Hermann Giesecke: Woran erkennt man gute und schlechte Lehrer?
Gesendet in NDR 4 am 11.07.01
© Hermann Giesecke![]()
Zwei für die Öffentlichkeit überraschende Tatsachen haben den Beruf des Lehrers wieder einmal in die Schlagzeilen gebracht: Der akute Lehrermangel, der vor allem die naturwissenschaftlichen Fächer betrifft, und die Pensionierungswelle in den nächsten Jahren, die diesen Mangel mittelfristig fortschreiben wird.
Der Lehrermangel, der offensichtlich auch durch rückläufige Schülerzahlen vor allem in den östlichen Bundesländern nur teilweise zu kompensieren ist, war lange vorhersehbar und kein statistisches Geheimnis. Aber die Politik hat unter dem Diktat der Finanzminister nicht rechtzeitig reagiert, und nun werben die einzelnen Bundesländer sich die Lehrer gegenseitig ab. Noch bis in die unmittelbare Gegenwart hinein wurden qualifizierte Bewerber abgewiesen, denen man nun hinterher fahndet. Für angehende Lehrer ist der neue Bedarf eher ein Vorteil, weil Mangel immer das Ansehen derer erhöht, die für dessen Behebung gebraucht werden. In der Vergangenheit selbstverständlich gewordene Einschränkungen wie Stellenkürzungen, Teilzeitstellen oder Verzicht auf den Beamtenstatus fallen bereits in sich zusammen. Junglehrer können sich wieder Stellen aussuchen und müssen nicht dankbar nehmen, was ihnen angeboten wird.
Dass auch Lehrer einmal in den Ruhestand treten müssen, ist nicht ungewöhnlich. Sehr selten ist jedoch, dass davon innerhalb weniger Jahre ein erheblicher Teil des ganzen Berufsstandes betroffen ist. In Deutschland werden in den nächsten 10 Jahren etwa 300 000 Lehrer aus dem Schuldienst ausscheiden, das ist fast die Hälfte; diese Lücke ist selbst bei größter Anstrengung nicht durch Ausbildung von Nachwuchs zu schließen, zumal die ökonomischen Gesetze des sogenannten Schweine-Zyklus auch für die Ausbildung von Lehrern gelten: Die Studentenzahlen für das Lehramt sind in den vergangenen Jahren erheblich gesunken, weil die Absolventen nicht eingestellt wurden und deshalb die Berufsperspektive nicht attraktiv genug erschien. Nun sollen auch fachkundige Quereinsteiger eine Chance erhalten, also solche Personen, die zwar fachwissenschaftlich qualifiziert sind, aber keine pädagogische Ausbildung erhalten haben.
Die hohe Abgangsquote in kurzer Zeit hängt damit zusammen, dass Anfang der siebziger Jahre im Zuge der Bildungsreform und der dadurch hervorgerufenen personellen Expansion sehr viele Lehrer eingestellt wurden, die dann wegen des Rückgangs der Schülerzahlen und wegen der Sparmaßnahmen jüngere Nachfolger blockierten; die verfügbaren Stellen waren eben langfristig besetzt. Deshalb sind die Lehrerkollegien heute hoffnungslos überaltert. Während im Jahre 1970 noch 30 Prozent der Lehrer unter 30 Jahre alt waren, waren es im Jahre 1998 nur noch vier Prozent. Die fehlende Ausgewogenheit in der Altersstruktur der Lehrkörper hatte nicht nur Immobilismus zur Folge, sondern ist auch für den Bildungsprozess der Schüler unproduktiv, weil ihnen die geistige Spannweite nicht zur Verfügung steht, die von einer ausgeglichenen Altersstruktur ihrer Lehrer im allgemeinen zu erwarten ist. Hinzu kommt eine einseitige Generationenprägung – jedenfalls in den westlichen Bundesländern. Der größte Teil der gegenwärtigen Lehrer ist maßgeblich bestimmt durch Erfahrungen der Studentenbewegung, die sich auch in pädagogischen Grundüberzeugungen niedergeschlagen haben.
