Hermann Giesecke

Methodik des politischen Unterrichts

München: Juventa-Verlag 1973

5. Kapitel: Arbeitsweisen

© Hermann Giesecke
Inhaltsverzeichnis
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5. Kapitel: Arbeitsweisen

Von den im dritten Kapitel beschriebenen Methoden müssen die Arbeitsweisen unterschieden werden. Methoden sind durch einen bestimmten Kommunikationszweck definierte kollektive Bearbeitungen eines bestimmten Themas; Arbeitsweisen sind methodenunspezifische Techniken der Bearbeitung, z. B. Lehrervortrag, Gruppenarbeit, Einzelarbeit, Diskussion usw., die dem Kommunikationsziel unterzuordnen sind. Man kann die Unterscheidung auch so formulieren: Methoden kennzeichnen die Makro-Struktur des Unterrichts, die Arbeitsweisen seine Mikro-Struktur. Die Bewertung dieser Techniken hängt also ab von der Frage, was sie jeweils für das Kommunikationsziel bzw. für eines seiner Teilziele leisten können. Wie bei jeder Arbeit, müssen diese Techniken nicht nur gehandhabt, sondern im Verlauf der Handhabung selbst auch erlernt werden. Vorweg sei deshalb betont, daß allgemeine Behauptungen, wie daß Gruppenarbeit grundsätzlich besser sei als der Lehrervortrag, am Kern der Sache vorbeigehen. Vielmehr wird der politische Unterricht um so ergiebiger und differenzierter sein, je differenzierter und abwechslungsreicher mit den einzelnen Arbeitsweisen umgegangen wird. Wenn wir hier von "Techniken" sprechen, so impliziert das bereits, daß es für jedes Ziel oder Teilziel "bessere" und "schlechtere" Techniken gibt, möglicherweise sogar eine optimale. Um dies zu zeigen, sollen die wichtigsten Arbeitsweisen zunächst vorgestellt und voneinander abgegrenzt werden.

Der Lehrervortrag

Beim Lehrervortrag stellt der Lehrer einen sachlichen Zusammenhang dar, während die Schüler dieser Darstellung zuhören und zu folgen versuchen. In den didaktisch-

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methodischen Diskussionen der letzten Jahre ist diese Arbeitsweise arg in Verruf geraten; man hat sie sogar als die klassische Arbeitsweise eines autoritären Unterrichts definiert, bei der die Schüler in die pure Passivität und Rezeptivität gedrängt würden. Dagegen wurde dann das Ideal eines demokratisch-kooperativen Unterrichts gesetzt, der im wesentlichen daran gemessen wurde, welchen zeitlichen Anteil die Schüleräußerungen im Vergleich zu den Lehreräußerungen haben.

Im Prinzip ist diese Einschätzung jedoch falsch und gerade für den politischen Unterricht höchst problematisch. Erstens hat es nichts mit "autoritärer Haltung" zu tun, wenn man jemand anderem seine Kenntnisse und Erfahrungen im Zusammenhang mitteilt. Zweitens ist verständiges Zuhören keine passive Haltung, es verlangt vielmehr hohe Konzentration, die Fähigkeit zum logischen Mitdenken, die Fähigkeit, augenblicklich bisherige Erfahrungen und Kenntnisse mit dem Vorgetragenen zu assoziieren und daraus Fragen und Einwände abzuleiten. Verständiges Zuhören ist also eine höchst aktive Verhaltensweise. Würde man die prinzipiellen Einwände gegen den Lehrervortrag folgerichtig zu Ende denken, so wäre das wissenschaftliche Fachstudium des Lehrers überflüssig, es würde genügen, ihn zum Kommunikations-Regulator auszubilden. Angesichts jener Einwände ist daran zu erinnern, daß falsches Bewußtsein nicht dadurch richtiger wird, daß man darüber bloß kommuniziert; daß es vielmehr nur dann verbessert werden kann, wenn es nach wissenschaftlichen Regeln bearbeitet wird. Dies im Unterschied zu den Schülern bereits gelernt zu haben, macht (wenigstens im Prinzip) den Vorsprung des Lehrers aus.

Gerade vom Standpunkt der Schüler aus bleibt der Lehrervortrag eine wichtige Arbeitsweise. Die oben schon angedeutete formale Fähigkeit des Zuhören-Könnens wird nicht nur in der spezifischen Situation des Unterrichts benötigt, sondern auch in anderen Lebenssituationen - nicht zuletzt in realen politischen Kommunikationen selbst. Erfolgreiche politische Kommunikation gerade auch mit Geg-

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nern des eigenen politischen Interesses hängt nicht zuletzt davon ab, ob man nicht nur isolierte Argumente, sondern auch ihren dargestellten gedanklichen Zusammenhang versteht und in dessen Kontext replizieren kann. In der Situation des politischen Unterrichts selbst ist der Lehrervortrag zudem das beste Mittel, gedankliche Zusammenhänge darzustellen, die sonst - wenn überhaupt - nur mit großer Mühe und viel Zeitaufwand induktiv erarbeitet werden können. Auch zur Formulierung von gemeinsamen Arbeitsergebnissen bietet sich der Lehrervortrag an.

Die soeben prinzipiell zurückgewiesene Kritik am Lehrervortrag hat gleichwohl einen realen Kern, der in den Details steckt. Damit nämlich der Lehrervortrag optimal sein kann, müssen folgende Regeln beachtet werden:

1. Der Lehrervortrag darf nicht die alleinbenutzte Arbeitsweise sein, weil dann in der Tat die Schüler in eine rezeptive Passivität gedrängt werden und weil dann je nach Thema und Lernziel geeignetere andere Arbeitsweisen vernachlässigt werden.

2. Der Lehrervortrag darf nicht von zu langer Dauer sein weil selbst geschulte Zuhörer die für einen Vortrag nötige Konzentration nur für eine begrenzte Zeit aufzubringen vermögen. Aus Hochschulerfahrungen weiß man, daß selbst dort die 45-Minuten-Vorlesung kaum überschritten werden kann. Auf die Schule bezogen läßt sich daraus folgern: Ein Lehrervortrag sollte nicht länger als höchstens 15 Minuten dauern; erst in der Oberstufe des Gymnasiums kann diese Zeit erhöht werden.

3. Der Lehrervortrag sollte mit optischer Unterstützung arbeiten, entweder mit der Tafel oder mit Vervielfältigungen, die die innere Struktur des Vortrags zum Ausdruck bringen.

