Hermann
Giesecke Hitlers Pädagogen Theorie und Praxis nationalsozialistischer Erziehung 2.
Überarb. Aufl. Weinheim: Juventa-Verlag 1999
Zu
dieser
Edition: Der Text des Buches, das in 1.
Aufl.1993
erschien, wird hier vollständig wiedergegeben. Zum
biographischen
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Leben
ist lernen. Das Literaturverzeichnis
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Originals. Der Text darf zum persönlichen Gebrauch kopiert und unter Angabe der Quelle im Rahmen wissenschaftlicher und publizistischer Arbeiten wie seine gedruckte Fassung verwendet werden. Die Rechte verbleiben beim Autor. © Hermann Giesecke Inhalt Teil 1: Die pädagogischen Chefideologen Hitlers
Erziehungsvorstellungen
in "Mein
Kampf' 2. Völkischer Erziehungsstaat (Ernst Krieck) Leben und Werk
3. "Politische Pädagogik" (Alfred Baeumler) Leben und Werk
Die Entwicklung
des Schulwesens 5. Der volksgemeinschaftliche Jugendstaat: Die Hitler-Jugend Baldur von Schirach
7. Fazit II: Kriminelles Arrangement und die Ohnmacht der Erziehung Literatur Dieses Buch ist aus meinen Lehrveranstaltungen über die Pädagogik im Nationalsozialismus entstanden. Es soll Studierenden, darüber hinaus aber auch allen anderen Interessierten einen ersten Einstieg ermöglichen, von dem aus weiterführende Recherchen möglich sind. In diesem Sinne entspricht der Text in etwa einer geschriebene Einführungsvorlesung. Deshalb setzt er auch keine speziellen historischen Vorkenntnisse voraus. Meist ist ein moralisches Urteil über diese Zeit zwar bereits vorhanden, ihm entsprechen jedoch oft nur geringe sachliche Informationen und kaum hinreichende Vorstellungszusammenhänge, an die sich anknüpfen ließe. Dieser Mangel tritt insbesondere dann in Erscheinung, wenn es neben der notwendigen kritischen Distanz um die für einen Historiker selbstverständliche Forderung geht, auch mit den Köpfen der Beteiligten zu denken. Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen drei der wirkungsvollsten damaligen pädagogischen Akteure (Krieck, Baeumler und Schirach); um diese herum versuche ich das Thema zu entfalten. Es ist - so stellt sich heraus - keines, das im ganzen historisch erledigt wäre, vielmehr sind wichtige Probleme, die dabei zur Sprache kommen, epochale, waren längst vorher schon entstanden und reichen in modifizierter Form bis in die Gegenwart. Dafür den Blick zu schärfen ist meine ausdrückliche Absicht, weil nur so die Möglichkeit entsteht, aus falschen Lösungen zu lernen. So wenig aktuell die Texte vor allem von Krieck und Baeumler uns gegenwärtig auf den ersten Blick erscheinen mögen, so geben sie doch den damaligen (pädagogischen) Zeitgeist einigermaßen präzise wieder, weshalb die von mir präsentierten Kernzitate sich auch zu dessen Studium eignen. Die kollektive Mentalität, die darin zum Ausdruck kommt, war der Teich, in dem Hitler erfolgreich fischen konnte. Selbstverständlich gehörten zu "Hitlers Pädagogen" nicht nur diese drei. Sie gelangten jedoch in besonders exponierte Positionen. Um sie herum gab es eine ganze Reihe weiterer Hitler ergebener Pädagogen, von denen aber vergleichsweise wenig zu berichten ist; jedenfalls entwickelten sie keine bemerkenswerten Versuche, für die NS-Bewegung so etwas wie ein theoriefähiges pädagogisches Konzept zu entwickeln. 