Hermann Giesecke:
Politische Bildung
Didaktik und Methodik für Schule und Jugendarbeit
2. überarbeitete und erweiterte Aufl. Weinheim/München: Juventa-Verlag 2000, 232 S.,
Zu dieser Edition:
Mein Buch "Politische Bildung. Didaktik und Methodik für Schule und Jugendarbeit" wird im folgenden als Volltext der 2. Auflage von 2000 allgemein zur Verfügung gestellt. Literaturverzeichnis und Forschungsstand befinden sich folgerichtig auf dem Stand dieses Erscheinungsjahres. Allerdings halte ich die grundlegenden Argumentationen dieser Auflage nach wie vor für aktuell und diskussionswürdig.
Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Darüber hinaus wurde das Original jedoch nicht verändert. Um die Zitierfähigkeit zu gewährleisten, wurden die ursprünglichen Seitenangaben mit aufgenommen und erscheinen am linken unteren Textrand; sie beenden die jeweilige Textseite des Originals. Allerdings stimmen die Zeilenlängen nicht mehr mit dem Original überein.
Der Text darf zum persönlichen Gebrauch kopiert und unter Angabe der Quelle im Rahmen wissenschaftlicher und publizistischer Arbeiten wie seine gedruckte Fassung verwendet werden. Die Rechte verbleiben beim Autor. (Hermann Giesecke, Mai 2021)© Hermann Giesecke
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort zur 2. Auflage
I. Die Krise der politischen Bildung
1.Die vorgängige Politisierung
2. Die vorgängige Moralisierung
3. Von der Praxisorientierung zur akademischen Professionalisierung
4. ZusammenfassungII. Didaktische Grundlagen des politischen Unterrichts in der Schule
1. Politische Sozialisation
2. Wozu politischer Unterricht?
3. Aufklärung oder Erziehung?
4. Was soll im politischen Unterricht gelernt werden?
- Zum Begriff "Didaktik"
- Systematische Kunde
- Orientierungswissen
- Der problemorientierte Ansatz
- Der konfliktorientierte Ansatz
- Politisch-didaktische Kategorien
- Ein vereinfachtes Modell
- Schwierigkeiten bei der Anwendung des Konfliktansatzes
- Der tagespolitische Ansatz
- Zusammenfassung
5. Die Schule als politisch-soziales Lernfeld
- Die Schule als Institution
- Die verschiedenen Rollen der Lehrer
- Die verschiedenen Rollen der Schüler
- Das SchullebenIII. Politische Bildung in der Jugendarbeit
1. Jugendarbeit als Institution
2. Jugendarbeit als politische SozialisationIV. Methodische Variationen
1. Was ist "Methodik"?
2. Lehr- und Lernziele
3. Methoden
- Der Lehrgang
- Die Produktion
- Das Spiel
4. Arbeitsweisen
- Der Vortrag
- Die Diskussion
- Die Debatte
- Die Gruppenarbeit
- Die Einzelarbeit
- Die Exkursion
- Die Expertenbefragung
5. Lehren und Lernen als zeitlicher Prozeß
- Die Vorbereitung
- Exkurs: Die Funktionen des Schulbuches
- Der Einstieg
- Die Arbeitsplanung
- Kontrolle und Korrektur des Lernprozesses
- Feststellung des ErgebnissesV. Fazit: Vom Nutzen der Fachdidaktik Politik für die Praxis
Dieses Buch erschien in erster Auflage 1993 und hat meine beiden älteren Arbeiten "Didaktik der politischen Bildung" (1965; 12. Aufl. 1982) und "Methodik des politischen Unterrichts" (1973; 6. Aufl. 1984) abgelöst. Eine bloße Überarbeitung dieser Texte war nicht mehr möglich. Zu sehr sind sie verflochten mit den Diskussionen der sechziger und siebziger Jahre in der westlichen Bundesrepublik, die heute für diejenigen, die damals nicht daran beteiligt waren - zum Beispiel für die Pädagogen in Ostdeutschland - kaum noch verständlich sind. Deshalb habe ich den Kern dessen, was mir nach wie vor wichtig erschien, noch einmal unter Berücksichtigung der mehr als dreißigjährigen Erfahrung mit dem Thema darzulegen versucht.
Die hier nun vorliegende 2. Auflage ist erheblich überarbeitet worden und stimmt - obwohl die Reihenfolge der Kapitel beibehalten wurde - nur noch teilweise mit der ersten überein. Der Grund liegt darin, daß ich die erste Auflage eher als einen Diskussionsbeitrag unter Experten angesehen habe, während es mir jetzt darum geht, dem politischen Unterricht wieder eine fachdidaktische Grundlage zu geben, die auch für die Ausbildung der Politiklehrer dienlich sein kann. Nach meinem Eindruck befindet sich das Fach Politik in einer bildungspolitischen und schulpädagogischen Krise, deren Ausmaß mir vor sieben Jahren noch nicht klar war, die aber zu seiner offenen oder schleichenden Auflösung zumindest in der Sekundarstufe I führen kann. Dies zu verhindern und dabei zugleich einen Beitrag zur theoretischen Fundierung dieser pädagogischen Aufgabe zu leisten, ist die wesentliche Absicht dieser Neufassung.
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Wie viele Titel eine vollständige Bibliographie zum Stichwort "Politische Bildung" enthalten würde, weiß vielleicht niemand genau. Kaum ein anderes Schulfach hat seit 1945 so mit seiner fachdidaktischen Grundlegung gerungen wie das Fach Politik. Den intellektuellen Aufwand, mit dem das geschah, kann man einem Kollegen aus einer anderen westlichen Demokratie kaum erklären; denn es ging hier ja nicht darum, die Lehrer mit dem für den politischen Unterricht nötigen Fachwissen auszustatten, sondern nur darum, die didaktischen Voraussetzungen, das "Was" und "Warum" dieses Unterrichts zu klären - der im übrigen, wenn es hoch kam, ein bis zwei Stunden pro Woche erteilt wurde. Von heute aus gesehen muß es so erscheinen, als habe dieser Aufwand in keinem vertretbaren Verhältnis zu seinem praktischen Anlaß gestanden. Das wäre, wie sich zeigen wird, jedoch eine Fehleinschätzung, weil die Auseinandersetzungen, die über die politische Bildung geführt wurden, eng mit der Entwicklung des politischen Selbstverständnisses in der alten Bundesrepublik verknüpft waren und es entscheidend mit geprägt haben. Andererseits hat die Fülle der wissenschaftlichen und bildungspolitischen Äußerungen zum Thema die Lage selbst für den Experten unübersichtlich gemacht.
Die Lehrer in den neuen Bundesländern, die Erfahrungen mit der "Staatsbürgerkunde" in der DDR gemacht haben, waren etwas anderes gewöhnt. Eine vergleichbare öffentliche Diskussion über die didaktischen Prinzipien dieses Faches hat es in der DDR nicht gegeben, vielmehr waren seine Lehrinhalte bis ins einzelne vorgegeben, und die waren beizubringen und abzufragen. Die didaktische Reflexion fand nicht in den Schulen statt, sondern in den Gremien, die dafür zentral vorgesehen waren. Von Anfang an war die offizielle DDR im Unterschied zur Bundesrepublik sich darüber im klaren, was im Staatsbürgerkundeunterricht zu welchem Zweck zu lehren war, auch wenn natürlich die Lehrpläne den veränderten Bedingungen der gesellschaftlichen Ent-
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wicklung angepaßt wurden. In Westdeutschland dagegen war die Diskussion viel komplizierter, wie sich zeigen wird, weil es hier kein dem „Antifaschismus" in der DDR vergleichbares Fundament gab, aus dem sich gleichsam selbstverständlich Aufgaben und Modalitäten der politischen Bildung hätten konsensfähig ableiten lassen. Nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik wurde der politische Unterricht in der westdeutschen Version dorthin gleichsam traditionslos übertragen - mit zwei bedenklchen Folgen: Zum einen konnten deswegen die eigenen Erfahrungen mit der Staatsbürgerkunde nicht kritisch aufgearbeitet werden, so daß auf diese Weise deren bewußte Revision hätte erfolgen können; der nun einsetzende Bruch war möglicherweise radikaler als nach Kriegsende. Andererseits mußten westdeutsche Vorstellungen gleichsam über Nacht übernommen werden, ohne daß deren durchaus auch problematischen Aspekte ins Bewußtsein dringen konnten. Transferiert wurde vielmehr eine gerade aktuell in Mode stehende Version, die man zusammengefaßt als subjektorientiert-reformpädagogisch bezeichnen kann, die aber, wie noch zu erörtern sein wird, gerade für den politischen Unterricht höchst fragwürdig ist.
So ist der politische Unterricht im Osten wie im Westen Deutschlands aus teils gemeinsamen, teils unterschiedlichen Gründen in eine Krise geraten. Der theoretische Impetus der 60er und 70er Jahre ist verpufft, abgelöst wurde er durch eine „nach-konzeptionelle Phase" (Gagel), in der die Praktiker in den Schulen weitgehend auf sich selbst verwiesen sind. Die Lehrer in den alten wie neuen Bundesländern verhalten sich in der Regel selektiv, arbeiten mit dem, was sie irgendwann einmal gelernt haben, oder retten sich von Stunde zu Stunde mit Themen und Projekten, von denen sie hoffen, daß sie die Schüler interessieren könnten. „Handlungsorientiert" soll es möglichst sein; Hauptsache, die Schüler sind aktiv, was dabei herauskommt, ist zweitrangig. Fachdidaktische Reflexionen, die das „Was" und „Warum" dieses Unterrichts und damit seine innere geistige Struktur klären und ihm auf diese Weise langfristig Sinn verleihen könnten, sind aus der Mode gekommen. Sie scheinen entbehrlich geworden zu sein, weil offenbar niemand mehr danach verlangt - weder die Administration noch die Lehrer, Eltern oder Schüler. Schon gar nicht gibt es bildungspolitischen Streit darüber wie noch in den 70er Jahren.
In der ehemaligen DDR hat es die erziehungswissenschaftliche Teildisziplin der Didaktik in diesem Sinne ohnehin nicht gegeben, weil sie nicht benötigt wurde. Didaktisches Bewußtsein ist nämlich nur dann nötig, wenn der Lehrende einen gewissen Handlungsspielraum für die Gestaltung des Unterrichts hat, der gerade auch seine Inhalte und Ergebnisse einschließt. Dann wird Didaktik - im Unterschied zur bloßen Methodik - als eine Art von Berufswissenschaft benötigt, um diesen Handlungsspielraum professionell gestalten zu können (anstatt ihn etwa durch Agitation oder Indoktrination auszufüllen). Didaktische Reflexion und Konstruktion sind also die Kehrseite der Handlungsfreiheit des Lehrers und seine professionelle "Waffe", mit der er diese Freiheit verteidigen kann.
10Ohne dieses Berufswissen wird sein Unterrichtshandeln bis ins kleinste reglementierbar - wie wir es aus der DDR kennen. Insofern allerdings gegenwärtig der politische Unterricht in der nicht minder einseitigen Subjektorientierung versinkt, wird diese "Waffe" ebenfalls nicht mehr benötigt - wohl aber wiederum dazu, sich davon zu distanzieren und sich wieder für die Korrektur dieses pädagogischen Zeitgeistes einzusetzen. Auf dem Hintergrund dieser Lage des Faches Politik drängen sich zwei Fragen auf:
1. Wie und warum ist es zu dieser Krise des politischen Unterrichts gekommen?
2. Wie kann eine Neuformulierung des didaktischen Denkens erfolgen und ist sie überhaupt noch notwendig?Um auf diese Fragen nach Antworten zu suchen, muß unser Thema zunächst einmal näher bestimmt werden. Im folgenden ist von "Bildung" als oberstem Leitmotiv für planmäßiges, sich an das Bewußtsein richtendes pädagogisches Handeln die Rede.
In der ehemaligen DDR hat es die erziehungswissenschaftliche Teildisziplin der Didaktik in diesem Sinne ohnehin nicht gegeben, weil sie nicht benötigt wurde. Didaktisches Bewußtsein ist nämlich nur dann nötig, wenn der Lehrende einen gewissen Handlungsspielraum für die Gestaltung des Unterrichts hat, der gerade auch seine Inhalte und Ergebnisse einschließt. Dann wird Didaktik - im Unterschied zur bloßen Methodik - als eine Art von Berufswissenschaft benötigt, um diesen Handlungsspielraum professionell gestalten zu können (anstatt ihn etwa durch Agitation oder Indoktrination auszufüllen). Didaktische Reflexion und Konstruktion sind also die Kehrseite der Handlungsfreiheit des Lehrers und seine professionelle „Waffe", mit der er diese Freiheit verteidigen kann. Ohne dieses Berufswissen wird sein Unterrichtshandeln bis ins kleinste reglementierbar - wie wir es aus der DDR kennen. Insofern allerdings gegenwärtig der politische Unterricht in der nicht minder einseitigen Subjektorientierung versinkt, wird diese „Waffe" ebenfalls nicht mehr benötigt - wohl aber wiederum dazu, sich davon zu distanzieren und sich wieder für die Korrektur dieses pädagogischen Zeitgeistes einzusetzen. Auf dem Hintergrund dieser Lage des Faches Politik drängen sich zwei Fragen auf:
1. Wie und warum ist es zu dieser Krise des politischen Unterrichts gekommen?
2. Wie kann eine Neuformulierung des didaktischen Denkens erfolgen und ist sie überhaupt noch notwendig?
Um auf diese Fragen nach Antworten zu suchen, muß unser Thema zunächst einmal näher bestimmt werden. Im folgenden ist von ,Bildung" als oberstem Leitmotiv für planmäßiges, sich an das Bewußtsein richtendes pädagogisches Handeln die Rede. Es hat demnach zum Ziel, Menschen zu ermöglichen, sich - in unserem Zusammenhang politisch - zu bilden. Bildung ist also ein geistiger Prozeß, der sich nur im je einzelnen Individuum entfalten kann. Niemand kann gebildet werden, das pädagogische Handeln in Schule wie Jugendarbeit kann nur Angebote dafür machen, daß Menschen ihre Bildung selbst in die Hand zu nehmen vermögen. Bildung in diesem Sinne ergibt sich also nicht schon als bloßes Resultat politischer Sozialisation und auch nicht lediglich durch Teilnahme am Leben der Gemeinschaften oder an politischen Wahlen. Zweifellos gehen vom gemeinschaftlichen
11und gesellschaftlichen Leben selbst wichtige sozialisatorische Wirkungen aus, die vermutlich sogar das politische System nachhaltiger stabilisieren, als es der politische Unterricht vermag. Auch ohne politischen Unterricht würden die Kinder und Jugendlichen sozial integriert, etwa durch die Wirkungen der unmittelbaren Lebensverhältnisse und durch die Massenmedien. Sozialisation geschieht in jedem Falle. Aber zur Bildung wird dies alles erst dann, wenn es in die kritische Reflexion des Bewußtseins genommen wird. Das Leben als solches bildet nicht. Bildender Unterricht ist vielmehr eine Intervention in ein Leben, das auch ohne diese irgendwie verlaufen würde - und nicht jeder Unterricht ist demnach auch auf die Bildung der Schüler aus. Wir müssen also unterscheiden: Die politischen Einstellungen und Haltungen eines Menschen erwachsen aus der Art und Weise seiner Sozialisation im ganzen. Erziehung und Bildung als planmäßige Veranstaltung sind nur ein Teil davon. Von diesem Teilbereich der Sozialisation handelt dieses Buch, nämlich vom politischen Unterricht, der zugleich ein bildender sein soll.
Was wir als "Politischen Unterricht" - oder wie das Fach sonst immer heißen mag - in der Schule oder in einer außerschulischen Einrichtung erleben bzw. beobachten können, ist eine bestimmte, zweckorientierte Form des sozialen Handelns. Will man sich Klarheit darüber verschaffen, was dabei warum tatsächlich geschieht, muß man drei Ebenen in den Blick nehmen, die den Unterricht zu dem machen, was er ist: die (bildungs) politische, die didaktische und die methodische Ebene.
- Die politische Ebene wird erkennbar in den Richtlinienvorgaben. Für die Schulen sind dafür die Kultusminister zuständig. Diese Richtlinienvorgaben können sehr eng gefaßt - wie in der DDR-Schule - oder weiter gefaßt sein, wie jetzt in den deutschen Schulen insgesamt. Je enger sie bei einem Fach wie Politik festgesetzt werden, um so größer ist die Gefahr, daß sie in der Bevölkerung keinen Konsens finden, also politisch umstritten werden. Soll der Konsens über die politischen Parteien hinweg gewahrt werden, müssen die Richtlinien Handlungsspielräume für Lehrer und Schüler zulassen.
- Diese Handlungsspielräume sind es nun, die didaktische Reflexionen nötig machen, nämlich Überlegungen darüber, was warum und mit welchem Ziel im politischen Unterricht be-
12handelt werden soll, warum gerade dieses und nicht etwas anderes. Wie aus dem Vergleich mit der DDR zu erkennen war, müssen diese Fragen in jedem Falle beantwortet werden, weil sonst ein sinnvoller Unterricht zumal in der zur Verfügung stehenden begrenzten Zeit gar nicht stattfinden könnte. Antworten können erfolgen auf der Grundlage eines detaillierten Lehrplans, der Zug um Zug, Stunde für Stunde auszuführen ist; dann gibt es dafür zuständige staatliche Entscheidungsorgane. Oder die staatlichen Vorgaben sind relativ offen - wie es im Begriff der "Richtlinien" anstelle des Lehrplans zum Ausdruck kommt -, dann muß der dadurch geöffnete Spielraum in der Schule selbst, also durch die Lehrer, entschieden werden. Die aber brauchen dafür einen wissenschaftlich fundierten Theoriezusammenhang, sonst sähen sie sich leicht dem Verdacht der Willkür oder Parteilichkeit ausgesetzt. Diesen theoretischen Kontext zu erarbeiten, ist Aufgabe der Fachdidaktik, und in diesem Sinne ist im folgenden von ihr die Rede.
- Die methodische Ebene schließlich hängt mit der didaktischen prinzipiell zusammen, ist aber keineswegs als deren bloße Exekution zu bestimmen. Auf dieser Ebene wird konkret vor Ort, im Unterricht, reflektiert, und zwar unter der Frage, in welchen Kommunikationsformen die Zeit des Lernprozesses gestaltet werden soll. Diese Frage kann nur entschieden werden im Hinblick auf eine bestimmte Situation (z.B. Schulklasse oder Jugendgruppe), auf bestimmte Partner (Alter und Vorbildung) und auf ein bestimmtes Thema.
Im folgenden lasse ich die erste Ebene - die der Richtlinien - im wesentlichen beiseite und konzentriere mich auf die beiden anderen. Dazu ist es aber zweckmäßig, den gegenwärtigen Zustand der didaktischen Reflexion, ihre erwähnte Krise, etwas genauer zu erklären, weil dadurch vielleicht neue Fehlentwicklungen vermieden werden können. Diese historische Rekapitulation erfolgt in einer knappen Fassung im I. Kapitel. Im II. Kapitel versuche ich, die didaktischen Grundlagen des politischen Unterrichts in der Schule systematisch zu entwickeln. Dabei wird die Notwendigkeit eines besonderen politischen Unterrichts nicht mehr in erster Linie aus politischen Begründungen abgeleitet, wie es bisher weitgehend geschehen ist, sondern aus pädagogischen: Das allgemeine Bildungsangebot der Schulen dient generell der
13höchstmöglichen Partizipation der Bürger an den gesellschaftlichen Möglichkeiten; zu diesen Teilhaben gehört neben der beruflichen und kulturellen auch die politische. Diese Begründung reicht allein jedoch nicht aus, weil das, was für die politische Beteiligung gelernt werden muß, möglicherweise auch in anderen Schulfächern erworben werden könnte. Das gilt jedoch nicht für die Beurteilung des politischen Handelns, die deshalb den eigentümlichen didaktischen Kern des politischen Unterrichts ausmacht. Anschließend - im III. Kapitel - geht es um die politische Bildung in der außerschulischen Jugendarbeit. Dieses Kapitel soll verdeutlichen, daß didaktische und methodische Entscheidungen nicht zuletzt auch von den unterschiedlichen Rahmenbedingungen abhängen, die für ein pädagogisches Feld maßgebend sind, und die sind in der Jugendarbeit grundlegend anders als in der Schule. Daraus ergibt sich unter anderem die Frage, ob methodische Variationen, die in der Jugendarbeit entstanden sind, unter den anders gearteten Bedingungen und Aufgaben der Schule ebenfalls sinnvoll zu verwenden sind. Im Prinzip jedoch ist das methodische Repertoire, das uns überhaupt zur Verfügung steht, nicht spezifisch für ein bestimmtes Feld, spezifisch sind nur die Schwerpunkte und die jeweils geeigneten Kombinationen. Deshalb werden erst im IV. Kapitel die methodischen Varianten in ihren Grundzügen vorgestellt - als Bausteine für die kommunikative Gestaltung des zeitlichen Verlaufs des Unterrichts.
Zunächst aber richtet sich der Blick die Entwicklung der politischen Bildung seit 1945, um daraus Ansatzpunkte für die Formulierung einer systematischen didaktisch-methodischen Theorie des politischen Unterricht zu gewinnen.
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I. Die Krise der politischen Bildung
Um die gegenwärtige Lage der politischen Bildung, die von allen damit Befaßten als kritisch bezeichnet wird, genauer zu verste-hen, ist ein kurzer historischer Rückblick auf ihre Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs angesagt. Dabei sollen diejenigen Aspekte hervorgehoben werden, die immer noch von aktueller Bedeutung sind und deshalb für eine Neuformulierung einer kritischen Überprüfung unterzogen werden müssen. Sie las-sen sich im wesentlichen in drei Tendenzen zusammenfassen:1. Die vorgängige Politisierung der politischen Bildung, die nach dem Kriege nötig geworden war.
2. Ihre vorgängige Moralisierung, die sich aus der moralischen Last ergab, die das NS-Regime hinterlassen hatte.
3. Der Prozeß der didaktisch-methodischen Professionalisierung von der praxisorientierten Reflexion zur universitären Profilierung.
1. Die vorgängige Politisierung
Die politische Bildung nach 1945 war eine Reaktion auf die NS-Verbrechen und den verlorenen Krieg und konnte deshalb nicht einfach wieder an ihre Vorläufer aus der Zeit vor 1933 (Vgl. Hoffmann) anknüpfen. Ihre ersten Impulse erhielt sie vom Umerziehungskonzept („re-education") der alliierten Sieger. Sie stand also von vornherein unter einer politischen Zielvorgabe: Mit pädagogischen Mitteln - Lernen und Bildung - sollte das politische Ziel erreicht werden, Denazifizierung, Demilitarisierung und Demokratisierung in den Köpfen und Herzen der Deutschen - vor allem der jungen - zu verankern. Von diesem Ausgangspunkt her erschien sie nicht wenigen Deutschen damals als Teil des Siegerhandelns - im Zusammenhang mit anderen, zweifellos als repressiv gedachten Maßnahmen wie Entnazifizierung, Kriegsverbrecherprozesse und Demontage. Die politische Bil-
15dung begann also bei uns (in Westdeutschland) unter der Voraussetzung, daß es demokratische Strukturen und Normen noch gar nicht bzw. erst in Anfängen gab, deren Existenz sie eigentlich hätte voraussetzen müssen. Daraus resultierte das pädagogische Paradox, daß die Erwachsenen, die traditionell für die Bildung und Erziehung der Jungen zuständig sind und dabei diesen gegenüber die normativen Prinzipien der Gesellschaft zur Geltung zu bringen haben, selbst erst einmal einer demokratischen Erziehung bedurften. Die potentiellen Erzieher waren selbst zu Erziehende; denn schließlich waren sie in das undemokratische und dazu noch hochgradig kriminelle NS-System irgendwie verwickelt gewesen, das sich seinerseits auf antidemokratische deutsche Traditionen stützen konnte.
Eine Folge dieses politischen Ausgangspunktes war, daß die politische Bildung von vornherein in die innenpolitische Diskussion über die Werte und Strukturen der neuen demokratischen Staats- und Gesellschaftsverfassung involviert wurde bzw. diese mit ver-anlaßte. In diesem Sinne war sie von Anfang an notwendigerwei-se parteilich in einer Gesellschaft, in der die Machtträger nicht unbedingt auch die Vorkämpfer für die Durchsetzung demokratischer Verhältnisse und Ziele waren - von der übrigen Bevölkerung ganz zu schweigen. Nach dem Kriege hatten dieselben Eliten wieder die Führung in Politik, Wirtschaft und Kultur übernommen, die auch während der Zeit des Nationalsozialismus maßgeblich waren. Alternativen dazu waren nicht vorhanden. Die Emigranten, die den Nationalsozialisten entkommen waren und nun zurückkehrten, waren nicht zahlreich genug und fanden in den etablierten Führungsschichten meist wenig Resonanz. Die alten Eliten hatten sich überwiegend zwar moralisch vom Nationalsozialismus distanziert und erkannten wohl auch das neue parlamentarische System zumindest formell an, aber ihre grundlegenden politisch-kulturellen Einstellungen und Haltungen blieben - was biographisch gesehen nicht verwundern kann - oft bewußt oder unbewußt noch jenen konservativen, autoritären, antiwestlichen und antipluralistischen Maximen verhaftet, die die nationalsozialistische Bewegung für ihre Zwecke hatte mobilisieren können. Dieser geistige Zusammenhang war damals kaum bewußt, er prägte aber gerade die Erziehungseinrichtungen nachhaltig und führte später zur massiven Konfrontation mit der studentischen Protestbewegung.
16Ein breiter Konsens wie in anderen westlichen Demokratien war also nicht von vornherein zu erwarten. In dem Bemühen, ihre pädagogischen Maximen und Praktiken zu finden, geriet die politische Bildung vielmehr unausweichlich in die innenpolitischen Debatten, die sich nach dem Krieg etwa über bestimmte Aspekte der Verfassung, über das ihr entsprechende Menschenbild und über die politische Kultur angesichts der unmittelbar zurückliegenden NS-Vergangenheit folgerichtig ergaben. Eine solche Grundsatzfrage war: Ist unsere demokratische Verfassung lediglich als ein formelles Regelsystem anzusehen, das Mehrheiten auf der Grundlage von Wahlen zustande bringen soll, um so Regierungen zu legitimieren? Oder müssen mit dem Begriff „Demokratie" inhaltliche Entscheidungen verbunden werden, die dieser Staats- und Gesellschaftsverfassung erst ihren spezifischen Sinn im Unterschied zu den totalitären politischen Systemen des Nationalsozialismus und des Stalinismus geben? Theodor Litt (1954) beantwortete diese Frage in den fünfziger Jahren formal, nämlich im Sinne einer allgemeinen Staatstheorie, in der das spezifisch Demokratische nicht in einem ideellen, sondern nur in ei-nem formalen Sinne, als Legitimierung pluraler Macht- und Ordnungskonzepte, zum Ausdruck kam. Jürgen Habermas dagegen sah die politische Beteiligung der Bürger sehr viel weiter gefaßt; Demokratie müsse die Mündigkeit aller Bürger befördern und sei mehr als nur ein Set von Spielregeln für legitime Machtgewin-nung und Machtveränderung. „Demokratie arbeitet an der Selbstbestimmung der Menschheit, und erst wenn diese wirklich ist, ist jene wahr" (Habermas u.a. 1961, S. 15). Dieser Gegensatz brach später - im Rahmen der studentischen Protestbewegung - noch einmal in voller Schärfe auf.
Eine weitere, damit zusammenhängende Grundsatzfrage war: Sollen außer dem Staat nur die Parteien und Verbände demokratisch verfaßt sein oder auch die Kirchen, Familien, Schulen? Hat Demokratie also auch etwas mit einer bestimmten Kultur des öffentlichen Umgangs zu tun, ist sie so etwas wie eine Lebensform? Friedrich Oetinger (1951) ( = Theodor Wilhelm) antwortete darauf mit seiner Partnerschaftsthese, nach der es vor allem um eine Neuordnung der unmittelbaren menschlichen Beziehungen auf allen gesellschaftlichen Ebenen ging, auch im Verhältnis von Lehrern und Schülern; er verband diese Forderung mit einer vehementen Kritik an der überlieferten deutschen Unfähigkeit,
17öffentliches Verhalten von privatem zu unterscheiden und spezifisch zu kultivieren. Litt warf ihm deswegen vor, zwischen Politischem und Sozialem nicht genau genug zu unterscheiden. In der Tat stellte Oetinger weniger die inhaltlichen Fragen der Demokratie in den Mittelpunkt seines pädagogischen Konzepts als vielmehr pragmatische Übungen wie demokratische Verfahren der Debatte und der Diskussionsleitung; auch diese Fähigkeiten mußten die Deutschen ja erst einmal lernen. Der „Deutsche Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen" (1955) versuchte einen Kompromiß zwischen den Grundpositionen von Oetinger und Litt, indem er daraus eine biographische Reihenfolge machte: Zunächst, in jüngerem Alter, sollten die Schüler im Rahmen ihrer unmittelbaren Lebenswelt aufgeklärt und dort zu demokratischer Beteiligung befähigt werden, erst in späterem Alter zu den grundlegenden politischen Einsichten geführt werden, wie es Litt verlangt hatte.
Ende der fünfziger/Anfang der sechziger Jahre geriet die Politische Bildung aus anderen Gründen in die öffentliche Aufmerksamkeit. Im Jahr 1959 verunsicherten antisemitische Schmierereien und Schändungen jüdischer Gräber das Land. Die Politiker wurden schon deshalb zu Maßnahmen dagegen gedrängt, weil diese Taten dem Ansehen Deutschlands und damit auch seiner Eliten im Ausland erheblich schadeten. Zum anderen setzte in den 50er Jahren eine massive Propagandakampagne der DDR gegenüber westdeutschen Jugendlichen ein, die zu relativ preiswerten Ferienlagern eingeladen und dort in ideologische Debatten verwickelt wurden, denen sie nicht gewachsen und auf die sie nicht vorbereitet waren. Das Gespenst einer unkontrollierbaren kommunistischen Infiltration tauchte auf und sorgte für Aufregung bei der politischen Administration. Nun war der Boden dafür bereitet, die politische Bildung besser als vorher zu fördern; davon profitierte nun neben der Schule auch die außerschulische Jugendbildung. In deren Einrichtungen wurde politische Bildung fortan verhältnismäßig großzügig vor allem durch den Bundesjugendplan finanziert (Giesecke 1966; Lüers u.a.). Erneut geriet sie dabei aber in die Auseinandersetzung um politische Grundsatzfragen; denn die ideologischen Angriffe aus dem Osten blieben insofern nicht ohne Wirkung, als sie die scheinbar schon erledigte Frage nach den Grundlagen der eigenen Staats- und Gesellschaftsverfassung wieder aufwarfen. Nun wurde auch zum Pro-
18blem, daß die bundesrepublikanische Verfassung von Anfang an nur als eine provisorische gedacht und insofern gleichsam nur mit halber Verbindlichkeit ausgestattet war. Sie enthielt den Auftrag der Wiedervereinigung, und so war es fast folgerichtig, daß in der politischen Bildung in den sechziger Jahren zum ersten Mal wieder die Kategorie des Nationalen, die Forderung nach Nationalgefühl als leitende pädagogische Idee auftauchte (Raasch). Aber dieses Thema blieb Episode, weil es Ende der sechziger Jahre durch die Studentenbewegung überrollt wurde, die ganz andere Fragen in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses rückte.
Die inneren Widersprüche der westdeutschen Gesellschaft waren nun nicht mehr zu übersehen. Nach den Jahren des Wiederaufbaus, in denen die unterschiedlichen gesellschaftlichen Kräfte weitgehend zusammengeschmiedet wurden, zeigten sich nun innere Spannungen, die das demokratische Selbstverständnis nachhaltig berührten. Sie äußerten sich vor allem in der „Spiegel-Affäre" und in den ersten großen NS-Prozessen.