4. Der Lehrervortrag sollte sich auf die geradlinige, möglichst unkomplizierte Darstellung eines logisch strukturierten Zusammenhangs beschränken. Entgegen einer weitverbreiteten Auffassung eignet sich der Lehrervortrag zwar gut für die Entfaltung eines logischen Zusammenhangs,

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nicht jedoch auch ebenso gut für im Detail differenzierte Argumentationen. Dafür sind vielmehr andere Arbeitsweisen geeigneter. Klare Logik mit relativ wenig Differenzierung ist also die besondere Chance des Lehrervortrags.

5. Nach einem Lehrervortrag sollte unbedingt diskutiert werden, schon um zu prüfen, ob der im Vortrag dargelegte Zusammenhang auch verstanden bzw. akzeptiert wird.

6. Ein Vortrag bedarf besonderer Kommunikationsbedingungen. Die Sitzordnung sollte so sein, daß jeder Zuhörer den Vortragenden gut hören kann und daß er nicht den Kopf wenden muß, um ihn anzusehen.

Das Unterrichtsgespräch

Das Unterrichtsgespräch besteht darin, daß der Lehrer ein von ihm entworfenes Konzept nicht einfach vorträgt, sondern die Schüler fragend und ihre Beiträge aufgreifend entwickelt. Im Unterschied zum unstrukturierten Gespräch, wie es etwa zur Herstellung eines Einstiegs geeignet ist, wird hier das Gespräch vom Lehrer strukturiert und geführt; er kennt zumindest in groben Zügen das Ergebnis, während die Schüler nicht wissen, worauf das ganze hinaus soll.

Vielfach wird das Unterrichtsgespräch als eine methodische Verbesserung des Lehrervortrags angesehen, ja sogar als der geeignete Ersatz dafür, weil auf diese Weise der Lehrer die gewünschten Erkenntnisse und Einsichten vermitteln könne bei gleichzeitiger hoher Schüleraktivität. Das ist jedoch falsch, denn die spezifischen Chancen des Unterrichtsgesprächs liegen ganz woanders als beim Lehrervortrag.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß das Unterrichtsgespräch nur dort sinnvoll angewendet werden kann, wo die Schüler sachlich etwas beizutragen haben; Schüler etwas zu fragen, was sie gar nicht beantworten können, ist eine Schein-Kommunikation. Zudem wird der Lehrer ständig dazu verführt, Fragen und Beiträge der Schüler, die nicht

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in sein vorgeplantes Konzept passen - das die Schüler wiederum nicht kennen können - zurückzuweisen, zu selektieren oder umzufunktionieren: ein höchst problematisches, weil manipulatives Kommunikationsverhalten. So gesehen ist in vielen Fällen der Lehrervortrag zweckmäßiger und ehrlicher als das Unterrichtsgespräch.

Das Unterrichtsgespräch hat eigentlich nur dort Sinn, wo es um die Bearbeitung, Wiederholung, Kritik einer bereits bekannten neuen Erkenntnis, Einsicht oder Theorie geht, also um irgendeine Form von "Vertiefung". So kann etwa das Unterrichtsgespräch das in einem Lehrervortrag Dargestellte noch einmal bearbeiten, denn die Schüler können nun ihre bisher erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen einbringen und mit den neuen Thesen oder Gesichtspunkten konfrontieren. Das Unterrichtsgespräch kann aber noch einen anderen Sinn haben: Mit ihm kann der Lehrer methodisches Vorgehen den Schülern vorführen, also zeigen, wie man an einen vorhandenen Kenntnis- und Erfahrungsstand anknüpft, wie man neue Fragen einführt, diese begründet (Kategorien!) usw.

Für die Arbeitsweise des Unterrichtsgespräches sollten also folgende Regeln gelten:

1. Es muß sich wirklich um ein Gespräch handeln, dessen Zweck es ist, daß die Schüler ihre eigenen Erfahrungen und Kenntnisse einbringen können. Deshalb ist zumindest im allgemeinen Voraussetzung dafür, daß über den augenblicklichen Kenntnis- und Erfahrungsstand hinausgehende Objektivationen (z. B. Lehrervortrag oder politisches bzw. wissenschaftliches Material) vorliegen.

2. Das Unterrichtsgespräch kann nur dann von sich aus zu neuen Einsichten und Erkenntnissen führen, wenn der Lehrer die vorhandenen Kenntnisse und Erfahrungen im führenden Gespräch methodisch plausibel, d. h. das Vorgehen offenlegend, modifiziert. Das kann z. B. heißen:

a) Die Ergebnisse unabhängig voneinander bearbeiteter Themen werden miteinander verglichen; Leitgesichtspunkt dafür kann z. B. eine politisch-didaktische Kategorie sein.

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Etwa: Wie liegt das Interesse in diesem und in jenem Fall? Oder: Sind es in beiden Fällen dieselben Personen oder Gruppen, die Macht über andere haben?

b) Bisherige Kenntnisse und Erfahrungen werden hinsichtlich ihrer Verallgemeinerungsfähigkeit überprüft: Ist das immer so, wenn...? Diese Frage kann fürs erste an der eigenen Lebenserfahrung überprüft werden mit dem Ergebnis, daß daraus neue Hypothesen für eine Bearbeitung entstehen.

c) Kontroverse Positionen und Interessen, sofern sie sich z. B. in Texten objektiviert haben, werden analysiert; das kann auch unstrukturiert-spontan geschehen, im Unterrichtsgespräch jedoch muß der Lehrer dafür sorgen, daß angemessene Fragen (Kategorien) dabei als analytische Instrumente gehandhabt werden.

3. Das Unterrichtsgespräch nimmt also seinen Ausgangspunkt von Fragen, nicht von definiten Antworten, mag der Lehrer seine eigenen vorgeplanten Antworten auch ins Spiel bringen. Oder anders ausgedrückt, nämlich vom Ergebnis her: Das Unterrichtsgespräch hat es mit Interpretation zu tun. Es kann infolgedessen auch nur behandeln, was in Frage steht, muß also Tatsachen voraussetzen. Es hat demnach wenig Sinn, auf alle möglichen Arten nach Tatsachen zu fragen, wenn sie niemand weiß.

4. Im Unterschied zum Lehrervortrag, der die Logik eines Zusammenhangs auf Kosten der Differenzierung anstreben muß, erlaubt gerade das Unterrichtsgespräch ein hohes Maß an Differenzierung im Detail und ist deshalb eine ideale Ergänzung zum Lehrervortrag. Im Unterrichtsgespräch kann gleichsam der Vorsprung, den der Lehrer im Lehrervortrag vorgelegt hat, von den Schülern wieder eingeholt werden.