7 Vielmehr benutzten sie meist - vor allem wenn sie der jüngeren Generation angehörten - die Schlüsselworte der NS-Weltanschauung als Leerformeln, um im übrigen pragmatisch-technokratisch zu argumentieren und zu handeln. Gerade dieser Mangel an Reflexion machte sie aber auch zu willigen Exekutoren, so daß es durchaus angebracht wäre, sie in einer eigenen Studie zu behandeln. Im Unterschied zu ihnen waren Baeumler, Krieck und Schirach durchaus darauf aus, eine spezifisch nationalsozialistische Pädagogik zu formulieren, weshalb ich sie als pädagogische "Chefideologen" apostrophiere. Dieses Buch beweist nicht erneut die monströse politische Kriminalität des NS-Regimes, sondern setzt sie als unumstößliche Tatsache voraus. Vielmehr versucht es am Beispiel dieser drei Personen zu zeigen, wie Menschen, denen verbrecherische Ambitionen ursprünglich fremd waren, gleichwohl in die nationalsozialistische "Bewegung" - teils aktiv, teils als Mitläufer - verwickelt wurden und darauf bis zum bitteren Ende fixiert blieben. An ihrem Beispiel läßt sich heute mehr lernen, als aus dem selbstverständlich gewordenen und letztlich folgenlos bleibenden Abscheu gegenüber den mörderischen Tätern. Mit diesen vermag sich kaum jemand von seinem Alltag her zu identifizieren, jene aber legen viel eher die Frage nahe, ob wir Heutigen uns damals wesentlich anders verhalten hätten. Gegenstand des Buches sind also in erster Linie die Motive und Gründe solcher Personen, die Hitler mehr oder weniger arglos gefolgt sind, aber gerade dadurch seine populistische Macht fundierten. Ich bemühe mich, das Thema nach denselben Regeln zu bearbeiten, die für historische Recherchen und Deutungen allgemein angezeigt sind, auch wenn das zumal in pädagogischen Zusammenhängen nicht unbedingt die Billigung des Zeitgeistes findet. Die Gelegenheit der Neuauflage habe ich auch dazu benutzt, den Text zu korrigieren und zu straffen, eine Reihe ärgerlicher Druckfehler der alten Ausgabe zu tilgen sowie wichtige Ergebnisse der neueren Forschung einzuarbeiten. Göttingen, Herbst 1998 Hermann Giesecke 8 Eine partei- oder staatsoffizielle pädagogische Doktrin hat es im Nationalsozialismus nicht gegeben. Als er 1933 an die Macht kam, waren gerade im kulturellen Bereich viele Fragen offen, und zupackende Männer wie Baldur von Schirach hatten gute Chancen, ihre eigenen Vorstellungen durchzusetzen. Erst müsse man die Macht haben, dann werde man weitersehen, hatte Hitler gesagt. Aber für die Zeit danach gab es kaum innenpolitische Programme außer im negativen Sinne, daß nämlich die politischen Gegner (Juden, Sozialisten, Kommunisten) auszuschalten und die verhaßte parlamentarische Demokratie der Weimarer Zeit einschließlich der sie tragenden liberalen Ideen zu beseitigen seien. Aber wie Deutschland nun neu gestaltet werden sollte, war weitgehend offen und hing nicht zuletzt von den Menschen ab, die nun die Chance des Handelns bekamen. Zudem verstanden die Nazis sich primär nicht als eine politische Partei neben anderen, sie betrachteten ihre Partei nur als notwendig, um im Gefüge des Parlamentarismus politisch auftreten zu können. Vielmehr sahen sie sich in erster Linie als völkisch-politische Bewegung, und die hatte ein sehr breites ideologisches Spektrum, so daß sich auch solche Menschen ihr anschließen oder zumindest mit ihr sympathisieren konnten, die mit der NSDAP selbst wenig im Sinn hatten oder sich gar innerlich von ihr distanzierten. Nicht die Partei, sondern die Bewegung erreichte die Massen. Das fehlende positive Programm für