Wir stehen also gegenwärtig und in den nächsten Jahren vor einem folgenreichen Umbruch in den Schulen, vor einem Generationswechsel, der auch zu einer Wende des schulpädagogischen Denkens führen könnte, insofern die Jungen nicht mehr durch die dominierenden Erfahrungen der Achtundsechziger und der aus ihnen hervorgegangenen politisch-kulturellen Bewegungen – wie der Frauenbewegung und der Umweltbewegung - geprägt sind. Manches, was heute noch bildungspolitisch und schulpädagogisch als selbstverständlich gilt, wird in absehbarer Zeit möglicherweise keine Anhänger mehr finden, anderes wird in den Vordergrund rücken.
In dieser Situation ist es sinnvoll und notwendig, über grundsätzliche schulpädagogische Fragen erneut nachzudenken. Dazu gehört auch die nach dem guten bzw. schlechten Lehrer: Was wollen wir unter einem guten Lehrer in Zukunft verstehen, um schlechte möglichst zu verhindern?
Eine befriedigende und vor allem auch faire Antwort ist nicht möglich ohne Hinweis auf einige Besonderheiten des Lehrerberufes, die immer wieder zu Missverständnissen oder auch Vorurteilen Anlass geben.
Lehrer haben es mit Kindern zu tun, nicht mit Erwachsenen. Das unterscheidet sie von anderen ebenfalls auf den Menschen bezogenen Berufen. Die Geringschätzung der Unmündigen, noch nicht Erwachsenen, färbt auf diejenigen ab, die mit ihnen beruflich umzugehen haben. Damit stimmt auch überein, dass das Ansehen eines Lehrers mit zunehmendem Alter der Schüler steigt, die er unterrichtet - vom geringen Prestige der Grundschullehrerin bis zum hohen Prestige des Hochschullehrers. Die Berufstätigkeit selbst erscheint dabei als etwas Sekundäres, Uneigentliches. Der Lehrer stellt nichts her, verteilt auch - außer Zensuren - nichts, was andere brauchen könnten; er bewegt sich nicht in gesellschaftlich bedeutsamen Bereichen wie Wirtschaft, Kultur, Forschung oder Politik. Wohl deshalb ist das Ansehen auch höher, wenn es nicht auf der Lehrtätigkeit selbst beruht, sondern auf der dahinter stehenden Fachwissenschaft, wie es beim Gymnasiallehrer zumindest früher der Fall war.
Erziehen und Unterrichten werden zudem weitgehend als eine Fähigkeit betrachtet, die ohnehin jeder Mensch besitzt, weil ja schließlich jeder irgendwie mit Kindern zu tun hat. Lehrer verfügen über kein wirkliches "Geheimnis", also über keine spezifische Arbeitsweise oder Technologie, die als Besonderheit ihres Berufes gelten könnte. Überhaupt hat der Lehrerberuf von der modernen Technik, von der so viele andere Berufe Erleichterung erfahren haben, kaum profitiert; die Grundkonstellation der "pädagogischen Beziehung", nämlich von Angesicht zu Angesicht einer Klasse gegenüber zu stehen, erscheint zwar im Medienzeitalter als unmodern, ist aber technologisch trotz Internet und Computer nicht zu überwinden oder zu hintergehen.
Nicht nur, aber auch deshalb ist die physische und psychische Belastung enorm gestiegen, wie die wachsende Zahl der krankheitsbedingten Frühpensionierungen und die verbreiteten Burn-Out-Fälle zeigen. Der Öffentlichkeit ist die tatsächliche Arbeitsbelastung weitgehend unbekannt, weil sie nur auf die Unterrichtsstunden sieht. Vorbereitung und Nachbereitung des Unterrichts, Korrekturarbeiten, Konferenzen, Gespräche mit Eltern usw. werden dabei nicht berücksichtigt. Statt dessen gewinnen Vorhaltungen über zu geringe Arbeit, zu viel Ferien und zu wenig Einsatzbereitschaft ihre voreingenommene Bedeutung - Lehrer als "faule Säcke", wie es Gerhard Schröder einmal formuliert hat.