5. Deshalb benötigt man für ein Unterrichtsgespräch auch erheblich mehr Zeit als für einen Lehrervortrag, hier müssen Einwände und Fragen in Ruhe, ohne Zeitdruck und Ungeduld behandelt werden. Auch die scheinbar abwegige Zwischenfrage muß gewürdigt werden, bis die Integration des neuen Stoffes bzw. der neuen Einsichten mit den bis-

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herigen Kenntnissen und Erfahrungen gewährleistet ist. Dann jedoch ist auch das (vorläufige) Ende dieser Arbeitsweise gekommen, weil sie nichts mehr zu leisten vermag, und der Unterricht muß mit einer anderen Arbeitsweise fortgesetzt werden.

6. Das Unterrichtsgespräch eignet sich überdies vorzüglich für den Zweck der Wiederholung bzw. der Kontrolle des Verständnisses im Rahmen eines längerfristigen Lernprozesses.

7. Optimale Kommunikationsbedingungen sind für ein Unterrichtsgespräch dann gegeben, wenn der das Gespräch führende Lehrer zwar optisch herausgehoben ist, weil bei ihm ja die Gesprächsregie liegt, wenn aber andererseits die Schüler ebenfalls einander ansehen können und möglichst niemand entfernt "in der Ecke sitzt". Am besten wäre ein einreihiger Halbkreis mit dem Vorsitzenden (dem Lehrer) an der offenen Seite. Gänzlich ungeeignet für jede Gesprächsform ist jedenfalls die übliche Sitzordnung in aneinander gereihten Schulbänken; diese ist nur für Vorträge geeignet.
 

Die Gruppenarbeit

Bei der Gruppenarbeit werden Teilaufgaben eines größeren Lernzusammenhangs kleineren Gruppen übertragen. Wie wir sahen, beruhen einige Methoden geradezu auf dieser Arbeitsweise. Im Unterschied zum Arbeitsunterricht sind die Schüler bei der Gruppenarbeit nicht ständig mit dem Lehrer konfrontiert, sondern in viel höherem Maße auf Selbständigkeit angewiesen. Die Gruppe arbeitet zwar im Rahmen eines größeren vorgegebenen thematischen Zusammenhangs, gleichwohl ist sie nicht nur exekutiv tätig, sondern muß zumindest ihre Lernschritte und ihre Arbeitsorganisation selbst planen. Zudem muß sie - der Führungsrolle des Lehrers weitgehend verlustig - dabei mit den bekannten gruppendynamischen Problemen fertig werden: mit Angst und Rivalität, mit Aggression und Sympathie bzw. Antipathie. Löst sie diese emotionalen

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Probleme, kann sie dafür die Erfahrung selbständiger Leistung verbuchen und die weitere, daß durch eine gute Kooperation die Schwächen der Individuen in Leistungsfähigkeit und Stärke verwandelt werden können. Abgesehen vom sachlichen Ertrag ist das Erlernen der Kooperation im Rahmen eines gemeinsamen Zweckes eine auch für das politische Verhalten wichtige Lernleistung: Im politischen Leben erweist es sich immer wieder als nötig, Kooperationen mit anderen zur Verfolgung gemeinsamer Zwecke und Interessen einzugehen.

Nicht zuletzt aus diesem Grunde wurde in den letzten Jahren bis in die Hochschulausbildung hinein die Gruppenarbeit auf Kosten anderer Arbeitsweisen favorisiert, ja geradezu ideologisiert. Man sah vielfach sogar die Gruppenarbeit als eine Möglichkeit der politischen Solidarisierung an - im Mikrobereich der Schule gegen den Lehrer, im gesamtgesellschaftlichen Bereich gegen die fremdbestimmten Leistungszwänge der kapitalistischen Gesellschaft. Um nicht einer solchen Mystifizierung der Gruppe zu verfallen, erscheint es nützlich, hier zunächst einige allgemeine Überlegungen einzuschieben:

- Die Gruppe ist nicht nur ein Chance für gemeinsames Handeln und Lernen, sondern auch eine Grenze. Abgesehen von den bekannten gruppendynamischen Prozessen neigen Gruppen zur integrierenden Normierung des Denkens und Verhaltens ihrer Mitglieder, die Identität des Kollektivs kann daher leicht in Konflikt mit der der Individuen geraten. Für die Borniertheit von Gruppen-Verhalten bietet die Forschung wie auch die Lebenserfahrung eine Fülle von Beispielen. Die Chance von Gruppen für Innovationen, für neue Erkenntnisse und neues Verhalten besteht also gerade nicht in der Identifikation mit ihr, sondern in der Distanz, also z. B. darin, daß man Gruppenzugehörigkeiten wechseln kann, wenn eine bestimmte Gruppe ihre Chancen erfüllt hat und nun anfängt, Denken und Verhalten zu fixieren.

- Zur Solidarität taugen Gruppen nur in einem sehr eingeschränkten Sinne, indem sie nämlich neues Denken und

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neues Verhalten gegenüber konformistischen Erwartungen sozial zu stützen vermögen. Aber in hochdifferenzierten Gesellschaften mit ihren unterschiedlichen Rollensystemen sind Gruppenbeziehungen immer relative, die nur in bestimmten Situationen aufrechterhalten werden können, in anderen wieder nicht. So lassen sich in der Schule aufgebaute Gruppenbeziehungen nicht auf den späteren Beruf übertragen, weil nämlich die Mitglieder später nicht am gleichen Arbeitsplatz tätig sein werden. Lernen kann man also nur die allgemeine Fähigkeit, Gruppenbeziehungen unter wechselnden Bedingungen und Situationen einzugehen, was aber einschließt, daß man auch lernen muß, solche Beziehungen wieder zu lösen. Dafür wiederum ist gerade der im Begriff der "Solidarität" eingeschlossene emotionale Erwartungsanteil ein Hindernis. Die Vorzüge gruppenbezogenen Handelns und Lernens beruhen gerade darauf, daß die Gruppe nicht als emotionale Heimat, sondern als rational zu handhabendes Zweckinstrument gesehen wird.