• Der „Spiegel" hatte im Oktober 1962 eine Titelstory „Bedingt abwehrbereit" veröffentlicht und darin das gerade abgelaufene NATO-Manöver analysiert. Er kam zu dem Schluß, daß die damals gültige Natostrategie des „preemptive strike" - im Falle eines sicher zu erwartenden sowjetischen Angriffs sollte ein vorbeugender Atomschlag erfolgen - die Bundesrepublik keineswegs sichern könne und sogar den Frieden eher gefährde. Die für den Artikel Verantwortlichen wurden daraufhin wegen Landesverrats verhaftet, was Verteidigungsminister Strauß unter teilweiser Umgehung der dafür zuständigen Instanzen veranlaßt hatte. Weil er in der Sache auch noch das Parlament belog, mußte er schließlich zurücktreten. Die öffentliche Erregung über die Affäre war erheblich und mobilisierte eine Welle spontaner Solidarität für die Betroffenen; so unterstützten Kollegen anderer Zeitschriften den redaktionell lahmgelegten „Spiegel". Zum ersten Mal nach dem Kriege behauptete sich hier eine kritische Öffentlichkeit gegenüber der Staatsmacht.
• Die in den 50er Jahren weitgehend verdrängte nationalsozialitische Vergangenheit stand wieder auf der Tagesordnung. Im Jahre 1961 wurde Adolf Eichmann in Jerusalem vor Gericht gestellt, im Dezember 1963 begann in Frankfurt der Prozeß
19gegen ehemalige Aufseher des Vernichtungslagers Auschwitz. Schon vorher - 1958 - hatte der „Ulmer Einsatzgruppenprozeß" stattgefunden, woraufhin die „Ludwigsburger Zentralstelle" für die Aufklärung von Nazi-Verbrechen eingerichtet wurde. Voraussetzung für deren Tätigkeit war aber, die Verjährung von Mordtaten, die nach damaligem Strafrecht 20 Jahre betrug und infolgedessen für vor 1945 begangene Verbrechen 1965 in Kraft getreten wäre, zu verlängern. Darüber entstand eine breite öffentliche Diskussion, und der Bundestag beschloß zunächst eine Verlängerung bis 1970, 1969 hob er die Verjährung für Völkermord ganz auf. Seit Beginn der 60er Jahre erreichte auf diese Weise die Erinnerung an die NS-Verbrechen auch die erwähnten Eliten der Republik und zwang sie zu Stellungnahmen über ihre damalige Rolle.
Um diese inneren Widersprüche zum Thema der politische Bildung in der Schule machen zu können, entstanden die konfliktorientierten didaktischen Konzepte (Engelhardt 1964; Giesecke 1965). Sie waren schulpädagogisch insofern neu, als sie die Exterritorialität des Jugendalters und der Schule erheblich relativierten, die rein propädeutische Funktion des politischen Unterrichts, wie sie noch der Deutsche Ausschuß vertreten hatte, aufgaben, und die Schularbeit und damit auch die Lehrer in die unmittelbare politische Aktualität stellten. In der Überlieferung der deutschen Bildungstradition dagegen hatte die Schule als politisch abstinent zu gelten, was wegen ihres Mißbrauchs während der NS-Zeit erneut gerechtfertigt schien; Jugendliche galten demnach nicht als Subjekte eigener politischer Interessen. Mit dieser Tradition brachen die konfliktorientierten didaktischen Konzepte.
Aber nicht die Schulen wurden für die nächste Zeit zum Zentrum didaktischer Innovationen, sondern Einrichtungen der außerschulischen Jugendbildung, die didaktisch-methodisch besonders experimentierfreudig waren. Es war die Stunde der Jugendhöfe (Vlotho, Steinkimmen, später Dörnberg) und einiger Evangelischer Akademien. Zugute kam diesen Einrichtungen, daß sie im Unterschied zur Schule wenig bürokratisiert, auch nicht an vorgegebene Lehrpläne gebunden waren und daß die Teilnahme an ihren Veranstaltungen auf Freiwilligkeit beruhte. Was heute als „offener Unterricht" und „Projektunterricht" in den Schulen pro-
20pagiert wird, entwickelte sich damals in diesen Einrichtungen in vielfältiger Form. Deren Veranstaltungen wurden von den Jugendlichen oft als eine geradezu befreiende Alternative zur Schule erlebt.
Mit den konfliktorientierten didaktischen Ansätzen provozierte die politische Bildung aber erneut innenpolitische Auseinandersetzungen; denn sie thematisierten die unterschiedlichen Interessen der Bevölkerung und deren ungleiche Realisierungschancen im politischen Leben. Daher lag es auch nahe, Jugendliche bzw. Schüler zu ermutigen, ihre eigenen Interessen in ganz anderer Weise als bisher zu erkennen und zu vertreten. Dies brachte wiederum konservative Positionen auf den Plan, die etwa mit dem Begriff des „Gemeinwohls" diese Tendenz in Grenzen zu halten versuchten und im übrigen auf die überlieferte lediglich propädeutische Aufgabe aller Bildung, auch der politischen, verwiesen; erst müsse man die politische Welt richtig verstanden haben, dann dürfe man sich in sie einmischen.
Obwohl also die politische Bildung stets in die innenpolitischen Konflikte über Sinn und Inhalt der westdeutschen Demokratie verwickelt blieb, behielt die didaktische Argumentation bei aller Widersprüchlichkeit zunächst noch einen inneren Zusammenhang, blieb einer gemeinsamen praktischen Problemlösung verpflichtet. Die Didaktiker lernten voneinander und versuchten, die unterschiedlichen Positionen in die eigene mit der Absicht zu integrieren, politisches Lernen didaktisch optimal im Sinne demokratischer Maximen zu strukturieren. Das änderte sich Ende der sechziger Jahre im Zuge der studentischen Protestbewegung.
Sie nahm ihren Ausgangspunkt von der Kritik an den überfüllten und strukturell erstarrten Hochschulen, schaukelte sich aber schnell in der Konfrontation mit der Staatsmacht zu einer Fundamentalopposition gegen die demokratischen Institutionen auf. „Systemkritik", „Antikapitalismus" und „Herrschaftskritik" waren die neuen Leitmotive. Nährboden für die Aktivitäten der Studentenbewegung waren neben der Empörung über die von der deutschen Politik unterstützte Kriegführung der USA in Vietnam eine Reihe innenpolitischer Krisen.
• Im Jahre 1966 bildete sich nach dem Sturz Ludwig Erhards eine große Koalition mit Kurt Georg Kiesinger als Bundes-
kanzler und Willy Brandt als Vizekanzler. Sie hatte eine erhebliche Schwäche der parlamentarischen Opposition im Bundestag zur Folge, weil diese nun auf die Abgeordneten der FDP beschränkt blieb. Nicht zuletzt deswegen fand sie viele Gegner in der jungen Generation sowie in den Reihen der SPD und der Gewerkschaften. Opposition entwickelte sich nun als „außerparlamentarische" (APO), die an die „Ostermarsch"-Bewegung der Atomwaffengegner anknüpfen konnte, die 1960 begonnen hatte und seither immer mehr Bürger zu mo-bilisieren vermochte. Zum Kern der außerparlamentarischen Opposition wurde Mitte der sechziger Jahre der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS), von dem die SPD sich 1960 getrennt hatte, weil er deren Godesberger Programm von 1959 nicht akzeptieren wollte. Zu einer ersten großen gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Studentenbewegung und Staatsgewalt kam es anläßlich des Staatsbesuchs des Schahs von Persien am 2. Juni 1967 in Berlin. Dabei wurde der Student Benno Ohnesorg von einem Polizeibeamten erschossen. Sein Tod löste Studentenunruhen in vielen Städten des Bun-desgebietes aus, die Konfrontation zwischen Studenten und Polizei versetzte Berlin über Monate in einen Ausnahmezu-stand. Dabei richteten sich die studentischen Aktionen zuneh-mend gegen den Springer-Konzern, weil er in seinen Zeitun-gen eine Hetzkampagne gegen Studenten und links orientierte Gruppen führe und sie als Staatsfeinde verteufele. Im April 1968 verübte der 23-jährige Josef Bachmann einen Mordan-schlag auf den Studentenführer Rudi Dutschke, was die Stu-denten ebenfalls der Berichterstattung der Springer-Presse an-lasteten. Das Attentat erregte die Öffentlichkeit so sehr, daß während der Osterfeiertage in zahlreichen Städten Hunderttau-sende von Menschen demonstrierten. In Berlin wurde ver-sucht, die Druckereien des Springer-Konzerns zu stürmen, was zu teilweise blutigen Auseinandersetzungen mit der Polizei führte.
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• Ein zentrales Ziel der Studentenbewegung war die Verhinde-rung der von der Großen Koalition geplanten Notstandsgeset-ze. Sie waren nötig, damit durch eine entsprechende Grundge-setzergänzung die alliierte Vorbehaltsklausel in Artikel 5 des Deutschlandvertrages von 1952 bzw. 1954 abgelöst werden konnte; sie schränkte die Souveränität der Bundesrepublik in-
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sofern nach wie vor ein, als die drei Mächte sich das Recht vorbehalten hatten, für die Sicherheit ihrer in der Bundesrepublik stationierten Streitkräfte selbst zu sorgen. Dieses Problem wollte die große Koalition lösen, nachdem frühere Versuche am Widerstand der SPD und der Gewerkschaften gescheitert waren. Nachdem die drei Westmächte sich bereit erklärt hatten, nach Inkrafttreten der Notstandsgesetze auf ihre bisherigen Vorbehaltsrechte zu verzichten, verabschiedete der Bundestag am 31. Mai 1968 die Notstandsverfassung nach teilweise erbitterten innenpolitischen Auseinandersetzungen. Studentenbewegung und Gewerkschafter hatten sich im Kampf dagegen verbündet, nun jedoch zerfiel die außerparlamentarische Opposition allmählich, weil die Gewerkschaften sich weigerten, mit Streiks gegen die Verabschiedung vorzugehen. Die Studentenbewegung spaltete sich daraufhin in eine Vielzahl politisch unterschiedlich radikaler kleiner Gruppen auf, die sich an den Hochschulen bekämpften; auf diesem Hinte-grund entstand auch die terroristische „Rote Armee Fraktion" (RAF), die in den 70er Jahren die Republik verändern sollte (Aust).
Die Auseinandersetzungen um die Notstandsgesetze offenbarten ein tiefes Mißtrauen breiter Schichten gegen die konservative Machtelite, der man demokratische Loyalität gerade in Krisenzeiten - wie etwa im Falle des Notstandes - nicht zutraute. Diese Stimmung wurde teilweise dadurch aufgefangen, daß sich nach den Bundestagswahlen vom 28. September 1969 die sozial-liberale Koalition von SDP und FDP mit Willy Brandt als Bundeskanzler bildete, auf die sich große Hoffnungen richteten. Sie verfügte jedoch nur über eine dünne Mehrheit, überstand gleichwohl im April 1972 ein konstruktives Mißtrauensvotum. Die daraufhin für den 19. November 1972 angesetzten Neuwahlen bestätigten jedoch die sozial-liberale Koalition unerwartet deutlich.
Der Regierungswechsel war sowohl Ausdruck einer bis dahin nicht gekannten innenpolitischen Polarisierung wie er diese weiter forcierte. Außenpolitisch ging es um die heftig umstrittene Ostpolitik und damit um die Anerkennung der Grenze zwischen der Bundesrepublik und der DDR einerseits und der Oder-Neiße-Grenze zu Polen andererseits. Innenpolitisch wur-
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de ein längst überfalliger Reformkurs eingeschlagen. Eingeleitet wurde eine Strafrechtsreform, nach der das Strafrecht nicht länger dazu dienen sollte, moralisch konformes Verhalten durchzusetzen, sondern dazu, sozial schädliches Verhalten zu verhindern bzw. zu ahnden; es sollte nur noch angewandt werden, wo die Freiheit des einzelnen und wo Leben, Gesundheit, Eigentum und die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen gegen Übergriffe geschützt werden mußten. Geändert wurde 1970 auch das Demonstrationsstrafrecht. Es schränkte die Strafverfolgung nun auf gewalttätige Formen des Protestes ein und verlagerte die Beweislast auf die Polizei, während vorher der Tatbestand des Landfriedensbruchs vorschrieb, daß seine Unschuld beweisen mußte, wer als Beteiligter oder auch nur als Zuschauer einer Demonstration verhaftet wurde. Modernisiert wurde auch das Ehe- und Familienrecht. Im Juni 1970 setzte der Bundestag das aktive Wahlrecht von 21 auf 18, das passive Wahlrecht von 25 auf 21 Jahre herab. Das Bildungswesen wurde nach dem Motto ,Bildung ist Bürgerrecht" (Ralf Dahrendorf) erheblich ausgebaut, vor allem in die Universitäten wurde investiert, neue wurden gegründet. Am 6. Mai 1974 trat Willy Brandt als Kanzler zurück, sein Nachfolger wurde Helmut Schmidt. In diesem Wechsel symbolisierte sich, daß die gewaltigen Reformvorhaben auch im Bildungsbereich nicht mehr zu finanzieren waren. Zudem trat die Ausbeutung der natürlichen Umwelt in den Blick, wofür die „Ölkrise" des Jahres 1973, als an mehreren Sonntagen die Autobahnen leer waren, jedermann eine erste Anschauung bot. Die „Grenzen des Wachstums" schienen gekommen, wie es der „Club of Rome" vorhersagte.
• Wegen der Agitation linksradikaler Gruppen an den Universitäten und des von ihnen angekündigten „Marsches durch die Institutionen" entstand nun die Furcht vor Verfassungsfeinden im öffentlichen Dienst. Am 28. Januar 1972 verabschiedeten die Regierungschefs der Länder gemeinsam mit Bundeskanzler Brandt den sogenannten „Radikalenerlaß". Demnach mußte ein Bewerber für den öffentlichen Dienst die Gewähr dafür bieten, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten. Über die Auslegung des Begriffs „verfassungsfeindliche Aktivitä-ten" bestand jedoch keine Einigkeit, die Entscheidung darüber
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lag bei der jeweiligen Einstellungsbehörde. Bis 1976 wurden etwa eine halbe Million Bewerber überprüft und 430 abgelehnt. Das Wort vom „Berufsverbot" ging um. Ein besonderes Problem zeigte sich bei solchen Bewerbern, die der „Deu-schen Kommunistischen Partei" (DKP) angehörten, der zwar verfassungsfeindliche Ziele unterstellt wurden, die aber gleichwohl nicht verboten war. Erst im Februar 1976 wurde dieser Erlaß formell wieder aufgehoben. Er war vor allem in der jungen Generation heftig umstritten, 50 Prozent der unter 30jährigen lehnten ihn ab. Er führte dazu, daß vor allem unter den Studenten Unsicherheit, Furcht und Staats Verdrossenheit um sich griffen.
Unter dem Eindruck dieser Auseinandersetzungen spaltete sich die politische Bildung ebenso, wie sich die Gesellschaft polarisierte. Keine didaktisch-methodische Konstruktion des politischen Unterrichts konnte bald mehr präsentiert werden, ohne daß sie sofort in einen komplizierten politisch-ideologischen Rechtfertigungszusammenhang geriet. Aufgabe didaktisch-methodischer Konstruktionen ist ja eigentlich, Lernen zu ermöglichen, und nicht, den Gegenstand selbst - also Politik - zu definieren; dafür sind andere Kompetenzen zuständig - die Akteure selbst, die Politikwissenschaftler oder die Philosophen. Höhepunkte dieser fast totalen Identifizierung von Politik und Politikdidaktik waren die erbitterten Auseinandersetzungen über neue Richtlinien für den politischen Unterricht in Hessen und Nordrhein-Westfalen Anfang der siebziger Jahre.
Eine neue politisch-ideologische Qualität erreichte die Auseinandersetzung durch jetzt zum Zuge kommende, an der „kritischen Theorie" bzw. neomarxistisch orientierte Autoren, die die politisch-didaktischen Konzepte nun ideologiekritisch sortierten. Was sich nicht „antikapitalistisch" verstand, wurde ausgegrenzt. Die so Etikettierten machten nun ihrerseits mobil, ihren Höhepunkt erreichte diese innenpolitische Polarisierung in den schon erwähnten Richtliniendiskussionen. Die Energie dieses Streites verbrauchte sich jedoch in wenigen Jahren, zurück blieb ein didaktisch-methodischer Trümmerhaufen; die didaktischen „Positionen" existierten nun nebeneinander, waren nicht mehr wie vorher an einen gemeinsamen Problemlösungszusammenhang gebunden, nämlich politisches Lernen zu ermöglichen. Es gab
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nur noch „Lager-Didaktiken", die von den jeweiligen Anhäng abgerufen wurden. Die radikalen „Antikapitalisten" hatten Fragen, die sie den Schülern und die diese selbst stellten, ohne für sich längst beantwortet, so daß die didaktische Problematik ein für allemal erledigt schien und es nur darauf ankam, Mehoden zu finden, mit denen das „richtige" Bewußtsein in die Köpfe der Kinder und Jugendlichen transportiert werden konnte.
Aus dem voraussehbaren Scheitern des didaktischen Objektivismus der radikalen Neomarxisten einerseits und der Entfremdung zwischen fachdidaktischer Theorie und Schulpraxis andererseits entwickelte sich dann schon Ende der siebziger und verstärk in den achtziger Jahren eine subjektive Wende; der Blick richl sich nun auf die Befindlichkeit des Kindes, Politik wurde verstanden als Rohmaterial für das Drama der jeweiligen Subjektivität. Damit war ein neuer Bezugspunkt gewonnen, dem auf Dauer die inhaltlichen, an der Sache orientierten Analysen zum Opfer fielen. Hatten die Neomarxisten die politischen Instituinen immerhin noch anerkannt - wenn auch mit dem Ziel, sie zuschaffen oder umzukrempeln -, so wurden sie nun intimisiiert nämlich auf unmittelbare menschliche Beziehungen reduziert. Hatten die Neomarxisten mit dem Klassenbegriff das gesellschaftlich Böse immerhin dingfest zu machen versucht, so schwand es nun ins ungreifbar Allgemeine. „Irgendwie" lieg immer auch an der Gesellschaft, wenn Kinder und Jugendliche Probleme hätten und machten. Im Verlaufe dieser Entwicklung ist der politischen Bildung das Politische als etwas Objektives, in das durch Lernen einzudringen sei, weitgehend abhanden kommen. Walter Gagel spricht in diesem Zusammenhang vom „Syndrom des Subjektiven" (Gagel 1994, 290). Die Kultiviertheit des Ich frage nur danach, was die fragliche politische Sachemit einem selbst zu tun habe; die menschlichen Beziehungen, auch zwischen Lehrern und Schülern, würden wichtiger als Inhalte; die menschliche Nähe werde zum Kult und Selbstzwei die objektiven, nämlich außersubjektiven Strukturen von Gese schaft und Politik verflüchtigten sich und alles Kognitive wei entwertet oder zumindest als nachrangig angesehen. In die Form ist die politische Bildung durch fast beliebige andere eher substituierbar geworden.
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Die der politischen Bildung mit ihrer Geburtsstunde aufgeladene Hypothek, nicht nur pädagogisch, sondern auch politisch etwas bewirken zu müssen, hatte zur Folge, daß die Didaktik der Politik sich nie recht professionalisieren konnte. Ansätze dazu wurden er immer wieder in den politischen Konflikten zerrieben. Allerdings die in den erwähnten Konflikten in den sechziger und siebzieger Jahren zum Ausdruck kommende Parteilichkeit der politischen Bildung zunächst einmal objektiv unvermeidbar. Jede Aufklärung, die in einen unaufgeklärten Zustand hinein wirkt, ist per se parteilich. So war es auch damals, als die politische Bildung mit Hilfe der modernen Sozialwissenschaften über die tätlichen gesellschaftlichen Verhältnisse und damit auch über Ungerechtigkeiten, Benachteiligungen, ideologische „Verschleierunen" von Machtverhältnissen u.a.m. aufklärte. Der Fehler war, darüber hinaus unter der Fahne der politischen Bildung auch politische Mobilisierung zu betreiben. Erschwert wurde diese notwendige Unterscheidung durch politische Bewegungen in der Jugend allgemein, von Studenten, Lehrlingen und vor allem Frauen), die politische Bildung verständlicherweise für die Durchsetzung ihrer Interessen und deshalb entsprechend parteilich in Anspruch nahmen. Als die neue Frauenbewegung etwa mit der These ins Feld zog, das Private sei auch das Politische und umgekehrt, hatte sie zunächst im Sinn, die (Selbst)- Ausbeutung von Frauen im privaten Bereich der Familie (Haushalt, Kinder) anzuprangern. Daraus entstand aber bald die Tendenz, das Politische nach privaten Erfahrungen zu deuten und es somit auch als Instrument für die Durchsetzung der Fraueninteressen zu verkennen. Eine ähnliche Entwicklung zeichnete sich in der Studentenbewegung im Zuge der sogenannten „sexuellen Revolution" ab, die als politische Umwälzung mißdeutet wurde diesen Konfliktlagen drohte der Unterschied zwischen Aktion und Lernen, zwischen politischem und pädagogischem Handeln ( Giesecke 1970) leicht aus dem Blick zu geraten. Zweifellos haben die innenpolitischen Verwicklungen, in die die politische ldung teils unvermeidlich, teils aber auch aus eigenem Versagen geraten ist, ihrem Ansehen in der Öffentlichkeit erheblich geschadet, insofern sie als ein Schulfach angesehen wurde und immer noch wird, das auf politische Beeinflussung hin angelegt sei und dem man deshalb nicht über den Weg trauen dürfe. Diesen Eindruck kann die Fachdidaktik Politik nur dadurch korrigie-
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ren, daß sie sich von den politischen Ausgangsbedingungen ihrer Entstehung emanzipiert, in diesem Sinne also in Distanz zu innenpolitischen Parteinahmen tritt und sich auf ihre ureigene pädagogische Aufgabe besinnt: Sie macht nicht Politik, ist auch für die politischen Verhältnisse nicht verantwortlich, sie versucht lediglich, sie für Lernende zu strukturieren und zu ordnen.
2. Die vorgängige Moralisierung
Die skizzierte innenpolitische Polarisierung vermischte sich mit einer moralischen. Wegen der NS-Verbrechen war eine bloß sachliche Fundierung der politischen Bildung in der Bundesrepublik von Anfang an nicht möglich; dafür war die moralische Hypothek zu groß. Mit dieser Belastung sind die verschiedenen Pädagogengenerationen unterschiedlich umgegangen. Diejenigen Lehrer, die wie beschädigt auch immer die NS-Zeit überstanden hatten und nun nach einem geistigen Neuanfang suchten, flüchteten sich meist in eine bildungsbürgerliche Innerlichkeit und versuchten, das moralische Desaster durch mehr oder weniger allgemeine normative Reflexionen darüber zu überwinden, wie man generell den Menschen vorm Bösen bewahren und zum Guten führen könne.
Aber schon in den fünfziger Jahren wurde der moralische Impetus, der von den NS-Verbrechen ausging, auf dem Vehikel des „Kalten Krieges" unter dem Stichwort des „Totalitarismus" gegen den östlichen Kommunismus gewendet, der mit eben diesem Begriff dem Nationalsozialismus moralisch-politisch gleichgestellt wurde. Die moralisierende Energie, die dieser Definition nun anhaftete, machte in der politischen Bildung zeitweilig eine sachliche Beschäftigung mit den damit gemeinten aktuellen wie auch historischen Phänomen - etwa Geschichte der Arbeiterbewegung - ausgesprochen schwer. Sie wurde leicht der Verbreitung kommunistischer Lehren geziehen. Pikanterweise erfolgte diese moralische Umdefinition weitgehend durch solche Personen in Politik und Verwaltung, die zum großen Teil selbst Grund genug hatten, ihre NS-Vergangenheit unter die Lupe zu nehmen, was ihnen weitgehend erspart blieb durch die Blickwendung nach Osten. Diese Projektion führte nun zu der Erwartung und vielfach auch zu der Praxis, in der politischen Bildung nicht die Realität
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der westdeutschen politischen Verhältnisse in den Blick zu nehmen, sondern unter den Stichworten von „Freiheit" und „Demokratie" auf einer abstrakten moralischen Ebene gegenüber den andersartigen Verhältnissen vor allem in der DDR ein Idealbild der Bundesrepublik zu propagieren.
Moralisierung des Politischen kann bekanntlich zwei entgegengesetzte Folgen haben: Entweder wird die Norm bereits für die Realität gehalten, oder die Realität wird an den Ansprüchen der Norm gemessen und dann verurteilt. Diese Kehrtwende vollzog die studentische Protestbewegung; sie nahm die hehre demokratische Selbsteinschätzung der jungen deutschen Demokratie ernst und fand dann in der Realität ein Menge, was damit nicht zusammenpaßte. Sie machte auf diesem Hintergrund Front gegen die Verdrängung der NS-Vergangenheit, die jetzt erst mehr und mehr zum Thema des politischen Unterrichts wurde.
Eigentlich wäre es Aufgabe des Geschichtsunterrichts gewesen, sich gleich nach dem Ende der NS-Herrschaft mit der NS-Vergangenheit zu beschäftigen, die ja Anlaß der Umerziehungsbemühungen gewesen war. Aber in den Nationalsozialismus waren nicht nur die damaligen Lehrer verwickelt, sondern auch die Repräsentanten des öffentlichen Lebens. Jede detailliertere Aufklärung über die Verbrechen hätte deren eigene frühere Rolle zur Sprache bringen müssen und im übrigen die Schüler mit ihren Eltern in Konflikte gebracht; die Aufklärer hätten sich gleichsam selbst zur Anklage bringen müssen. Zudem galt in der deutschen Bildungstradition der Grundsatz, daß eine geschichtliche Phase erst dann in der Schule behandelt werden könne, wenn die Wissenschaften sie hinreichend erforscht hätten; deswegen hatten auch zeitgenössische Kunst und Literatur eigentlich keinen Platz im Bildungskanon. „Zeitgeschichte" als selbständiges Gebiet der Forschung begann sich erst allmählich herauszubilden. So war die Hinwendung der Kultusminister zu einer auf Gegenwart und Zukunft bezogenen politischen Bildung, die sie 1951 gemeinsam beschlossen hatten, auch ein Ersatz für die psychologisch noch nicht mögliche bzw. noch nicht erwünschte Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Nun, Ende der sechziger Jahre, gab es nicht nur bereits eine nennenswerte zeitgeschichtliche Forschung, vielmehr war die Öffentlichkeit auch durch die erwähnten KZ-Prozesse in einem vorher nicht bekannten Ausmaß auf
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die NS-Verbrechen hingewiesen worden. Die Empörung der „Achtundsechziger" über das Schweigen ihrer Eltern und Großeltern war mehr als verständlich, aber die nun einsetzende generelle moralische Diffamierung verdrängte damit zugleich auch die gerade in den Anfängen steckenden aufklärerisch-rationalen Elemente der politischen Bildung. Sie gab der Moralisierung des Politischen neue, nun offensive Impulse. Ausgangspunkt war unter anderem die Abrechnung mit der Elterngeneration, deren aktive oder passive Verstrickung in die Kriminalität des Nationalsozialismus nicht nur als historische Tatsache „entlarvt" werden sollte - wie ein damaliges Modewort hieß; vielmehr wurde auch deren gesamte persönliche Lebensführung unter grundsätzlichen Verdacht gestellt: Ihre strikte Trennung von privater Sphäre und Öffentlichkeit habe vorher dazu gedient, die Augen vor den NS-Verbrechen zu schließen, also verschleiere sie auch jetzt die politischen Übel; ihr Leistungswille zum Wiederaufbau und die dafür benötigten verinnerlichten sogenannten „Sekundärtugenden" wie Fleiß und Disziplin hätten vorher zu Auschwitz geführt, also seien sie für immer von Grund auf moralisch diskreditiert. Die schon erwähnte politische Polarisierung verband sich nun mit einer moralisierenden, mit der die politische Gegenwart gleichsam zweigeteilt wurde. Sie stützte sich insbesondere auf eine Ideologiekritik, die private Meinungen und öffentliche Stellungnahmen einem sogenannten „objektiven" Interesse - der „Kapitalisten" bzw. der „Arbeiterklasse" - zuordnen ließ -, ob die Betreffenden das nun so gemeint hatten oder nicht. Obwohl die Ideologiekritik als wissenschaftliche Methode an und für sich nicht dazu führen muß, verband sie sich hier mit dem Wunsch, den innenpolitischen (wie auch globalen) Gegner mit diesem Instrument zu fixieren und zu diskreditieren. So ließen sich die Mitbürger von vornherein in gute und böse einteilen bzw. sie konnten bis zu einem gewissen Grade diese Einteilung wählen - je nachdem, ob sie sich zu den „fortschrittlichen" ideologiekritischen Schlüsselworten bekannten oder nicht.
Damit war der westdeutsche „Antifaschismus" geboren, der zu einem identitätsstiftenden Merkmal für einen wichtigen Teil der rebellierenden Generation wurde und die öffentliche Meinung und vor allem die pädagogische Diskussion nicht unwesentlich bis heute bestimmt. Mit ihm verband sich ein ebenfalls bis heute zumindest in der damals geprägten Pädagogengeneration anzu-
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treffendes tiefes Mißtrauen gegen die demokratische Qualität des „politischen Systems" im eigenen Land, das es wiederum schwer machte, etwa das unbedingte Festhalten an rechtsstaatlichen Regelungen gegenüber jedermann - auch den „eigenen Leuten"! - als eine wichtige Lektion gerade aus der NS-Zeit zu begreifen. Das moralische Potential, das aus der Schuld der NS-Verbrechen gewachsen war, wurde also im Laufe der Entwicklung der Bundesrepublik politisch instrumentalisiert: einerseits gegen den Kommunismus, andererseits gegen die eigene Staats- und Gesellschaftsverfassung und deren Repräsentanten.
Von primär moralisierender Qualität war auch der von Anfang an zur Staatsdoktrin erhobene „Antifaschismus" in der DDR, der die Schuldigen und Mitschuldigen an den Naziverbrechen ideologisch definierte: Es waren die früheren politischen Feinde, die sich im kapitalistischen Westdeutschland wieder an die Macht gebracht hätten. Die damit verbundene Ausgrenzung der Schuldigen aus dem eigenen politischen System hatte zur Folge, daß in der DDR weder eine moralische noch eine angemessene politische Aufarbeitung der NS-Vergangenheit stattfinden konnte.
Nach dem Beitritt der DDR setzte eine neue Welle des Moralisierens in Gestalt einer flächendeckenden Stasiverdächtigung der ostdeutschen Bevölkerung ein, die teilweise groteske personelle Säuberungen zur Folge hatte. Noch heute fällt es westdeutschen Politikern schwer, sich politisch mit der SED-Nachfolgepartei PDS auseinanderzusetzen, die es ja immerhin geschafft hat, auf friedlichem Wege einen bedeutenden Teil der ehemaligen SED-Mitglieder bzw. -Anhänger in das parlamentarische System zu integrieren. Diejenigen Politiker, die um populistischer Wirkungen Willen der ehemaligen Führungsschicht der DDR mit Hochmut begegnen, können sich offensichtlich kaum vorstellen, daß sie selbst dazu gehören könnten, wenn sie dort hätten aufwachsen, erwachsen werden, ihren Lebensunterhalt verdienen, ihre Familie gründen müssen. Hätten sie, zu deren Motiven, Politiker zu werden, nicht zuletzt die Eitelkeit gehört, wirklich auf jede Karriere verzichtet? Das wäre fast die einzige Möglichkeit gewesen, eine gewisse Distanz zu den Verführungen dieses politischen Systems zu wahren. Wer nichts werden wollte und auch sonst nicht auffällig wurde, konnte auch in der DDR einigermaßen unbehelligt leben.