Während früher die pädagogischen Fähigkeiten der Lehrer allenfalls mit denen der Eltern verglichen wurden, sind inzwischen neue Konkurrenten in Gestalt der Psychologen und Therapeuten in den Ring getreten. Wer heute nach "Fachleuten für das Kind" sucht, wendet sich fast selbstverständlich nicht mehr an Lehrer oder überhaupt an Pädagogen, sondern an Psychologen. Fast sieht es so aus, als seien "gute" Lehrer nur noch ausführende Organe psychologischer Supervisoren, didaktisch-methodische Arrangements nur noch Anwendungen psychologischer Lehrsätze. Hinzu kommt, dass es kein Kriterium dafür gibt, wann ein Lehrer "genug" geleistet hat; die Erwartungen in diesem Beruf und an ihn bleiben vielmehr stets "nach oben offen". Immer kann man noch mehr tun, sich noch besser vorbereiten, sich noch eingehender mit schwierigen Schülern befassen, noch mehr Fachbücher lesen. Dabei winken kaum Belohnungen für Mehrarbeit; denn die Karrierechancen innerhalb des Berufes sind gering, weil entsprechende Aufstiegsstellen sehr knapp sind. Wer Karriere machen will, muss sie außerhalb des Berufes suchen, etwa in der Politik, wo denn auch nicht wenige ehemalige Lehrer zu finden sind.
Wer die Leistung einzelner Lehrer beurteilen will, braucht dafür Maßstäbe, an denen es jedoch hapert. Bestand das Leitbild eines guten Lehrers früher darin, dass er sachlich kompetent war, auf dieser Grundlage einen anregenden und verständlichen Unterricht darbot und im übrigen die Schüler freundlich und taktvoll behandelte, so werden nun vielfach zusätzliche oder an Stelle dessen sogar andere Erwartungen an ihn gestellt, die einerseits unklar sind, andererseits in seinem Berufsbild bisher nicht vorgesehen waren. So wurde schleichend und zunächst gar nicht planmäßig der Aufgabenkreis des Lehrers immer mehr ausgeweitet - teils durch die Lehrer und ihre Organisationen propagiert, teils durch die Öffentliche Meinung gefordert: Kompensation für erzieherische Mängel, die man außerhalb der Schule zu erkennen meint, Defizite in der familiären Erziehung, massenmediale Überwältigung der Kinder und die Verlockungen der Konsumgesellschaft werden dabei immer wieder genannt. Diese Tendenz hat dazu geführt, dass das Berufsbild des Lehrers im Laufe der Zeit diffus geworden ist. Weder in der Lehrerschaft selbst noch in der Öffentlichkeit gibt es darüber noch eine hinreichende Übereinstimmung. Sogar die Lehrerverbände haben Schwierigkeiten, sich über ein professionelles Lehrerleitbild zu verständigen, weil sie fürchten müssen, darüber in eine heftige Auseinandersetzung verwickelt zu werden.
Wenn aber die Aufgaben des Lehrers in dieser Weise multifunktional bestimmt werden, weil gleichsam jeder pädagogische Interessent das, was er für wichtig hält, dem Lehrer und der Schule als Aufgabe aufdrängt, dann wird nur vieles gleichrangig nebeneinander aufgereiht, ohne dass es sich um eine Kernaufgabe ordnen lässt. Angesichts derartig diffuser Erwartungen verliert der Lehrer folgerichtig seine berufliche Orientierung und gerät in die Versuchung, bei Versagen an dem einen Punkt sich unter Hinweis auf intensive Wahrnehmung eines anderen herauszureden; schließlich könne man nicht alles gleichzeitig und gleich gut machen. Auf diese Weise wird seine Fähigkeit zur Selbstkritik eingeschränkt und Kritik von außen findet keine plausiblen Maßstäbe mehr.
Früher war das anders, es gab Leitbilder für den Lehrerberuf, - also Vorstellungen über den "guten" Lehrer - die nicht nur von den Lehrern selbst, sondern auch von einer breiten Öffentlichkeit geteilt wurden. Bis etwa Mitte der sechziger Jahre dominierte ein idealistisches Lehrerleitbild, das auf Pestalozzi zurückgeht, etwa zur Zeit der Reformpädagogik vor dem Ersten Weltkrieg allgemeine Verbreitung fand und in den Ausbildungsstätten gepflegt und tradiert wurde. Demnach steht der Lehrer uneigennützig im Dienste der Kinder und der Höherentwicklung der Kultur und ist mit bescheidenen Arbeits- und Lohnverhältnissen zufrieden, weil es ihm nicht um schnöden Mammon, sondern um den Dienst an einer edlen Sache geht, die ihren Lohn weitgehend in sich selbst trägt. Deshalb sollten auch nur besonders geeignete Personen Lehrer werden; Lehrer sein galt mehr als eine von innen kommende Berufung denn als ein Beruf wie andere auch, und das Unterrichten war in dieser Vorstellung eine Kunst, die man nur sehr begrenzt überhaupt lernen konnte.
Seit den sechziger Jahren trat dann ein anderes Leitbild in den Vordergrund, das man ein "technokratisches" nennen könnte. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern wurde das Bildungswesen damals reformiert, die geistige Führung dafür übernahmen statt der früheren Philosophie nun die empirischen Sozialwissenschaften. Sie versprachen, die wissenschaftlichen Voraussetzungen für ein erfolgreiches Lehrerhandeln zu schaffen - als eine Art von angewandter Lernwissenschaft. Gute Lehrer waren in diesem Verständnis durch eine richtig verstandene Ausbildung produzierbar, man musste nicht mehr auf verborgene Talente und innere Berufungen warten. Jeder, der guten Willens war, konnte demnach auch ein guter Lehrer werden – eine Erwartung, die für die Beseitigung des damaligen Lehrermangels wie geschaffen war. Das Lehren wie auch das Lernen schienen nun durch die Anwendung der modernen Lernwissenschaften fast mühelos zu werden. Auf diese Weise erhielt der Lehrerberuf einen Touch von Modernität, woraus sich die naheliegende Forderung ergab, alle Lehrer an der Universität und dort in diesen neuen Wissenschaften entsprechend auszubilden. Und allen Kindern konnte man – so die Hoffnung – eine höhere Bildung verschaffen, wenn man nur genügend viele solcher Lehrer neuen Typs ausbildete und einstellte.
Dieser technokratische Optimismus konnte jedoch nicht halten, was er versprach. Zurückgeblieben ist Konfusion, eine Vielzahl disparater Vorstellungen über den Lehrerberuf, die sich oft unerkannt aus einer Mischung beider Leitbilder speisen. Überlebt haben in der Bevölkerung aber auch Erwartungen wie die, jedes Schulkind könne - wenn sein Lehrer nur genügend qualifiziert sei - einen höheren Schulabschluss schaffen, was umgekehrt denjenigen Lehrer disqualifiziert, dem dies nicht gelingt.
Der Irrtum bestand in der Annahme, dass empirische Wissenschaften soziales Handeln – dazu gehört ja das Unterrichten – so konstruieren könnten, dass man sich nur danach richten müsste, um Erfolg zu haben. Dafür ist jedoch das Handlungsfeld, sind die Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern viel zu komplex. Die Schüler kamen hier über weite Strecken sowieso lediglich als Objekte des Lehrerhandelns vor – wie ein Stück Materie, das es zu bearbeiten galt. Folgerichtig mussten sie sich für ihren Lernerfolg auch nicht mehr selbst verantwortlich fühlen, weil ihre Lehrer schließlich die Profis waren.
In Abwendung von diesem technokratischen Leitbild hat sich insbesondere in den unteren Schulstufen neuerdings ein sozialpädagogisches verbreitet, das den Unterricht für nebensächlich hält, dafür direkt die Schüler als ganzheitliche Menschen in den Blick nimmt und sich für ihre Sorgen und Probleme zu interessieren versucht, woran der Lehrer leider durch den Zwangscharakter der Schule und durch das Stundengeben, durch Klassenarbeiten und Zensieren immer wieder gehindert werde. Statt dessen möchte er dem natürlichen Lernwillen des Kindes Raum geben, dafür Berater und Moderator sein. Er möchte ihm zugewandt und offen gegenübertreten und seinen Lernwillen möglichst wenig durch von außen kommende Leistungsanforderungen bremsen – alles in allem sich dem Kind eher als Freund oder großer Bruder denn als Lehrer anbieten.
Ein "guter" Lehrer – dafür gelten also im idealistischen, technokratischen oder sozialpädagogischen Leitbild sehr unterschiedliche Maßstäbe. Welche sollen nun aber gelten?
Wir kommen nur weiter, wenn wir daran denken, dass jeder moderne Beruf nicht nur durch das definiert ist, was er können soll, sondern auch durch die Grenzen seiner Kompetenz. So sieht es auch ein Gutachten, das die Kultusministerkonferenz bei einer Expertenkommission in Auftrag gegeben und im Oktober 1999 veröffentlicht hat. Es stellt nachdrücklich den Unterricht in den Mittelpunkt des Lehrerberufes. Die berufliche Qualität von Lehrerinnen und Lehrern werde von der Qualität ihres Unterrichts bestimmt. Andererseits wird aber auch auf die Grenzen möglicher Erziehungsaufgaben von Lehrkräften hingewiesen. Aufgabe der Schule bzw. der Lehrkräfte könne es nicht sein, Erziehungsrechte und -pflichten von Eltern zu übernehmen; auch als sozialpädagogische Einrichtung sei die Schule nicht gedacht. Kernaufgabe des Lehrers ist demnach, dass er lehrt, nämlich unterrichtet; um diese Aufgabe herum baut sich sein professionelles Selbstverständnis auf. Sie ist auch Ausgangspunkt und Grenze seines erzieherischen Wirkens und gibt allen seinen anderen - etwa erzieherisch oder verwaltungsmäßig notwendigen - Tätigkeiten Maß und Sinn.
Aber auch wenn man die Aufgabe des Lehrers so versteht, wird seine Beurteilung im Einzelfall keineswegs eindeutig. Was "gute" und "schlechte" Lehrer sind, glaubt zwar jeder Erwachsene fast auf Anhieb zu wissen, weil er selbst einmal Schüler war. Überall dort, wo Eltern schulpflichtiger Kinder zusammentreffen, ist ausgiebig die Rede davon. Fragt man jedoch genauer nach, stellt sich schnell heraus, dass für eine Bewertung von Lehrern durchaus unterschiedliche Akzente auch dann gesetzt werden, wenn dabei der Unterricht im Mittelpunkt steht – was die meisten Bürger ohnehin für selbstverständlich halten. Auch die Urteile von Schülern über ihre Lehrer sind selten einhellig. Das liegt daran, dass die Lehrertätigkeit aus der Sicht der Schüler verschiedene Facetten aufweist. So mag der eine Lehrer vielleicht sehr effizient unterrichten, der andere jedoch "füttert" eher den individuellen Bildungshunger mit interessanten Hinweisen; oder der eine wird eher menschlich akzeptiert, während der andere wegen seiner fachlichen Souveränität geschätzt wird. Aus der Sicht der Schüler geht es also immer um eine Kombination von drei Aspekten: ob ihr Lehrer fachlich etwas drauf hat, ob er es gut beibringen kann und in welcher Weise er mit seinen Schülern umgeht.
Diese Einschätzung stimmt auch mit den Resultaten der Unterrichtsforschung überein. Demnach ist ein schlechter Lehrer derjenige, dessen Fachwissen mangelhaft oder veraltet ist, der zusammenhanglos und unverständlich unterrichtet, unzuverlässig und unberechenbar Zensuren erteilt, unfähig ist, auf Kinder und Jugendliche einzugehen, herablassend oder distanzlos mit Schülern und ihren Eltern umgeht und seinen Arbeitseinsatz so gering wie möglich hält. Ein schlechter Lehrer verschwendet Unterrichtszeit, weil er Störungen und Unterbrechungen nicht bereinigt; er strukturiert den Stoff nicht klar und lässt seine Erwartungen an die Schüler nicht deutlich werden; er ist ungeduldig und fällt den Schülern zu schnell ins Wort, erkennt Lernschwierigkeiten nicht und stellt dafür keine Hilfen zur Verfügung.
Eine wichtige Rolle für die Einschätzung von Lehrern spielt, ob ihre Leistungsbeurteilungen – also ihre Zensuren - und ihr Umgang mit Konflikten als "gerecht" akzeptiert werden können. Als "nicht gerecht" wird empfunden: gleiche Leistungen unterschiedlich zu bewerten; Leistungsbewertungen mit Kränkungen zu verbinden; sie als Drohmittel zu verwenden; sie als Rache für disziplinarische Ärgernisse zu nutzen; auf schlechtes Benehmen überzogen zu reagieren; Schüler dem Hohn und Spott der Mitschüler preiszugeben; Schüler - insbesondere vor den Mitschülern - zu demütigen; kein Verständnis für die offensichtlichen, d.h. von der Klasse durchaus wahrgenommenen, Schwierigkeiten eines Schülers aufzubringen; keine Hilfe in solchen Fällen anzubieten.
Derartige Forschungsresultate verblüffen nicht weiter, auf die meisten kommt man auch, wenn man als Lehrer oder ehemaliger Schüler seine eigenen Erfahrungen unvoreingenommen reflektiert. Obwohl die zitierten Aspekte sich auf eine Vielzahl von Untersuchungen stützen, darf man ihre Bedeutung für den Schulalltag nicht überschätzen. Die empirische Forschung setzt auf statistische Repräsentanz, im konkreten Falle jedoch ist das alles eine Frage der Interpretation. Gut bzw. schlecht ist nicht zuletzt das, was die Schüler auch entsprechend empfinden und deuten. Deshalb taugen die Resultate der Forschung wenig als Rezepte, als konkrete Anleitungen zum Handeln, wohl aber als Leitfragen zur Selbstüberprüfung. Jede der als "schlecht" beurteilten Handlungsweisen kann unter bestimmten Umständen ausnahmsweise durchaus pädagogisch produktiv sein; problematisch sind sie aber, wenn sie - einzeln oder gar gebündelt - zum Standard des Lehrerverhaltens werden. Ein Lehrer etwa, der seine Schüler grundsätzlich nicht demütigt und herabwürdigt, kann einen einzelnen Schüler durchaus einmal vor der Klasse als "faul" bezeichnen, ohne ihn damit zu kränken. Sehr viel kommt auf die Situation und auf das allgemeine Umgangsklima an: Derselbe Witz kann kränken, aber in einer anderen Lage auch zur heiteren Entspannung führen. Wie alle menschlichen Beziehungsverhältnisse ist auch das zwischen Lehrern und Schülern komplex und kompliziert. Vorsicht ist also bei der Kennzeichnung eines bestimmten Lehrers als eines "schlechten" geboten. Dieses Verdikt sollte erst dann ausgesprochen werden, wenn mehrere der oben genannten Kriterien es unzweideutig nahe legen. Zwischen den unstrittig "guten" und "schlechten" Exemplaren dieses Berufsstandes gibt es eine breite Palette von "mehr oder weniger" zufriedenstellenden Beispielen - wie in jedem anderen Beruf auch. Vor allem aber: Das soziale Umfeld - Vorgesetzte, Kollegium, Eltern und nicht zuletzt die Schüler selbst - müssen einen guten Lehrer auch wollen und ihn bzw. seine für gut befundenen Seiten auch unterstützen; sonst gilt auch hier: Wenn man einen Menschen lange genug einen Hund nennt, fängt er irgendwann an zu bellen.
In Deutschland kann man Lehrer, selbst wenn sie unbezweifelbar "schlechte" sind, gegen ihren Willen praktisch nicht loswerden, wenn nicht andere dienstrechtlich relevante gravierende Fakten hinzutreten. Man kann solche Lehrer versetzen, aber dann nehmen sie ihr Problem in die neue Stelle mit. Für die betroffenen Schüler und auch deren Eltern ist dies kein befriedigender Zustand. Andererseits ist nur schwer vorstellbar, dass jemand mit Absicht ein miserabler Vertreter seines Berufes sein möchte. Kollegiale und solidarische Beratung und Hilfe sowie ohne Diskriminierung angebotene Fortbildung vermögen in solchen Fällen gewiss einige Auswüchse wenigstens zu mildern. Dass jedoch die Hürde für die Entfernung eines "schlechten" Lehrers aus dem Amt relativ hoch gelegt ist, hat auch sein Gutes: Sie schützt Lehrer allgemein davor, etwa wegen zweifelhafter und sachlich unzulänglicher Vorwürfe von Eltern schnell in berufliche Existenzschwierigkeiten zu geraten.
Schlechte Lehrer wird man nicht los, gute kann man aber auch nicht nennenswert fördern. Karrieren sind nur begrenzt, finanzielle Anreize zur Ermutigung erst in Anfängen möglich. Abgesehen von der Frage, wer nach welchen Kriterien gute Lehrer zuverlässig herausfinden sollte, wirkt die Fixierung auf den mit der Festanstellung verbrieften lebenslangen Status eher lähmend. In der Regel ist Stundennachlass die gängige Währung für Sonderleistungen - was insofern paradox ist, als der gute Lehrer damit belohnt wird, weniger Lehrer als die anderen sein zu dürfen.
Wer also ist ein guter Lehrer? Auf jeden Fall nur der, der auch wirklich Lehrer sein, nämlich möglichst gut unterrichten will. Das wichtigste Erfolgskriterium dafür ist einerseits der Leistungsstand seiner Klasse in seinem Fach, andererseits der Lernfortschritt der einzelnen Schüler. Gelingen ihm in diesen Punkten Erfolge, kann man davon ausgehen, dass er auch seine erzieherischen und motivierenden Aufgaben gut gelöst und dass er ein lernfreundliches Umgangsklima geschaffen hat. Wenn das alles nicht gelingt, muss das jedoch nicht unbedingt am Lehrer, es kann auch an seinen Arbeitsbedingungen liegen. Unterrichten ist eine soziale Handlung, deren Erfolg auch vom Mithandeln der Beteiligten, vor allem der Schüler und deren Eltern, abhängt. Wenn die keinen guten Lehrer wollen, kann es auch keinen geben. Für die Administration ist derjenige ein guter Lehrer, der keinen Ärger verursacht; für viele Eltern der, der sie möglichst nicht behelligt und für wenig Lernmühe gute Zensuren verteilt; und Schüler können jeden Unterricht sabotieren, wenn der Schule keine Mittel zugestanden werden, sie in ihre Schranken zu verweisen. So provoziert die Frage nach dem guten Lehrer die andere, welche Schule nämlich die Bürger eigentlich wollen. Schlechte Lehrer kann es an jeder Art von Schule geben, gute nicht.
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Das Thema ist ausführlicher dargestellt in:
Hermann Giesecke: Was Lehrer leisten. Porträt eines schwierigen Berufes. Weinheim/München 2001![]()
URL des Dokuments: : http://www.hermann-giesecke.de/gutlehrer.htm