- Dies wiederum setzt voraus, daß die Gruppen und die in ihnen anzustrebenden Beziehungen von den Zwecken her definiert werden. Erst wenn über die Zweckbestimmung Klarheit herrscht, können auch die Beziehungen der Gruppenmitglieder sich strukturieren. Es ist in dieser Hinsicht ein Unterschied, ob die Gruppe einen therapeutischen Zweck verfolgt oder einen politischen, einen praktischen oder einen pädagogischen. Wird versucht, alle diese Zwecke und darüber hinaus noch andere in ein und derselben Gruppe wahrzunehmen, so ist völlige Konfusion ihrer Mitglieder das notwendige Ergebnis. So ist es z. B. kaum möglich, die therapeutische Bedeutung einer Aussage (das, was diese emotional ausdrücken will) ständig mit ihrer sachlichen Beurteilung zu verbinden (also ob sie einer rationalen Überprüfung standhält).

Erst wenn man sich gegen eine unzulässige Idealisierung der Gruppenarbeit abgesichert hat, kann man die Chancen dieser Arbeitsweise auch für den politischen Unterricht bes-

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ser abwägen, wobei folgende Regeln beachtet werden sollten:

1. Gruppenarbeit kann grundsätzlich nur Teil eines Lernprozesses in einem größeren arbeitsteiligen Zusammenhang sein. Was eine Gruppe tut, ist angewiesen auf das, was andere (Gruppen) im Rahmen eines übergreifenden und integrierenden Arbeitsprozesses tun; Gruppe setzt immer das Plenum voraus.

2. Die Teilarbeit, die eine Gruppe übernimmt, muß von dieser auch zeitlich wie inhaltlich bewältigt werden können. Wo diese Grenzen konkret liegen, hängt unter anderem vom Alter und vom Stand der Vorbildung ab. In einer gymnasialen Oberstufe z. B. kann eine Gruppe durchaus auch bereits begrenzte wissenschaftliche Aufgaben übernehmen, in der Grundschule etwa wird die Gruppe eher Beobachtungen und Material sammeln, Fragen und Vorschläge für den Unterricht entwerfen. Im übrigen hängt das, was solche Gruppen zu leisten vermögen, auch erheblich vom Training ab, also davon, welche Erfahrungen die Schüler mit Gruppenarbeit bereits gemacht haben.

3. Vor allem dann, wenn noch wenig Erfahrungen vorliegen, muß der Lehrer bei der internen Arbeitsteilung helfen. Eine zum Zwecke des Lernens eingerichtete Gruppe kann nämlich nur dann produktiv sein, wenn sie sich arbeitsteilig organisiert, also ihre Teil-Aufgabe wieder weiter durchorganisiert. Wenn eine Gruppe nur zusammensitzt und diskutiert, kann sie zwar ihr Interesse artikulieren, die bereits vorhandenen Kenntnisse ordnen und Meinungen bilden, aber keine neuen In-puts erwerben; dies zeigt, daß im strengen Sinne eine Gruppe als Gruppe nicht intellektuell arbeiten kann, daß dies vielmehr nur ihre einzelnen Mitglieder als Individuen können. Die Gruppe kann dieser individuellen Arbeit Ziele setzen, sie sozial honorieren, über sie kommunizieren, sie ermutigen, kritisieren.

4. Eine Gruppe ist auf ein Publikum angewiesen, dem sie ihre Arbeitsergebnisse vorträgt. In der Regel ist dies die ganze Klasse. Nur unter diesem Gesichtspunkt ist es sinnvoll, Gruppenarbeiten zu organisieren.

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5. Für die optimale Sitzordnung gilt sinngemäß das, was schon zum Unterrichtsgespräch gesagt wurde, nur daß sie für kleine Gruppen in der Regel leichter zu realisieren ist. Hinzuzufügen ist, daß eine Gruppe ohne Störung durch andere arbeiten können muß, d. h. sie braucht einen eigenen Raum. Die manchmal praktizierte Notlösung, daß sich mehrere Gruppen in die Ecken eines größeren Klassenraumes begeben, ist - jedenfalls für alle Tätigkeiten, die Konzentration erfordern - eine schlichte Zumutung, die sich Erwachsene nicht gefallen lassen würden. Wenn man solche Bedingungen für Gruppen in einer Schule nicht herstellen kann, sollte man lieber auf Gruppenarbeit verzichten bzw. sie nur für Hausarbeiten vorsehen.

Einzelarbeit

Die Analyse der Arbeitsweise "Gruppenarbeit" zeigte schon, daß die eigentliche Lernarbeit eine individuelle ist und daß auch die Gruppenarbeit auf diese angewiesen bleibt. Lernen kann letztlich nur das Individuum, weil nur dieses ein Bewußtsein hat, das durch Lernen bearbeitet werden kann. In diesem Sinne muß auch im Klassenverband letztlich jeder Schüler für sich allein lernen. Wenn er als Individuum eine Sache nicht begreift, so nützt es ihm auch nichts, daß er sich in einer Gruppe befindet; denn wenn er einmal das zu Lernende für eine politische Kommunikation braucht, kann er nicht erwarten, daß die Gruppe ihm erneut dabei hilft. Nun heißt das eben nicht, wie wir bisher schon gesehen haben, daß das Lernen isoliert-individuell, also unter Verzicht auf soziale Kontexte und Beziehungen erfolgen müsse; ein solches Lernen bliebe auf die Dauer ohne jede Motivation. Aber es gibt einige intellektuelle Tätigkeiten, die nur allein getan werden können, d. h., wo die Anwesenheit anderer eher störend ist oder zumindest funktionslos. Dazu gehört etwa das Lesen eines Buches oder das Hören eines Vortrags. Zudem muß man ja bedenken, daß selbst solche Tätigkeiten, die

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man an sich auch gemeinsam tun kann, wenigstens gelegentlich individuell-isoliert getan werden sollten, weil auch in der späteren außerschulischen Existenz die individuelle Arbeit und deren soziale Präsentation eine große Rolle spielen.

Im allgemeinen findet die Einzelarbeit nur im Rahmen von Hausaufgaben statt, während der Schulzeit verbleibt man im Klassenverband oder in Arbeitsgruppen; dies ändert sich vielleicht im Zuge der inneren Schulreform.

Auch für diese Arbeitsweise müssen einige Regeln beachtet werden:

1. Auch die individuelle Einzelarbeit ist auf Kommunikation hin angelegt und deren arbeitsteiliges Stück; sie soll der Kommunikation neue Impulse geben. Deshalb ist es zweckmäßig, solche Arbeitsaufträge auch von daher zu begründen. Dabei spielt es keine Rolle, ob dieselbe Einzelarbeit an alle vergeben wird oder ob verschiedene Arbeiten verteilt werden. "Gleiche Schularbeiten für alle" haben ihren Sinn darin, daß so ein gemeinsames Informations- und Kenntnisniveau geschaffen werden kann, an das sich anknüpfen läßt. Unterschiedlich thematisierte Einzelarbeiten dienen dagegen der Differenzierung eines Themas und der arbeitsteiligen gegenseitigen Information.

2. Einzelarbeit ist auf Mitteilung hin angelegt, also auf Lehren. Deshalb ist es falsch, Einzelarbeiten z. B. in Form von Hausaufgaben zu vergeben, ohne daß deren Ergebnis wieder als Lehre in die Kommunikation eingebracht wird. Dies wäre vielmehr charakteristisch für bloß disziplinierende Hausaufgaben. Die Dimension der Mitteilung und des Lehrens muß daher auch in die Aufgabenstellung mit eingehen, also: Nicht nur dieses oder jenes lesen und verstehen, sondern zugleich so bearbeiten, daß man die anderen Schüler darüber informieren kann. Unter diesem Gesichtspunkt sollte man von der Möglichkeit unterschiedlicher Einzelarbeiten möglichst oft Gebrauch machen - sei es im Rahmen einer Gruppenarbeit oder im Rahmen der gesamten Klasse. Es bedarf keines Nachweises dafür, daß

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die Fähigkeit zur didaktischen Präsentation des selbst Erarbeiteten auch im außerschulischen Bereich wichtig ist.

3. Entsprechend den Funktionen der Einzelarbeit muß ihre Aufgabenstellung zeitlich wie intellektuell angemessen sein, d. h. sie muß in vertretbarer Zeit auch erfolgreich geleistet werden können. Vor allem für Anfänger unter den Lehrern ist diese Abmessung zunächst schwierig, aber gerade deshalb ist die Rückkoppelung durch die lehrende Mitteilung eine wichtige Kontrolle.

4. Einzelarbeit ist im allgemeinen Arbeit an und mit Texten. Diese aber muß gelernt werden. Da der Lehrer jedoch nicht jedem einzelnen dabei helfen kann, muß die Übung von "Techniken der geistigen Arbeit" zumindest zunächst gemeinsam in der Klasse erfolgen. Den Schülern fällt die selbständige Arbeit um so leichter, je genauer die Anweisungen sind. Die allgemeine Aufforderung etwa: "Lest das bitte bis zur nächsten Stunde durch" genügt nicht; dazu müssen vielmehr genauere Hinweise kommen, worauf geachtet werden soll, wozu das im Kontext der gemeinsamen Arbeit wichtig ist usw.

5. Einzelarbeit darf weder zu Hause noch in der Schule durch Kommunikationen behindert werden. Phasen der Einzelarbeit in der gesamten Klasse bedürfen der Ruhe, die Wiedereröffnung der Kommunikation kann jeweils nur für alle vereinbart werden. Wenn nur einzelne Mitglieder der Klasse für einige Zeit bestimmte Einzelarbeiten leisten sollen, müssen sie dafür einen anderen Raum aufsuchen können. Unzumutbar ist, sie innerhalb der Klasse darum zu bitten, wenn der Rest der Klasse weiter kommuniziert.

Der Schülervortrag

Die lehrende Mitteilung des selbständig Gelernten wird im allgemeinen durch kurze Statements im Rahmen eines Gruppen- oder Klassengespräches erfolgen. Entsprechend dem Lehrervortrag jedoch kann dies gelegentlich auch in einem Schülervortrag geschehen. Nicht nur das individuell

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Erarbeitete kann so anderen mitgeteilt werden, sondern auch das Ergebnis einer Gruppenarbeit. So früh wie möglich sollten Schüler sich in dieser Arbeitsweise üben, weil es sich hier ebenfalls um eine Fähigkeit handelt, die in der außerschulischen politischen Kommunikation von jedem benötigt wird.

Im übrigen gelten hier sinngemäß die Regeln, die schon für den Lehrervortrag formuliert wurden:

1. Der Schülervortrag sollte im allgemeinen ebenfalls nicht länger als 15 Minuten dauern.

2. Er sollte nicht nur nach inhaltlichen, sondern auch nach didaktischen Gesichtspunkten konzipiert und gehalten werden. Es kommt unter anderem auf eine klare Gliederung und auf einen logisch plausiblen Zusammenhang an, dessen Struktur, z. B. in Gestalt von Thesen, den Zuhörern vervielfältigt vorliegen sollte. Die didaktische Qualität des Vortrags sollte von den Mitschülern immer diskutiert werden.

3. Auch der Schülervortrag sollte wie der Lehrervortrag als ein In-put für die gemeinsame Bearbeitung verstanden werden, d. h. Gegenstand der Kommunikation sein.

4. Für die nötigen Kommunikationsbedingungen gilt sinngemäß das, was schon über den Lehrervortrag gesagt wurde.

Die Diskussion

Man kann - wie es im umgangssprachlichen Gebrauch des Wortes meist geschieht - nahezu jede verbale Kommunikation als Diskussion bezeichnen. Wir wollen jedoch den Begriff hier einschränken. Man kann grob zwei Intentionen der verbalen Kommunikation unterscheiden: die primär auf Information und die primär auf Appellation gerichtete. Die bisher beschriebenen Arbeitsweisen dienten primär informatorischen Intentionen, d. h. sie erstrebten neue Kenntnisse und Einsichten. Anders die Arbeitsweise der Diskussion. Hier geht es primär darum, an die Meinungen

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und Auffassungen anderer zu appellieren mit dem Ziel, sie für die eigenen Positionen zu gewinnen. Selbstverständlich kann man auch bei Diskussionen etwas Neues lernen, aber dies ist - wie gesagt - nicht ihr primärer Zweck, sondern eher eine Konsequenz, wenn sich zum Beispiel herausstellt, daß sich die vertretene Position gar nicht mit dem eigenen Interesse deckt.

Einige der im dritten Kapitel beschriebenen Methoden beruhen gerade auf dieser Arbeitsweise, und ohne Frage ist ihre Beherrschung für das außerschulische politische Leben von großer Bedeutung. Schon die alte Rhetorik hatte eine Lehre davon entwickelt, wie man möglichst erfolgreich diskutiert. Das kann hier im einzelnen nicht referiert werden. Man muß jedoch auch unter manchen Lehrern mit grundsätzlichen Einwänden gegen diese Arbeitsweise rechnen, ja manche werden sie vielleicht gar nicht zu den intellektuellen Arbeitsweisen rechnen, da sie ja doch auf die Manipulation anderer aus sei; andere wiederum neigen vielleicht dazu, sie gerade deshalb überzubewerten, weil sie eng mit Handeln, mit Aktion gekoppelt ist, und weil es doch im politischen Unterricht in erster Linie darauf ankomme; was nütze die Richtigkeit eines Gedankens, wenn er sich nicht durchsetzen könne. Angesichts dieser Kontroverse ist es zweckmäßig, die Arbeitsweise "Diskussion" zunächst etwas genauer zu definieren.