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Etwa seit der Vereinigung hat die Moralisierung der Politik, die bis dahin im wesentlichen die Spezialität jenes „Antifaschismus", also nur eines Teils der allerdings im pädagogischen Sektor besonders verbreiteten öffentlichen Meinung war, die politische Kultur im ganzen erfaßt. Möglicherweise hängt dies zusammen mit der Verunsicherung, die durch diesen politischen Umbruch für die Deutschen in Ost und West entstanden ist; möglicherweise spielt auch die Expansion der kommerziellen Medien eine Rolle. Die offensive Moralisierung des politischen Denkens und Handelns jedenfalls, die von der Protestbewegung in unsere politische Kultur eingebracht wurde, hat sich inzwischen verallgemeinert. In diesem Prozeß haben die Medien das Moralische als Unterhaltungsware entdeckt und dabei die ursprüngliche Polarisierung der Achtundsechziger weitgehend aufgehoben und in gesinnungslose Beliebigkeit verwandelt. Persönliche Schwächen von Politikern genüßlich aufzudecken hat einen gewissen Unterhaltungswert und ist allemal ergiebiger für die Auflage bzw. Einschaltquote, als über deren politische Absichten und Handlungen kritisch zu berichten. Die Veröffentlichungen im Rahmen der sogenannten „Lewinsky-Affäre" in den USA sind der vorläufige Höhepunkt diese Entwicklung. Politiker und Medien präsentieren sich so - einander ergänzend - dem Publikum der Stimmbürger. Ein Wettbewerb um moralische Bekenntnisse ist entbrannt, politische Analysen treten in den Hintergrund; angesichts brennender Asylbewerberheime werden Politiker vor laufender Kamera allen Ernstes gefragt, welche Gefühle sie bei diesem Anblick hätten.
Der moralisierende Tenor hat nicht nur die öffentliche politische Diskussion in Westdeutschland nachhaltig bestimmt, sondern auch die politische Bildung. Er hat dieser eine „erzieherische" Attitüde angeheftet, die der Aufklärung, die Bildung eigentlich erstreben soll, von Anfang an immer wieder im Wege stand. Die Schüler sollen demnach z.B. nicht nur etwas erkennen und Einsichten gewinnen, sondern darüber hinaus auch ein erwünschtes Verhalten daraus erwerben, etwa bestimmte politische Gruppen oder Ziele für moralisch verwerflich halten und andere für gut befinden. Sie sollen nicht nur begreifen, warum die Nazis an die Macht gekommen sind, sondern diese Erkenntnis auch mit dem gebührenden Widerwillen gewinnen, so daß sie zeitlebens einen großen Bogen um Neonazis machen oder wen sie dafür halten (sollen). Einer Aufklärung ohne erzieherische Direktion wird
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immer noch zutiefst mißtraut, weil ihr keine eigenständige pädagogische Wirkung zugestanden wird, so daß nicht wenige Schüler die politische Bildung in den Schulen als ein „Laberfach" erleben.
3. Von der Praxisorientierung zur akademischen Professionalisierung
Zu den beschriebenen Altlasten der Politisierung und Moralisierung gesellt sich ein hausgemachtes Problem: die akademische Professionalisierung der Didaktik. Die ersten didaktisch-methodischen Entwürfe Anfang der sechziger Jahre wurden von Praktikern aus der Schule, Jugendarbeit und Erwachsenenbildung vorgelegt, also von solchen Pädagogen, die selbst politischen Unterricht erteilten und die Probleme, auf die sie dabei stießen, der fachlichen Öffentlichkeit präsentieren wollten. Innerhalb weniger Jahre - zwischen 1960 und 1965 - entfaltete sich eine wissenschaftlich fundierte Didaktik der Politischen Bildung (Vgl. Gagel 1994). Die Autoren waren allesamt in der Praxis der Politischen Bildung tätig - als Lehrer, Mitglieder von Lehrplankommissionen oder als Dozenten in der außerschulischen Jugendbildung.
Die zentrale didaktische Frage war - wie bei anderen Schulfächern auch -, was aus der Fülle des Möglichen in der Schule warum unterrichtet werden, worin also der didaktische Kern dieses Unterricht bestehen sollte. Antworten darauf waren deshalb besonders schwierig - und sollten deswegen auch von Anfang an umstritten bleiben -, weil damit notwendigerweise auch Aussagen über das Politische als Gegenstand bzw. darüber verbunden waren, was unter pädagogischen Gesichtspunkten an der Politik so bedeutsam sei, daß es unbedingt in die Schule gehöre. Darüber kamen die Autoren zu unterschiedlichen Ergebnissen:
• Wolfgang Hilligen (1955) hatte den Sozialkundeunterricht in Hessen untersucht, dabei bereits didaktische Grundsätze skizziert und damit zur Formulierung der Hessischen Richtlinien von 1957 beigetragen; seit diesem Jahr gibt es von ihm eines der bekanntesten Schulbücher („Sehen-Beurteilen-Handeln") für den politischen Unterricht. Seine didaktische Konzeption entstand nicht aus einer vorgängigen wissenschaftlich-
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systematischen Überlegung, sondern umgekehrt aus den Schwierigkeiten der Unterrichtspraxis selbst, für deren Lösung er nach einer verallgemeinerungsfähigen, d.h. auch für andere Lehrer in gleicher Lage nützlichen Theorie suchte. Weil er diese im Laufe der Zeit immer wieder modifizierte und präzisierte, ist sein Wirken bis in die 80er Jahre hinein eine wichtige Quelle für das Studium der Schwierigkeiten, die angesichts ständiger politischer und wissenschaftlicher Veränderungen mit einem solchen Vorhaben überhaupt verbunden sind. Er konzentrierte die notwendige didaktische Reduktion auf „Herausforderungen", die die moderne Welt den Menschen stellt und die sie positiv oder negativ zu beantworten die Freiheit haben, wenn es ihnen gelingt, diese zu erkennen, angemessen zu beurteilen und entsprechend zu handeln (deswegen der Dreischritt: „Sehen-Beurteilen-Handeln"). Zunächst ist von drei Herausforderungen die Rede, die später modifiziert wurden: Die weltweite Abhängigkeit aller von allen, die technische Massenproduktion von Gütern für alle und die technischen Macht- und Vernichtungsmittel, die nicht mehr erlauben, Gegensätze bis zu letzten Konsequenz auszutragen. Daran lassen sich Themen knüpfen, die von existentieller Bedeutung für die Menschheit und deshalb auch für die Schüler sind. Die Herausforderungen markieren weltweit Gefahren, aber auch Chancen, und sie führen im westlich-demokratischen System zu anderen Antworten als in den kommunistischen Systemen. Diese besonderen demokratischen Antworten, die für Hilligen in der Balance von „Gehorsam und Widerstand, Gleichheit und Auslese, Ausgleich und Kampf" liegen, didaktisch zu verdichten und sie für Schüler einsichtig zu machen, haben ihn in der Folgezeit immer wieder beschäftigt. Ausgangspunkt ist bei ihm aber noch - ganz im Sinne der Bildungstradition - eine als Krise verstandene Zeitdiagnose, die weit über den im engeren Sinne politischen Bereich hinausreicht.
• Kurt Gerhard Fischer war in den 50er Jahren Mitglied einer hessischen Lehrplankommission für die Berufsschulen und an der Formulierung von Richtlinien beteiligt, in denen ein Katalog von grundlegenden Einsichten zum didaktischen Kern des politischen Unterrichts erhoben wurde. Dieses Konzept entfaltete er - gemeinsam mit anderen Autoren - 1960 in einem
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Buch (Fischer u. a. 1960). Im Mittelpunkt dieses didaktischen Entwurfes standen neun Einsichten, die gleichsam als Resultat der zu behandelnden - und in diesem Sinne austauschbaren - Stoffe anzusehen seien. Im Unterschied zu Hilligens eher allgemein-kulturkritischem Konzept bezogen sich die Einsichten hier jedoch auf den demokratischen Staat, präsentierten allerdings in dieser Verkürzung auch ein Demokratieverständnis, das die Kritik nicht zu Unrecht als einseitig, nämlich als bloß formal etwa im Sinne von Theodor Litt (1954) bezeichnen konnte. Einige Einsichten richteten sich offensichtlich gegen damals verbreitete Einstellungen wie Ignoranz gegenüber den politischen Parteien, die „Ohne-Mich-Haltung" und die immer noch verbreitete Skepsis gegenüber der demokratischen Staatsform (Einsicht 9: „Die Alternative zur schlecht funktionierenden Demokratie heißt nicht Diktatur, sondern besser funktionierende Demokratie").
• Ich selbst hatte damals praktische Erfahrungen mit dem Thema nicht in der Schule, sondern in der außerschulischen Jugendbildung gesammelt, darüber eine (nicht gedruckte) Dissertation verfaßt und daraus zwei Arbeiten veröffentlicht (Giesecke 1965; 1966), von denen die „Didaktik der politischen Bildung" wohl auch deshalb Aufmerksamkeit erregte, weil sie - dem Charakter einer Dissertation entsprechend - die didaktische Problematik in einem vergleichsweise umfassenden und systematischen Zusammenhang erörterte. Im Unterschied zu Hilligen und Fischer stand ich den bildungsbürgerlichen Traditionen und den damit verbundenen politischen Grundeinstellungen eher fern und stützte mich auf die Sozialwissenschaften. Didaktisches Zentrum war hier der politische Konflikt, weil er einerseits das Politische in der Öffentlichkeit erst interessant mache, andererseits bei den Bürgern mobilisiere, was sie ohnehin schon wissen und denken - eine Kombination, die als für den Unterricht besonders fruchtbar gelten könne. Den Kern der Vermittlung zwischen subjektiver Voreinstellung und objektiver Sachlage sollten „Kategorien" bilden, die wissenschaftlich relevant sind, den Normen des Grundgesetzes entsprechen, an bereits vorhandene Fragehaltungen der Schüler anknüpfen und in politische Grundeinsichten transponiert werden können. An dieses Konzept knüpfe ich im folgenden wieder an.
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Alle drei didaktischen Konzepte waren bezogen auf die demt kratische Verfassung der Bundesrepublik - nicht auf deren slcl quo, wie ihnen schon wenige Jahre später von antikapitalistilecWe neomarxistischen Autoren vorgeworfen werden sollte. Indem^ti vielmehr politische Kontroversen und Konflikte zum Thema Unterrichts machten und das politische Handeln sowohl Schüler selbst wie der politischen Repräsentanten in den Blli nahmen, ließen sie die Möglichkeit politischer Veränderungen t Resultat des Unterrichts durchaus offen. Allerdings lag ihn fern, das Handeln der Schüler in eine bestimmte Richtung 1 drängen, vielmehr sollten sie befähigt werden, die tatsächli( vorhandenen Mitwirkungschancen auch wahrzunehmen. Diese frühen didaktischen Konzepte orientierten sich an sachbezogenen Bezugswissenschaften Soziologie und Politik senschaft, die sich inzwischen etabliert hatten, und leiteten d eine realistische Wende ein. Vorher hatte im wesentlichen eiA humanistisch-bildungsbürgerliches Verständnis des Politischerl das Feld beherrscht, dem es in der Erziehung vor allem um diel Schärfung des sittlichen Bewußtseins ging. Ein hinreichendes! Verständnis für die konkreten sozialen und politischen Strukturen fehlte weitgehend, weil es im traditionellen deutschen Bildungs-denken ohnehin keinen Platz hatte. Nun wurde es jedoch mög-lich, auf der Basis der sozialen Wissenschaften den Blick auf die soziopolitischen Realitäten zu richten. Damit verband sich zwangsläufig eine kritische Distanz zum Bildungsverständnis der bisherigen politischen Bildung, wie sich überhaupt die Erzie-hungswissenschaft hinsichtlich ihres Weltverständnisses einer grundsätzlichen Kritik durch diese Wissenschaften ausgesetzt sah. Wie schwierig die Ablösung vom traditionellen Bildungs-denken war, zeigt etwa der Versuch von Jürgen Henningsen (1966), seinen Schülern beizubringen, was politische „Tendenz" ist, indem er sie aufforderte, ihr Dorf einmal möglichst werbe-wirksam, zum anderen möglichst abschreckend darzustellen; er mußte sich dafür ausführlich mit dem Vorwurf auseinanderset-zen, seinen Schülern auf diese Weise das Lügen zu erlauben. Die erwähnten innenpolitischen Polarisierungen Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre brachten die Politikdidaktik in eine schwere Krise. Dazu trug auch bei, daß die CDU/CSU, nachdem sie seit 1969 in der Opposition war, um die Rückkehr an die
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Macht kämpfte und dabei Bildung und Erziehung als erfolgversprechendes Thema der parteipolitischen Auseinandersetzung entdeckte, die unter anderem zu regelrechten Kampagnen gegen »Politikschulbücher" (auch gegen das von Wolfgang Hilligen) führte und im Streit um die neuen Richtlinien in Hessen und Nordrhein -Westfalen ihren Höhepunkt erreichte. Die Folgen der schon erwähnten didaktischen Polarisierung lassen sich unter drei ;sichtspunkten zusammenfassen:
Die Anfang der 60er Jahre entwickelten didaktischen Konzepte mußten nun zu den von der Studentenbewegung ins Spiel gebrachten Ideen der „Systemkritik", „Herrschaftskritik" und "Selbstverwirklichung" Stellung beziehen. Da die Autoren im Hochschulbereich bzw. in der Lehrerbildung tätig waren, ging schon von ihrem Arbeitsfeld her ein erheblicher sozialer Druck in dieser Richtung aus. Inwiefern drückte sich in den neuen Forderungen und Thesen ein Fortschritt an Demokratisierung aus, inefern umgekehrt deren Gefährdung?
Wolfgang Hilligen versuchte mit dem Begriff der „Optionen", also mit normativ begründeten konsensfähigen Vorentscheidungen, Ordnung in die Debatte zu bringen: Unantastbarkeit der Menschenwürde wahren, die Voraussetzungen für die Emanzipation und Chancengleichheit aller herstellen, Spielraum für Alternativen herstellen und erhalten. Er interpretierte also Demokratie nun inhaltlich, als Aufgabe der Verwirklichung der im Verfassungsauftrag enthaltenen Ziele - insbesondere im Hinblick auf die Beseitigung von gesellschaftlichen Ungleichheiten. Konflikte sollten nicht nur nach Spielregeln gelöst, vielmehr sollten möglichst auch deren Ursachen beseitigt werden (Hilligen 1975, Bd. I). Kurt Gerhard Fischer modifizierte in der Neufassung seines Konzeptes von 1970 den Katalog der „Einsichten"; nun griff er die Forderung nach Beseitigung „überflüssiger Herrschaft" auf und trat für den „Abbau von Fremdbestimmung und Herrschaft in ihrer Wechselseitigkeit zugunsten von Selbstbestimmung" ein. „Demokratie ziele auf die Überflüssigkeit der gesellschaftlichen Institution 'Staat' ab" (Fischer 1970, S. 124). • Ich selbst sah in der 3. Aufl. meiner Didaktik die damalige Krise im Rahmen des langfristigen historischen Prozesses der
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„Fundamentaldemokratisierung" und der Emanzipationsbewegungen, in dem es um den „Abbau überflüssiger Herrschaft von Menschen über Menschen" und um „die Kontrolle der notwendigen Herrschaft" gehe (Giesecke 1965, 3. Aufl. 1968, 212).
Allen drei Revisionen war also gemeinsam, daß sie nun die Verfassung der Bundesrepublik als einen Auftrag an die politische Bildung verstanden, Staat und Gesellschaft weiter zu demokratisieren im Sinne eines Abbaus von Ungleichheiten und der Durchsetzung von Mitbestimmungsmöglichkeiten. Ob dies nun tatsächlich aus der Verfassung abgeleitet werden kann oder nur eine von mehreren möglichen Interpretationen, also eine lediglich partikulare Position im Rahmen des Pluralismus ist, blieb umstritten. Für den politischen Schulunterricht war und ist dieser Unterschied wichtig; denn im ersten Falle könnte er diese Ansicht als Verfassungsgebot auch gegen davon abweichende Meinungen geltend machen, im anderen Falle lediglich als eine mit anderen Positionen gleich zu behandelnde Variante im pluralistischen Meinungsstreit. Darin zeigt sich, wie schwierig es geworden war zu verhindern, daß politische und didaktische Ziele ineinander übergingen, jedenfalls nicht sorgfältig unterschieden wurden. Gesellschaftliche Veränderungen können und müssen zweifellos zum Thema politischer Bildung werden, wenn sie mit gebührender öffentlicher Resonanz vertreten werden; werden sie aber auch zu deren Ziel, dann wird politische Bildung selbst zum Teil des innenpolitischen Kampfes mit anderen Mitteln. Die Didaktik der Politik kann von sich aus weder die Substanz des Gegenstandes Politik definieren, noch politische Prognosen verkünden, etwa über die künftige Abschaffung des Staates. Nicht nur die offen neomarxistischen didaktischen Konzepte, sondern auch die der „ersten Generation" gingen also von vorgängigen und immer auch bestreitbaren Grundsatzdeutungen des Politischen aus.
Im Versuch, die ursprünglichen didaktischen Konzepte durch die Auseinandersetzung mit den Ideen der Protestbewegung zu präzisieren, zeigte sich eine weitere Gemeinsamkeit: Die Autoren glaubten an den Fortschritt der wissenschaftlichen Forschung und Argumentation, also daran, zu einem bestimmten Zeitpunkt nach bestem Wissen formulierte Konzepte durch die Auseinanderset-
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zung mit neuen politischen Entwicklungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen Zug um Zug verbessern zu können. Darin lag für sie die Faszination, die nicht nur von den jungen Sozialwissenschaften, sondern insbesondere auch von der „kritischen Theorie" ausging; denn diese hatte in einem ernst zu nehmenden theoretischen Zusammenhang den ursprünglichen - nicht durch Leninismus und Stalinismus veränderten - Marxismus einerseits und die Psychoanalyse andererseits für die Erklärung der gegenwärtigen Gesellschaft fruchtbar zu machen versucht, während zuvor beide wissenschaftlichen Zugänge in Westdeutschland kaum bekannt waren bzw. ignoriert wurden.
2. Eben daran schlossen sich nun neue didaktische Konzepte an, die vom marxistisch definierten antagonistischen Klassenwiderspruch ausgingen, eine Chance zunehmender Demokratie nur in dessen Beseitigung - also im darauf bezogenen politischen Kampf - sahen, der sich auf entschiedene Parteinahme für die Unterdrückten bzw. Unterprivilegierten und damit gegen die staatlichen und gesellschaftlichen Machtstrukturen konzentrieren müsse. Die theoretischen Grundpositionen ihrer Vertreter waren keineswegs einheitlich, sondern bewegten sich in jenem Spielraum, der in der „linken" Szene überhaupt zu finden war. Auch in der zum Ausgangspunkt genommen „Kritischen Theorie" fanden sich unterschiedliche Deutungen. Ihre klassischen Vertreter wie Adorno und Horkheimer stifteten gerade wegen ihrer gesellschaftlichen Fundamentalkritik keineswegs zum unmittelbaren Handeln an, weil sie dafür gar keine Strategie parat hatten. Daß diese Gesellschaftstheorie, die wegen ihrer komplizierten Gedankenführung und Diktion nur wenigen Eingeweihten überhaupt verständlich war, in diesen Jahren eine große Bedeutung gewann, lag daran, daß sie einen sozialen Träger in der studentischen Protestbewegung fand. Diese orientierte sich allerdings vor allem an Veröffentlichungen von Herbert Marcuse (1865; 1967), der seine Gesellschaftsanalyse durchaus mit einer Handlungsorientierung verband, indem er nämlich den Befreiungsbewegungen der Dritten Welt und den Intellektuellen in den westlichen Ländern die Möglichkeit einer allgemeinen gesellschaftlichen Emanzipation einräumte - zumal wenn beide sich zu einem Bündnis verstünden. Das war dem Aktionsbedürfnis der Protestbewegung geradezu auf den Leib geschneidert.
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Der bedeutendste und wirksamste Autor der „linken" didaktischen Szene war Rolf Schmiederer (1971; 1972). Das Zentrum seiner didaktischen Konzeption ist radikale Kritik der Herrschaft, wo immer der Schüler ihr begegnet - in der Familie oder der Schule, im Betrieb oder im Umgang mit staatlichen Institutionen. Der Schüler soll deren bewußte und unbewußte Mechanismen durchschauen und entsprechend gegen die so aufgedeckten Beschränkungen handeln. Die Lehrer fungieren dabei gegenüber den Schülern als Avantgarde des gesellschaftlichen Fortschritts und weisen ihnen den Weg dorthin. Institutionen des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens kommen hier nur noch als zu kritisierende Herrschaftsstrukturen in Betracht. Die Aufhebung überflüssiger Herrschaft sei ökonomisch durch den technischen Fortschritt zur „Überflußgesellschaft" hin möglich, sie werde lediglich noch durch tradierte kapitalistische Strukturen verhindert - das hatte Marcuse auch gesagt und sollte sich - global gesehen - schon bald als irrig erweisen.
Wenige Jahre später vollzog Schmiederer (1977) eine scheinbar radikale Kehrtwende „im Interesse der Schüler". Nun richtete sich seine Kritik gegen das „entfremdete Lernen", das in Lehrplan- und Lehrerzentrierung des Unterrichts gesehen wird; statt dessen sollen die Interessen des Schülers, seine Sozialerfahrung und seine Lebensrealität im Mittelpunkt stehen, er soll die Gegenstände des Unterrichts mitbestimmen können. Ungeklärt blieb dabei allerdings, was „Interessen" von Schülern eigentlich sind, ob sie auch künftige Bedürfnisse und Anforderungen einschließen können, und schließlich, wie sie sich vernünftigerweise in Lehrpläne fassen lassen. Jedenfalls war damit die Idee der „Schülerorientierung" geboren - eine Wende ins Subjektive, nachdem Veränderungen der gesellschaftlichen Strukturen mittels der Pädagogik nicht nur am Widerstand des „Establisments", sondern auch der Schüler selbst gescheitert waren. Diese subjektive didaktische Wende hat inzwischen die Schulpädagogik insgesamt ergriffen (Giesecke 1998). Sie war ursprünglich also politisch motiviert, nicht pädagogisch, aber dieser Zusammenhang ist inzwischen aus dem Bewußtsein der gegenwärtigen Reformpädagogik verschwunden.
Die „linke" Kritik der politischen Bildung und daraus abgeleitete Konzepte wie das Schmiederers waren insofern verständlich und
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angebracht, als die bloß formalen Formeln von Liberalität, Pluralismus und Mitbestimmung die in der Bevölkerung höchst ungleichen Teilhabe- und Realisierungschancen auf sich beruhen ließen. Zudem gab es damals in der Tat einen erheblichen Nachholbedarf an demokratischem Bewußtsein, wie die erwähnten inneren Reformen zeigten; die modernen gesellschaftlichen Entwicklungen waren den Vorstellungen darüber weit vorausgeeilt - ein Widerspruch, der sich schließlich in einem massiven Generationenkonflikt entlud. Nur so ist zu erklären, daß die Protestbewegung eine ganze Generation erfassen konnte - auch diejenigen, die mit der politischen Radikalität der Minderheit nichts im Sinn hatten. In dieser Breitenwirkung kommt zum Ausruck, daß die Protestbewegung auch die Notwendigkeit eines Modernisierungsschubs symbolisierte.
Die Frage war und ist nur, wie mit pädagogischen Mitteln, also mit geplanten Lehr- und Lernangeboten, auf gesellschaftliche Ungleichheiten und Widersprüche reagiert werden kann. Im Rahmen der Schule jedenfalls konnten Konzepte wie das von Schmiederer nicht konsensfähig sein. Zwischen den Möglichkeiten politischer Bildung in der Schule und solchen außerschulischer Einrichtungen, die ja als „Tendenzbetriebe" politisch parteilich vorgehen dürfen, wurde nicht mehr hinreichend unterschieden. Für einen außerschulischen Träger hätte Schmiederer mit seinem „erkenntnisleitenden Interesse" möglicherweise Erfolg gehabt, so wie etwa Oskar Negt (1968) für die gewerkschaftliche Bildungsarbeit ein beachtliches und durchaus parteiliches Bildungskonzept vorgelegt hat.
Emst-August Roloff (1972; 1974; 1979) konzentrierte sich in seinem dreibändigen politikdidaktischen Werk noch stärker auf die Orientierung am Schüler, allerdings ohne die radikale Parteilichkeit Schmiederers. Sein didaktisches Kernthema war die Lebenswelt des Schülers - in erster Linie in der Schule selbst -, die diesen im Verlauf seines Lebens vor Entscheidungssituationen stellt (u.a. über Bildungswege, Religionszugehörigkeit, Berufswahl), deren politische, weil durch Herrschaft begrenzte Rahmenbedingungen er verstehen soll, um seinen tatsächlichen Entscheidungsspielraum optimal ausschöpfen zu können. Der Politiklehrer soll solche Entscheidungen nicht vorschreiben oder gar für eine bestimmte agitieren, sondern lediglich zum Nachdenken
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über die verschiedenen Wahlmöglichkeiten anleiten. „Betroffenheit" und „Entscheidung" sind demnach die leitenden Motive für die Auswahl der Stoffe, die folgerichtig Politisches nur unter diesem Leitmotiv aussucht, also keine weiteren objektiven Kriterien dafür zur Verfügung hat. Die staatlichen Institutionen werden primär in ihrem freiheitsbeschränkenden Charakter gesehen, kaum in ihrem Freiheit garantierenden.
3. Die politikdidaktischen Konzepte und Entwürfe seit Beginn der 60er Jahre waren nicht aus konservativem Politikverständnis entstanden, sondern zunächst aus liberalem und später aus „linkem" systemkritischem. Der Gedanke eines besonderen politischen Unterrichts in der Schule war dem konservativen Selbstverständnis der 50er Jahre eher fremd geblieben. Das änderte sich nun in Reaktion auf diejenigen Konzepte, die wie das Schmiederers kompromißlose Systemkritik auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Die konservative Gegenwehr richtete sich bildungspolitisch insbesondere gegen die 1972 in Hessen (Der Hessische Kultusminister; Köhler) und 1973 in Nordrhein-Westfalen (Der Kultusminister...; Gagel/Schörken 1875) von SPD-Regierungen vorgelegten neuen Richtlinien.
Die alten Richtlinien enthielten neben einer im wesentlichen erzieherisch-moralisch formulierten Präambel lediglich allgemein gehaltene Stoffkataloge; die neuen verschmolzen nun den im engeren Sinne politischen Text - die Richtlinien - mit didaktischen Konzeptionen. Begründet wurde dies mit den damals in Mode gekommenen curricularen Lernzielstrategien. Das Unterrichten sollte sich präziser als vorher rechtfertigen, es sollte klarstellen, welche Ziele es eigentlich verfolge, diese öffentlich diskutierbar und vor allem auch kontrollierbar machen - im politischen, aber auch im didaktischen Sinne, inwieweit nämlich die propagierten Ziele auch tatsächlich erreicht wurden. Dieses curriculare Verfahren führte u.a. dazu, daß etwa die Hessischen Richtlinien für „Gesellschaftslehre" den Umfang eines Romans erhielten, während frühere Richtlinien lediglich allgemeine Zielvorstellungen mit ebenso allgemeinen Stoffhinweisen auf ein paar Druckseiten verbunden hatten. Darüber brach nun auch innerhalb der Reformer eine Debatte aus, inwieweit nämlich didaktische Entscheidungen, die eigentlich nur der Lehrer jeweils treffen kann, mit der Ebene des politischen Textes vermischt werden dürften und
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damit eine politische Offizialität bekämen, die ihnen von der Sache her nicht zustünde. Was am politischenUnterricht gehört in die ministerielle Kanzlei, was in die jeweilige Schulstube?
Gerade wegen der angestrebten Genauigkeit wurden die für diese Richtlinien politisch Verantwortlichen sehr viel leichter angreifbar, als sie es gewesen wären, wenn sie sich wie vorher üblich mit einer wohlgesetzten, aber letztlich unverbindlichen Präambel und mit einem Stoffkanon begnügt hätten. Die Lernzielorientierung sollte der politischen Opposition die Möglichkeit geben, sich an dem Verfahren zur Herstellung der Richtlinien kritisch und konstruktiv zu beteiligen, was teilweise auch geschah. Aber zum politischen Mißtrauen gegen den bildungspolitischen Gegner gesellte sich nun auch eines gegen die neumodische, jedenfalls bisher unübliche Lehrplankonstruktion. Im Auftrag der CDU-regierten Länder erarbeiteten nun einige Wissenschaftler eine Art von Grundlagendokument zur politischen Bildung (Grosser u. a. 1976). Zu den Autoren gehörte auch Bernhard Sutor, der seinerseits eine politikdidaktische Konzeption vorgelegt hatte (Sutor 1971), die er später präzisierte (Sutor 1984). Didaktischer Kern waren drei Leitfragen, zu deren Beantwortung bzw. Bearbeitung die auszuwählenden Stoffe dienen sollten: Wie individuelle und politische Freiheit unter den Bedingungen des Pluralismus, soziale Gerechtigkeit unter den Bedingungen der Industriegesellschaft und zwischenstaatlicher Friede möglich seien. Diesen Leitfragen wurden entsprechende Problemfelder zugeordnet, die im Unterricht zu behandeln sind. Sutor, der an der Abfassung der Richtlinien für den politischen Unterricht im CDU-regierten Rheinland-Pfalz beteiligt war, trug auf diese Weise nicht nur ein didaktisches Konzept, sondern auch einen Lehrplan vor - beides ausführlich politisch-anthropologisch begründet. Konsequenter als jeder andere bisher erwähnte Didaktiker ging Sutor vom objektiven Charakter des Politischen aus, dessen Regeln und spezifische Kategorien die Schüler begreifen lernen müßten. Die didaktischen Kategorien ordnete er - auch das war neu - dem zeitlichen Ablauf des Unterrichts zu: Er unterschied zwischen Kategorien der Situationsanalyse, der Möglichkeitserörterung und der Urteilsfindung bzw. Entscheidungsdiskussion.
Vor allem wegen seiner - zur Kritik herausfordernden - philosophisch-anthropologischen Grundlegung in der ersten Ausgabe
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von 1971 galt Sutor als konservativer Gegenpol zu den aus dem Umfeld der „kritischen Theorie" argumentierenden „linken" Didaktikern. Allerdings war es durchaus problematisch, die nun zahlreich gewordenen Kritiker (Vgl. Behrmann 1976) an den extremen „linken" Positionen von vornherein als „konservativ" zu etikettieren und sie damit in die allgemeine Polarisierung einzuordnen. Gründe für Kritik gab es nicht nur aus politischer, sondern auch aus wissenschaftlicher Sicht. Jedenfalls hatte sich Mitte der siebziger Jahre die Politikdidaktik ebenso wie die innenpolitische Diskussion im ganzen in Lager gespalten, die sich ideologiekritisch bekämpften, einander ebenso mißverstanden wie die politischen Fronten selbst und im wesentlichen nur noch ihre jeweilige (parteipolitische) Klientel bedienten. Weil dieser Zustand das Ende einer wissenschaftlich argumentierenden, politisch konsensfähigen und für die Schulpraxis nützlichen Lehrplanfundierung und didaktisch-methodischen Aufklärung bedeutet hätte, setzten Bemühungen ein, die Politikdidaktik aus den innenpolitischen Verstrickungen wieder zu lösen und sie wissenschaftlich zu rehabilitieren. Dies geschah auf mehreren Ebenen nahezu gleichzeitig.
• Kurt Gerhard Fischer (1975) lud die zerstrittenen Autoren ein, ihre Positionen gemeinsam in knapper Form in einem Sammelband vorzustellen, damit sie überhaupt erst einmal für ein breiteres Publikum vergleichbar würden; die Beiträge dieses Bandes wurden in den folgenden Jahren dem Diskussionsstand immer wieder angepaßt. (Für die 80er Jahre hat Wolfgang Sander (1992) eine Fortsetzung vorgelegt).
• Walter Gagel (1979), der an der Abfassung der Richtlinien für den Politikunterricht in Nordrhein-Westfalen beteiligt war, präsentierte einen Vergleich der unterschiedlichen Ansätze und versuchte, sie für die gemeinsame Problemstellung - die Verbesserung des politischen Unterrichts - wieder fruchtbar zu machen. Dieser Vermittlungsarbeit ist er auch nach der Deutschen Vereinigung im Hinblick auf die neuen Länder (Gagel 1994) sowie in seiner in den 80er Jahren veröffentlichten eigenen systematischen Didaktik treu geblieben (Gagel 1983; 1986).
• Eine weitere Initiative ergriff die Baden-Württembergische „Landeszentrale für Politische Bildung". Sie lud die führenden
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Politikdidaktiker 1976 zu einer Tagung über „Das Konsensproblem in der politischen Bildung" ein. Aus den Vorträgen und Diskussionen ging der sogenannte „Beutelsbacher Konsens" hervor, in dem sich die unterschiedlichen Positionen auf gemeinsame Minimalkriterien verständigten (Schiele/Schneider 1976). Die Vereinbarung konnte die Polarisierung in der pädagogischen Praxis jedoch zunächst nur mindern, nicht wirklich beseitigen, weil die didaktisch kontroversen Autoren erst einmal auf ihre politisch-pädagogischen Bezugsgruppen, denen sie sich verbunden fühlten, einwirken mußten. Der Konsens ist nie formell verabschiedet worden, half aber auf Dauer doch zu einer Rückbesinnung auf die wissenschaftlichen Grundlagen der Politikdidaktik. Er verpflichtete die Didaktiker und Politiklehrer zur Einhaltung von drei Maximen:
Überwältigungsverbot: Der Politiklehrer darf den Schüler nicht mit seiner eigenen politischen Position im Sinne einer Indoktrination überrumpeln, sondern muß ihm die Gewinnung eines selbständigen Urteils im Rahmen seines Mündigwerdens ermöglichen.
Kontroversität: Was in Wissenschaft und Politik umstritten ist, darf der politische Unterricht nicht unstrittig erscheinen lassen.
Interessenorientierung: Der Schüler ist berechtigt, angesichts einer politischen Situation seine eigene Interessenlage zu analysieren und nach Möglichkeiten zu suchen, diese zur Geltung zu bringen.
Diese Initiativen befriedeten die Diskussion allmählich, das Abklingen der Konfrontationen führte andererseits aber auch zu einem zunehmenden öffentlichen Desinteresse an Fragen der politischen Bildung, woran auch die deutsche Einheit kaum etwas änderte. In den 80er Jahren setzte sich die Wende zum Subjektiven weitgehend durch, die politische Bildung wurde zumindest in der Sekundarstufe I weitgehend edukatisiert, nämlich subjekt- und schülerorientiert geplant und gestaltet, wofür die „Handlungsorientierung" des Unterrichts zum Schlüsselbegriff wurde (Vgl. Breit/Schiele 1998). Systematische didaktische Analysen verschwanden nun fast, die Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf das, was im Unterricht praktisch zu geschehen habe. Bernd
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Janssen (1992) fand dafür den Begriff der „Methodenzentrierung", die sich pragmatisch auf Verfahren zur Gewinnung politischer Einsichten in der Schule beschränkt und auf darüber hinausgehende theoretische Begründungszusammenhänge bewußt verzichtet.
Die weitere Entwicklung seit Ende der 70er Jahre läßt sich vereinfachend auf den Nenner bringen, daß die Erziehungswissenschaft - vor allem in Gestalt der allgemeinen Didaktik und der Fachdidaktik - sich gegen die Sozialwissenschaften (wieder) durchsetzte und zum wichtigsten Legitimator und Transporteur der moralisierenden und subjektorientierten Wende geworden ist, die bei Schmiederer und teilweise auch Roloff bereits angelegt war. Darin drückte sich auch ein tiefes Unbehagen an der politischen Polarisierung aus, die auch die Schule erfaßt hatte. Sie diskreditierte auch die Sozialwissenschaften, auf die sich die radikalen Kritiker berufen hatten. Die Schülerorientierung schien als pädagogische Lösung dieser Konflikte besonders geeignet, weil sie sachlich-fachliche Fragen entweder überhaupt ausklammerte oder sie den Schülern (ihren „Interessen") überantwortete. Zudem war die Erziehungswissenschaft Anfang der siebziger Jahre - im Gefolge der Bildungsreformbewegung - an den Hochschulen und Universitäten expandiert, wovon nicht zuletzt auch die Fachdidaktiken profitierten. Nun gab es an den Universitäten neben der Professur für Politikwissenschaft eine solche für Didaktik der Politik, an den Pädagogischen Hochschulen in der Regel kombiniert und in Personalunion als „Politik und ihre Didaktik" oder in ähnlichen Formulierungen.
Man weiß heute kaum noch, daß die Fachdidaktiken in dieser Form ein Novum waren. An den Volksschulen gab es keine Fächer im heutigen Sinne, das änderte sich erst durch die Einfuhrung der Hauptschule - offiziell von den Kultusministern 1964 beschlossen. Die Gymnasiallehrer studierten an der Universität zwar ihre Schulfächer, aber ohne didaktische Reflexion. Die Lehrerausbildung bestand also aus einem theoretischen Teil an den Hochschulen und einem praktischen in den schulformbezogenen Vorbereitungsdiensten. Hier erst wurde Didaktik und Methodik betrieben, allerdings nicht wissenschaftlich fundiert, sondern eher im Sinne eines von Lehrergeneration zu Lehrergeneration übertragenen Erfahrungswissens. Die nun recht zügig und großzügig
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an den Hochschulen eingerichteten Professuren für die Fachdidaktiken - auch für Politik - sollten die didaktisch-methodische Qualifikation wissenschaftlich untermauern, blieben aber bis heute in Konkurrenz und teilweise im Widerspruch zu dem, was im Vorbereitungsdienst vermittelt wird. An den Hochschulen konnten die jungen Fachdidaktiken zudem nicht auf eine entsprechende akademische Tradition zurückblicken und wurden deshalb von den traditionellen Universitätsfächern mehr oder weniger skeptisch betrachtet. Eine Folge davon war, daß in vielen Fällen die Didaktik, vor allem wenn sie sich gegenüber der Bezugswissenschaft verselbständigte, ihre Profilierung dadurch betrieb, daß sie die Pädagogisierung der Fächer forcierte und somit auch zum bedeutsamen Träger der von Walter Gagel beklagten Entpolitisierung der politischen Bildung wurde.
Hinzu kam ein weiteres Problem: Hatten zunächst die Didaktiker als Praktiker ihre Texte für andere Praktiker geschrieben, so mußten sie nun als Hochschulangehörige Rücksicht nehmen auf die wissenschaftlichen Erwartungen oder gar auf das Mißtrauen der etablierten Universitätsfächer, die dem neuen Fach entgegen traten. Immer weniger für die pädagogische Praxis und immer mehr für die Akzeptanz an den Hochschulen wurden nun didaktische Konzepte entworfen. Die erwähnten „linken" Didaktiken waren bereits typische Hochschulprodukte. Sie mußten nun aber nicht mehr von denen, die sie erfanden, im Unterricht umgesetzt werden, was verständlicherweise zu einer gewissen Weltfremdheit verführte. Diese Tendenz spielte sich mit dem erwähnten Legitimationsdruck, der aus der vorgängigen Politisierung und Moralisierung resultierte, hoch und führte so nicht nur zur Überproduktion didaktischer Entwürfe und Gegenentwürfe, sondern auch zu immer praxisferneren, in diesem Sinne abstrakteren Konstruktionen.
Geändert hatte sich nun auch der Grund, über Didaktik etwas zu publizieren. Hochschullehrer präsentieren nämlich ihr Fach und damit auch sich selbst dadurch, daß sie für andere Hochschullehrer darüber schreiben. Hinzu kommt die Notwendigkeit für den wissenschaftlichen Nachwuchs, sich durch einschlägige Veröffentlichungen zu profilieren. Wenn nun aber der Gegenstand - Didaktik - dafür nur einen begrenzten Stoff hergibt, muß er eben immer weiter ausgedehnt werden, etwa in historische, empiri-
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sehe, soziologische, psychologische bzw. psychoanalytische Dimensionen. Ob das dann noch der Klärung der pädagogischen Praxis dient, wird nebensächlich. Auf diesem Hintergrund werden auch die erwähnten ideologischen Polarisierungen verständlicher; sie gaben Gruppen von didaktischen Autoren die Möglichkeit eigener Profilierung, ohne daß sie dabei einem gemeinsamen praktischen Problemlösungszusammenhang unterworfen bleiben mußten. Sie produzierten gleichsam marktgerecht: Die „linken" Didaktiker hatten ihr Publikum, die „konservativen" eben ein anderes.
Problematisch daran ist, daß die Didaktik eines Faches als Sache, als Gegenstand, für eine angemessene akademische Profilierung weit weniger hergibt als das wissenschaftliche Bezugsfach wie Politikwissenschaft oder Soziologie selbst. Deshalb gerät sie ohne ständige Rückbindung an ihre wissenschaftlichen Bezugsfächer leicht in fachfremde Dimensionen. So macht es einen erheblichen Unterschied, ob das Ziel einer didaktischen Analyse primär darin bestehen soll, die mit dem Begriff des Politischen gegebenen Sachverhalte auf ihre Lehrbarkeit etwa für eine bestimmte Altersgruppe hin zu analysieren, oder ob es in erster Linie um erzieherische Vorgaben geht, die sich etwa auf erwünschte Gesinnungen, Einstellungen und Verhaltensweisen beziehen. Letzteres ist insofern besonders verführerisch, weil sich damit der Gegenstand der Didaktik erheblich ausweiten läßt und Raum für unendliche Spekulationen eröffnet. So lassen sich aus dem Stichwort „soziales Lernen" mühelos eine Fülle didaktisch-methodischer Konstruktionen ableiten. Geht es jedoch darum, beispielsweise das Prinzip der Gewaltenteilung für 14-Jährige durchschaubar zu machen, dann reduzieren sich die - jedenfalls vernünftigen, weil praktikablen - Möglichkeiten didaktischer Argumentation erheblich.
Ein weiteres, mit der Akademisierung der Didaktik zusammenhängendes Problem ist, daß im Unterschied zu den meisten anderen geisteswissenschaftlichen Gegenständen die Didaktik - gleich welchen Faches - multifunktional geworden ist. Sie ist erstens ein akademisches Fach, zweitens eine spezielle Berufswissenschaft für Lehrende, drittens aber auch ein bildungspolitischer Faktor. Richtlinien etwa für ein Schulfach werden nicht zuletzt auch mit didaktischen Begründungen versehen. Schulbücher werden nur
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zugelassen, wenn sie didaktisch-methodisch akzeptabel erscheinen. Daraus folgt wiederum eine berufspolitische Bedeutung: Didaktische Konzepte stellen eine Beziehung her zwischen dem einzelnen Lehrer und den bildungspolitisch zuständigen Amtsinhabern im Sinne eines dienstlichen Verständigungsmediums, auf das sie sich beide gemeinsam berufen können. In diesem Kontext dienen Fachdidaktiken auch als statussichernde Sinnlieferanten nicht nur für den Lehrer, sondern auch für seine jeweilige Berufsorganisation.
Die bildungspolitischen Differenzen zwischen derartigen Berufsorganisationen - etwa Philologenverband einerseits und GEW andererseits - stellen sich auch als unterschiedliche didaktisch-methodische Positionen dar. Die Verbreitung und damit der Erfolg einer didaktischen Konzeption hängen also keineswegs nur von ihrer wissenschaftlichen Solidität ab, sondern auch davon, in wessen berufspolitisches Interesse sie hineinpassen. Diese bildungspolitische Gemengelage erschwert eine davon unabhängige, sozusagen bildungspolitisch wertfreie Untersuchung didaktischer Probleme. Didaktische Konstruktionen und Argumentationen dienen faktisch also sehr unterschiedlichen Zwecken: der Aufklärung des pädagogischen Handelns „vor Ort", dem beruflichen Status der betreffenden Pädagogen und seiner berufspolitischen Vertretung und nicht zuletzt der Rechtfertigung bildungspolitischer Maßnahmen des Staates gegenüber der Öffentlichkeit. Wer didaktische Texte analysiert, muß dementsprechend quellenkritisch vorgehen.
4. Zusammenfassung
Der Rückblick auf die Geschichte der politischen Bildung nach 1945 läßt sich im Hinblick auf die Konsequenzen für die Formulierung einer Fachdidaktik Politik in folgenden Punkten zusammenfassen:
1. Die ursprüngliche Ausgangssituation, daß nämlich die politische Bildung erst die demokratische Wirklichkeit in Staat und Gesellschaft mit konstituieren mußte, anstatt sich auf sie berufen zu können, hat sich inzwischen normalisiert. Wir können nun so verfahren, wie andere westliche Demokratien auch. Wie diese hat sich auch die Bundesrepublik eine wenn auch
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kurze demokratische Geschichte verschafft, auf deren Vorgaben sich die politische Bildung nun beziehen kann; sie kann in diesem Sinne „normal" werden, zumal durch den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik der neue deutsche Staat nicht mehr als ein Provisorium verstanden werden muß. Im Zuge dieser Entwicklung hat die politische Bildung aber auch ihre frühere Bedeutung in der öffentlichen Meinung verloren; sie ist nun ein Schulfach wie andere auch, muß sich entsprechend rechtfertigen und bewerten lassen und kann sich nicht mehr auf eine besondere, politisch gebotene Notwendigkeit berufen wie noch lange nach dem Krieg, als es erst einmal um die Durchsetzung demokratischer Grundsätze ging. Deshalb macht es auch keinen Sinn mehr, zur Begründung für einen speziellen politischen Unterricht politische Defizite wie Rechts- oder Linksradikalismus ins Feld zu führen - so wenig wie es überzeugend wäre, den Literaturunterricht aus mangelndem literarischem Interesse der Jugend abzuleiten. In dieser Lage müssen auch die fachdidaktischen Überlegungen einen neuen Anlaufnehmen, was im folgenden versucht werden soll.
2. Die innenpolitischen Konfrontationen haben der Politischen Bildung als Schulfach eher geschadet als genutzt, weil sie seitdem im Verdacht einer parteipolitischen Beeinflussung steht. Die aus diesem Dilemma entstandene „pädagogische" Lösung der Subjektorientierung droht andererseits die objektiven Anforderungen der Sache weitgehend aus dem Blick zu verlieren und müßte selbst zum Gegenstand etwa ideologiekritischer Analysen werden. Ein Schulfach läßt sich nicht auf Subjektivität gründen, sondern nur auf einen außersubjektiven Wirklichkeitsbereich, den es zu verstehen gilt.
3. Angebracht ist eine kritische Auseinandersetzung mit der erwähnten moralischen Ausgangslage. Die NS-Verbrechen sind zwar immer noch gegenwärtig und bestimmen die aktuelle politische Diskussion nach wie vor mit; solange dies so ist, kann die politische Bildung davon nicht absehen. Andererseits muß sie jedoch die Interessen aufdecken, die sich in der Vergangenheit damit verbunden haben und inzwischen damit verbunden sind; sie muß in Distanz treten zur vorgängigen Moralisierung des Politischen, die sich längst weitgehend vom Ausgangspunkt der NS-Verbrechen gelöst hat; sonst operiert
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sie an den Erfahrungen der jungen Generationen vorbei. Ihre Aufgabe in einer nun entfalteten Demokratie ist nicht, politische Phänomene vorweg durch die Brille einer bestimmten „erzieherisch wertvollen" Moral zu sehen, sondern umgekehrt moralische Begründungen in der Politik zum Thema der Reflexion zu machen. Die wesentlichen normativen Maßstäbe dafür stammen jedoch nicht aus den politischen Handlungen selbst, sie ergeben sich vielmehr einmal aus den Grundsätzen der Verfassung, darüber hinaus aus denjenigen Werten, die in den Stoffen der anderen Schulfächer, also im Bildungsangebot insgesamt, zum Ausdruck kommen.
4. In den vergangenen Jahrzehnten wurden alle möglichen politischen, ideologischen und einzelwissenschaftlichen Begründungszusammenhänge sowie alle nur denkbaren didaktisch-methodischen Variationen der politischen Bildung durchgespielt, so daß wir uns heute von deren Plausibilität wie von ihrer Leistungsfähigkeit ein auf Erfahrung beruhendes Bild machen können - wenn wir denn überhaupt daraus etwas lernen wollen. Keine didaktische Konstruktion, so haben wir gesehen, kommt ohne entsprechende Definitionen des Politischen aus, ohne zu sagen, was warum gelernt werden soll. Bleiben solche Festlegungen pragmatisch an den Zweck des Lehrens und Lernens gebunden, ist Verständigung aussichtsreich. Will die Didaktik jedoch von daher auch die Grundlagen und Dimensionen der politischen Wirklichkeit selbst erklären, gerät sie notwendig in eine Legitimationskrise, weil sie sich in andere Kompetenzen (der Politiker, der Politikwissenschaft, der Philosophie) inkompetent einmischt. Aufgrund dieser Erfahrung macht es auch keinen Sinn, Lagerdidaktiken zu formulieren, die von vornherein nur der Zustimmung bestimmter Gruppen der Gesellschaft sicher sein können und wollen. Dafür gäbe es heute wohl auch kein Publikum, keinen sozialen Träger mehr. Vielmehr besteht die Chance eines breiten Konsenses auf der Grundlage argumentativ vermittelbarer wissenschaftlicher Diskurse. Dafür braucht die politische Didaktik einen unstrittigen Gegenstand und allgemein akzeptable Methoden seiner Untersuchung. Das ist nur möglich, wenn das praktische Ausgangsproblem als gemeinsames gelten kann: Die Bedingungen und Möglichkeiten des Lehrens und Lernens von Politik. Die Suche danach wird auch künftig Streit und
51Kontroversen nicht ausschließen, aber auch keine didaktischen Monopole mehr zulassen.
5. Die Didaktik der Politik ist nicht dazu da, profilierte philosophische oder fachwissenschaftliche Theorien des Politischen zu erfinden; sie ist eher so etwas wie ein Zwischenhandel. Sie schafft die politische Wirklichkeit nicht, sie soll nur darüber aufklären. Zu diesem Zweck muß sie vereinfachen, aber nach Maßstäben, die an den zuständigen Wissenschaften orientiert bleiben und deren grundlegende Kategorien zum Zwecke des Lernens verdichten. Über die Notwendigkeit der Anwendung von Kategorien, die den politischen Sachverhalten angemessen sind, gibt es inzwischen keinen Streit mehr.
6. Die Didaktik der Politik hat zwar die Möglichkeiten des politischen Handelns durch die Bürger zu beschreiben und voneinander abzugrenzen, von sich aus aber keine begründbare Legitimation, zu bestimmten Handlungen in bestimmten Situationen auch nur zu raten, geschweige denn dazu aufzurufen; denn für die Folgen kann sie keinerlei Garantie und schon gar keine Verantwortung übernehmen. Politisches und pädagogisches Handeln unterliegen unterschiedlichen Strategien und Erfolgskriterien. Das eine ist darauf aus, die Wirklichkeit zu verändern, das andere, sie im Rahmen geplanter Lehr- und Lernarrangements verständlich zu machen. Welche Schlußfolgerungen die Lernenden daraus ziehen, müssen sie selbst entscheiden. Insofern bleibt immer fraglich, ob Lehrziele auch tatsächlich zu Lernzielen werden. Die Didaktik kann von sich aus die Wirklichkeit nicht gestalten, über die sie aufklären will. Der erwähnte „Beutelsbacher Konsens" hat diese Differenz zum Ausdruck gebracht.
7. Die Schule darf innerhalb der vom Grundgesetz erlaubten pluralistischen Positionen nicht parteilich sein, wohl aber muß sie das geistige Instrumentarium dafür entwickeln, mit Parteilichkeiten, die in der Sache selbst liegen, produktiv umzugehen. Von vornherein parteilich dürfen nur außerschulische Verbände und Organisationen sein - auch solche, in denen sich Jugendliche betätigen.
8. Die Grundsatzdebatten und der damit verbundene Legitimationsdruck sowie die Akademisierung der Fachdidaktik haben
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die fachdidaktischen Diskurse in eine erhebliche Distanz zur Unterrichtspraxis gebracht. Vieles, was in der - längst im doppelten Wortsinn „akademisch" gewordenen - Fachdidaktik Politik diskutiert wird, ist für die Gestaltung des täglichen Unterrichts uninteressant und teilweise daran auch nicht interessiert. Nicht zuletzt deshalb sind subjektorientierte didaktisch-methodische Konstruktionen in den Schulen beliebt; sie beziehen sich nicht auf wissenschaftlich geklärte Grundlagen, sondern auf die Alltagserfahrung von Lehrern und werten diese auf.
9. Das allgemeine pädagogische Grundphänomen des Generationenwechsels spielt auch in unserem Zusammenhang offensichtlich eine bedeutende Rolle. Das gilt für die Politiklehrer wie für die Schüler und für die Beziehung beider zueinander. Die Generationen der Politiklehrer nach 1945 haben je nach ihrer prägenden Generationserfahrung unterschiedliche Zu-gänge zum Politischen gefunden und diese Besonderheiten auch im Hinblick auf ihren Unterricht an Schule wie Hochschule zur Geltung gebracht. Der wissenschaftlichen Reflexion der Didaktik ist dies insofern zugute gekommen, als jeweils neue Aspekte zur Korrektur und Differenzierung der didaktischen Problematik eingebracht werden konnten. Andererseits sind aber auch Abwege zu erkennen, die nicht nur auf politischen und damit verbundenen erzieherischen Präferenzen beruhten, sondern auch darauf, daß auf verschiedenen Wegen Marktchancen gesucht wurden. Auch in der Wissenschaft ist Generationenwechsel immer ein Wettbewerb um Akzeptanzchancen. Derartige Ambivalenzen sind offenbar unvermeidlich, müssen aber in die professionelle Reflexion einbezogen werden, sonst bleibt dabei die wissenschaftliche Dignität des didaktischen Denkens auf der Strecke.
Aber auch die Schülergenerationen unterliegen einer je besonderen Generationsgestimmtheit. Was die nachwachsenden Generationen an der Politik für bedeutsam halten, ob und in welchem Maße sie sich dafür überhaupt interessieren, hängt sehr wesentlich von ihrer Sozialisation im ganzen ab. Die heutigen Schüler haben keinen eigenen Bezug mehr zu Krieg und Nachkriegszeit und somit auch nicht zu den moralischen Implikationen, die daraus für die älteren Generationen hervorge-
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gangen sind. Aus dieser unausweichlichen Generationendifferenz ergeben sich eine Reihe von Problemen. Die inzwischen geradezu ritualisierte Beschwörung der NS-Vergangenheit wird die Jungen auf Dauer zumindest nicht so beeindrucken, daß sie dadurch gegen einen neuen politischen Extremismus zu immunisieren wären. Die emotionale Distanz ist dafür zu groß geworden. Primär muß wohl die Aufklärung über politischen Extremismus und seine Folgen für die demokratischen Essentials aus den gegenwärtigen Erfahrungen aufgebaut werden. Aber auch das wird wenig fruchten, wenn die Einsicht nicht mehr zu vermitteln ist, daß die unmittelbaren individuellen Bedürfnisse und Interessen nur dann zu verteidigen sind, wenn sie in eine nicht nur intellektuell, sondern auch vital erlebbare kollektive Solidarität eingebunden werden, die den Nachwachsenden weder geschenkt noch als Anspruch selbstverständlich erfüllt wird, sondern immer wieder neu durch Denken und Handeln hergestellt werden muß. Deshalb darf die politische Bildung den Jungen aber auch nicht nach dem Munde reden. Sie haben das Recht, sich für Politik nicht zu interessieren, wie sie sich auch für andere Schulfächer oft nicht begeistern, aber daraus erwächst noch lange keine pädagogische Pflicht, dieses Desinteresse zu einer besonderen Sicht des Politischen hochzustilisieren, als könne jede Generation für sich das Politische neu erfinden und definieren. Politik ist eine objektive Tatsache unseres Lebens und kann nur als solche auch mit der entsprechenden geistigen Anstrengung verstanden werden; einen adäquaten Ersatz dafür gibt es nicht.
10. Die politische Didaktik muß ihre Stellung im Rahmen der allgemeinen schulpädagogischen Tendenzen neu bestimmen, die sich seit Ende der 60er Jahre entwickelt haben. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Subjektivierung des didaktisch-methodischen Denkens, wie es Gagel schon kritisiert hat, und in Bezug auf die Fachlichkeit des Unterrichts. Fachdidaktische Reflexionen und Analysen, die von der Sache ausgehen, sind weitgehend aus der Mode gekommen, viele Politiklehrer sind gar nicht (mehr) in der Lage, aktuelle Vorgänge auf ihre politischen Gehalte hin zu erschließen (Vgl. Breit 1998). Politische Didaktik muß deshalb (wieder) zur politischen Kritik der realexistierenden Unterrichtskonzepte und ihrer Protago-nisten werden und deren politisch-gesellschaftliche Implika-
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tionen aufdecken. Je mehr sie statt dessen den reformpädagogischen Maximen auf den Leim geht, indem sie sich etwa auf deren methodischen Aktivismus einläßt, um so mehr betreibt sie ihre eigene Auflösung. Didaktisch-methodische Arrangements sind nicht schon deshalb fortschrittlich, weil sie dem medial vermittelten Erlebnischarakter der Freizeitgesellschaft entnommen werden und wegen ihrer angeblichen emotionalen Vertiefungen besonders ergiebig erscheinen. Demgegenüber ist darauf hinzuweisen, daß Aufklärung sowohl im historischen wie auch im didaktisch-systematischen Sinne in erster Linie eine Sache des Kopfes, des Verstandes, ist, und daß von Emotionalität und bloß vordergründigem Engagement ohne Leitung durch den Verstand nach aller Erfahrung nichts Gutes zu erwarten ist. Insofern steht die politische Bildung heute vor der Aufgabe, nicht nur die Auseinandersetzung mit diesem Zeitgeist zu suchen, sondern überhaupt die politischen Voraussetzungen und Dimensionen aller öffentlichen Pädagogik wieder ins Bewußtsein zu heben.
der politischen Bildung ergab sich bisher primär aus politischen Anlässen, nur am Rande auch aus pädagogischen Begründungen etwa von der Art, daß Politik Bestandteil der Allgemeinbildung zu sein habe - auch wenn sie zur unmittelbaren Krisenbehebung (zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, des Ost-West-Gegensatzes, zum Schutz der demokratischen Verfassung, zur inneren Befriedung) nicht unmittelbar gebraucht wird. Insofern ist längst noch nicht entschieden, ob Politik im Kanon der Bildungsfächer künftig zu finden sein und eine Fachdidaktik Politik auf Dauer benötigt werden wird.
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I. Didaktische Grundlagen des politischen Unterrichts in der Schule
Der knappe historische Rückblick hat gezeigt, daß es sinnvoll ist, über die fachdidaktischen Grundlagen eines eigenständigen politischen Unterrichts in der Schule neue Überlegungen anzustellen, die die bisherigen Erfahrungen aufgreifen, zusammenfassen und auswerten, so daß eine Grundlage geschaffen wird, auf die auch kontroverse Standpunkte sich in Zukunft beziehen können. Dabei gehe ich von der Didaktik als praktischem Problem aus, wie es im Unterricht anzutreffen ist. Zur Einführung mag ein alltägliches Beispiel dienen.
Wenn jemand zu einem Vortrag eingeladen wird, dann stellt er im allgemeinen Überlegungen darüber an, was er zu seinem Thema sagen soll. Dabei macht er sich auch Vorstellungen über seine Zuhörer, über deren Alter und Vorbildung zum Beispiel, über den Grund ihres möglichen Interesses am Gegenstand. Vor Fachkollegen wird er anders sprechen als vor Nichtexperten. Im Kreise von Fachkollegen kann er vieles weglassen, schnell zum Kern kommen; Nichtexperten dagegen erwarten eine verständliche Hinführung zum Thema. Aber was heißt „verständlich"? Offensichtlich darf unser Redner von der Annahme ausgehen, daß seine Zuhörer keine unbeschriebenen Blätter sind, sondern im Verlaufe ihres Lebens Erfahrungen gemacht haben, an die der Vortragende anknüpfen kann. Wären diese Erfahrungen aber nur je individuelle, würde ihm das nichts nützen, weil er sie als solche nicht antizipieren könnte. Der Redner kann sich nur gemeinsame, kollektive Erfahrungen vorstellen, die ihm bei der Planung helfen können. Aber woher soll er die kennen? Unter Fachkollegen kann er davon ausgehen, daß alle über einen bestimmten Grundkanon an Fachwissen verfügen, auf den er einfach ohne weitere Erklärungen hinweisen kann. Bei Nichtexperten verfängt dieses Verfahren nicht. Aber da er mit seinen Zuhörern in einem
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gemeinsamen oder wenigstens gleichartigen Kulturkreis lebt, darf er mit guten Gründen vermuten, daß sie im Verlaufe ihres Lebens gemeinsame Erfahrungen gemacht haben, weil sie nämlich in eben dieser Kultur gemeinsam sozialisiert worden sind; daran kann er anknüpfen. Insofern kann der Redner seinen Vortrag verstehen als eine Intervention in die bisherige kollektive Sozialisation seiner Zuhörer, mag die jeweils individuelle Variation noch so groß sein. Auf dieser Grundlage können die Teilnehmer in der anschließende Diskussion dann auch ihre individuellen Deutungen mobilisieren, weil sie sich dabei auf einen gemeinsamen Fundus an Kenntnissen, Vorstellungen, Einstellungen usw. be-ziehen können.
Unter dieser Voraussetzung vermag unser Redner seinen Vortrag „verständlich" zu präsentieren, indem er nämlich anspricht, was in den Köpfen der Zuhörer schon parat ist, und sie dadurch dazu anregt, seine Gedanken dazu zu nutzen, ihre bereits vorhandenen Vorstellungen neu zu strukturieren, zu präzisieren, zu ergänzen, zu erweitern. Wird die Intervention als zu widersprüchlich mit der bisherigen Erfahrung erlebt, entsteht das Bedürfnis, diesen Widerspruch in der Diskussion zur Sprache zu bringen.
Das Beispiel enthält alle wesentlichen didaktischen und methodischen Probleme, wie sie entstehen, wenn planmäßig und systematisch gelehrt und gelernt werden soll. Darauf wird im einzelnen noch zurückzukommen sein. Hier interessiert erst einmal die Tatsache, daß das, was in der Schule - von der jetzt zunächst die Rede ist - in Sachen Politik gelernt werden soll, die vorgängige politische Sozialisation berücksichtigen muß - also das, was die Schüler bereits gelernt haben; denn daraus haben sich die Erfahrungen gebildet, die ansprechbar sind.
1. Politische Sozialisation
Im Verlaufe seines Heranwachsens lernt das Kind eine Reihe von sozialen Vorstellungen, Einstellungen und Verhaltensweisen -weniger aus Belehrungen als vielmehr aus Erfahrungen, die das Kind an ihm zugänglichen sozialen Orten (Familie, Kindergarten, Gleichaltrige, Massenmedien) durch Handeln macht. Die Summe dieser Erfahrungen kann man politische Sozialisation nennen. Deren Ergebnisse schlagen sich nieder in mehr oder weniger kla-
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ren Vorstellungen über soziale Realitäten und in Einstellungen zu sozialen Tatbeständen. Je nach Alter und dadurch bedingter Reife kann das Kind aufgrund dieser Erfahrungen auch prinzipielle Dimensionen des Politischen wie Macht und Ohnmacht, Recht und Unrecht, Interesse und Gegeninteresse, die eigene Gruppe, die fremde Gruppe, begreifen. Deshalb kann es schon relativ früh . etwa im Grundschulalter - bestimmte öffentliche Funktionen wie die des Polizisten oder Bürgermeisters verstehen - begrenzt allerdings immer von seinen Erfahrungen her. Wenn man dem Kind etwa sagt, daß der Polizist dazu da sei, Menschen zu helfen, so ist das zwar nur die halbe Wahrheit über den „Ordnungshü-ter", aber die andere Hälfte ist für ein Grundschulkind noch nicht interessant, weil selbst dann, wenn es etwas „Böses" tut, z.B. im Geschäft etwas stiehlt, der Polizist es nur zu seinen Eltern brin-gen wird. Solange der soziale Vorstellungshorizont im wesentli-chen auf die Familie begrenzt ist, wird das Kind öffentliche Funktionen wie die der Polizei personalisieren und von seiner Familie her verstehen, die Schutzfunktion des Polizisten analog der seiner Eltern sehen.
Die ursprüngliche politische Sozialisation erfolgt also in der Familie. Diese ist das erste soziale Maß, an dem alles, was nicht zur Familie gehört, gemessen wird. Bedeutsam ist dabei nicht nur die Qualität der persönlichen Beziehungen zu Eltern und Geschwistern, sondern auch die soziale Zuverlässigkeit, die Sicherheit und Geborgenheit, die das Kind erlebt. Nur im Klima einer solchen Zuverlässigkeit vermag es eine Art von grundlegendem Vertrauen gegenüber seiner außerfamiliären Umwelt zu entwickeln. Je mehr dieses soziale Vertrauen gestärkt wird, um so stabiler kann sich die politisch-soziale Weltsicht des Kindes formen. Kommt es dagegen nicht zustande, etwa weil zerrüttete Familienbeziehungen dies nicht zulassen, und kann dieser Mangel im Umgang mit anderen Personen nicht kompensiert werden, dann werden leicht auch die politisch-sozialen Vorstellungen irritiert.
Es hat in den siebziger Jahren Versuche gegeben, schon im Kindergarten bzw. in sogenannten „Kinderläden" die Kinder mit Konflikten zu konfrontieren, etwa mit dem Elend der Kinder in der Dritten Welt. Eine solche künstliche Problematisierung ist dieser Altersstufe jedoch nicht angemessen, sondern nur geeignet, die nötige soziale Zuversicht zu unterhöhlen. Wenn ein Kind
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selbst von Leid und Unglück betroffen ist - etwa durch Verlust eines nahestehenden Menschen -, ist die Sachlage eine andere; dann müssen die zuständigen Erwachsenen sich damit befassen und dem Kind helfen.
So wichtig die frühen sozialen Erfahrungen auch sind, so sind sie doch auch begrenzt. Das Kind bleibt im personalen Verständnis befangen, Institutionen kann es noch nicht verstehen, die ja unter anderem durch die Auswechselbarkeit der sie vertretenden Personen bestimmt sind. Erst die Schule - kaum schon der Kindergarten - begegnet ihm als Institution. Eine gute Schule macht den Übergang in den ersten Schuljahren fließend. Aber der Lehrer ist kein Vater oder Onkel und die Lehrerin keine Mutter oder Tante. Die „pädagogische Beziehung" muß allmählich professionell werden, bezogen auf den Zweck, dem die Institution dient: dem Unterricht. Die Beziehung ist nicht mehr ganzheitlich, sondern partikular, begrenzt eben auf den Zweck. Erwartet wird vom Kind eine dem Zweck der Institution entsprechende partikulare Leistung. Die Institution Schule verlangt etwas „Objektives", das sich nicht der Verlängerung der je subjektiven Befindlichkeit des Schülers verdankt, sondern ihr zunächst einmal fremd gegenüber steht, als Forderung auftritt. Die Lehrer repräsentieren dieses Objektive, sei es im Hinblick auf die Sache des Unterrichts, sei es im Hinblick auf die allgemeinen Zwecke dieser Institution (Leistung; Qualifizierung; Chancenverteilung). Um die Leistungserwartungen erfüllen zu können, bedarf es einer gewissen Konzentration, Aufmerksamkeit, Selbstkontrolle, Disziplin.
Fraglich ist allerdings, ob die Schule sich heute den Kindern immer als öffentliche Institution präsentiert, die sich von der privaten Familiengemeinschaft bewußt unterscheidet. Manches deutet darauf hin, daß sie seit den siebziger Jahren vielfach einer Überpädagogisierung erlegen ist, wie das in dem oft zu hörenden Satz ausgedrückt wird, daß die Schule kindgerecht werden müsse und nicht umgekehrt. Das würde - konsequent zu Ende gedacht und praktiziert - das Ende der Schule als Institution bedeuten und eine öffentliche Infantilisierung des Kindes, bestimmt durch die pure Unmittelbarkeit menschlicher Beziehungen zwischen Lehrer und Schülern und der Schüler untereinander, bewirken; denn diese Beziehungen wären dann diffus, weil an keinen übergeordneten Zweck gebunden.
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Nun kann man gewiß eine Schule unterschiedlich gestalten, z.B. eher nach dem Prinzip des Frontalunterrichts oder des freien Unterrichts, eher im Sinne von Unterrichtsepochen oder des stündlichen Fächerwechsels. Wenn aber das Institutionelle an der Schule dabei verschwindet, so daß das Kind es nicht erfahren und erleben kann, dann ist soziale Desorientierung die notwendige Folge, aus der leicht disziplinloses Verhalten erwachsen kann. Was also vordergründig den (wie und von wem definierten?) „Bedürfnissen" des Kindes entgegenzukommen scheint, erweist sich schnell als an eben diesen Bedürfnissen uninteressiert, weil gerade Kinder die Bedürfnisse und Motive, die ihnen wichtig sind und ihnen eine Perspektive zu geben vermögen, erst noch entdecken müssen. Und das ist nicht möglich, indem man sie mit ihren dumpfen, unaufgeklärten inneren Gestimmtheiten allein läßt - in der Hoffnung, daraus werde sich schon von selbst eine Ordnung und Rangfolge entwickeln. Nötig ist vielmehr, diese inneren Strebungen mit von außen kommenden Ansprüchen zu konfrontieren. Auf welche didaktisch-methodische Weise dies dann geschieht, steht auf einem andere Blatt. Jedenfalls beeinflußt die Schule die politische Sozialisation des Kindes - ob sie sich ihm nun als Institution präsentiert, was geboten wäre, oder sich eher als Fortsetzung familialer Sozialität versteht, was bedenklich wäre.
Hinzu kommen weitere Erfahrungen, die das politische Weltbild prägen: durch die Gleichaltrigenszene, durch die Massenmedien und durch das Freizeit- und Konsumsystem. Darauf soll hier nicht näher eingegangen werden. Deutlich werden muß nur, daß der Mensch auch ohne ausdrücklichen politischen Unterricht ein politisches Weltbild erwirbt, das mehr oder weniger zutreffend ist, das ihn als Erwachsenen auch befähigt, sich etwa an politischen Wahlen zu beteiligen.
Aber dieses Weltbild wird nicht beliebig, sondern - wie es im Begriff der Sozialisation anklingt - so gestaltet sein, daß dabei auch soziale Zugehörigkeit zum Ausdruck kommt. Es hat also starke kollektive Anteile, durch die soziale Identität signalisiert wird. Im allgemeinen entsprechen die politisch-sozialen Vorstellungen des Kindes zumindest zunächst denen der Eltern, später können dann andere Bezugsgruppen - etwa die Gleichaltrigen - in den Vordergrund treten. Die Individualisierung dieses politisch-
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sozialen Weltbildes erfolgt erst verhältnismäßig spät und auch nur in dem Maße, wie dies sozial benötigt wird, nämlich nur an solchen sozialen Orten, wo eine individuelle Präsentation auch honoriert wird. Zu diesen Orten müßte eigentlich auch die Schule gehören.
Wir wollen das Thema der politischen Sozialisation hier nicht weiter verfolgen, es mußte jedoch wenigstens angesprochen werden, um für die nun folgenden didaktischen Überlegungen einen realistischen Hintergrund zu schaffen. Aus der Tatsache der politischen Sozialisation folgt nämlich:
1. Die Schüler kommen immer schon mit bestimmten politisch-sozialen Erfahrungen, Urteilen und Einstellungen in die Schule, die sie im Unterricht schweigend oder sprechend mobilisieren. Deshalb stellt der politische Unterricht das politische Weltbild der Schüler nicht her, er interveniert nur in dieses Weltbild, und die Schüler können diese Eingaben benutzen, um ihre Vorstellungen zu revidieren, zu ergänzen, zu präzisieren, zu erweitern. Wie und mit welchem Ergebnis das in den einzelnen Köpfen geschieht, ist letzten Endes nicht planbar und auch nicht feststellbar.
2. Den Vorstellungen, die die Schüler bereits mitbringen, muß der politische Unterricht insofern Rechnung tragen, als er ihnen die Möglichkeit der Bearbeitung anbietet. In diesem Sinne ist der politische Unterricht auch lebensbegleitend, nicht nur auf künftige Partizipationschancen vorbereitend zu sehen.
3. Reichen die Vorstellungen, Einstellungen usw. in tiefere Dimensionen der Persönlichkeit, so daß sie die Identität berühren, dann können die Schüler einen mehr oder weniger beachtlichen inneren oder äußeren Widerstand gegen die durch den Unterricht hervorgerufene aufklärende Relativierung ihres Weltbildes entwickeln. Zum Problem kann das insbesondere für solche Jugendliche werden, deren Identität durch einen rigiden Gruppenzwang aufrechterhalten wird, wie dies etwa bei rechtsradikal orientierten Jugendlichen der Fall sein kann.
4. Die Tatsache der politischen Sozialisation einschließlich ihrer Folgen muß die Antwort auf die Frage mitbestimmen, was der politische Unterricht lehren soll. Was die politische Sozialisa-
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tion sowieso bewirkt, muß die Schule nicht noch wiederholen oder verstärken.
Warum sollte es also nötig bzw. zweckmäßig sein, in diese sowieso ablaufende politische Sozialisation mit einem speziellen Unterricht zu intervenieren?
2. Wozu politischer Unterricht?
Jede fachdidaktische Reflexion muß mit der Überlegung beginnen, ob die Sache, um die es da geht, unbedingt in die Schule gehört. Vieles an und für sich Wichtige lernt man nicht in Schulen, sondern durch Teilnahme am üblichen Alltagsleben oder auch im Rahmen der persönlichen Weiterbildung oder auf dem Bildungsmarkt. Die Kapazität der Schule im Hinblick auf Fächer und Stoffe ist schon aus zeitlichen Gründen begrenzt. Deshalb ist es nötig, sich mit möglichen Einwänden gegen ein besonderes Fach Politik in der Schule auseinanderzusetzen.
1. Vielleicht ist heute ein besonderer politischer Unterricht nicht mehr nötig, weil im Verlaufe der politischen Sozialisation die Akzeptanz der parlamentarisch-demokratischen Gesellschaftsverfassung im großen und ganzen gewährleistet ist - auch wenn Familie und Schule keinen optimalen Beitrag dazu leisten sollten. Gibt es nicht gute Gründe, einen spezifisch politischen Unterricht jener vergangenen Epoche zuzuordnen, wo es um die Verankerung demokratischer Institutionen, Einstellungen und Verhaltensweisen ging, ihn also in diesem Sinne als historisch überholt zu betrachten? Wäre es dagegen nicht sinnvoller, den Geschichtsunterricht zu intensivieren, ihn vielleicht bis zum Ende der deutschen Teilung an die Gegenwart heranzuführen? Dann müßte die Schule nicht unentwegt in aktuelle politische Diskussionen und somit in die res gerendae verwickelt werden, sondern könnte sich weitgehend unbeeindruckt davon um die Aufklärung der Vergangenheit bemühen. Der politische Unterricht dagegen, wenn er jedenfalls die Aktualität erreichen will, hat es stets mit offenen Situationen zu tun, mit den res gerendae, wo selbst Tatsachen umstritten sind, wo Parteilichkeiten und unterschiedliche Interpretationen im Vordergrund stehen. Die geschichtliche Rückbesinnung hat gezeigt, daß öffentliches Interesse an der politischen Bildung sich nur in bestimmten Phasen zeigte, immer
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verbunden war mit Krisen des Gemeinwesens: der notwendigen Umerziehung nach dem Kriege, der Immunisierung gegen den Kommunismus, der innenpolitischen Befriedung in den 70er Jahren. Diese Krisen sind teils verschwunden, teils soweit gemindert, daß gegenwärtig ein politisch herausfordernder Bedarf an politischem Unterricht nicht zu erkennen ist. Das mag sich wieder ändern, aber darauf kann die didaktische Argumentation nicht warten. Die Frage ist also, ob es eine überzeugende Begründung für eine eigenständige politische Bildung auch für normale Zeiten geben kann, in denen keine innenpolitische Antagonismen auf der Tagesordnung stehen.
Gegen diesen Einwand wäre zu fragen, ob die hohe Akzeptanz, die die parlamentarisch-demokratische Gesellschaftsverfassung in Westdeutschland tatsächlich erreicht hat, auch in Zukunft im vereinten Deutschland anhalten wird. In Westdeutschland beruhte sie nicht zuletzt auf dem Polster eines ständig steigenden Lebensstandards, auf relativem Massenwohlstand also, im Osten fällt der Gewinn demokratischer Verhältnisse und Strukturen dagegen zusammen mit wirtschaftlichem Niedergang und mit massenhaften Identitätskrisen, so daß die weitere politische Entwicklung schwer vorhersehbar ist. Hatte die politische Bildung nach 1945 die Aufgabe, demokratische Verhältnisse und Gedanken zu propagieren, um sie überhaupt erst zu realisieren, so könnte sie heute oder morgen zu deren Verteidigung benötigt werden. Je entfernter vom Schock der NS-Verbrechen die nachwachsenden Generationen aufwachsen, um so mehr fehlen ihnen die Erfahrungen mit antidemokratischen Bestrebungen, die andere Generationen vor ihnen machen mußten. Schon deshalb kann es staatspolitisch nötig sein, diesen Erfahrungsmangel durch einen besonderen politischen Unterricht zu kompensieren, der sowohl die Grundlagen des demokratischen Gemeinwesens wie auch dessen Gefährdungen bewußt macht.
Früher galt dies als wesentliche Aufgabe des Geschichtsunterrichts. Er wurde vor allem damit begründet, daß in seiner Gestalt sich der Staat bzw. das Volk den Heranwachsenden präsentiere, damit diese ihre Aufgaben für die Zukunft eben dieses Staates und Volkes daraus zu erkennen vermögen. Das war aber durchaus noch obrigkeitsstaatlich gedacht; denn die politischen „Aufgaben", die die junge Generation erwarten, sind zwar in gewis-
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sen Maße durch die geschichtliche Entwicklung vorgegeben, werden aber andererseits auch durch den politischen Willen der heranwachsenden Generationen mitbestimmt. Zudem sind manche der großen Aufgaben, vor deren Bewältigung die heute Heranwachsenden stehen, einigermaßen geschichtslos, wenn wir etwa an die Atomindustrie, die ökologische Problematik oder die Gentechnologie denken. Andere Probleme allerdings wie das Ende des Stalinismus, das Nord-Süd-Gefälle und die daraus resultierenden Flüchtlingsströme sind ohne historische Vorkenntnisse kaum verstehbar. Die traditionelle politische Funktion des Geschichtsunterrichts kann heute also nur noch eingeschränkt gelten und muß offensichtlich ergänzt werden durch einen besonderen politischen Unterricht. Abgesehen davon ist politischer Unterricht von der Sache her ohnehin etwas anderes als Geschichtsunterricht. Aus diesem lassen sich im Hinblick auf politisches Handeln, seine Voraussetzungen und Folgen gewiß im allgemeinen wichtige Grundlagen und Kategorien lernen. Da aber nur Vergangenes - res gestae - behandelt werden kann, vermag der Schüler daraus nur begrenzte Schlüsse über seine Gegenwart und die Probleme seiner Zukunft ableiten.
2. Gegner eines eigenständigen Faches Politik könnten darauf verweisen, daß mit der Durchsetzung der modernen Informationsmedien insofern eine neue Lage eingetreten ist, als diese inzwischen wichtige aktuelle Fragen, die für die Gegenwart und Zukunft der Schüler von Bedeutung sind, ständig aufgreifen, in verständlicher Weise präsentieren und damit auch der politischen Urteilsbildung der Bürger anheimstellen. So gesehen ist kein anderes Schulfach der Sache nach derart umfangreich in diesen Medien vertreten wie das Fach Politik. Wäre es nicht schon deshalb sinnvoll, die ohnehin knapp bemessene Unterrichtszeit anderen Fächern zugute kommen zu lassen, über deren Stoffe die Schüler außerhalb der Schule kaum etwas erfahren können?
In der Tat haben sich die Informationsmöglichkeiten auch für den jungen Bürger in den letzten Jahrzehnten durch die Massenmedi-en erheblich erweitert. Aber zum einen nutzen die meisten Jugendlichen diese Möglichkeiten zugunsten des Unterhaltungsprogramms kaum, zum anderen bringen ihnen die Medien selbst auch nicht bei, wie sie zum Zweck der politischen Information verwendet werden können. Unterhaltung zu nutzen muß man
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nicht eigens lernen; was auf Anhieb gefällt, unterhält eben auch. Die Aussagestruktur von Informationssendungen - etwa im Femsehen - versteht sich jedoch keineswegs von selbst. So leicht sie gemacht zu sein scheinen, so bedürfen sie doch eines relativ komplexen Vorstellungshorizontes, um hinreichend verstanden werden zu können.
3. Politische oder jedenfalls politisch relevante Themen werden - so könnte weiter eingewandt werden - zudem auch in anderen Schulfächern behandelt, in den Lehrplänen mancher Bundesländer tauchen sie ohnehin lediglich noch in Verbindung mit ande-en Fächern (wie Geschichte und Erdkunde) auf. Drückt sich darin nicht bereits eine vernünftige Tendenz aus, nämlich das Politische nicht ganz aus dem Unterricht verschwinden zu lassen, es aber in die klassischen Fächer möglichst einzuordnen?
Diese Fächer jedoch haben, wenn sie sorgfältig unterrichtet werden, andere Fragestellungen, im Religionsunterricht z.B. ethische, zur Geltung zu bringen. Das sind zweifellos wichtige Beurteilungsgesichtspunkte. Es kommt aber darauf an, Politisches politisch zu verstehen und zu erklären. Nur ein politischer Unterricht, der wirklich das Politische im Blick hat - also die Strukturen und Organe des politischen Systems einerseits, die auf Machtgewinn und Durchsetzung gerichteten Interessen andererseits - hat eine eigene Daseinsberechtigung. Ein Unterricht allerdings, der, wie er heute vielfach anzutreffen ist, das Politische gar nicht mehr im Blick hat, sondern auf moralisierendes Räsonieren aus ist, ist entbehrlich und kann ersatzlos gestrichen werden.
Die Zusammenlegung der Politik bzw. Sozialkunde mit anderen Fächern wie Geschichte und Geographie zu einem „Lernbereich" wie in Niedersachsen ist nur dann zu vertreten, wenn der dieses Fachgemisch unterrichtende Lehrer die Bezugsfächer auch studiert hat und wenn es einen eigentümlichen didaktischen Kern erhält, der die Stoffe für die Schüler in einer inneren Logik zusammenhält. Das ist jedenfalls in Niedersachsen nicht der Fall, vielmehr sind hier Themen aus den unterschiedlichen Fächern additiv aneinander gereiht. Mit politischem Unterricht im hier vertretenen Sinne hat das kaum noch etwas zu tun.
Aus der Sicht der Schüler gibt es noch ein weiteres Argument für einen eigenständigen politischen Unterricht. Früher - noch in den
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fünfziger Jahren - galt das Kindes- und Jugendalter als politisch-exterritorial, d.h. Kinder und Jugendliche wurden nicht als politische Subjekte mit eigenen politisch-ökonomischen Interessen angesehen, vielmehr galten diese Altersphasen als Zeiten der lebensvorbereitenden Bildung und Erziehung. Diese Vorstellung entspricht jedoch längst nicht mehr der Wirklichkeit. Das aktive Wahlrecht ist inzwischen auf 18 Jahre herabgesetzt worden, das Kommunalwahlrecht teilweise auf 16 Jahre. Obwohl die Ausbildungszeiten für viele junge Menschen sich eher verlängert haben, ist damit trotz ökonomischer Abhängigkeit im allgemeinen kaum noch eine soziale verbunden. Jugendliche sind in erheblichem Maße politische Subjekte geworden, insofern hat der Schulunterricht auch eine lebensbegleitende Funktion bekommen. Die Schule kann weder das Bedürfnis nach politischem Engagement noch nach Aufklärung über die entscheidenden gegenwärtigen und künftigen Probleme mehr einfach auf das spätere Erwachsensein verschieben und damit der freiwilligen Beteiligung an der Erwachsenenbildung anheimstellen. Vielmehr muß der (ältere) Schüler auch in seiner Gegenwärtigkeit ernst genommen werden. Dafür ist neben anderem ein solider politischer Unterricht zweckmäßig.
Damit sind wir an einem entscheidenden Punkt angelangt: Angesichts der Knappheit der zur Verfügung stehenden Schulstunden wird ein besonderer politischer Unterricht auf Dauer nur dann gerechtfertigt sein, wenn nachgewiesen werden kann, daß er zumindest im Kern einen eigenen Gegenstand, einen eigenen Wirklichkeitsbereich hat, der durch andere Fächer nicht hinreichend in den Blick gerät und den sich zu erschließen andererseits für Kinder und Jugendliche von nicht zu leugnender Bedeutung ist. Dieser Kern wird sichtbar, wenn wir den „allgemeinbildenden" Sinn der Schulfächer im ganzen betrachten. Er liegt offenbar darin, daß die Schüler in die Lage versetzt werden sollen, die sie umgebende Wirklichkeit zumindest soweit zu verstehen, daß sie ihre Partizipationsmöglichkeiten optimal nutzen können. Darin besteht die einzig vernünftige Begründung dafür, daß in einer demokratischen Gesellschaft möglichst alle Kinder eine möglichst hohe Allgemeinbildung erhalten sollen (Vgl. Giesecke 1998). Zu diesem Zweck müssen sie die sie umgebende Wirklichkeit we-nigstens in ihren Grundlagen verstehen können, was wiederum nur möglich ist, wenn diese Wirklichkeit in Teilbereiche aufge-
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teilt wird, die bestimmte begrenzte Aspekte von ihr (Natur, Kultur, Politik, Kunst) bearbeitbar und somit verstehbar machen. Dazu dienen die Schulfächer; sie sind charakterisiert durch bestimmte Gegenstände und bestimmte Methoden, mit denen diese Gegenstände erschlossen werden können - das sind bekanntlich in den Naturwissenschaften andere als in den Geisteswissenschaften. Auf die damit verbundene Problematik eines überzeugenden Kanons von Schulfächern und Stoffen kann hier nicht näher eingegangen werden.
Generell lassen sich nun die bürgerlichen Teilhabemöglichkeiten in politische, berufliche und kulturelle unterteilen, die gleichrangig zu sehen sind, weil sonst die Chancen der Partizipation von vornherein wieder eingeschränkt würden - etwa zu Gunsten be-rufsbezogener Lernziele. Auf diesem Hintergrund läßt sich nun die politische Teilhabe folgendermaßen präzisieren:
1. Teilnahme an politischen Wahlen;
2. Teilnahme an der beruflichen Interessenvertretung;
3. Teilnahme im Rahmen von Verbänden, Organisationen bzw. Bürgerinitiativen;
4. Teilnahme an der politischen Publizistik.
Die ersten drei Partizipationsmöglichkeiten sind unmittelbar evident, für sie muß der politische Unterricht Urteilsfähigkeit aufbauen bzw. verbessern. Die Teilnahme an der politischen Publizistik verdient eine besondere Erwähnung, weil sie immer noch allgemein unterschätzt oder gar übersehen wird. Für unsere politische Information und Urteilsbildung sind wir aber in einem hohen Maße auf die Massenmedien angewiesen, nicht zuletzt auch auf das Fernsehen, das viele Menschen der intensiven Zeitungslektüre vorziehen. Deshalb sollte die kritische Analyse solcher Produktionsformen geübt werden. So wie im Deutschunterricht Gedichte und Geschichten zum Thema werden, müßten im politischen Unterricht Formen der politischen Berichterstattung, etwa einschlägige Magazinsendungen, untersucht werden. Aber das Fernsehen wird üblicherweise im Unterricht nur als Unterrichtsmittel eingesetzt, nicht selbst zum Thema gemacht. Darauf aber käme es an.
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Aus den vier genannten speziellen Partizipationsvarianten geht schon hervor, daß der Kern des politischen Unterrichts im politischen Handeln zu sehen ist - im eigenen wie in dem anderer Personen (etwa der politischen Repräsentanten in Parteien, Organisationen und staatlichen Institutionen). Alles andere kann in der Tat auch in anderen Fächern und in fachübergreifenden Projekten zur Sprache kommen; lediglich das politische Handeln bedarf eines eigenen Zugangs, ist ein eigentümlicher Gegenstand, der von keinem anderen Fach in hinreichendem Maße erreicht werden kann. Anders gesagt: Nur dann, wenn dem politischen Handeln ein unverzichtbarer Bildungswert beigemessen wird, ist ein besonderer politischer Unterricht zu begründen.
Nun wird das kaum jemand leugnen, ist doch „Handlungsorientierung" inzwischen ein nahezu alle Schulfächer ergreifendes unterrichtsmethodisches Prinzip geworden - und zu einem Zauberwort, mit dem die Schwierigkeiten des Unterrichtens gebannt werden sollen. Richtlinien fast aller Fächer, Schulbücher, Lehrproben von Referendaren und veröffentlichte Unterrichtseinheiten gerieren sich heute derart selbstverständlich „handlungsorientiert", als müsse einem Götzen damit immer wieder Reverenz erwiesen werden. Deshalb sind folgende Präzisierungen nötig:
1. Die modische schulpädagogische Vorliebe für „Handlungsori-entierung" hat mit dem Zusammenhang unserer fachdidaktischen Überlegungen kaum etwas zu tun. Sie bezieht sich nämlich nicht auf die Analyse von (politischen) Sachverhalten, sondern zielt auf die Aktivität von Schülern während des Unterrichts überhaupt - in der Annahme, daß sich dadurch Disziplinprobleme mindern, Motivationen gestiftet, Interessen mobilisiert und für das aktuelle Leben der Schüler verwertbare Ergebnisse entstehen würden. „Handlungsorientierung" in diesem Sinne ist ein Kampfbegriff gegen den klassischen Unterricht der Schule, gegen dessen kognitive Dominanz. Dazu steht unverkennbar im Widerspruch, was hier mit Konzentration des politischen Unterrichts auf das politische Handeln gemeint ist.
2. Angesichts unserer repräsentativen politischen Verfassung geht es im politischen Unterricht zunächst einmal darum, das politische Handeln gewählter Akteure zu verstehen und zu beurteilen; zu denen gehören Kinder und Jugendliche und auch
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die meisten Erwachsenen nicht. Das ist kein Mangel unseres politischen Systems, sondern entlastet die Menschen zugunsten anderer Aufgaben, die ihnen wichtig sind, ohne ihnen die politische Kontrolle zu nehmen. Politisches Handeln ist auf dieser Ebene nicht Gegenstand des Mitmachens, sondern des angemessenen Nachdenkens über das, was da geschieht. Die Frage ist nur, ob es für die Beurteilung politischen Handelns ein wissenschaftlich fundiertes didaktisches Repertoire gibt, das die Sache aus dem bloßen Meinungsaustausch heraushebt - so wie es auch für andere Fächer außersubjektive Leitmotive der Bearbeitung gibt -, und ob es über dasjenige Training der politischen Handlungsbeurteilung hinausgehen kann, das auch der Geschichtsunterricht anbietet; aber von dessen Grenze im Hinblick auf aktuelle und künftige politische Probleme war ja schon die Rede.
3. Politisches Handeln von Kindern und Jugendlichen findet nicht schon dadurch statt, daß sie im Unterricht zu mehr als zum Denken aktiviert werden. Das mag im Einzelfall methodisch sinnvoll sein, ergibt sich aber aus ganz anderen Begründungen. Wenn etwa Schüler im Rahmen einer Unterrichtsaufgabe Bürger befragen, oder wenn sie Recherchen über die Geschichte ihres Wohnortes in der NS-Zeit anstellen, hat das nichts mit Handeln im politischen Sinne zu tun. Anders stellt sich die Sache schon dar, wenn bei den erwähnten Recherchen Ergebnisse herauskommen, die in der Öffentlichkeit politische Aufregung verursachen, wie dies in der Vergangenheit nicht selten der Fall war. Dann muß sich zeigen, ob die Schüler - angeleitet von ihren Lehrern - darauf wirklich politisch reagieren oder etwa nur mit moralisierender Gekränktheit. Wenn sie in der Öffentlichkeit politisches Terrain betreten, gelten die Schutzregeln der Schule nicht mehr, dann werden sie mit Interessen konfrontiert, möglicherweise auch mit Feindschaft und Manipulationsversuchen. Aufgabe der Schule sind solche Arrangements nicht, und viele Beispiele aus der Vergangenheit sprechen dafür, dies nicht unbedingt zu versuchen, zumal Schüler dann auch leicht von politisch naiven Lehrern - wenn auch vielleicht unabsichtlich - instrumentalisiert werden.
4. Von politischem Handeln der Schüler in der Schule kann man eigentlich nur dann sprechen, wenn es sich um Aktivitäten im
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Rahmen der schulischen Mitwirkungsmöglichkeiten handelt, weil dann Grundphänomene des Politischen angesprochen sind: Wählen, gewählt werden, sich als gewählter Repräsentant verhalten, ein Amt ausüben, dabei die institutionellen Rahmenbedingungen beachten, Kompromisse eingehen zwischen unterschiedlichen Interessen.
3. Aufklärung oder Erziehung?
Nachdem ein besonderer politischer Schulunterricht soeben begründet wurde, muß die Frage beantwortet werden, worin dieser denn inhaltlich bestehen soll. Vorher ist jedoch eine Zwischenüberlegung nötig, von deren Ergebnis alles weitere abhängt. Es geht um die Frage, ob der Unterricht lediglich aufklären, oder auch - oder gar statt dessen - erzieherische Intentionen realisieren soll. Wie der Rückblick im ersten Kapitel gezeigt hat, werden mit der rationalen Aufklärung über die Welt durch Unterricht fast immer irgendwelche erzieherischen Ziele verbunden: Der Schüler soll zum Beispiel nicht nur etwas wissen und Einsichten gewinnen, er soll darüber hinaus auch ein bestimmtes Verhalten erwerben. Er soll sich z.B. politisch engagieren; er soll bestimmte politische Gruppen oder Ziele für moralisch verwerflich halten und andere für gut befinden; er soll für die demokratische Grundordnung eintreten, kein Rassist werden und die Neonazis nicht unterstützen usw..
Erzieherische Vorgaben sind auch in Richtlinien zu finden. Die niedersächsischen Richtlinien für die Realschulen z.B. - in der Fassung von 1995 - verlangen als allgemeine Bildungsziele des Unterrichts u.a. „Herausbildung sozialer und humaner Verhaltensweisen und Einstellungen", „soziale Integration fördern", „Förderung emotionaler und kreativer Kräfte" und die Fähigkeit, „sich gesundheitsbewußt zu verhalten sowie sachgerecht und aktiv für die Erhaltung der natürlichen Umwelt einzusetzen". Die „Bereitschaft" der Schüler „soll gestärkt werden, für gute Beziehungen unter den Menschen verschiedener Nationen und Kulturkreise einzutreten, sowie Toleranz unter den Menschen zu fördern. Die Gleichberechtigung der Geschlechter ist durch eine Erziehung zu partnerschaftlichem Verhalten zu fördern" (S. 4). Diese Maßgaben gelten auch für den politischen Unterricht, der
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hier in einem eigenem Fachbereich mit Erdkunde und Geschichte verbunden ist. Der Sozialkundeunterricht selbst soll „Handlungskompetenz" vermitteln. Die Schüler „haben Handlungskompetenz erlangt, wenn sie fähig sind, in ihrem Alltagsleben verantwortlich an der Legitimation, Ausübung und Kontrolle von Herrschaft teilzuhaben. Sie suchen und nutzen Möglichkeiten, die Grund- und Menschenrechte im Interesse der Gerechtigkeit und des weltweiten Friedens durchzusetzen „(S. 17). Bei alledem „geht" der Sozialkundeunterricht „vom Betroffensein aus. Von zentraler Betroffenheit kann gesprochen werden, wenn die Endlichkeit der Lebensvoraussetzungen für den einzelnen und die Menschheit sichtbar wird" (S. 16).
Bei der Beurteilung derartiger Formulierungen muß man zwischen ihrer politischen und pädagogischen Bedeutung unterscheiden. Schulpolitische Forderungen - etwa im Hinblick auf Schulfächer und Lehrpläne - werden immer unter Verweis auf das Wohl der Menschen oder der menschlichen Gemeinschaft, des Staates, begründet. Der Hinweis auf die Notwendigkeit von Bildung im Sinne einer Aufklärung über die Welt reicht dafür allein offenbar nicht aus. Deshalb sind Übertreibungen auf dieser Sprachebene möglicherweise unvermeidlich, aber sie führen auch leicht in die Irre, weil damit Erfolgserwartungen geweckt werden, die das Fach nicht einlösen kann. Von Realschülern zu erwarten, in ihrem Alltag „an der Legitimation, Ausübung und Kontrolle von Herrschaft teilzuhaben", wie es oben heißt, ist illusionär und ziemlich weit hergeholt. Solche abwegigen Postulate können dem politischen Unterricht nur schaden. Deshalb muß zwischen erzieherischen Erwartungen, die von außen an die Unterrichtsstoffe herangetragen werden, und solchen, die den Stoffen bzw. ihrer geordneten geistigen Bearbeitung immanent sind, sorgsam unterschieden werden.
1. Sollen die Stoffe von außen gesetzten Erziehungszielen dienen, wie sie eben beispielhaft aus den niedersächsischen Richtlinien zitiert wurden, ist die didaktische Frage, was warum im Unterricht gelehrt und gelernt werden soll, kaum mehr vernünftig zu beantworten. Es läßt sich keine didaktische Konstruktion finden, die z.B. die Gewaltenteilung erklärt, sie aber so erklärt, daß der Schüler dieses Prinzip später auch verteidigen wird. Niemand kann die Bundeswehr so erklären, daß der Schüler hinterher nicht
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den Wehrdienst verweigert, oder die Migrationsprozesse so, daß die Schüler außerhalb der Schule freundlich zu Asylbewerbern sind. Weder die Pädagogik im allgemeinen, noch die Didaktik im besonderen kann über das außerschulische bzw. nachschulische Verhalten der Schüler verfügen, und das ist natürlich auch gut so, denn sonst hätte die Pädagogik ja totalitäre Möglichkeiten. Obwohl der Zusammenhang von Aufklärung und Verhalten, also die Unmöglichkeit, das eine gemeinsam mit dem anderen zu lehren, klar auf der Hand liegt, wird immer wieder das Gegenteil propagiert. Die Schule steht immer noch unter dem Primat der Erziehung und glaubt, es mit der Aufklärung nicht bewenden lassen zu dürfen. Das hat eine lange schulpädagogische Tradition, die mit der Spannung zwischen Aufklärung und Loyalität zu tun hat. Als alle Menschen das Lesen und Schreiben lernen mußten, sollten sie nur das Richtige, nicht auch das Falsche lesen. Das Falsche lag in der dadurch möglichen Aufweichung von Loyali-täten - zur Familie, zur Kirche, zum Staat. Aufklärung durch Bil-dung war immer begleitet von erzieherischen Kanalisierungen. Selbst das humanistische Gymnasium rechtfertigte sich primär mit dem erzieherischen Wert der von ihm vertretenen klassischen Bildung. Bis heute steht die Schule deshalb - im wesentlichen immer noch zu Recht - im Verdacht, die aufklärerische Funktion des Unterrichts zu Erziehungszwecken zu instrumentalisieren. So haftet ihr immer noch der Geruch des Uneigentlichen, des Manipulativen an: Wer wirklich wissen wolle, wie es in der Welt zugeht, müsse sich seine Informationen außerhalb der Schule besorgen.
Die durch aufklärenden Unterricht möglicherweise entstehende Distanz zu überkommenen Loyalitäten muß aber in Kauf genommen werden, weil die Fähigkeit dazu Voraussetzung für jede gesellschaftliche Veränderung ist und dafür, daß junge Generationen an solchen Entwicklungen produktiv mitwirken können. Blieben sie statt dessen fixiert auf kollektive Zugehörigkeiten, die ihnen etwa ihre Eltern nahelegt haben, könnten sie keine Freiheit gewinnen, am politischen Leben denkend und handelnd teilzunehmen. Die Furcht vor dieser Freiheit hat andererseits den Auseinandersetzungen über schulische Erziehungsziele immer den Charakter einer Loyalitätsverteidigung aufgedrängt: Erziehungsziele, die im historischen Prozeß fragwürdig geworden oder nur
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noch für eine bestimmte Teilgruppe der Gesellschaft akzeptabel sind, sollten gleichwohl weiterhin für alle gelten. Die Auseinandersetzungen in den siebziger Jahren etwa über die hessischen Rahmenrichtlinien sind dafür ein gutes Beispiel; nicht deren Stoffkatalog war das öffentliche Problem, sondern das, was damit bewirkt werden sollte.
Ich halte es für an der Zeit, diese erziehungsdominierte Tradition der Schulpädagogik zu revidieren. Die Schule kann in unserer pluralistischen und individualisierenden Gesellschaft keine allgemeine Erziehungsanstalt mehr sein, sie kann nur noch solche Erziehungsziele durchsetzen, die sie für ihren eigenen Zweck braucht, etwa eine gewisse Grunddisziplin, Aufmerksamkeit, Kooperativität und Gewaltfreiheit. Allerdings darf man diese erzieherischen Implikationen eines aufklärenden Unterrichts auch nicht unterschätzen, denn sie sind zugleich Maximen eines öffentlich akzeptablen Verhaltens.
Die Zurücknahme der erzieherischen Außenleitung wird allerdings immer wieder in Frage gestellt durch Erwartungen der Öffentlichkeit, für Korrektur zu sorgen, wenn der Nachwuchs Ärgernis erregt, wie gegenwärtig etwa durch Gewalttaten. Nun kann das Kultusministerium selbstverständlich anordnen, das Thema „Gewalt" in den Schulen zu behandeln, aber ob das dazu führt, daß vorher gewaltbereite Jugendliche anschließend ihre Einstellung bzw. ihr Verhalten ändern, muß offenbleiben. Je „erzieherischer" die Schule bei diesem Thema moralisiert, um so weniger Chancen hat sie im allgemeinen, dieses Verhalten zu ändern. Nicht der moralische Appell ist die Chance der Schule, sondern die sachliche Aufklärung. Wenn ein Jugendlicher dennoch gewalttätig bleibt, soll er wenigstens wissen, daß die politische Begründung unsinnig ist, mit der er das zu rechtfertigen versucht. In der Schule soll er zunächst einmal sorgfältig argumentieren lernen, das darf der Lehrer auch von ihm verlangen; seine Gesinnung jedoch interessiert dort nur insofern, als sie sich in regelwidrigem Verhalten äußert, und auch dann wird nicht die Gesinnung bemängelt, sondern das Verhalten.
Nicht selten wird nun von der politischen Bildung „erzieherisch" erwartet, sie müsse eine derartige - gewalttätige bzw. rechtsradikale - Gesinnung pädagogisch korrigieren, sonst tauge der politische Unterricht nichts. Aber auf ein solches Resultat kann nie-
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mand ernsthaft setzen. Gewiß sollten Lehrer in persönlichen Gesprächen darauf Einfluß zu nehmen versuchen. Aber die Normen der Schule gelten heute zunächst einmal nur noch innerhalb ihrer Mauern, und dort sollten sie auch wieder durchgesetzt werden. Im übrigen aber kann die Schule die außerschulische Sozialisation nicht außer Kraft setzen, sondern in diese nur mit ihren Mitteln - nicht generell! - intervenieren; deshalb kann sie auch etwa polizeiliche Eingriffe, wenn sie nötig sein sollten, nicht durch Pädagogik ersetzen. Vom Grundsatz her ist die staatsmonopolistische Schule nicht mehr legitimiert, Erziehungsziele einzufordern, die im pluralistischen Alltag unterschiedlich bewertet werden dürfen, weil sonst der Konsens unter den gesellschaftlichen Gruppen gefährdet würde. In der faktischen - wenn auch nicht schon offiziell erklärten - erzieherischen Distanz des Staates haben seine jahrzehntelangen Auseinandersetzungen mit großen Teilgruppen der Gesellschaft, vor allem der katholischen Kirche und der Arbeiterbewegung, ihren innenpolitisch befriedenden Abschluß gefunden.
2. Andererseits enthält das, was in der Schule geschieht, nach wie vor erzieherische, weil normativ relevante Implikationen. Sie erwachsen bereits aus dem Zusammensein von Lehrern und Schülern. Wenn etwa die Klassengemeinschaft lernt, tolerant bei Meinungsverschiedenheiten miteinander umzugehen; wenn der Lehrer seine persönliche Meinung einbringt und dabei Aufmerksamkeit für andere Ansichten demonstriert, anstatt zu indoktrinieren und zu agitieren; wenn der Unterricht zeigt, daß in der Politik wie in anderen Bereichen „Wahrheit" eine Frage der Interpretation ist und deshalb nur von allen gemeinsam angestrebt werden kann - um nur einige Beispiele anzuführen, dann können aus diesen Erfahrungen normative soziale Verhaltensfundierungen erwachsen, die vielleicht auch außerhalb der Schule bestimmend bleiben. Aber das muß nicht so sein. Möglich ist auch, daß ein Schüler sich in der Schule angepaßt verhält, draußen aber z.B. mit politischen Gewalttätern sympathisiert. Die erzieherische Ab-sicht ist da im Einzelfalle gänzlich ohnmächtig.
Erzieherisch wirksam können also die Lernarrangements sein, Ton und Stil der Kommunikation, die Wahl der Unterrichtsformen vom Frontalunterricht bis zur Gruppenarbeit. Aber diese Absichten dürfen nicht so dominant werden, daß aus ihnen die zu
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unterrichtenden Stoffe erwachsen oder deren didaktische Konstruktion abgeleitet wird. Zentraler Zweck der Schule ist gelingender Unterricht im Sinne einer Aufklärung des Kindes über seine Welt und damit über sich selbst, nämlich darüber, was es mit dieser Welt anfangen will und wie es darin leben möchte.
Damit verbunden sind selbstverständlich auch spezifische soziale Lernprozesse. Das Kind muß generell lernen, sich an unterschiedlichen sozialen Orten (Familie; Schule; Gleichaltrigenszene; Ausbildungsbetrieb) unterschiedlich zu verhalten, so daß es nach den jeweiligen sozialen Regeln sich erfolgreich bewegen kann. Was für die Schule gilt, gilt nicht unbedingt auch für die Diskothek oder für die Familie und umgekehrt. An den einzelnen sozialen Orten kann man also nur lernen, was man dort auch braucht, und das hängt von deren kollektivem Sinn und Zweck ab. Auch in der Schule kann man demnach keineswegs alle überhaupt notwendigen sozialen Verhaltensweisen lernen, sondern nur diejenigen, die dort auch benötigt und deshalb nachgefragt werden. Allerdings vermag die Schule bei passenden Gelegenheiten die komplexen Verhaltenserwartungen - innerhalb wie außerhalb der Schule - in die Reflexion zu nehmen, was jedoch nur sinnvoll ist, wenn die Lehrer diese Komplexität selbst begriffen haben. Die sozialen Differenzierungen werden ja von Kindern und Jugendlichen üblicherweise eher durch Akte einer durch Mithandeln erfolgenden Gewöhnung gelernt, weniger als Ergeb-nis systematischer Überlegungen. Schule wäre durchaus ein Ort, diese Komplexität der Gewöhnung ins Bewußtsein zu nehmen. Gelingender Unterricht setzt jedenfalls ein Mindestmaß an physischer und geistiger Disziplin der Schüler voraus, aber das ist eine erzieherische Wirkung, die aus der Notwendigkeit der Sache erwächst und ihr nicht vorgegeben wird. Die erzieherischen Implikationen, die das Unterrichten als soziales Handeln zur Voraussetzung bzw. zur Folge hat, sollten durchaus genutzt werden, aber sie dürfen nicht zu darüber hinausgehenden Absichten werden, aus denen Unterricht dann lediglich abgeleitet wird.
Ähnliches gilt für emotionale Ziele. Nach dem Willen mancher Richtlinien - auch der zitierten niedersächsischen - soll der Unterricht auch „Betroffenheit" im Sinne eines emotionalen Angesprochenseins erzeugen. Damit wird die Sache didaktisch noch komplizierter: Der Schüler soll also z.B. die Machtergreifung der Na-
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zis nicht nur so verstehen, daß er selbst kein Neonazi wird, sondern auch so, daß er emotionalen Widerwillen gegen beides empfindet. Oder er soll die Migrationsproblematik so verstehen, daß er Immigranten grundsätzlich mit einem Gefühl von Toleranz und Solidarität begegnet. Aber Gefühle lassen sich nicht einplanen. Die Erfahrung von Schülern, daß Lehrer ständig ihre „Betroffenheit" anzapfen, kann im Gegenteil leicht dazu führen, daß sie sich emotional abschotten. Die didaktische Organisation der Aufklärung, die der Unterricht vermitteln soll, darf nicht abhängig gemacht werden von diesen oder jenen Gefühlen der Schüler. Wenn jedoch die Schüler von sich aus auf bestimmte Sachverhalte emotional reagieren, muß das selbstverständlich ernst genommen und nach Möglichkeit auch diskutiert werden. Aber prinzipiell lebt jeder Schul- und Hochschulunterricht von der Unterstellung, daß die Sache, die da vermittelt werden soll, objektiv vorgegeben ist, also der Subjektivität der Schüler als Forderung gegenübertritt. Deshalb darf der Schüler zwar seine Gefühle dazu äußern, aber der Lehrer darf auf diese nicht von vornherein didaktisch spekulieren.
3. Die eigentlichen erzieherischen Implikationen des (politischen) Unterrichts liegen in den Stoffen selbst. Sie stecken voller normativer Aspekte, die herausgelesen werden müssen, anstatt irgendwelche anderen unter der Fahne der Erziehung von außen heranzutragen. Wer etwa die Migrationsproblematik als politisches Thema behandelt, nämlich im Hinblick auf kulturelle Differenzen und deren Integrationsfähigkeit, auf absehbare Folgen für alle Beteiligten, auf unterschiedliche Interessen usw. , stößt auf eine Fülle normativer Probleme und Antinomien, die durchaus das jeweils persönliche sittlich-moralische Bewußtsein der Schüler berühren. Aber das sind zwei verschiedene Ebenen: die objektive Analyse einerseits, die je subjektive moralische Betroffenheit andererseits; der Unterricht hat aber von den objektiven, nämlich politischen Zusammenhängen auszugehen. Aufklärung durch Unterricht findet jedoch nicht eindimensional statt, wie etwa ein Computer Informationen aufnimmt, um sie dann per Mausklick wieder preiszugeben. Aufklärung über politische Strukturen und Sachverhalte wirkt zurück auf die Subjekte, klärt auch diese im Hinblick auf ihr bisheriges Wissen, auf vorhandene Vorurteile, auf normative Einstellungen und Verhaltensweisen
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auf. Ohne diesen wechselseitigen Prozeß ergäbe Lernen keinen Sinn.
Meine weiteren Überlegungen gehen also von der Voraussetzung aus, daß Aufklärung durch Bildung im Sinne einer „wechselseitigen Erschließung" (Klafki) von Mensch und Welt der Sinn des politischen Unterrichts ist, und daß keine dem vorgelagerten Erziehungsziele dabei zu berücksichtigen sind. Bildung wird hier als pädagogischer Selbstzweck verstanden, der keiner darüber hinausgehenden Rechtfertigung bedarf. Erzieherische Ansprüche, die den Sachverhalten nicht implizit sind, sind deshalb keineswegs überflüssig, aber sie müssen anders begründet werden, nämlich mit der Notwendigkeit sozialer und gesellschaftlicher Normen und Regeln. Solche Begründungen haben ihren eigenen Sinn und ihre eigene Dignität, aber sie gelten auch ohne die Ansprüche der Bildung. Erziehung ist immer nötig, Bildung dagegen, insbesondere Bildung für alle, ist eine Zutat, die sich eine Gesellschaft erst einmal leisten können muß und will.
Dieses Plädoyer für rationale Aufklärung ist nicht philosophisch gemeint, etwa im Sinne einer Aufklärungseuphorie. Nicht zu leugnen ist, daß die klassische Aufklärungsphilosophie, die die moderne Erziehungswissenschaft entscheidend geprägt hat, längst selbst in die Diskussion geraten ist; dieses Problem kann die politische Didaktik mit ihren Mitteln jedoch nicht entscheiden. Gleichwohl ist die Strategie der rationalen Aufklärung für den politischen Unterricht ohne Alternative - es sei denn, dieser Unterricht verlöre sich in irrationale, emotional-symbolische Dimensionen.
4. Was soll im politischen Unterricht gelernt werden?
Zum Begriff,, Didaktik''
Damit sind wichtige Vorfragen erläutert, wenn es nun darum geht, der Frage nach den Inhalten des politischen Unterrichts näher zu treten. Damit beschäftigt sich die Didaktik. Der Begriff „Didaktik" wird heute meist in einem umfassenden Sinne benutzt, als Bezeichnung für alle planmäßigen pädagogischen Ar-
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rangements, ob es sich dabei nun um Unterricht handelt oder um die Organisation eines Kinderferienlagers. Ursprünglich war er lediglich auf den Unterricht, also auf die planmäßige Lehre, vor allem in der Schule, begrenzt. Seine Ausdehnung verdankt er in erster Linie der Erweiterung der pädagogischen Studiengänge in den letzten Jahrzehnten, wobei insbesondere die Diplomstudiengänge eine Rolle spielen, in deren Mittelpunkt das Unterrichten nur teilweise steht. Die pädagogischen Grundbegriffe, zu denen auch „Didaktik" gehört, sollten in diese Studiengänge dennoch sinngemäß übernommen werden können. Im folgenden geht es aber wieder um die engere Fassung, und zwar im Hinblick auf den politischen Unterricht - welche Bezeichnung (Sozialkunde; Gesellschaftskunde usw.) er in der Schule auch haben mag. Grundproblem aller Didaktik ist, daß die natürliche, kulturelle und eben auch die politische Wirklichkeit uns von sich aus nicht verrät, wie sie erkannt und also auch in der Lehre vermittelt werden kann. Als solche ist sie nicht lehr- und lernbar und übrigens auch nicht erforschbar. Vielmehr muß sie, damit das möglich wird, erst zu diesem Zweck bearbeitet, also in geeigneter Weise definiert werden. Die didaktische Aufgabe ist nicht dadurch zu lösen, daß man die Wirklichkeit gleichsam fotografiert und in verkleinertem Maßstab vermittelt. Die Wissenschaft hat für die Erforschung der Realität bestimmte Methoden (empirische; hermeneutische) entwickelt, die einerseits die Wirklichkeit in bestimmter Weise definieren, andererseits deswegen aber auch einen nur jeweils begrenzten Erkenntniswert aufweisen - ein Mangel, der durch die Anwendung verschiedener Methoden ausgeglichen werden soll. Diese Begrenztheit gilt auch für jede didaktische Konstruktion: Wenn ich etwas lehren will, muß ich zu diesem Zweck die Wirklichkeit erst in eigentümlicher Weise auswählen und insofern definieren. Man kann das daran erkennen, daß zwei Personen über dasselbe Thema inhaltlich und hinsichtlich der Gliederung verschiedene Referate halten werden, je nachdem, wie sie ihren Gegenstand zum Zweck seiner Vermittlung definiert haben. Auf diese Weise wird aber notwendigerweise der an sich viel komplexere Sachverhalt vereinfacht - weshalb man immer auch fragen kann, warum der Referent diesen oder jenen Aspekt nicht berücksichtigt habe.
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Lehren wie Forschen setzen also stets Vereinfachen voraus. Deshalb ist grundsätzlich ausgeschlossen, im Akt des Lehrens der Wirklichkeit in ihrer ganzen Komplexität gerecht zu werden. Insofern besteht immer die Gefahr, diese Lücke durch sachfremde Zusätze aufzufüllen, wofür sich erzieherisch begründete Moralisierungen geradezu aufdrängen. Vertretbar sind solche Reduktionen daher nur dann, wenn sie nicht als etwas Endgültiges, Dogmatisches betrachtet werden, sondern dem Weiterlernen offen bleiben. Ähnlich wie im wissenschaftlichen Verfahren ist deshalb auch im Unterricht Methodenvielfalt eine Möglichkeit, Einseitigkeit zu minimieren.
Didaktische Analysen haben also den Sinn, eine bestimmte Wirklichkeit - in unserem Falle: die politische - lehrbar und damit für Lernende verstehbar zu machen. Methodik dagegen bezieht sich auf die Planung des Unterrichts als eines zeitlichen Prozesses; wenn ich die Lehrbarkeit eines Sachverhaltes herausgefunden habe, habe ich ihn ja anderen Menschen noch keineswegs tatsächlich beigebracht. Methodische Aspekte werden jedoch hier zunächst ausgeklammert und später im IV. Kapitel behandelt.
Didaktisches Denken kreist also um einen prinzipiellen Vermittlungsprozeß zwischen Mensch und Welt. Objektive Sachverhalte und Zusammenhänge sollen nicht an und für sich - wie sollte das überhaupt geschehen? -, sondern bestimmten Menschen erklärt werden, z.B. Grundschulkindern, Schülern der gymnasialen Oberstufe oder auch Erwachsenen. Voraussetzung dafür, daß dies überhaupt möglich ist, ist immer eine bereits vorhandene Erfahrung, an die sich dabei anknüpfen läßt. Was neu gelernt werden soll, muß sich immer auf bereits vorhandene Erfahrungen beziehen, um diese zu erweitern, ergänzen, korrigieren und differenzieren. Deshalb kann man Grundschulkindern einen politischen Sachverhalt nicht in derselben Weise und in demselben Umfang erklären wie Abiturienten oder Professoren, und manches kann man z.B. Grundschulkindem mangels vorgängiger Erfahrung noch gar nicht erklären - worauf die schulischen Lehrpläne ja auch Rücksicht zu nehmen versuchen.
Didaktische Konstruktionen bewegen sich also immer in einem Spannungsverhältnis zwischen der Lehrbarkeit einer Wirklichkeit im allgemeinen und der Lernbarkeit durch eine bestimmte Grup-
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pe von Menschen im besonderen. Die beiden möglichen Extreme sind demnach die geistige Erschließung dieser Wirklichkeit ausschließlich von den Bedürfnissen der Lernenden oder umgekehrt von den Ansprüchen der sachlichen Analyse her. Didaktische Konzepte versuchen in der Regel, eine Balance zwischen beiden Extremen zu finden, wobei die Grundschule eher an dem einen Pol, die Universität eher an dem anderen Pol angesiedelt ist. Aber Studenten fallen nicht vom Himmel, auch sie haben als Grund-schüler begonnen. Diese biographische Dimension ist bedeutsam für jede Bildungstheorie, kann aber an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden.
Wie jedoch kann die Objektivität der Welt erkannt und gelehrt bzw. gelernt werden? Sie kann auf verschiedene Weise - wie die Geschichte der Menschheit lehrt - in den Blick genommen werden, etwa durch Mythen, durch philosophische Abstraktion oder durch religiöse Deutungen. Diese Sichtweisen dominierten bekanntlich in der vormodernen Vergangenheit, hatten aber den Nachteil, daß sie die Welt nicht zutreffend darstellten, was sich insbesondere darin zeigte, daß bestimmte Handlungen, die sich darauf gründeten, nicht erfolgreich waren. Bekanntlich bedurfte etwa das moderne kapitalistische Wirtschaften eines neuen Denkansatzes, der sich von den alten Mythen und religiösen Deutungen der Welt emanzipieren mußte, um erfolgreich sein zu können. Erst die modernen Wissenschaften haben dafür einen erfolgversprechenden Weg gezeigt, der allerdings mit einem unvermeidbaren Konstruktionsfehler behaftet ist: Um die Welt möglichst genau erkennen zu können, muß sie in verschiedene Sektoren aufgeteilt werden, entsprechend den Wissenschaftsdisziplinen mit ihrer je eigenen Definition des Gegenstandes und der Verwendung besonderer Erkenntnismethoden. Zwar ist die uns heute geläufige Wissenschaftssystematik nicht einfach aus einem übergeordneten Begriff deduziert worden, sondern hat sich auch aus dem Willen zur Erforschung einzelner gesellschaftlicher Aufgaben gebildet; gleichwohl gilt, daß die einzelnen Fächer von begrenzter Reichweite sind. Die ganze Wirklichkeit ist auf diese Weise in einem einzigen Zugriff nicht zugänglich - selbst wenn man unterstellt, sie sei dem menschlichen Denken überhaupt je in ihrer ganzen Komplexität verfügbar zu machen. Versuche, die Einzelwissenschaften in einer Art von Metawissenschaft zu integrieren - wofür sich eine Zeit lang Theologie bzw. Philosophie
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Lehren wie Forschen setzen also stets Vereinfachen voraus. Des-halb ist grundsätzlich ausgeschlossen, im Akt des Lehrens der Wirklichkeit in ihrer ganzen Komplexität gerecht zu werden. In-sofern besteht immer die Gefahr, diese Lücke durch sachfremde Zusätze aufzufüllen, wofür sich erzieherisch begründete Morali-sierungen geradezu aufdrängen. Vertretbar sind solche Reduktio-nen daher nur dann, wenn sie nicht als etwas Endgültiges, Dog-matisches betrachtet werden, sondern dem Weiterlernen offen bleiben. Ähnlich wie im wissenschaftlichen Verfahren ist deshalb auch im Unterricht Methodenvielfalt eine Möglichkeit, Einseitig-keit zu minimieren.
Didaktische Analysen haben also den Sinn, eine bestimmte Wirklichkeit - in unserem Falle: die politische - lehrbar und da-mit für Lernende verstehbar zu machen. Methodik dagegen be-zieht sich auf die Planung des Unterrichts als eines zeitlichen Prozesses; wenn ich die Lehrbarkeit eines Sachverhaltes heraus-gefunden habe, habe ich ihn ja anderen Menschen noch keines-wegs tatsächlich beigebracht. Methodische Aspekte werden je-doch hier zunächst ausgeklammert und später im IV. Kapitel be-handelt.
Didaktisches Denken kreist also um einen prinzipiellen Vermitt-lungsprozeß zwischen Mensch und Welt. Objektive Sachverhalte und Zusammenhänge sollen nicht an und für sich - wie sollte das überhaupt geschehen? -, sondern bestimmten Menschen erklärt werden, z.B. Grundschulkindern, Schülern der gymnasialen Oberstufe oder auch Erwachsenen. Voraussetzung dafür, daß dies überhaupt möglich ist, ist immer eine bereits vorhandene Erfah-rung, an die sich dabei anknüpfen läßt. Was neu gelernt werden soll, muß sich immer auf bereits vorhandene Erfahrungen bezie-hen, um diese zu erweitern, ergänzen, korrigieren und differen-zieren. Deshalb kann man Grundschulkindern einen politischen Sachverhalt nicht in derselben Weise und in demselben Umfang erklären wie Abiturienten oder Professoren, und manches kann man z.B. Grundschulkindem mangels vorgängiger Erfahrung noch gar nicht erklären - worauf die schulischen Lehrpläne ja auch Rücksicht zu nehmen versuchen.
Didaktische Konstruktionen bewegen sich also immer in einem Spannungsverhältnis zwischen der Lehrbarkeit einer Wirklichkeit im allgemeinen und der Lernbarkeit durch eine bestimmte Grup-
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didaktik und als Schuldidaktik. Wenn politische Partizipation al-so der Hauptzweck des politischen Lernens in der Schule ist, dann folgt daraus, daß im Mittelpunkt des Lerninteresses das po-litische Handeln stehen muß - das eigene wie das anderer Men-schen. Dessen Aufklärung - im Hinblick auf seine Beweggründe, Ziele und Bedingungen - ist die Kernaufgabe. Das politische Handeln anderer - vor allem der gewählten Repräsentanten - muß einigermaßen zutreffend beurteilt werden können, um mit eige-nem Handeln - und sei es auch nur beim Wahlakt - darauf reagie-ren zu können.
Die Möglichkeit zur politischen Partizipation lernt der Schüler -so haben wir gesehen - nicht allein in der Schule und auch nicht allein im politischen Unterricht; aber nur im Rahmen einer Schule, die selbst nicht auf Handeln aus ist, kann er politische Aktionen in die Reflexion nehmen. Um dies zu ermöglichen, muß Politik aber erst entsprechend definiert werden, wie vorher schon begründet wurde. Dafür bieten sich im Rahmen des allge-meinbildenden Unterrichts - nicht überhaupt! - vier Versionen an, die im bisherigen politischen Unterricht auch eine praktische Be-deutung erlangt haben. Sie kommen dem Phänomen des politi-schen Handelns unterschiedlich nahe, stehen gleichwohl aber mit ihm in einem engen Zusammenhang.
1. Politik läßt sich verstehen als ein Funktionszusammenhang von Institutionen und deren Regeln.
2. Politik läßt sich verstehen als ein System von aufeinander be-zogenen Handlungen, die zum Ziel haben, auf der Grundlage der regelnden Institutionen Probleme von allgemein aner-kannter Bedeutung im Idealfalle zu lösen, im Normalfalle im Sinne einer höchstmöglichen Akzeptanz zu minimieren.
3. Politik läßt sich verstehen als ein interessenbedingtes Mitein-ander und Gegeneinander von Gruppen, deren Widersprüche sich in manifesten Konflikten äußern.
4. Politik läßt sich verstehen als jeweils aktuelles soziales Han-deln, das von bestimmten staatlichen oder verbandlichen Mandatsträgern oder Repräsentanten staatlicher oder verband-licher Institutionen ausgeht und vom Souverän - den jeweils Wahlberechtigten - beurteilt und kontrolliert wird.
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Diesen vier Definitionen entsprechen dann die im folgenden nä-her zu erläuternden didaktischen Zugänge der Kunde sowie des problemorientierten, konfliktorientierten und tagespolitischen Ansatzes. Diese vier Zugänge und die ihnen zugrundeliegenden Definitionen von Politik sind also pragmatisch zu verstehen, nicht so, als sei damit eine hinreichende oder gar vollständige Definition des Politischen selbst erfolgt. Es geht lediglich darum, Schneisen der Lehrbarkeit in eine tatsächlich viel komplexere Realität zu schlagen.
Systematische Kunde
Der ersten Definition entspricht didaktisch eine mehr oder weni-ger systematische Kunde, wie sie in Bezeichnungen wie „Ge-meinschaftskunde" oder „Sozialkunde" zum Ausdruck kommt. Das Politische wird dabei verstanden als ein relativ dauerhaft exi-stierender Gegenstand wie die Stoffe anderer Schulfächer auch. Zu unterrichten sind dann bestimmte Ausschnitte dieses Gegen-standes in einer plausibel erscheinenden Reihenfolge. Der didaktische Wert dieses Ansatzes ist vielleicht nicht unmit-telbar einsichtig. Warum sollen die Schüler systematische Kennt-nisse über politische Institutionen und deren Beziehungen erwer-ben, obwohl sie recht weit vom eigentlichen Thema - politisches Handeln - entfernt zu sein scheinen? Führt das nicht zu jener langweiligen Institutionenkunde, die schon in der Weimarer Zeit die Schüler gleichgültig gegenüber der Sache gemacht hat? Wenn solche Kenntnisse nötig sein sollten für das Verständnis aktueller Probleme und des darauf bezogenen Handelns - werden sie dann nicht von der politischen Publizistik von Fall zu Fall immer auch präsentiert?
Zum einen muß jedoch der Staat ein Interesse daran haben, daß seine jungen Bürger auf diese Weise in ihre staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten eingeführt werden. Zum anderen ist ein Mindestmaß an systematischen Kenntnissen über politische Strukturen im Sinne einer grundlegenden Vorstellung schon des-halb nötig, damit die aus aktuellem Anlaß servierten Informatio-nen der Medien überhaupt verstanden und eingeordnet werden können. Ohne entsprechende grundlegende Vorstellungen kann politisches Handeln im Unterricht kaum anders als im Stamm-
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rch bestimmte Menschen: Lehrbar ist eine Sache nur im Hinblick auf einen Lernenden. Umgekehrt gibt es eine Sache gar nicht, solange sie nicht kommunizierbar wird. Wenn wir also nach der Lehrbarkeit der Politik fragen, müssen wir definieren, für welche Lernenden sie lernbar werden soll, und diese Frage ist nur entscheidbar, wenn wir die Zwecke angeben, denen das Ler-nen dienen soll. Der Doktorand lernt, um sich damit wissen-schaftlich zu qualifizieren, der Lehrerstudent, um die Lehrbefähi-gung für das Fach Politik zu erhalten, der Schüler, um politisch partizipieren zu können. In allen drei Fällen stellt sich die didak-tische Problematik, nämlich als Wissenschaftsdidaktik, als Fach-
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didaktik und als Schuldidaktik. Wenn politische Partizipation al-so der Hauptzweck des politischen Lernens in der Schule ist, dann folgt daraus, daß im Mittelpunkt des Lerninteresses das po-litische Handeln stehen muß - das eigene wie das anderer Men-schen. Dessen Aufklärung - im Hinblick auf seine Beweggründe, Ziele und Bedingungen - ist die Kernaufgabe. Das politische Handeln anderer - vor allem der gewählten Repräsentanten - muß einigermaßen zutreffend beurteilt werden können, um mit eige-nem Handeln - und sei es auch nur beim Wahlakt - darauf reagie-ren zu können.
Die Möglichkeit zur politischen Partizipation lernt der Schüler -so haben wir gesehen - nicht allein in der Schule und auch nicht allein im politischen Unterricht; aber nur im Rahmen einer Schule, die selbst nicht auf Handeln aus ist, kann er politische Aktionen in die Reflexion nehmen. Um dies zu ermöglichen, muß Politik aber erst entsprechend definiert werden, wie vorher schon begründet wurde. Dafür bieten sich im Rahmen des allge-meinbildenden Unterrichts - nicht überhaupt! - vier Versionen an, die im bisherigen politischen Unterricht auch eine praktische Be-deutung erlangt haben. Sie kommen dem Phänomen des politi-schen Handelns unterschiedlich nahe, stehen gleichwohl aber mit ihm in einem engen Zusammenhang.
1. Politik läßt sich verstehen als ein Funktionszusammenhang von Institutionen und deren Regeln.
2. Politik läßt sich verstehen als ein System von aufeinander be-zogenen Handlungen, die zum Ziel haben, auf der Grundlage der regelnden Institutionen Probleme von allgemein aner-kannter Bedeutung im Idealfalle zu lösen, im Normalfalle im Sinne einer höchstmöglichen Akzeptanz zu minimieren.
3. Politik läßt sich verstehen als ein interessenbedingtes Mitein-ander und Gegeneinander von Gruppen, deren Widersprüche sich in manifesten Konflikten äußern.
4. Politik läßt sich verstehen als jeweils aktuelles soziales Han-deln, das von bestimmten staatlichen oder verbandlichen Mandatsträgern oder Repräsentanten staatlicher oder verband-licher Institutionen ausgeht und vom Souverän - den jeweils Wahlberechtigten - beurteilt und kontrolliert wird.
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Diesen vier Definitionen entsprechen dann die im folgenden nä-her zu erläuternden didaktischen Zugänge der Kunde sowie des problemorientierten, konfliktorientierten und tagespolitischen Ansatzes. Diese vier Zugänge und die ihnen zugrundeliegenden Definitionen von Politik sind also pragmatisch zu verstehen, nicht so, als sei damit eine hinreichende oder gar vollständige Definition des Politischen selbst erfolgt. Es geht lediglich darum, Schneisen der Lehrbarkeit in eine tatsächlich viel komplexere Realität zu schlagen.
Systematische Kunde
Der ersten Definition entspricht didaktisch eine mehr oder weni-ger systematische Kunde, wie sie in Bezeichnungen wie „Ge-meinschaftskunde" oder „Sozialkunde" zum Ausdruck kommt. Das Politische wird dabei verstanden als ein relativ dauerhaft exi-stierender Gegenstand wie die Stoffe anderer Schulfächer auch. Zu unterrichten sind dann bestimmte Ausschnitte dieses Gegen-standes in einer plausibel erscheinenden Reihenfolge. Der didaktische Wert dieses Ansatzes ist vielleicht nicht unmit-telbar einsichtig. Warum sollen die Schüler systematische Kennt-nisse über politische Institutionen und deren Beziehungen erwer-ben, obwohl sie recht weit vom eigentlichen Thema - politisches Handeln - entfernt zu sein scheinen? Führt das nicht zu jener langweiligen Institutionenkunde, die schon in der Weimarer Zeit die Schüler gleichgültig gegenüber der Sache gemacht hat? Wenn solche Kenntnisse nötig sein sollten für das Verständnis aktueller Probleme und des darauf bezogenen Handelns - werden sie dann nicht von der politischen Publizistik von Fall zu Fall immer auch präsentiert?
Zum einen muß jedoch der Staat ein Interesse daran haben, daß seine jungen Bürger auf diese Weise in ihre staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten eingeführt werden. Zum anderen ist ein Mindestmaß an systematischen Kenntnissen über politische Strukturen im Sinne einer grundlegenden Vorstellung schon des-halb nötig, damit die aus aktuellem Anlaß servierten Informatio-nen der Medien überhaupt verstanden und eingeordnet werden können. Ohne entsprechende grundlegende Vorstellungen kann politisches Handeln im Unterricht kaum anders als im Stamm-
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e der Menschheit lehrt - i4. Die Auswahl der jeweils angemessenen Methoden richtet sich nicht nur nach der Zielsetzung, sondern auch nach den beson-deren Bedingungen, die in einem bestimmten pädagogischen Feld anzutreffen sind. Der Vergleich zwischen Schule und Ju-gendarbeit unter diesem Aspekt schärft das Bewußtsein für Gemeinsamkeiten wie Unterschiede dieser beiden pädagogi-schen Felder.
1. Jugendarbeit als Institution
Die Jugendarbeit ist im Rahmen des kommerziellen Freizeitsy-stems ein pädagogisches Angebot und kann deshalb auch einen spezifischen Beitrag zur politischen Bildung Jugendlicher leisten. Allerdings werden ihre Angebote nur von einer Minderheit von Jugendlichen in Anspruch genommen. Ihre Geschichte kann hier nicht dargestellt werden (Vgl. Giesecke 1981), ihre Entstehung und Entwicklung war eine Reaktion auf die veränderte Stellung der Jugend in der Gesellschaft zwischen dem Anspruch auf be-grenzte Selbsterziehung einerseits und dem Wunsch Erwachsener nach sozialer Kontrolle des dadurch ermöglichten Freiraums für Jugendliche andererseits. In ihrer gegenwärtigen Gestalt präsen-tiert sie sich - stark vereinfacht - im wesentlichen in drei Formen, nämlich
• in den Jugendverbänden mit ihren Einrichtungen,
• in den Jugendfreizeitstätten und
• in den Jugendbildungsstätten.
Diese Maßnahmen und Einrichtungen haben unterschiedliche Träger, nämlich Wohlfahrtsverbände und andere „freie Träger" einerseits und Kommunen andererseits. „Frei" sind die genannten Träger in dem Sinne, daß sie nicht staatlich sind, was auf histori-sche Gründe zurückgeht. Allerdings sind die Träger so „frei" nun auch wieder nicht, weil sie in ganz erheblichem Maße von staat-lichen Zuschüssen abhängig sind, wie sie im Rahmen des Bun-desjugendplans, der Landesjugendpläne oder kommunaler Haus-haltstitel vergeben werden. Solche Feinheiten können hier jedoch auf sich beruhen bleiben. In unserem Zusammenhang ist wichtig, daß die Einrichtungen der Jugendarbeit in mancher Hinsicht ein Gegengewicht zur Schule bilden, also solche Möglichkeiten der
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politischen Bildung anzubieten vermögen, die sich zumindest theoretisch als ideale Ergänzung des schulischen politischen Un-terrichts verstehen lassen. Wenn also unsere Schüler aus der Schule kommen und sich anschließend in eine Einrichtung der Jugendarbeit begeben, treffen sie auf ganz andere institutionelle Bedingungen.
1. Im Unterschied zur Schule vergibt die Jugendarbeit im allge-meinen keine Zertifikate, mit denen weitergehende Berechti-gungen verbunden wären.
2. Die Jugendarbeit ist ein primär geselliges Arrangement. Nicht planmäßiges Lernen steht hier im Vordergrund, sondern eine bestimmte Art und Weise des Zusammenlebens, dessen päd-agogische Chancen (Lernchancen) genutzt werden können oder nicht. In der Schule dagegen bleibt die gesellige Dimen-sion, das Schulleben, im Hintergrund.
3. Im Unterschied zur Schule gibt es keine Lernvorgaben in Ge-stalt von Lehrplänen; von außen vorgegebene Pensen müssen nicht erfüllt werden.
4. Im Unterschied zur Schule, die zumindest bis zum Ende der Schulpflicht besucht werden muß, erfolgt die Teilnahme an den Angeboten der Jugendarbeit freiwillig.
5. Im Unterschied zur Schule, die gerade im politischen Unter-richt einen breiten Konsens wahren muß, darf die Jugendarbeit parteilich sein im Sinne der weltanschaulichen bzw. politi-schen Grundrichtung ihres jeweiligen Trägers. Die Träger gelten im Unterschied zur Schule als „Tendenzbetriebe". Die politische Bildungsarbeit der Gewerkschaftsjugend zum Bei-spiel darf durchaus von einem bestimmten politischen Stand-punkt aus erfolgen, wie er im Verbandszweck begründet ist.
6. Im Unterschied zur Schule, die der sachlich fundierten Aufklä-rung verpflichtet ist und von den Schülern keine bestimmten außerschulischen Handlungen verlangen darf, dürfen außer-schulische Träger Aufklärung und Handeln durchaus verbin-den und ihre Mitglieder und Anhänger etwa zu politischen Aktionen auffordern, solange diese im Rahmen der geltenden Gesetze bleiben.
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n den Blick genommen wer-den, etwa durch Mythen, durch philosophische Abstraktion oder durch religiöse Deutungen. Diese Sichtweisen dominierten be-kanntlich in der vormodernen Vergangenheit, hatten aber den Nachteil, daß sie die Welt nicht zutreffend darstellten, was sich insbesondere darin zeigte, daß bestimmte Handlungen, die sich darauf gründeten, nicht erfolgreich waren. Bekanntlich bedurfte etwa das moderne kapitalistische Wirtschaften eines neuen Denkansatzes, der sich von den alten Mythen und religiösen Deutungen der Welt emanzipieren mußte, um erfolgreich sein zu können. Erst die modernen Wissenschaften haben dafür einen erfolgversprechenden Weg gezeigt, der allerdings mit einem un-vermeidbaren Konstruktionsfehler behaftet ist: Um die Welt möglichst genau erkennen zu können, muß sie in verschiedene Sektoren aufgeteilt werden, entsprechend den Wissenschaftsdis-ziplinen mit ihrer je eigenen Definition des Gegenstandes und der Verwendung besonderer Erkenntnismethoden. Zwar ist die uns heute geläufige Wissenschaftssystematik nicht einfach aus einem übergeordneten Begriff deduziert worden, sondern hat sich auch aus dem Willen zur Erforschung einzelner gesellschaftlicher Aufgaben gebildet; gleichwohl gilt, daß die einzelnen Fächer von begrenzter Reichweite sind. Die ganze Wirklichkeit ist auf diese Weise in einem einzigen Zugriff nicht zugänglich - selbst wenn man unterstellt, sie sei dem menschlichen Denken überhaupt je in ihrer ganzen Komplexität verfügbar zu machen. Versuche, die Einzelwissenschaften in einer Art von Metawissenschaft zu inte-grieren - wofür sich eine Zeit lang Theologie bzw. Philosophie
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Lehren wie Forschen setzen also stets Vereinfachen voraus. Des-halb ist grundsätzlich ausgeschlossen, im Akt des Lehrens der Wirklichkeit in ihrer ganzen Komplexität gerecht zu werden. In-sofern besteht immer die Gefahr, diese Lücke durch sachfremde Zusätze aufzufüllen, wofür sich erzieherisch begründete Morali-sierungen geradezu aufdrängen. Vertretbar sind solche Reduktio-nen daher nur dann, wenn sie nicht als etwas Endgültiges, Dog-matisches betrachtet werden, sondern dem Weiterlernen offen bleiben. Ähnlich wie im wissenschaftlichen Verfahren ist deshalb auch im Unterricht Methodenvielfalt eine Möglichkeit, Einseitig-keit zu minimieren.
Didaktische Analysen haben also den Sinn, eine bestimmte Wirklichkeit - in unserem Falle: die politische - lehrbar und da-mit für Lernende verstehbar zu machen. Methodik dagegen be-zieht sich auf die Planung des Unterrichts als eines zeitlichen Prozesses; wenn ich die Lehrbarkeit eines Sachverhaltes heraus-gefunden habe, habe ich ihn ja anderen Menschen noch keines-wegs tatsächlich beigebracht. Methodische Aspekte werden je-doch hier zunächst ausgeklammert und später im IV. Kapitel be-handelt.
Didaktisches Denken kreist also um einen prinzipiellen Vermitt-lungsprozeß zwischen Mensch und Welt. Objektive Sachverhalte und Zusammenhänge sollen nicht an und für sich - wie sollte das überhaupt geschehen? -, sondern bestimmten Menschen erklärt werden, z.B. Grundschulkindern, Schülern der gymnasialen Oberstufe oder auch Erwachsenen. Voraussetzung dafür, daß dies überhaupt möglich ist, ist immer eine bereits vorhandene Erfah-rung, an die sich dabei anknüpfen läßt. Was neu gelernt werden soll, muß sich immer auf bereits vorhandene Erfahrungen bezie-hen, um diese zu erweitern, ergänzen, korrigieren und differen-zieren. Deshalb kann man Grundschulkindern einen politischen Sachverhalt nicht in derselben Weise und in demselben Umfang erklären wie Abiturienten oder Professoren, und manches kann man z.B. Grundschulkindern mangels vorgängiger Erfahrung noch gar nicht erklären - worauf die schulischen Lehrpläne ja auch Rücksicht zu nehmen versuchen.
Didaktische Konstruktionen bewegen sich also immer in einem Spannungsverhältnis zwischen der Lehrbarkeit einer Wirklichkeit im allgemeinen und der Lernbarkeit durch eine bestimmte Grup-
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pe von Menschen im besonderen. Die beiden möglichen Extreme sind demnach die geistige Erschließung dieser Wirklichkeit aus-schließlich von den Bedürfnissen der Lernenden oder umgekehrt von den Ansprüchen der sachlichen Analyse her. Didaktische Konzepte versuchen in der Regel, eine Balance zwischen beiden Extremen zu finden, wobei die Grundschule eher an dem einen Pol, die Universität eher an dem anderen Pol angesiedelt ist. Aber Studenten fallen nicht vom Himmel, auch sie haben als Grund-schüler begonnen. Diese biographische Dimension ist bedeutsam für jede Bildungstheorie, kann aber an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden.
Wie jedoch kann die Objektivität der Welt erkannt und gelehrt bzw. gelernt werden? Sie kann auf verschiedene Weise - wie die Geschichte der Menschheit lehrt - in den Blick genommen wer-den, etwa durch Mythen, durch philosophische Abstraktion oder durch religiöse Deutungen. Diese Sichtweisen dominierten be-kanntlich in der vormodernen Vergangenheit, hatten aber den Nachteil, daß sie die Welt nicht zutreffend darstellten, was sich insbesondere darin zeigte, daß bestimmte Handlungen, die sich darauf gründeten, nicht erfolgreich waren. Bekanntlich bedurfte etwa das moderne kapitalistische Wirtschaften eines neuen Denkansatzes, der sich von den alten Mythen und religiösen Deutungen der Welt emanzipieren mußte, um erfolgreich sein zu können. Erst die modernen Wissenschaften haben dafür einen erfolgversprechenden Weg gezeigt, der allerdings mit einem un-vermeidbaren Konstruktionsfehler behaftet ist: Um die Welt möglichst genau erkennen zu können, muß sie in verschiedene Sektoren aufgeteilt werden, entsprechend den Wissenschaftsdis-ziplinen mit ihrer je eigenen Definition des Gegenstandes und der Verwendung besonderer Erkenntnismethoden. Zwar ist die uns heute geläufige Wissenschaftssystematik nicht einfach aus einem übergeordneten Begriff deduziert worden, sondern hat sich auch aus dem Willen zur Erforschung einzelner gesellschaftlicher Aufgaben gebildet; gleichwohl gilt, daß die einzelnen Fächer von begrenzter Reichweite sind. Die ganze Wirklichkeit ist auf diese Weise in einem einzigen Zugriff nicht zugänglich - selbst wenn man unterstellt, sie sei dem menschlichen Denken überhaupt je in ihrer ganzen Komplexität verfügbar zu machen. Versuche, die Einzelwissenschaften in einer Art von Metawissenschaft zu inte-grieren - wofür sich eine Zeit lang Theologie bzw. Philosophie
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anboten -, endeten durchweg in ideologischen Systemen, wofür der Marxismus das bekannteste, aber keineswegs das einzige Beispiel der Moderne ist. Solche Systeme drohen immer den eigentlichen wissenschaftlichen Impetus, die Welt in ihrer Objektivität in Distanz zum unmittelbaren Handlungsinteresse zu verste-hen, zumindest teilweise wieder in Frage zu stellen. Festzuhalten bleibt daher, daß Bildungswissen erstens nur wissenschaftlich fundiertes Wissen sein kann und daß es zweitens gerade deswegen sich in einzelne Fächer separieren muß.
Mit dieser Notwendigkeit gerät nun gerade der politische Unterricht insofern in Schwierigkeiten, als - wie vorher begründet wurde - sein Kernthema das politische Handeln sein soll, weil nur dieses eine deutliche Abgrenzung von anderen Schulfächern ermöglicht. Nun basiert aber kein soziales Handeln, auch das politische nicht, lediglich auf einer Wissenschaft wie Politikwissenschaft oder Soziologie, es ist vielmehr „fächerübergreifend". Das gilt auch für die damit verbundenen Absichten des Handelnden und somit für die Problemdefinitionen, die er seinem Handeln zu Grunde legt. So haben wir es mit dem Paradox zu tun, daß in einem Schulfach etwas gelehrt werden soll, was tatsächlich allenfalls nur zum Teil in ihm enthalten ist. Wie ist dieser Widerspruch aufzulösen?
Dazu muß man zwischen dem Handeln als Standpunkt und als Gegenstand unterscheiden. Es geht im allgemeinbildenden Unterricht nicht darum, politisches Handeln zu lehren, so daß dabei Politiker ausgebildet würden, sondern darum, das in der Realität vorfindbare zu beurteilen. Das ist ein gewichtiger Unterschied. Das Beurteilen fremden Handelns macht dieses zu einem Gegenstand, einem Thema. Anders stellt sich die Sache dar, wenn die Schüler selbst handeln wollen. Dann ist Handeln kein Thema, sondern ein Standpunkt, von dem aus das vorhandene Wissen mobilisiert wird. Wenn Lehrer etwa Schüler im Rahmen der Mitbestimmung darüber beraten, wie sie sich vernünftig im Sinne ihrer Vorstellungen darin bewegen können, dann müssen sie die Ebene des fachlichen Lehrens verlassen und sich zumindest imaginativ auf die Ebene des Handelnden begeben. Zurückgreifen können sie dabei auf das gesamte Repertoire ihres Bewußtseins, gleichgültig, woraus es sich gebildet hat - ob etwa auch aus wissenschaftlichen Quellen oder lediglich aus Lebenserfahrung.
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Didaktik als Lehre vom Lehren und Lernen hat es also immer mit zwei Formen des Wissens zu tun, die ich Bildungswissen und Handlungswissen nenne. Bildungswissen ist das Repertoire dessen, was der Mensch in seiner bisherigen Lebensgeschichte aus handelnder Erfahrung einerseits und systematischer Unterrichtung bzw. Studium andererseits erworben hat. Nur das Bildungswissen kann durch den Unterricht der Schule oder durch das Studium an der Universität systematisch weiterentwickelt werden. Es hat in dieser Form noch nichts mit Handeln zu tun, ist gleichsam Handlungswissen im Ruhezustand, und dient dazu, angemessene Vorstellungen über die einzelnen Aspekte der Wirklichkeit aufzubauen, in die hinein das Handeln dann von Fall zu Fall erfolgen soll. Es kommt dem Handeln paradoxerweise gerade dadurch zugute, daß es dieses zunächst vernachlässigt, dazu in Distanz tritt. Beginnt der Mensch zu handeln, mobilisiert er sein Bildungsrepertoire auf diesen Zweck hin. Insofern ist es richtig zu sagen, daß „politische Bildung" aus mehr besteht als nur aus einem spezifischen Fachwissen, nämlich auch aus allen denjenigen Erfahrungen, die für das jeweilige Handeln mobilisiert werden können. Die Erfahrungen nun, die durch das Handeln gemacht werden, gehen andererseits wieder in das Repertoire des Bildungswissens ein und strukturieren dieses neu. Bildungs- und Handlungswissen sind also nur zwei verschiedene Aggregatzustände des Wissens, sie unterscheiden sich nicht hinsichtlich des Wissensbestandes selbst.
Der Unterschied ist jedoch didaktisch insofern von Bedeutung, als Handlungswissen als solches nicht gelehrt werden kann, weil Handeln sich immer auf einmalige Situationen erstreckt und individuell erfolgt. Lehrbar ist jedoch nur etwas, was verallgemeinert werden kann. Deswegen ist selbst eine praxisorientierte Berufsausbildung darauf angewiesen, die jeweils einzelne praktische Tätigkeit auf dem Hintergrund allgemeiner Erkenntnisse oder Regeln zu deuten, etwa als „Fall von" oder „Beispiel für" etwas. Die Lehre kann sich also unmittelbar nur auf das Bildungswissen richten. Das gilt auch, wenn der Gegenstand das Politische Handeln sein soll. Um dieses reflektieren zu können, muß es zunächst in einzelne Bestandteile zerlegt werden, weil nur diese systematisch durchdacht werden können. Handeln andererseits resultiert nicht aus einer bloßen Anwendung des Bildungswissens, sondern kann sich seiner nur bedienen. Soziales
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und also auch politisches Handeln erfolgen stets in einen offenen Raum hinein, mit vorher nicht gewissem Ausgang. Es ist - wenn auch nicht immer seiner Intention, so doch jedenfalls seiner Wirkung nach - „ganzheitlich" und überwindet somit die fächerspezifische Partikularität des Bildungswissens. Eine produktive Wechselwirkung mit dem Bildungswissen ist aber nur möglich, wenn das Bildungswissen fachlich geordnet werden kann; denn genau genommen kann man nicht „das Lernen lernen", wie es immer wieder postuliert wird; gelernt werden kann vielmehr nur im Hinblick auf bestimmte Gegenstände und Sachverhalte. Gäbe es keinen fachlich geordneten Unterricht, könnte der Lernende auch seine Kenntnisse und Vorstellungen nicht ordnen. Die fachliche Begrenzung des schulischen Lernens ist eine Bedingung der Möglichkeit von Bildungslernen überhaupt. Daraus folgt jedoch nicht, daß die Schulfächer den Wissenschaftsfächern entsprechen müßten. Das wäre schon aus pragmatischen, nämlich zeitlichen Gesichtspunkten ganz unmöglich, auch das wissenschaftliche Studium selbst ist schon aus diesem Grunde auf wenige Fächer beschränkt. Selbst der gelehrteste Kopf kann nicht alle Wissenschaften studieren.
Das ist aber nicht die einzige Einschränkung, die zu beachten ist. Hinzu kommt die zeitliche Begrenzung, der jeder Unterricht in der Schule unterliegt. Es geht um höchsten ein bis zwei Schulstunden pro Woche - wenn auch über einige Jahre hinweg. Diese Tatsache zwingt zu einer erheblichen Konzentration, und diese ist nur pragmatisch zu erreichen.
Aus der im ersten Kapitel dargestellten Entwicklung ist zu lernen, daß die Didaktik, wenn sie diese pragmatische Bescheidenheit verläßt, in unlösbare Schwierigkeiten gerät. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Je komplexer eine didaktische Theorie angelegt ist, um so mehr versucht sie in einem inneren logischen Zusammenhang zu erklären; je mehr sie jedoch erklären will, um so mehr dringt sie in fremde Kompetenzen ein - in die anderer Wissenschaften oder in die politische Meinungs- und Gestaltungsfreiheit anderer Menschen. Dann wird sie leicht selbst politische oder weltanschauliche Partei und tritt in Wettbewerb mit anderen ähnlich theoretisierten Parteinahmen, wie wir es seit den siebziger Jahren erlebt haben. Der eigentliche pädagogische Zweck, nämlich politisches Lernen zu organisieren, geht dabei
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verloren. Die Didaktik kann nicht einmal zweifelsfrei definieren, was unter Politik eigentlich zu verstehen sei. So mancher didaktischer Entwurf der Vergangenheit hat sich an dieser Frage festgebissen, aber die Resultate zeigen, daß die Didaktik diese Frage nicht beantworten kann; sie ist selbst in der politischen Philosophie eine strittige Frage, und wissenschaftlich Strittiges kann die Didaktik nicht stimmig machen. Die Didaktik denkt über die Lehr- und Lernbarkeit einer Sache nach, sie vermittelt zwischen Schülern und Welt, aber sie kann von sich aus diese Welt nicht erklären. Vielmehr vermittelt sie lediglich zwischen dem lernenden Subjekt und Erklärungen, die von den Wissenschaften angeboten werden, oder Realitäten, die von den politisch Handelnden gewollt oder geschaffen werden.
Diese Zurückhaltung unterscheidet die aufklärungsorientierte Didaktik von der erzieherisch orientierten; diese konstruiert die Welt pädagogisch, d.h. so, daß sie den gewünschten Erziehungszielen entspricht. Die aufklärungsorientierte Didaktik ist sich zwar auch bewußt, daß sie zum Zwecke des Lehrens und Lernens die Wirklichkeit in einer bestimmverloren. Die Didaktik kann nicht einmal zweifelsfrei definieren, was unter Politik eigentlich zu verstehen sei. So mancher didakti-scher Entwurf der Vergangenheit hat sich an dieser Frage festge-bissen, aber die Resultate zeigen, daß die Didaktik diese Frage nicht beantworten kann; sie ist selbst in der politischen Philoso-phie eine strittige Frage, und wissenschaftlich Strittiges kann die Didaktik nicht stimmig machen. Die Didaktik denkt über die Lehr- und Lernbarkeit einer Sache nach, sie vermittelt zwischen Schülern und Welt, aber sie kann von sich aus diese Welt nicht erklären. Vielmehr vermittelt sie lediglich zwischen dem lernen-den Subjekt und Erklärungen, die von den Wissenschaften ange-boten werden, oder Realitäten, die von den politisch Handelnden gewollt oder geschaffen werden.
Diese Zurückhaltung unterscheidet die aufklärungsorientierte Di-daktik von der erzieherisch orientierten; diese konstruiert die Welt pädagogisch, d.h. so, daß sie den gewünschten Erziehungs-zielen entspricht. Die aufklärungsorientierte Didaktik ist sich zwar auch bewußt, daß sie zum Zwecke des Lehrens und Lernens die Wirklichkeit in einer bestimmten, nämlich vereinfachenden Weise konstruieren muß, aber ihr Ziel ist, diese Vereinfachung nur als unvermeidliches Durchgangsstadium zu sehen, um darauf aufbauend zu einer besseren, genaueren Erkenntnis der Wirklich-keit zu gelangen. Da also die Didaktik die Frage, was Politik sei, nicht lösen kann, kann ihr Zugang zum Politischen auch nur ein pragmatischer sein, wenn sie versucht, grundlegende Strukturen der Lehrbarkeit zu finden.
Wie bereits gesagt, sucht didaktisches Denken nach der Lehrbar-keit von Sachverhalten immer im Zusammenhang mit ihrer Lern-barkeit durch bestimmte Menschen: Lehrbar ist eine Sache nur im Hinblick auf einen Lernenden. Umgekehrt gibt es eine Sache gar nicht, solange sie nicht kommunizierbar wird. Wenn wir also nach der Lehrbarkeit der Politik fragen, müssen wir definieren, für welche Lernenden sie lernbar werden soll, und diese Frage ist nur entscheidbar, wenn wir die Zwecke angeben, denen das Ler-nen dienen soll. Der Doktorand lernt, um sich damit wissen-schaftlich zu qualifizieren, der Lehrerstudent, um die Lehrbefähi-gung für das Fach Politik zu erhalten, der Schüler, um politisch partizipieren zu können. In allen drei Fällen stellt sich die didak-tische Problematik, nämlich als Wissenschaftsdidaktik, als Fach-
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didaktik und als Schuldidaktik. Wenn politische Partizipation also der Hauptzweck des politischen Lernens in der Schule ist, dann folgt daraus, daß im Mittelpunkt des Lerninteresses das po-litische Handeln stehen muß - das eigene wie das anderer Menschen. Dessen Aufklärung - im Hinblick auf seine Beweggründe, Ziele und Bedingungen - ist die Kernaufgabe. Das politische Handeln anderer - vor allem der gewählten Repräsentanten - muß einigermaßen zutreffend beurteilt werden können, um mit eige-nem Handeln - und sei es auch nur beim Wahlakt - darauf reagie-ren zu können.
Die Möglichkeit zur politischen Partizipation lernt der Schüler - so haben wir gesehen - nicht allein in der Schule und auch nicht allein im politischen Unterricht; aber nur im Rahmen einer Schule, die selbst nicht auf Handeln aus ist, kann er politische Aktionen in die Reflexion nehmen. Um dies zu ermöglichen, muß Politik aber erst entsprechend definiert werden, wie vorher schon begründet wurde. Dafür bieten sich im Rahmen des allge-meinbildenden Unterrichts - nicht überhaupt! - vier Versionen an, die im bisherigen politischen Unterricht auch eine praktische Bedeutung erlangt haben. Sie kommen dem Phänomen des politischen Handelns unterschiedlich nahe, stehen gleichwohl aber mit ihm in einem engen Zusammenhang.
1. Politik läßt sich verstehen als ein Funktionszusammenhang von Institutionen und deren Regeln.
2. Politik läßt sich verstehen als ein System von aufeinander bezogenen Handlungen, die zum Ziel haben, auf der Grundlage der regelnden Institutionen Probleme von allgemein anerkannter Bedeutung im Idealfalle zu lösen, im Normalfalle im Sinne einer höchstmöglichen Akzeptanz zu minimieren.
3. Politik läßt sich verstehen als ein interessenbedingtes Miteinander und Gegeneinander von Gruppen, deren Widersprüche sich in manifesten Konflikten äußern.
4. Politik läßt sich verstehen als jeweils aktuelles soziales Han-deln, das von bestimmten staatlichen oder verbandlichen Mandatsträgern oder Repräsentanten staatlicher oder verbandlicher Institutionen ausgeht und vom Souverän - den jeweils Wahlberechtigten - beurteilt und kontrolliert wird.
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Diesen vier Definitionen entsprechen dann die im folgenden näher zu erläuternden didaktischen Zugänge der Kunde sowie des problemorientierten, konfliktorientierten und tagespolitischen Ansatzes. Diese vier Zugänge und die ihnen zugrundeliegenden Definitionen von Politik sind also pragmatisch zu verstehen, nicht so, als sei damit eine hinreichende oder gar vollständige Definition des Politischen selbst erfolgt. Es geht lediglich darum, Schneisen der Lehrbarkeit in eine tatsächlich viel komplexere Realität zu schlagen.
Systematische Kunde
Der ersten Definition entspricht didaktisch eine mehr oder weniger systematische Kunde, wie sie in Bezeichnungen wie „Gemeinschaftskunde" oder „Sozialkunde" zum Ausdruck kommt. Das Politische wird dabei verstanden als ein relativ dauerhaft existierender Gegenstand wie die Stoffe anderer Schulfächer auch. Zu unterrichten sind dann bestimmte Ausschnitte dieses Gegenstandes in einer plausibel erscheinenden Reihenfolge. Der didaktische Wert dieses Ansatzes ist vielleicht nicht unmittelbar einsichtig. Warum sollen die Schüler systematische Kenntnisse über politische Institutionen und deren Beziehungen erwerben, obwohl sie recht weit vom eigentlichen Thema - politisches Handeln - entfernt zu sein scheinen? Führt das nicht zu jener langweiligen Institutionenkunde, die schon in der Weimarer Zeit die Schüler gleichgültig gegenüber der Sache gemacht hat? Wenn solche Kenntnisse nötig sein sollten für das Verständnis aktueller Probleme und des darauf bezogenen Handelns - werden sie dann nicht von der politischen Publizistik von Fall zu Fall immer auch präsentiert?
Zum einen muß jedoch der Staat ein Interesse daran haben, daß seine jungen Bürger auf diese Weise in ihre staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten eingeführt werden. Zum anderen ist ein Mindestmaß an systematischen Kenntnissen über politische Strukturen im Sinne einer grundlegenden Vorstellung schon deshalb nötig, damit die aus aktuellem Anlaß servierten Informationen der Medien überhaupt verstanden und eingeordnet werden können. Ohne entsprechende grundlegende Vorstellungen kann politisches Handeln im Unterricht kaum anders als im Stamm-
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tischstil des Austausches von Meinungen bearbeitet werden. Und was die möglicherweise gelangweilten Schüler angeht, so stehen sie in anderen Fächern vor ähnlichen Problemen; der Aufbau systematischer Vorstellungen ist immer ein mühsames Unterfan
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Eine solche Kunde läßt sich deswegen einigermaßen dauerhaft entwerfen, weil die gesellschaftlichen Institutionen und Regeln sich zwar im Laufe der Zeit verändern, gleichwohl aber im allgemeinen die stabilsten Faktoren der politischen Realität darstellen; denn sie binden das konkrete politische Handeln in hohem Maße. Da gibt es also Stoffe, die sich einigermaßen genau bestimmen lassen, die nacheinander im Unterricht behandelt werden können und deren Kenntnis sich in Klassenarbeiten auch überprüfen läßt. Insofern ist die Kunde für den Schulunterricht besonders geeignet, zumal sich die Ausbildung der Lehrer auf solche relativ dauerhaften Stoffe hin leicht organisieren läßt. Manche meinen sogar, daß die Kunde die einzige der Schule angemessene Form sei, Politisches zu unterrichten.
Gleichwohl ist damit das Problem der Auswahl der Stoffe noch nicht gelöst, das ja nicht zuletzt durch die begrenzte Stundenzahl bedingt ist. Zudem läßt sich in die Form der Kunde eine Fülle von einzelnen Stoffen verpacken, die jedoch von sich aus weder einen geistigen Zusammenhang enthalten noch auch sich zwingend auf die vorhin erwähnten gegenwärtigen und künftigen Partizipationsmöglichkeiten der Schüler beziehen müssen. Wir müssen also versuchen, weitere Bestimmungen einzuführen, um den Spielraum noch enger zu fassen. Ganz beseitigen läßt er sich jedoch nicht; das Problem der Stoffauswahl ist prinzipiell unentscheidbar, d.h. es gibt kein Verfahren, das schlüssig zu beweisen vermag, welchen Stoffen aus der Fülle der möglichen der unbedingte Vorrang zu geben sei. Das ist letztlich eine pragmatische und im Hinblick auf die staatlichen Richtlinien eine politische Entscheidung. Die Lehrpläne helfen sich in der Regel dadurch, daß sie additiv Stoffe aneinander reihen, bis das für den politischen Unterricht zur Verfugung stehende Zeitpensum gefüllt scheint. Da Lehrpläne von Kommissionen entworfen werden, schlagen sich in dieser Auflistung auch verschiedene Interessen nieder, für die Kompromisse gefunden werden müssen; didaktische Systematik ist von daher nicht zu erwarten. Das muß den
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Lehrer jedoch nicht stören; denn er ist nicht bloßer Exekutor von Richtlinien, sondern gestaltet aus ihnen heraus seinen Unterricht. So vermag er selbst aus an und für sich zusammenhanglosen Einzelthemen einen logisch und didaktisch plausiblen Zusammenhang herzustellen. Lehren ist eine schöpferische Tätigkeit, sie besteht nicht aus dem Abkupfern von Vorgaben.
Für eine weitere Präzisierung der politischen Kunde lassen sich nun zwei verschiedene Ordnungsmuster nennen, die eine gewisse pragmatische Plausibilität beanspruchen können: ein biographisches und ein systematisches.
Biographische Ordnung
Man kann den biographischen Weg des Kindes zum Maßstab machen. Dann ergibt sich in etwa die Themenfolge von Familie -Gemeinde - Freizeit - Wirtschaft - Beruf - Tarifpartner - Wirtschaftspolitik - Bundeswehr - Wahlen - parlamentarisches System. Diese thematische Anordnung ist also auf die Entwicklung des Kindes bezogen und macht Bereiche der Gesellschaft und des Staates dann zum Thema, wenn sie auch praktisch in den Horizont des Kindes bzw. Jugendlichen treten, um ihm zu diesem Zeitpunkt Aufklärung über seine Teilhabechancen anzubieten. Der Leitgedanke ist dabei, daß das Kind allmählich in seine Gesellschaft hineinwächst und in diesem Prozeß sowohl seinen geistigen Horizont wie seine Teilhabemöglichkeiten entwickeln muß und auch will. Auf dieser Annahme beruhte auch die frühere „Heimatkunde". Aber sofort fallen auch die Grenzen dieses Vorgehens ins Auge.
1. Die mit zunehmendem Alter fortschreitende persönliche Teilhabe des Kindes ist nicht mehr so klar zu fassen, wie es vielleicht scheint. Sowohl die Massenmedien als auch die Eltern bringen auch solche gesellschaftliche Realitäten in sein Blickfeld, die sich an keine ohne weiteres erkennbare biographische Reihenfolge halten. So sind die Eltern bereits wahlberechtigt, und das Kind wird schon früh fragen, um was es sich dabei handelt. Kommt die Schule erst zu einem späteren Zeitpunkt darauf zu sprechen, unterschätzt sie wahrscheinlich die dann längst vorhandenen Kenntnisse und geht hinter die bereits erworbene Erfahrung zurück, anstatt sie zu erweitern. Wann et-
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was wirklich in den Fragehorizont des Kindes tritt, kann die Didaktik demnach so einfach nicht voraussehen.
2. Je jünger das Kind ist, um so mehr braucht es die dumpfe, unaufgeklärte Selbstverständlichkeit seines unmittelbaren Alltags. Deshalb sind Themen wie „Familie" oder andere, die das unmittelbare soziale Umfeld betreffen, zunächst einmal wenig geeignet für eine kritische Reflexion. Nicht Aufklärung wäre das Resultat, sondern Verunsicherung. Umgekehrt sind die sozialen Familienerfahrungen und die Nahbeziehungen überhaupt für lange Zeit ein unverzichtbarer Fundus für darüber hinausgehende gesellschaftliche und politische Einsichten, wie sie der Unterricht vermitteln will. Lediglich dann, wenn dieser selbstverständliche Nahbezug zusammenbricht, sind auch darauf bezogene Reflexionen für eine neue Orientierung nötig. Soziales und Politisches kann das Schulkind nur verstehen, insofern es damit bereits Erfahrungen gemacht hat, von deren Vertrauenswürdigkeit auch die Glaubwürdigkeit der darüber hinaus reichenden Einsichten abhängt. Allerdings darf man die Reichweite der bereits vorhandenen sozialen Basiserfahrungen, an die der Unterricht anknüpfen soll, auch nicht unterschätzen. Die wichtigsten politischen Sachverhalte können durchaus schon relativ früh erklärt werden, die Frage ist nur, ob und inwieweit solche Kenntnisse in der sozialen Umgebung des Kindes - in der Familie, unter seinen Freunden - kommunizierbar sind. Wächst das Kind mit politisch engagierten Eltern auf, ergeben sich dafür andere Chancen, als wenn es sich etwa um eine primär konsumorientierte Familie handelt.
3. Die biographisch orientierte Struktur kann von sich aus keine innere Systematik konstituieren, sondern bleibt additiv: erst kommt das dran, dann dieses, dann jenes. Das Kind muß deshalb bei diesem Verfahren selbst eine Integration dieser einzelnen Stoffe im Zuge seiner fortschreitenden persönlichen Selbstvergewisserung leisten. Die biographische Reihenfolge gedanklich zu ordnen, wird auf diese Weise dem Bewußtsein des einzelnen Schülers überlassen und kann deshalb je unterschiedlich gewichtet werden. Je jünger die Schüler sind, um so weniger wird ihnen eine solche geistige Integrationsleistung zugemutet werden können. Deshalb besteht die Gefahr, daß bei dieser didaktischen Struktur Jahre vorher Behandeltes
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wieder vergessen ist, wenn das Neue drankommt, weil es als „Kinderkram" einer bereits überwundenen persönlichen Entwicklungsstufe zuzurechnen sei. Diese Gefahr besteht im Schulunterricht natürlich immer, aber es ist doch ein Unterschied, ob der Schüler von vornherein auf die biographische Dimension fixiert ist, oder ob er den Eindruck hat, daß die biographische Reihenfolge in Wahrheit der Erschließung derselben Sache dient, die eben nur in der Zeit und nach Schwierigkeitsgraden gestuft ist. Jedes unterrichtliche Lernen findet zwar in einem zeitlichen Nacheinander statt, aber es ist wichtig, daß dabei an früher Gelerntes angeknüpft werden kann, was nur dann möglich ist, wenn alles durch eine innere Logik zusammen gehalten wird. Die biographische Dimension ist jedoch keine logische.
4. Nach aller Erfahrung ist fraglich, ob der enge Bezug zum fortschreitenden Leben des Kindes auch besonders motivierend wirkt. Darauf ist generell schwer zu antworten, weil viele Faktoren dabei eine Rolle spielen, etwa die Generationsgestimmtheit, das Milieu, in dem das Aufwachsen erfolgt (Stadt; Land) und wohl auch das geistige Niveau des Elternhauses, aber nicht zuletzt auch die Lernbedürfnisse des Kindes selbst. Der biographische Weg des Kindes wird ja schon von früh an begleitet durch die Massenmedien, vor allem durch das Fernsehen. Die dabei - wenn auch nur aus zweiter Hand - vermittelten Informationen, Werte und Probleme nehmen keine Rücksicht auf Alter und Reife des Kindes und wären ihm sonst in seinem sozialen Umfeld auch gar nicht zugänglich. Möglicherweise sind diese Einwirkungen dem Kind wichtiger und interessanter als das, was in der Schule nach dem biographischen Konzept gerade „dran" sein soll. Das biographische wie das frühere heimatkundliche Konzept entsprechen noch einer Gesellschaftsverfassung, in die die Kinder tatsächlich Schritt fiir Schritt hineinwuchsen; das ist aber längst nicht mehr der Fall.
Systematische Ordnung
Die zweite Möglichkeit, eine thematische Ordnung für die Sozialkunde zu finden, geht nicht vom Fortschreiten des kindlichen Lebens aus, sondern von der demgegenüber objektiven staatlich-
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gesellschaftlichen Struktur. Auch dabei stellt sich aber sofort das Problem der Auswahl; denn natürlich kann die Schule schon aus praktischen Gründen nicht alles unterrichten, was etwa die einschlägigen Wissenschaften an Themen und Theorien darüber präsentieren. Die Auswahl kann auch unter diesem Aspekt wieder nur pragmatisch erfolgen, wobei die Zugänglichkeit bestimmter Sachverhalte für die jeweilige Altersstufe - wie schon bei der biographischen Struktur - hier ebenfalls zu berücksichtigen ist. Allerdings ist nun im Unterschied zur biographischen Perspektive die Blickrichtung anders: Es geht um den Versuch, das Politische als einen Strukturzusammenhang zu erklären, der gerade unabhängig von der jeweiligen persönlichen Aktualität und Befindlichkeit besteht, so wie es bei der Mathematik und anderen Fächern auch der Fall ist. Die Subjektivität des Schülers spielt nur insofern eine Rolle, als sie die geistige Verständnisfähigkeit und die notwendigen Vorerfahrungen bestimmt.
Selbst wenn wir jedoch auch unter diesem Gesichtspunkt die erwähnten politischen Teilhabemöglichkeiten als Selektionsmaßstab für die an und für sich unbegrenzte Stoffülle geltend machen, kommen wir damit nicht sehr weit. Hindert es etwa die vernünftige Teilnahme an politischen Wahlen oder an der Publizistik, wenn der Wähler oder Leitartikelleser sich mit der politischen Philosophie des Aristoteles befaßt hat? Offensichtlich läßt sich aus den politischen Partizipationen generell nicht ableiten, was man dafür nicht wissen muß, so daß sich von daher die Stoffülle eingrenzen ließe. Folgerichtig läßt sich auch nicht positiv fixieren, was man unbedingt wissen müsse. Früher, in vordemokratischen Zeiten, hat man dieses Problem wenigstens teilweise durch den Hinweis gelöst, daß für die unteren sozialen Schichten und Klassen ein begrenztes Wissen genüge, damit diese Bürger ihre öffentlichen Pflichten kennen und befolgen können. Aber heute haben die Philosophen und die ungelernten Arbeiter das gleiche Wahlrecht. Eine darauf bezogene vorgängige Beschränkung des Wissens ist also politisch nicht mehr vertretbar. Auch der Blick in die Zukunft des Kindes führt nicht sehr weit. Wie will man im voraus wissen, was später einmal Bedeutung für das Kind haben wird - zumal in einer Gesellschaft, die voller Mobilität ist? Deshalb kann es nur darum gehen, jedem Schulkind einen Einstieg in die Aufklärung der politischen Realität anzubie-
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ten, von dem aus es dann selbst nach seinen Fähigkeiten und Interessen sich weiteres Wissen erwerben kann.
Als Ganzes ist Politik als Zusammenhang von Institutionen und deren regelhaften Beziehungen also im Schulunterricht nicht lehrbar, dafür wäre die Stoffülle zu groß. Es gibt aber grundlegende und deshalb weitreichende Verständnismodelle, die zu Rate gezogen werden können. Zum Zwecke der Unterrichtung können wir uns Staat und Gesellschaft als miteinander verbundene Systeme vorstellen. Drei solcher Systeme sind offenbar in diesem Zusammenhang besonders wichtig:
• das politische System,
• das ökonomische System,
• das Kommunikationssystem. Hinzu käme noch
• das System der außenpolitischen Beziehungen.
Die Wissenschaften haben uns für diese Systeme grundlegende Erklärungsmodelle zur Verfügung gestellt, die didaktisch vielseitig verwendet werden können:
• das Parlament (politisches System);
• den Haushalt (ökonomisches System);
• das Kommunikationsmodell (Kommunikationssystem).
Für das System der Außenpolitik käme vielleicht das Modell des Bündnisses in Frage.
Stellt man sich diese Systeme als Grundlage eines Lehrplans für mehrere Jahre vor, dann lassen sich wichtige Teilthemen mühelos daran festmachen, wie ich das in einem Schulbuch zu konkretisieren versucht habe (Giesecke 1976):
Politisches System: Grundrechte; Volkssouveränität und Wahlrecht; Rechtsstaatlichkeit; Gewaltenteilung; Sozialstaatlichkeit.
Ökonomisches System: Arbeitsverhältnis; Berufsausbildung; Tarifpartnerschaft; Privater Konsum; Wirtschaftspolitik.
Kommunikationssystem: Presse; Fernsehen; Werbung; Datennetze.
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Außenpolitik: Verträge; Völkerrecht; NATO; Bundeswehr.
Diese grundlegenden Modelle (Parlament; Haushalt; Kommunikation; Bündnis) können eine vierfache didaktische Funktion wahrnehmen:
1. Sie stellen eine abstrakte Vereinfachung komplizierter Sachverhalte dar und geben diesen eine Erklärungsstruktur, die sich etwa als Tafelbild veranschaulichen läßt. So gibt es Parlamente auf verschiedenen politischen Ebenen, vom Bundestag bis zur Schülervertretung. Auch einen Haushalt gibt es von der Familie bis zum Bundestag. Hat man Sinn und Funktion dieser Modelle im Prinzip begriffen, lassen sich damit eine ganze Reihe von konkreten Variationen verstehen.
2. Die Modelle können als Idealtypen dienen, an denen gemessen gerade Abweichungen von der jeweiligen konkreten Realität erkannt und erklärt werden können. Was ist beim Schulparlament anders als beim Bundestag oder beim Gemeindeparlament und warum ist das so?
3. Die Reichweite dieser Modelle ermöglicht, einzelne Themen in einem entsprechenden systematischen Zusammenhang zu unterrichten, wodurch eine bloß additive Reihung vermieden wird, wie sie z.B. beim biographischen Modell unvermeidlich ist. Um das Modell „Parlament" herum lassen sich etwa weitere damit zusammenhängende Themen wie Wahl und Wahlrecht, politische Parteien, Regierung und Opposition, Gewaltenteilung u.a.m. so gruppieren, daß ein größerer geistiger Zusammenhang erhalten bleibt.
4. Gerade wegen ihrer Abstraktheit lassen sich diese Modelle sowohl in vereinfachter Weise - für jüngere Schüler - als auch in komplizierteren Formen verwenden, was sie geeignet zur Wiederholung mit fortschreitender Komplexität in höheren Schulklassen bis hin zur Universität macht.
Allerdings hat sich diese didaktische Konstruktion bisher zumindest unterhalb der gymnasialen Oberstufe kaum durchgesetzt. Sie gilt als zu abstrakt und deshalb als zu schwierig für jüngere Schüler. Dieser Einwand leuchtet jedoch nicht recht ein, wenn man bedenkt, daß dieselben Schüler bereits mit gewiß nicht weniger komplizierten Operationen der Mathematik befaßt werden.
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Vermutlich ist ein wichtiges Hindernis eher darin zu sehen, daß diese didaktische Konstruktion ein hohes Maß an fachlicher Vorbildung der Lehrer voraussetzt; viele haben jedoch - zumal auf den unteren Schulstufen - nicht einmal einschlägige Fächer studiert. Hinzu kommt, daß der politischen Bildung immer wieder andere Zwecke gesetzt wurden, als in die Objektivität politisch-gesellschaftlicher Strukturen einzuführen. Nach meiner Überzeugung wird jedoch das Ansehen des politischen Unterrichts in der allgemeinbildenden Schule in Zukunft wesentlich davon abhängen, ob er sich in dieser oder einer ähnlichen Weise als ernst zu nehmendes Fach etablieren kann, in dem zu lernen sich auch lohnt. Gleichwohl hat auch dieses didaktische Modell seine Grenzen.
1. Wie schon das biographische so erreicht auch das systematische Modell von sich aus nicht die in der Öffentlichkeit diskutierten Probleme und die dabei zutage tretenden politischen Parteiungen und Konflikte. Diese könnten allenfalls als Beispiele zur Veranschaulichung von Teilaspekten des jeweils unterrichteten Systems dienen.
2. Obwohl diese Modelle auch anschaulich vereinfacht werden können, bleibt die Frage, wie lange man mit ihnen arbeiten kann, ohne die Motivation vor allem jüngerer Schüler zu verlieren. Deshalb spricht einiges dafür, beide möglichen Ansätze - den biographischen und den systematischen - zu kombinieren bzw. zwischen beiden zu wechseln. Sie akzentuieren die Sachverhalte jedoch unterschiedlich. Nähern wir uns dem Thema „Bundeswehr" z.B. aus der Perspektive dessen, der demnächst einberufen werden wird, dann stellen sich Fragen wie: Wie wird man einberufen? Was muß ich tun, wenn ich Ersatzdienst leisten will? Welchen Sinn bzw. Zweck hat meine Einberufung, welche Aufgaben habe ich zu erfüllen? Die Wirklichkeit wird unter dieser Fragestellung eigentümlich selektiv wahrgenommen. Fragt man jedoch von der Institution her, so liegen die Akzente teilweise anders: Welche Aufgaben hat die Bundeswehr? Wie wird sie politisch geführt und kontrolliert? Wer darf sie einsetzen? Wofür braucht sie wieviel Geld? Aus diesen beiden Perspektiven ergeben sich also unterschiedliche Fragen und damit auch Stoffe, die für die Antwort
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benötigt werden, und sie beleuchten das Thema Bundeswehr in unterschiedlicher Weise.
Orientierungswissen
Die bisher erwähnten Schwierigkeiten, eine unstrittige Stoffauswahl für den politischen Unterricht zu finden, zwingen zu einer Zwischenüberlegung über den Sinn des im politischen Unterrichts zu erwerbenden Wissens. Ich möchte es als Orientierungswissen bezeichnen. Damit ist folgendes gemeint:
1. Dieses Wissen hat nichts Endgültiges an sich, sondern markiert immer nur ein Zwischenstadium, das auf weiteren Erwerb von Wissen, Kenntnissen und Einsichten vorbereitet. Der Prozeß der je individuellen politischen Bildung wird also als nach vorne offen, als zu jedem biographischen Zeitpunkt unabgeschlossen betrachtet. Nur unter dieser Voraussetzung sind die genannten Vereinfachungen, die jeder didaktischen Konstruktion notwendig anhaften, überhaupt vertretbar. Sonst könnte keine vor der Kritik der einschlägigen Wissenschaften oder demokratischer politischer Gruppierungen bestehen; denn jeder didaktische Ansatz wäre sofort angreifbar, weil er dieses oder jenes nicht enthalte oder berücksichtige, auf das nicht verzichtet werden könne oder dürfe. Schnell wird dann der Vorwurf laut, das jeweilige didaktische Konzept wolle politisch indoktrinieren oder doch jedenfalls eine bestimmte politische Ansicht favorisieren. Eine Theorie der Politikdidaktik darf jedoch nicht an der inhaltlichen Reichweite anderer einschlägiger Theorien aus der Philosophie oder der Politikwissenschaft gemessen werden. Weil dieser Unterschied in der Vergangenheit nicht immer beachtet wurde, ergaben sich viele sachlich unnütze Diskussionen bis hin zu erbitterten Kontroversen über Richtlinien in den 70er Jahren. Der Umfang des Orientierungswissens kann jedoch nur pragmatisch festgelegt werden, sein Anspruch nicht auf Vollständigkeit gerichtet sein. Es hat nur vorläufigen Charakter, und seine Funktion wie auch seine Rechtfertigung bestehen darin, daß man auf seiner Basis weiterlernen kann - etwa durch Teilnahme an der politischen Publizistik oder durch weiteren Unterricht.
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2. Angestrebt werden kann also nur eine erste grundlegende Einsicht in Zusammenhänge unserer staatlich-gesellschaftlichen Verfassung und Struktur, die der Alltagserfahrung nicht unmittelbar zugänglich sind, sondern nur durch Unterricht erklärt werden können, der seinerseits allerdings an Erfahrungen anknüpfen muß. Nehmen wir als Beispiel die Gewaltenteilung: Sie ist ein Kernstück unserer politischen Verfassung, als solche aber der unmittelbaren Erfahrung nicht zugänglich. Wir sehen im Fernsehen etwa Politiker des Bundestages auftreten, die zu einem Gesetz Stellung nehmen; wir sehen Minister, die das Gesetz umsetzen sollen, und wir wissen, daß Verstöße gegen dieses Gesetz von irgendeinem Gericht abgeurteilt werden. Was wir aber nicht auf Anhieb erkennen können, ist der strukturelle Zusammenhang zwischen diesen Instanzen, eben die Gewaltenteilung. Sie kann nur durch Unterricht ins Bewußtsein genommen werden. Ist dieses Prinzip einmal erkannt und begründet, kann es auch aus der eigenen Erfahrung als sinnvoll begriffen werden. Auch das Kind erlebt ja Gewaltenteilungen, etwa zwischen Eltern und Lehrern, und es vermag sich vorzustellen, wie es wäre, wenn es sie nicht gäbe.
3. Grundlegende Einsichten treffen allerdings nicht immer auch die Wirklichkeit in vollem Umfange; genau genommen ist das sogar relativ selten der Fall, weil diese Einsichten ja auf Abstraktionen beruhen. So wissen wir, daß das Prinzip der Gewaltenteilung durchaus nicht mehr in reiner Form gegeben ist, sondern vielfach durchlöchert wurde; das gilt insbesondere für das Verhältnis von Legislative und Exekutive. Trotzdem muß es im Rahmen des Orientierungswissens in seiner grundsätzlichen Gestalt dargestellt werden, weil der politische Vorstellungshorizont eine Reihe solcher prinzipieller Strukturen braucht, um konkrete Einzelphänomene überhaupt einordnen zu können. Das Orientierungswissen muß also in gewisser Weise immer idealtypisch sein, sonst können grundlegende Einsichten in politisch-gesellschaftliche Strukturen nicht erworben werden. Erst auf einem solchen prinzipiellen, wenn auch notwendigerweise abstrakten Hintergrund können konkrete Einzelfälle der politischen Realität verstanden werden, indem ihre Differenz zum Idealtypus deutlich wird.
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Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß es kein überzeugendes Verfahren gibt, den Stoffkatalog einer Kunde aus irgendeinem wissenschaftlichen, pädagogischen oder bildungstheoretischen System einfach abzuleiten, so daß das Ergebnis jeder weiteren Diskussion enthoben sein könnte. Denkbar sind vielmehr nur allgemeine Strategien, die den möglichen Stoff bzw. die möglichen Themen mit einem groben Raster vorsortieren können, der Rest ist dann eine Frage der politischen (Richtlinien) bzw. pädagogischen (Unterrichtsvorbereitung) Entscheidung. Alle Versuche, den Entscheidungsspielraum z.B. im Rahmen von Curriculum-Strategien bzw. von Lernzieloperationalisierungen weiter einzuengen, haben sich als nicht haltbar erwiesen. Die Konkretisierung der Stoffe kann also nur im wörtlichen Sinne pragmatisch, d.h. durch unterrichtliches Handeln, hergestellt werden und bleibt somit eine schöpferische Aufgabe des Lehrers.
Dieses Dilemma wird nun allerdings dadurch gemildert, daß die Schule nicht der einzige Sender ist, von dem politische Informationen und Interpretationen zu bekommen sind. Wäre dies der Fall, dann würde die Schule gegenüber der Jugend über ein Informationsmonopol verfügen, das genau zu kontrollieren im öffentlichen Interesse liegen müßte. Tatsächlich jedoch ist der Schulunterricht nur eine Intervention in Vorstellungen, die sich im Rahmen der außerschulischen Sozialisation sowieso ausbilden; von ihm allein hängt also die Bildung des politischen Bewußtseins keineswegs ab. So gesehen ist eben auch nicht schicksalbestimmend, ob der politische Unterricht diese oder jene thematische Reihenfolge wählt oder mit diesem oder jenem Verständnismodell arbeitet. Entscheidend ist vielmehr, daß sich dabei grundlege nde Vorstellungen über die politische Realität bilden können.
Der problemorientierte Ansatz
Die bisher beschriebenen systematischen Möglichkeiten für eine politisch-soziale Kunde dringen jedoch nicht bis zur Ebene der bedeutsamen politischen Probleme und des daraus resultierenden Handelns vor. Das, was die Menschen wirklich bewegt, die Schwierigkeiten mit der deutschen Vereinigung etwa, die Flüchtlings- und Asylfrage, die weitere Entwicklung der sozialstaatlichen Sicherung - alles das also, was den politischen Streit der
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Gegenwart ausmacht und täglich in Zeitungen und Fernsehberichten wahrgenommen werden kann, kann im Rahmen einer Kunde nicht gründlich behandelt werden; dort tauchen solche Auseinandersetzungen allenfalls als Beispiele auf, mit denen etwas anderes belegt werden soll, was im Rahmen der Kunde gerade „dran" ist.
Der Normalfall - auch schon je nach Alter für Schüler - ist aber, daß die Bürger von politischen Entscheidungen, also von den Handlungen politischer Akteure, betroffen sind, sich darüber eine Meinung bilden und diese - etwa bei der nächsten politischen Wahl - zur Geltung bringen; sie handeln im allgemeinen also nicht konstruktiv, sondern eher reaktiv. Die meisten Bürger gehören ja nicht zu den professionell politisch Tätigen, und das ist in unserer repräsentativen Verfassung auch so vorgesehen. Entgegen manchen Wünschen in Pädagogenkreisen lebt sie davon, daß die meisten Menschen nicht Politiker werden wollen. Gleichwohl ist diese Gegenüberstellung nicht ganz korrekt; denn die politischen Akteure innerhalb von Parlamenten, Parteien oder Verbänden können in der Öffentlichkeit einer demokratischen Gesellschaft nicht einfach handeln, ohne die Reaktionen derer einzukalkulieren, denen sie ihr Mandat verdanken. Auch die normalen Bürger handeln, indem sie etwa ihre Zustimmung oder Ablehnung bei der nächsten Wahl zur Geltung bringen, oder indem sie in Bürgerinitiativen oder anderen gesellschaftlichen Organisationen Zustimmung oder Opposition äußern bzw. sich für bestimmte politische Ziele einsetzen, für die sie öffentliche Aufmerksamkeit zu erreichen suchen. Das liegt am schon erwähnten Modus des sozialen Handelns als eines wechselseitigen, das mittelbar auch für das Verhältnis der Politiker zu ihren Wählern gilt. Diejenigen, gegen die sich das Handeln von Politikern richtet oder mit deren Hilfe sie umgekehrt zum Erfolg kommen wollen, haben immer ein mehr oder weniger großes Maß an Freiheit, ihrerseits aktiv zu werden und so etwa die ursprünglichen Ziele der Politiker zuzulassen, zu verhindern oder zu modifizieren; im letzteren Falle ist oft ein Kompromiß das Ergebnis. Wegen dieses wechselseitigen Zusammenhangs ist es oft schwer, ursprüngliche Handlungsabsichten in den schließlich erreichten Resultaten wiederzuerkennen. Jedenfalls handeln die Bürger immer mit, wenn Berufspolitiker aktiv werden, allerdings im allgemeinen nicht ständig, sondern meist nur zu bestimmten Anlässen oder Gelegenheiten.
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Diese knappen Hinweise zeigen schon, daß der didaktische Versuch, Lehr- und Lernprozesse von realen politischen Handlungen aus zu inszenieren, auf eine Reihe von Schwierigkeiten stößt, die schon in der Sache selbst begründet sind. Die Frage ist deshalb, ob es eine dafür geeignete didaktische Konstruktion gibt.
Eine Antwort darauf versucht der konflikt- bzw. problemorientierte didaktische Ansatz. Er geht davon aus, wie die Menschen sowieso über Politik denken, wie sie zu Urteilen kommen und wie von daher ihr Verhalten bestimmt wird. Die politischen Alltagseinstellungen der Menschen beruhen nach aller Erfahrung auf verhältnismäßig wenigen fundamentalen Einstellungen und Fragehaltungen, etwa: Geht mich ein bestimmter politischer Sachverhalt überhaupt etwas an? Oder: Wird durch diesen Sachverhalt meine Lage besser oder schlechter? Oder: Kann ich in dieser Sache selbst etwas ausrichten? Oder: Kann ich diesem Politiker Glauben schenken? Oder: Ist diese Regierung (dieser Politiker, diese Partei usw.) Förderer oder Gegner meiner Interessen? Solche fundamentalen Grundhaltungen sind selbstverständlich nicht angeboren, sie werden durch Lebenserfahrung erworben, nämlich dadurch, daß man im Umgang mit anderen, mit Behörden, mit Gruppen, mit Institutionen (z.B. Schulen) Erfahrungen macht. Diese praktische Grundhaltung, die sowohl inhaltliche wie auch schichtspezifische Modifikationen kennt, äußert sich in einem charakteristischen Denkmodell, das relativ beständig ist und sich im wesentlichen angesichts neuer Themen und Konflikte behauptet. Die politische Bildung muß den Menschen also im allgemeinen nicht beibringen, daß sie überhaupt politische Meinungen und Urteile äußern - die haben sie sowieso -, sondern daß sie ihre Meinungen bedenken und dann möglicherweise ändern oder präzisieren.
Das kann nicht einfach dadurch geschehen, daß man sie mit wissenschaftlichen Theorien konfrontiert. Diese können nämlich verhältnismäßig beliebig konstruiert werden, weil die Erkenntnisziele entsprechend gewählt werden können; für das praktische politische Denken dagegen sind die Ziele bezogen auf bestimmte Bedürfnisse und Interessen und insofern keineswegs beliebig. Auf diese müssen Politiker immer Rücksicht nehmen und im Wahlkampf auch ausdrücklich eingehen, sie können mit Aussicht auf Erfolg nicht etwa irgendwelche beliebigen Welterklärungs-
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muster propagieren. