wir oben sozialwissenschaftliche Methoden für die Aufarbeitung unseres Erfahrungsmaterials als ungeeignet bezeichnet haben, so heißt dies nicht, daß innerhalb der zu kontrollierenden Praxis auf sie verzichtet wurde. Vielmehr dienten gerade eine Reihe von Befragungen dazu, zu Beginn einer Tagung möglichst schnell Kenntnisse, Einstellungen und Aktualitäten zu ermitteln. Die Ergebnisse werden deshalb hier nicht weiter ausgeführt, weil sie für Verallgemeinerungen nicht bestimmt waren, sondern den Mitarbeitern nur augenblicklich brauchbare Schlüsse erlauben sollten. Auch die Befragung, die wir im Anhang wiedergeben, ist aus einem solchen praktischen Zweck erwachsen.

Schließlich bleibt noch ein Wort über den Begriff von "Didaktik" zu sagen, wie wir ihn in dieser Untersuchung verwenden werden. Es erschien nicht ratsam, einfach einen der meist in einem systema-

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tischen Bildungsverständnis beheimateten Begriffe von Didaktik zu übernehmen, weil damit möglicherweise bestimmte Dimensionen des Problems von vornherein aus dem Blick geraten könnten, zumal vorweg noch gar nicht entschieden ist, ob das Politische überhaupt unter die "Bildungsgüter" aufzunehmen ist (10).

Schließlich geht es nicht nur um die didaktische Dimension des Politischen, sondern in gleichem Maße auch um die politische Dimension der herrschenden politisch-didaktischen Vorstellungen. Wenn also im folgenden von "Didaktik" die Rede ist, so sind immer bestimmte, geradezu pragmatisch konzipierte Einzelfragen gemeint, die unzweifelhaft zu einer politischen Didaktik gehören. Insbesondere interessieren uns dabei folgende Grundfragen: In welcher Weise wirkt die Unterrichtsituation "Tagung" auf die politischen Lehr- und Lerninhalte ein, und in welcher Weise beeinflußt sie den Vermittlungsakt? Was von den politischen Sachverhalten muß gelernt werden, um politische Abläufe zu verstehen? Was ist davon auf welchem Wege lernbar?

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Anmerkungen:

1) Thomas Ellwein in: Pädagogisches Lexikon Stuttgart 1961, Artikel "Politische Bildung und Erziehung"; Christoph Oehler, Zur Situation der politischen Bildung, in: Habermas, v. Friedeburg, Oehler, Weltz, Student und Politik, Neuwied 1961, S.239-254. - Einen guten Überblick gibt auch H. H. Groothoff, Struktur und Problematik der Diskussion über die politische Erziehung und Bildung in Deutschland. Ein Literaturbericht. In: Neue Politische Literatur, H.4 u. 5, 1959, Sp. 273-294 u. 371-394. Theodor Wilhelm, Politische Erziehung, in: Pädagogik der Gegenwart, S. 244 ff.

2) Als wichtigste Arbeiten auf diesem Gebiet sind zu nennen: Helmut Kentler, Jugendarbeit in der Industriewelt, München 1959; H.H. Schepp, Offene Jugendarbeit. Jugendhöfe und Jugendgruppenleiterschulen in der Bundesrepublik Deutschland und in West-Berlin. Eine Untersuchung ihrer Entwicklung und ihrer gegenwärtigen Arbeit. Weinheim 1963; Lutz Rössner, Jugend in der Offenen Türe, München 1962; Wolfgang Müller/Hans Maasch, Gruppen in Bewegung, München 1962; Dieter Danckworth, Jugend in Gemeinschaftsdiensten, München 1957; J. Gebhard/W. Nahrstedt, Studentische Jugendarbeit, Ein Beitrag zur Freizeiterziehung, Hamburg 1963.
Historisch ist das Feld der außerschulischen Jugendarbeit noch so gut wie unerschlossen, während in erziehungswissenschaftlicher Hinsicht vor allem die Jugendbewegung und - in geringerem Maße - die öffentliche Jugendpflege und -fürsorge in diesem Jahrhundert eingehender gewürdigt wurden. Vor allem wegen der umfangreichen Dokumentation, weniger wegen der zu eng gefaßten historischen Darstellung ist zu nennen: Manfred Zwerschke, Jugendverbände und Sozialpolitik, Zur Geschichte der deutschen Jugendverbände, München 1963.

3) Vgl. Theodor Wilhelm, Zum Begriff "Sozialpädagogik", in: Z.f.Päd. H. 3/1961 S . 226-245.

4) Eine Begriffsgeschichte des Wortes "Freizeit" steht noch aus. Nach Gebhard/Nahrstedt (Studentische Jugendarbeit ... S. 97 ff.) findet das Wort sich schon in Goethes "Wilhelm Meister", in Fröbels "Menschenerziehung" aus dem Jahre 1826 und im "Kapital" von Marx. Pädagogisch interpretiert wird es zuerst 1924 von Wilhelm Flitner (Die Abendvolkshochschule. Entwurf einer Theorie. Berlin 1924). Bei Fritz Klatt (Freizeitgestaltung, Stuttgart 1929) hat es dann seine nachwirkende Bedeutung für die Pädagogik bekommen. Der Versuch, es in dieser Bedeutung dann für die pädagogische Problematik der Gegenwart wieder fruchtbar zu machen (Johannes Zielinski, Freizeit und Erziehung, Düsseldorf 1954) fand keine Nachahmung in der pädagogischen Diskussion.

5)Vgl. Viggo Graf Blücher: Freizeit - wozu?, in: Zeitwende/Die neue Furche, H.4/1962 S. 225-237. hier S. 226.

6) Damit ist allerdings nur die eine Seite eines historischen Vergleichs abgewiesen. Die umgekehrte Frage, ob im Verlaufe der jüngsten Erziehungsgeschichte nicht schon Einsichten vorlagen, die dem gegenwärtigen Bewußtsein verloren gegangen sind, kann hier nur gestellt werden und bedürfte einer eigenen Untersuchung.

7) Vgl. zur Kritik dieser Methode die Einleitungskapitel bei Hermann Bertlein, Das Selbstverständnis der Jugend heute, Hannover 1960, und Walter Jaide, Eine neue Generation? München 1961.

8) Auf das sprachliche Problem weist besondere H. H. Muchow, Jugend und Zeitgeist, Hamburg 1962, S. 204 hin.

9) Vgl. Werner Mangold, Gegenstand und Methode des Gruppendiskussionsverfahrens, Frankfurt 1960. Frankfurter Beiträge zur Soziologie Bd. 9

l0) Der arbeitstechnische Begriff von "Didaktik", den wir hier verwenden, kommt der Auffassung einer "Wissenschaft vom Unterricht" am nächsten. Vgl. Wolfgang Klafki, "Didaktik", in: Lexikon für Pädagogik, Stuttgart 1961

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