die Neugestaltung des "völkischen Staates", wie Hitler ihn nannte, war also gerade eine Voraussetzung dafür, daß die NSDAP vor der Machtergreifung zur Massenpartei werden konnte. Hätte sie präzise Vorstellungen über die Neuordnung von Staat und Gesellschaft gehabt, wie etwa die Kommunisten, dann hätte sie eine ganze Reihe von Anhängern nicht erreichen können. Das ständige Einschlagen auf die politischen Gegner - im wörtlichen wie im ideologischen Sinne - reichte als die Bewegung zusammenhaltende Strategie zunächst aus. Eines der Felder, die nach der Machtergreifung neu zu bestellen waren, war das der Erziehung. Auch für diese Aufgabe gab es nur allgemeine Vorgaben, wie sie Hitler in "Mein 9 Kampf" formuliert hatte. Davon wird im nächsten Kapitel die Rede sein. Die Herausforderung war eine theoretische und praktische. Eine neue, nämlich an der NS-Weltanschauung orientierte Erziehungstheorie sollte gefunden werden, die sich von den bisher gültigen bürgerlich-liberalen Konzepten abheben ließ. Andererseits sollten natürlich die pädagogischen Praxisfelder "im neuen Geiste" umgestaltet werden. Aber wo und bei wem war dafür eine theoretische Fundierung zu finden? Vor allem zwei Wissenschaftler boten sich an, diese Lücke zu füllen: Ernst Krieck und Alfred Baeumler. Sie versuchten auf unterschiedlichen Wegen, dem neuen Regime nicht nur eine weltanschaulich passende Erziehungswissenschaft zu offerieren, sondern darüber hinaus auch diese Weltanschauung selbst philosophisch zu legitimieren. Da aber die NS-Bewegung vor 1933 kulturell wenig festgelegt war, kann man den Sachverhalt auch anders akzentuieren. Beide - Krieck wie Baeumler - nutzten diese Offenheit, um ihre eigenen Vorstellungen im Rahmen der ideologischen Vorgaben zur Geltung bzw. zu offiziellem Ansehen zu bringen. Jedenfalls können wir sie als pädagogische "Chefideologen" des Regimes bezeichnen. Ihre praktische Bedeutung wird jedoch übertroffen durch einen Dritten, den man zwar nicht als "Chefideologen" bezeichnen kann, weil er nicht primär durch seine Schriften gewirkt hat, der aber mit der "Hitler-Jugend" eine Jugendorganisation geschaffen hat, deren pädagogische Wirkung auf viele junge Menschen nicht unterschätzt werden darf: Baldur von Schirach. Krieck, Baeumler und Schirach waren wohl die herausragenden Pädagogen in einer ganzen Reihe von Kollegen, die sich der Hitler-Bewegung mehr oder weniger entschieden anschlossen, die sich also als "Hitlers Pädagogen" verstanden. Dabei konnten ganz verschiedene Motive eine Rolle spielen. Viele identifizierten sich mit der nationalen Bewegung und der damit verbundenen patriotischen Aufbruchstimmung, ohne sich dabei die NS-Ideologie im ganzen zu eigen zu machen. Fast jeder deutsche Pädagoge, der sich in der NS-Zeit öffentlich geäußert hat, tat dies auch mit Floskeln der NS-Ideologie, wobei im Einzelfall schwer zu entscheiden ist, ob 10 dies aus Opportunismus oder aus Überzeugung geschah. Jedenfalls wäre es problematisch daraus abzuleiten, hier handele es sich schon deshalb um einen NS-Pädagogen. Nicht einmal der Rassismus reicht als Abgrenzungskriterium aus, denn die drei genannten NS-Pädagogen waren keine Rassisten im Sinne Hitlers. Eine weitere Schwierigkeit für eine zutreffende Beurteilung der damaligen Pädagogen besteht darin, daß eine Reihe von Schlüsselworten der völkischen Ideologie wie "Volksgemeinschaft" und sogar "Rasse" oft in einem unpräzisen alltagssprachlichen Sinne verwendet wurden, die kaum sachliche Stellungnahmen meinten, sondern eher soziale Zugehörigkeit ausdrückten (wenn man "Rasse" sagte, gehörte man auch zur "Bewegung"). Ähnliches läßt sich auch heute feststellen, wenn wir etwa an einen Gruppenjargon denken oder an politische Sprachregelungen. Neuerdings machen wir solche Erfahrungen auch im Umgang mit der "Aufarbeitung" der DDR, wenn wir etwa versuchen, deren Pädagogik zu rekonstruieren und zu bewerten. Halten wir uns dabei lediglich an die verwendeten allgemeinen ideologischen Floskeln, ist wenig Aufklärung zu erwarten. So war es auch damals: Wie alle Schlüsselworte der NS-Weltanschauung wurde auch "Rasse" als ein Wort des Zeitgeistes in vielen Schattierungen benutzt. Es gab keinen nationalsozialistischen Katechismus, im Gegenteil gab es, wie wir sehen werden, über ideologische Fragen zum Teil erbitterte Auseinandersetzungen, was zeigt, daß hier der Spielraum zunächst relativ groß war. Weder hat Hitler sein Buch "Mein Kampf" zum Glaubensbuch erklärt, noch durften andere NS-Autoren sich mit diesem Anspruch präsentieren. Einige NS-Führer gaben sich betont atheistisch, andere in einer mehr oder weniger verschwommenen Weise "gottgläubig". Jedenfalls war Atheismus kein offizielles Dogma. Die Zeitgenossen konnten daraus geistige Offenheit ablesen, tatsächlich kam darin jedoch nur zum Ausdruck, daß das Regime seine Machtansprüche nicht durch irgendwelche geistigen bzw. ideologischen Vorgaben begrenzen lassen wollte. Die scheinbare Offenheit ermöglichte vielen Menschen, sich der Hitlerbewegung anzuschließen, wozu z.B. überzeugte Katholiken gehörten, die mit den atheistischen Attitüden nichts im Sinn hatten. Aber für den völkisch-politischen Aufbruch, den Hitler versprach, 11 konnten sie sich trotzdem einsetzen, wenn sie das parlamentarische System für abgewirtschaftet hielten. "Erziehung" war ein Modewort im Nationalsozialismus. Jeder Parteifunktionär fühlte sich berufen, sich über Fragen der Erziehung zu äußern, und es verging kaum eine öffentliche Kundgebung, auf der dies nicht geschah, und sei es auch nur, daß dabei bekannte Hitler-Zitate in Erinnerung gebracht wurden. Auch höhere Chargen, wie etwa Alfred Rosenberg, zuständig für die weltanschauliche Überwachung der Partei, veröffentlichten entsprechende Texte. Niemandem gelang es aber, eine allgemein anerkannte pädagogische Theorie zu formulieren, die als die "nationalsozialistische" akzeptiert worden wäre. Mit einem gewissen Recht kann man auch führende Erziehungswissenschaftler der Weimarer Zeit wie Spranger, Nohl, Flitner, Petersen als NS-Pädagogen bezeichnen, weil sie den völkischen Implikationen der NS-Ideologie so fern nicht standen. Gelegentlich ist damit heute eine nachträgliche moralische Verurteilung solcher "bürgerlicher" Pädagogen verbunden. Aber die ideologische Vielfalt und Widersprüchlichkeit der nationalsozialistischen "Bewegung" machte es vielen nicht leicht, darin ihre eigene Position zu präzisieren. Konnte man für die "Volksgemeinschaft", aber gegen den Atheismus und Rassismus sein? Selbst katholische Bischöfe taten sich schwer mit solchen Feinheiten. Für die meisten Pädagogen, die 1933 in Amt und Würden waren und sich in der Folgezeit publizistisch äußerten, galt, was Klaus-Peter Horn über die Autoren der geisteswissenschaftlich-reformpädagogisch orientierten Zeitschrift "Die Erziehung" herausgefunden hat: "Einige