- Gegenstand der Diskussion kann nicht alles sein. Die Diskussion kann keine Tatsachen erfinden oder leugnen, sie kann sie nur unterschiedlich interpretieren. Die Diskussion ist also kein Ersatz für systematische Lernarbeit, setzt diese vielmehr voraus.

- Das hängt damit zusammen, daß die Diskussion nicht aus beliebigen Gründen oder Motiven andere für die eigenen Positionen gewinnen will, sozusagen nur zum Spaß oder willkürlich. Vielmehr ist der leitende Gesichtspunkt ihrer Interpretation von Tatsachen und Sachverhalten ein kollektives Bedürfnis oder Interesse. Ein bloß privates Bedürfnis oder Interesse - wenn es das überhaupt gibt - könnte ja niemanden bewegen, der anderen Position bei

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zutreten. Damit unterscheidet sich die politische Diskussion - um die es hier ausschließlich geht - von anderen möglichen Formen der Diskussion durch ihren leitenden Interpretationsgesichtspunkt, der z.B. bei einer wissenschaftlichen Diskussion - einer Disputation - ein ganz anderer wäre. Wenn es jedoch bei der politischen Diskussion um die Interpretation von Interessen und Bedürfnissen geht, so setzt dies eben wissenschaftlich-intellektuelle Arbeit voraus, weil sonst die emanzipative Relevanz von Tatsachen und Sachverhalten gar nicht entdeckt werden kann und damit eine Diskussion im hier vertretenen Sinne sinnlos würde.

- Es muß jedoch im Blick behalten werden, daß die Übergänge zwischen informativer und appellativer Kommunikation fließend sind. Auch die informative Kommunikation ist bereits von Interessen und Bedürfnissen geleitet, oder zumindest von der Vorstellung, daß das, was da erarbeitet werden soll, dafür von Relevanz sein wird. Gleichwohl läßt sich die Diskussion als diejenige Arbeitsweise unterscheiden, die diesen Gesichtspunkt zum übergeordneten macht.

- Daß eine Diskussion überhaupt Erfolg haben, also andere für die eigenen Positionen gewinnen kann, hat zur Voraussetzung nicht nur, daß es unterschiedliche kollektive Interessen und Bedürfnisse angesichts derselben Sachverhalte gibt; unter dieser Voraussetzung bestünde der "Erfolg" der Diskussion darin, daß man jene andere mit anderen Interessen diesen entfremdet und für die eigenen gewonnen hat. Dieses Ergebnis ist im politischen Leben durchaus üblich, wie die Ideologiekritik mannigfaltig zeigt. Sie zeigt ferner, daß nach dem Grundsatz, daß die herrschenden Ideologien immer die der Herrschenden seien, die Chancen, andere für die eigenen Interessen zu gewinnen, keineswegs gleich verteilt sind. Nicht zuletzt deshalb ist die Fähigkeit, diesen Zusammenhang durch Diskussion aufzudecken, gerade auch für diejenigen wichtig, die jene Chance in geringerem Maße haben. Aber selbst unter der Voraussetzung einer gleichen Interessen- und Bedürfnis-

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lage bedarf es der Diskussion; denn einmal ist die Interessen- und Bedürfnislage wegen des ideologischen Verblendungszusammenhangs keineswegs immer voll bewußt, und zum anderen gibt es in der Regel keine eindeutigen Zuordnungen von Interessen bzw. Bedürfnissen einerseits und Sachverhalten andererseits: Es gibt keine eindeutigen Interpretationen. So gesehen dient die politische Diskussion also nicht nur der Multiplizierung des eigenen Interesses, sondern auch dessen kritischer Überprüfung, und gerade insofern ist die Diskussion auch eine wichtige Arbeitsweise.

- Eine Diskussion kann also nur Erfolg haben, wenn sie dem anderen, der gewonnen werden soll, hilft, seinen eigenen Interessenzusammenhang zu finden und zu erlernen. Sie muß an seine Bedürfnisse und Interessen appellieren und darf z. B. nicht mit seiner Angst kalkulieren, indem sie ihn unter Druck setzt oder bedroht.

Für den unterrichtlichen Gebrauch der Diskussion sind folgende Regeln von Bedeutung:

1. Eine Diskussion benötigt ein Thema, das die Kombination von Kenntnissen und Interessen bzw. Bedürfnissen bereits zum Ausdruck bringt. Wenn möglich sollte es in der Form einer oder mehrerer alternativer Entscheidungsfragen formuliert sein, die möglichst Bezug zu aktuellen politischen Auseinandersetzungen haben.

2. Die alternativen Positionen sollten durch ein kurzes, begründetes Statement zu Beginn dargelegt werden, damit die Diskussion einen Ansatz erhält.

3. Benötigt wird ein Diskussionsleiter. Diese Funktion muß nicht unbedingt immer der Lehrer übernehmen; im Gegenteil wäre es wichtig, daß auch die Schüler sie zu übernehmen lernen. Die Diskussionsleitung hat vor allem folgende Funktion:

a) sie gibt zu Beginn die Regeln bekannt;

b) sie erteilt die Wortmeldungen;

c) sie hilft, ohne Partei zu nehmen, die Kommunikation aufrechtzuerhalten und zu optimalisieren; z. B. vermittelt

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sie, wenn ein Beitrag nicht verstanden wird, sie sorgt dafür, daß das Thema nicht verlassen wird usw.;

d) sie versucht, Zwischenergebnisse zu formulieren sowie diejenigen Punkte, über die Übereinstimmung herrscht, von denjenigen zu trennen, die weiterhin umstritten sind. Auf diese Weise sorgt sie dafür, daß die Diskussion zu einem fortschreitenden Prozeß wird, der sich nicht durch den Austausch immer gleicher Argumente im Kreise dreht.

e) Diesem Zweck dient auch, wenn die Diskussionsleitung durch die Einführung weiterer, bisher unberücksichtigter Gesichtspunkte und Alternativen der Kommunikation neue Impulse erteilt.

f) Die Diskussionsleitung stellt das Endergebnis fest, gegebenenfalls unterschieden nach Übereinstimmung einerseits und weiterhin kontrovers gebliebenen Punkten andererseits.

4. Natürlich ist für eine Diskussion die übliche Sitzordnung in hintereinander gereihten Bänken denkbar ungeeignet. Die ideale Sitzordnung wäre ähnlich wie beim Unterrichtsgespräch, nur daß hier nicht nur der Vorsitzende (Diskussionsleiter), sondern auch diejenigen optisch herauszuheben und z. B. an die offene Seite zu setzen wären, die mit ihren Statements zunächst die Diskussion beginnen. Betrachtet man diese Statements nur als Eröffnung, ohne daß den Betreffenden weiterhin eine herausgehobene Rolle zugedacht ist, sollten sie auch anschließend sich in die Gesamtgruppe zurücksetzen. Findet nur eine Podiumsdiskussion statt, kann für das Publikum die sonst übliche Sitzordnung beibehalten werden und Diskussionsleiter und Diskutanten setzen sich dem Plenum gegenüber, aber so, daß sie nicht nur das Plenum, sondern auch einander gut ansehen können.

Ist die Gesamtgruppe derjenigen, die miteinander diskutieren wollen, so groß, daß eine halb- oder dreiviertelkreisartige Sitzordnung nicht einzurichten ist, so ist es unter Umständen zweckmäßiger, wenn die übliche Sitzordnung der Klasse, also frontal nach vorne orientiert, beibehalten

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wird, und jeder, der das Wort ergreifen will, sich nach vorne begibt. Auf diese Weise geht zwar zwischen den einzelnen Beiträgen immer etwas Zeit verloren, die aber dem Nachdenken über den letzten und der Konzentration auf den neuen Beitrag zugute kommen kann. Jedenfalls ist diese Organisation sinnvoller, als wenn an allen möglichen Stellen des Raumes Diskutanten sich erheben, zu denen sich alle anderen umdrehen müssen und die möglicherweise trotzdem nur schlecht verstanden werden können.

Die Debatte

Im Unterschied zur Diskussion bezieht sich die Debatte auf die Vorbereitung einer formellen Entscheidung. Voraussetzung für eine Debatte, die in ihrer Kommunikationsstruktur sehr viel Ähnlichkeit mit der Diskussion hat, ist das Vorliegen eines formellen Antrags für ein zur Entscheidung kompetentes Gremium (z. B. ein Parlament oder die SMV). Das Ziel der aus diesem Anlaß entstehenden Debatte ist dann die Annahme, Ablehnung oder Modifizierung dieses Antrages.

Die Debatte ist aus diesem Grunde keine spezifische Arbeitsweise des politischen Unterrichts, weil der Unterricht üblicherweise keine solche Entscheidungssituation darstellt. Anders verhält es sich jedoch, wenn die Klasse etwa im Rahmen der SMV einen Beschluß herbeiführen will oder wenn die SMV gegenüber der Schulleitung etwas durchsetzen will. Für solche Situationen sind die Diskussionserfahrungen von großer Bedeutung.

Darüber hinaus wäre es wichtig, die innerschulischen Gelegenheiten zur Debatte für politische Lernprozesse zu nutzen.

Dabei wäre - im Anschluß an das über die Diskussion bereits Gesagte - auf folgende weitere Regeln hinzuweisen:

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1. Zunächst sollte man immer davon ausgehen, daß man die Kontrahenten für einen Beschluß durch ruhige und sachliche Überzeugung gewinnen kann.

2. Dabei sollte man sorgfältig auf Einwände hören; es könnte sein, daß diese auch dem eigenen Interesse dienen bzw. auf unerwünschte Folgen aufmerksam machen.

3. Man sollte in der eigenen Argumentation darstellen, an welchen Punkten der eigene Vorschlag auch im Interesse der Kontrahenten liegt.

4. Ist eine kämpferische Auseinandersetzung unvermeidlich, so sollten die Gefühle der Kontrahenten möglichst geschont werden, damit ihr Widerstand nicht irrationaler wird, als nach der Interessenlage unvermeidlich ist.

5. Vor allem sollte die Bündnisbreite so groß wie möglich gehalten werden, d. h., man sollte versuchen, die "Neutralen" zumindest nicht gegen sich einzunehmen und die Zahl der Gegner so gering wie möglich zu halten.

6. Hinsichtlich des eigenen Antrags sollte man dessen Substanz von den praktischen Details trennen; je mehr man in der Lage ist, die Details gegebenenfalls aufgrund von Einwänden zu modifizieren, um so mehr gibt man den Kontrahenten Gelegenheit, bei einer eventuellen Zustimmung ihr Gesicht zu wahren.

7. Die Beiträge sollten unbedingt "zur Sache" erfolgen, d. h. die Begründungen und Argumentationen müssen auf den bzw. auf die vorliegenden Anträge ausdrücklich zielen: auf Annahme, Ablehnung oder Modifizierung. Eine Debatte ist kein Anlaß, allgemeine Sentenzen von sich zu geben.

8. Da Debatten Beschlüsse zum Ziel haben, aus denen Vor- und Nachteile für die Debattierenden erwachsen können, haben Geschäftsordnungen hier eine gewisse Bedeutung; sie regeln das Verfahren von der Antragstellung bis zum gültigen Beschluß. Für ständig tagende Gremien gibt es meistens Geschäftsordnungen, die relativ unabhängig vom jeweiligen Antrag sind. Für die Schule dürfte jedoch im allgemeinen genügen, derartige Verfahrensweisen dann zu regeln, wenn sie strittig werden, also von Fall zu Fall,

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weil sonst leicht Geschäftsordnungsüberlegungen zum Selbstzweck werden. Die Hoffnung, man könne die Gegenseite durch Geschäftsordnungstricks hereinlegen, ist zwar weit verbreitet, aber trügerisch. Die Erfolge sind im allgemeinen nur punktuelle, und beim nächsten Mal werden die Chancen des eigenen Interesses nur zusätzlich verbaut; denn niemand läßt sich gern zum Narren halten.

9. Für die optimalen Kommunikationsbedingungen gilt sinngemäß das, was schon über die Diskussion gesagt wurde.
 

Die Expertenbefragung

Man kann bekanntlich aus Büchern lernen und von besonders gut informierten Menschen. Politische Journalisten z. B holen sich ihre Informationen nicht nur aus schriftlichen Texten, sondern vor allem auch von zahlreichen Informanten. Die politischen Magazinsendungen in Funk und Fernsehen etwa führen diese letztere Möglichkeit ständig vor; sie hat nicht nur den Vorteil einer hohen Authentizität, sie führt auch verhältnismäßig schnell zum Ziele.

Im Rahmen der Schule kann die Expertenbefragung sich zunächst einmal auf den Lehrkörper der Schule erstrecken. Fächerübergreifender Unterricht in einem Team von Lehrern ist nur selten möglich, möglich wäre jedoch - wenn auch wegen der Stundenplanorganisation nur in Grenzen - die Befragung anderer Mitglieder des Lehrkörpers, um im Rahmen eines bestimmten Lernprojektes bestimmte Informationen schnell zu bekommen. Erstaunlicherweise wird von dieser Gelegenheit nur sehr selten Gebrauch gemacht, obwohl sie sehr viel leichter zu organisieren wäre als der Teamunterricht. Warum sollte eine Klasse im Rahmen einer Unterrichtsstunde nicht einen bestimmten Fachlehrer (z. B. Historiker, Geographen, Biologen usw.) je nach Thema als Experten zu Rate ziehen?

Auch außerschulische Experten können dazu eingeladen werden, allerdings ist dies im allgemeinen wegen deren

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beruflichen Verpflichtungen schwer zu organisieren. Am ehesten sind solche Experten zu gewinnen, zu deren beruflichen Aufgaben die Öffentlichkeitsarbeit gehört: z. B. Vertreter von Verbänden und Organisationen, Jugendoffiziere der Bundeswehr usw. Aber auch und gerade bei solchen Personen muß die Befragung durch den Lehrer vorbereitet werden; denn es ist noch keineswegs üblich, daß solche Experten Fragen beantworten und nicht vorformulierte Statements oder Referate halten. Leider ist das Verhältnis von Schule und Öffentlichkeit auf solche Kommunikationen immer noch nicht eingespielt.

Auch für die Expertenbefragung in dieser oder jener Form sind einige Regeln zu beachten:

1. Es handelt sich um eine Befragung, d. h. die Experten sollen auf Fragen antworten. Diese Fragen müssen also gründlich vorbereitet sein. Es genügt jedoch nicht, wenn nur die Fragen notiert sind, vielmehr muß auch der Hintergrund dieser Fragen, d. h. ihr sachlicher Zusammenhang fundiert sein, weil man sonst nicht nachfragen kann, wenn die Antwort unbefriedigend ist oder die Frage nicht verstanden wurde. Die Arbeitsweise der Expertenbefragung setzt also eine gründliche Vorkenntnis des Themas voraus.

2. Nach Möglichkeit sollte der Experte über das Lernziel informiert sein, damit er die Fragen besser verstehen kann.

3. Die Fragen sollten zwar mit der ganzen Klasse formuliert werden, es sollte jedoch vereinbart werden, wer welche Fragen stellen wird, weil sonst möglicherweise niemand den Anfang machen will. Auch die logische Reihenfolge der Fragen sollte vereinbart werden. Zweckmäßig wäre auch, kleine Gruppen mit der Fragestellung zu beauftragen, weil so das Nachfragen erleichtert wird.

4. Bei der Formulierung der Fragen kann man nicht nur von sachlichen Gesichtspunkten ausgehen, man muß vielmehr auch eine Vorstellung davon haben, welche spezifischen Kenntnisse und Erfahrungen der Experte hat. Einen Gewerkschaftsvertreter in seiner Rolle als Experte fragt

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man nicht nach den Problemen der inneren Führung in der Bundeswehr und den Biologielehrer nicht nach historischen Zusammenhängen. Zwar kann jeder Experte in seiner Rolle als politischer Bürger auch zu allgemeinen Fragen antworten, aber das ist nicht der Sinn einer Expertenbefragung und brächte im allgemeinen auch wenig ein.

5. Findet eine Expertenbefragung in der Klasse statt, so sollte der Experte mit dem Gesprächsleiter etwa wie ein Vortragender an herausgehobener Stelle sitzen; denn er steht ja im Mittelpunkt der Kommunikation. Werden die Fragen nur von einem Teil der Klasse gestellt, z. B. von Gruppen, die sich eigens darauf vorbereitet haben, so sollten die Frager ebenfalls deutlich vom Rest der Klasse abgesetzt sitzen, aber so, daß sie den Experten wie auch den Rest der Klasse ansehen können - also entweder mit auf dem Podium oder auch seitlich zwischen Plenum und Podium.

6. Ähnlich wie die Debatte ist auch die Expertenbefragung kein Anlaß für die Fragenden, allgemeine Sentenzen von sich zu geben. Im Mittelpunkt steht die Frage an den Experten, und alle anderen Bemerkungen dienen nur dazu, dem Befragten und den Zuhörern die Frage verständlich zu machen. Die Versuchung ist groß, in eine Diskussion mit dem Experten einzutreten, wenn seine Antwort der eigenen Meinung oder auch Kenntnis widerspricht. Zwar kann es interessant und nützlich sein, auch eine Diskussion mit einem Experten zu führen, aber das wäre eine ganz andere Sache, die - wie wir gesehen haben - nach ganz anderen Regeln ablaufen müßte.

Fassen wir zusammen: Die Beschreibung der Arbeitsweisen hat wie schon die Erörterung der Methoden gezeigt, daß es keine an sich "gute" oder "schlechte" Arbeitsweise gibt, daß es nicht darauf ankommt, die eine aus prinzipiellen Gründen zu nutzen und die andere abzulehnen, sondern daß es auch hier um die optimale Kombination geht. Jede Arbeitsweise hat ihre eigenen Chancen und keine ist deshalb auch durch eine andere einfach ersetzbar.

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Andererseits ist auch klar geworden, daß die Arbeitsweisen - wie auch die Methoden - auf Kommunikation hin orientiert sind und nur von daher letztlich ihren Sinn bekommen. Sie sind Arbeitsweisen innerhalb eines als kollektiver Arbeitsprozeß verstandenen politischen Unterrichts. Das heißt mit anderen Worten: Die Lernweisen sind zugleich immer auch Lehrweisen, auch die Schüler sind gegenüber ihren Mitschülern Lehrende auf der Grundlage ihrer eigenen Lernprozesse. Erst wenn man diesen Gesichtspunkt immer wieder zur Geltung bringt, erhält man ein rationales Kriterium für eine optimale Kombination und Auswahl der Arbeitsweisen.
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 URL des Dokuments: : http://www.hermann-giesecke.de/metho5.htm

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