Autoren wandten sich eindeutig dem Nationalsozialismus zu, nahmen seine Themen und Argumente auf und führten sie weiter. Andere Autoren versuchten, traditionelle pädagogische Argumente mit den neuen Themen zu mischen, sie lavierten zwischen nationalsozialistischer Option und Festhalten an den alten Ideen. Eine dritte Gruppe von Autoren meinte, mit den alten Konzepten den Nationalsozialismus und seine pädagogischen Ideen besser zu verstehen als die Nationalsozialisten sich selbst. Schließlich muß die kleine Gruppe von Autoren genannt werden, die an ihren Theorien festhielten und sie kritisch gegen den Nationalsozialismus wendeten. Die mei- 12 sten Autoren aber akzeptierten die nationalsozialistische Erziehungsrealität und übernahmen die nationalsozialistischen Erziehungsvorstellungen, teilten nur nicht die radikale Ablehnung der eigenen (früheren) Position und Leistungen" (Horn, 302). Über die politische Kriminalität des NS-Regimes muß man heute keinen vernünftigen Menschen mehr belehren. Aber kaum jemand, der Hitler 1933 gefolgt ist, hatte diese Krimi- nalität vor Augen oder im Sinn, das gilt auch für unsere drei Pädagogen. Sie waren keine besonderen Bösewichter, sie waren, wie viele andere, die Hitler gefolgt sind, Menschen mit einer bestimmten Lebensgeschichte und mit daraus resultierenden Erfahrungen; sie versuchten dort, wo sie sich befanden, ihren Alltag zu gestalten und dabei natürlich auch auf ihren Vorteil und ihre Chancen zu sehen. Wer 1933 sich der Hitler-Bewegung anschloß oder sie z.B. bei der Wahl unterstützte, war nicht schon deshalb politisch kriminell, und wer dadurch für seine berufliche Perspektive eine Chance sah, war deswegen nicht schon überdurchschnittlich opportunistisch. Damit meine ich, daß die Menschen im allgemeinen weder Helden noch Bösewichte sind, als die sie aus der historischen Rückschau leicht erscheinen, sondern gerade in schwierigen Zeiten sich um ihr Überleben im Alltag mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln kümmern. Nicht wenige von ihnen - und dazu gehörten auch Krieck und Baeumler - hatten die Weimarer Republik und ihre Verfas sung durchaus zu respektieren versucht - weit davon entfernt, gleichsam "geborene Nazis" zu sein. Irgendwann gewannen sie aber den Eindruck, daß die Republik unfähig sei, die Probleme ihres Alltags zu lösen, und aus Respekt wurde Gleichgültigkeit oder gar Haß. Schließlich schienen sich die politischen Verhältnisse zu polarisieren auf die Alternative Kommunismus oder Nationalsozialismus: auf der einen Seite eine Klassenkampfpartei, von der man - was immer man sonst von ihr politisch oder ideologisch halten mochte - jedenfalls keine Ruhe und keinen inneren Frieden erwarten konnte; auf der anderen Seite die Hitler-Bewegung, die zu einer Volksbewegung anschwoll, die nicht nur Arbeit und Brot versprach, sondern auch, solche politischen Ziele zu verfolgen, die speziell dem deutschen Volke auf den Leib geschnitten seien, die ihm wieder Einheit, Wohlstand und An- 13 sehen verschaffen würden. Da konnte die Wahl nicht schwer fallen. Zu den bemerkenswertesten Erkenntnissen der historischen Forschung gehört die Tatsache, daß die Deutschen fast bis zum bitteren Ende Hitler eine hohe Massenloyalität gewährten - allerdings nicht der Partei, nicht einzelnen Organen der Partei, sondern der Person Hitler selbst. Vor allem in den Kriegsjahren richtete sich viel Unmut gegen die "Bonzen", in der HJ-Führung gab es z.B. die Vorstellung, nach dem Kriege gemeinsam mit Hitler unter ihnen "aufzuräumen". Auch unsere drei Pädagogen blieben loyal zu Hitler; sie wurden dabei - wie sich zeigen wird - zu tragischen Figuren. In einem ersten Teil stelle ich zunächst die grundlegenden politisch-pädagogischen Vorstellungen Hitlers, Kriecks und Baeumlers vor. Anders als die meisten Veröffentlichungen zu unserem Thema, die die NS-Autoren nur in Zitatfetzen präsentieren und sie von vornherein einer bestimmten Interpretation unterwerfen, möchte ich Darstellung und Kritik deutlich trennen, Hitler, Krieck und Baeumler möglichst selbst zu Wort kommen lassen, damit nicht nur ihre Argumentationen deutlich werden, sondern auch die Tonart vernehmbar wird, in der sie vorgetragen wurden. Die Diktion verrät manches, was der Gedanke verschweigt. In einem zweiten Teil wird die Entwicklung der beiden wichtigsten pädagogischen Praxisfelder - Schule und außerschulische Jugendarbeit (HJ) - dargestellt - nicht zuletzt auch unter dem Gesichtspunkt, wie weit die Vorstellungen der "Chefideologen" hier Wirkung gezeigt haben. Untersuchungen, die ausschließlich die Zeit von 1933 bis 1945 im Blick haben, gelangen leicht zu falschen oder einseitigen Beurteilungen, weil es für alles, was die Nationalsozialisten dachten und aussprachen, eine Vorgeschichte gab. Mit dieser waren die damals Handelnden lebensgeschichtlich, aber auch im Hinblick auf vielerlei kollektive Traditionen verbunden, die wiederum die Art und Weise beeinflußten, wie sie die Problemlage ihrer Gegenwart deuteten. Deshalb werden dort, wo es sich von der Sache her anbietet, knappe historische Rückblicke eingefügt. Unser Thema ist zwar einerseits ein historisches, insofern es sich mit einem bestimmten geschichtlichen Zeitraum be- 14 faßt; andererseits ist es aber auch deswegen aktuell, weil dieser Zeitraum eingebettet ist in einen darüber hinausreichenden epochalen Zusammenhang, in dem sich die Prozesse der Moderne entfalten, in dem sich langfristige Probleme und Konflikte entwickeln, die mit den Stichworten Kapitalismus, Entfremdung, Emanzipation, Fundamentaldemokratisierung, Identität angedeutet werden können. Diese Probleme sind zu einem guten Teil immer noch aktuell, und eben deswegen können wir aus der Beschäftigung mit der NS-Zeit wichtiges für unsere Gegenwart lernen. Wir werden z.B. auf eine Reihe von pädagogischen Irrtümern stoßen, an denen bis heute festgehalten wird, aber auch auf Gedanken, die uns inzwischen als absurd erscheinen. Den Abschluß bildet ein zweifaches Fazit. Einmal versuche ich die These zu belegen, daß zumindest ein wichtiger Grund für den Erfolg der Hitler-Bewegung in ihrem Identitätsangebot zu sehen ist, daß sie sich mit ihrer Ideologie der "Volksgemeinschaft" als Lösung einer massenhaften Identitätskrise präsentiert hat. Das zweite Fazit geht der Frage nach, ob und in welchem Maße eine "richtige" Erziehung politische Barbarei verhindern kann, bzw. ob die NS-Erziehung, wie sie von Krieck, Baeumler und Schirach propagiert wurde, politische Kriminalität zum Ziele bzw. zum Ergebnis gehabt hat. Um die Lesbarkeit des Textes nicht zu beeinträchtigen, werden an Ort und Stelle nur die Zitate nachgewiesen. Den an weiteren Informationen interessierten Leser verweise ich auf das kapitelweise kommentierte Literaturverzeichnis am Schluß des Bandes. 15
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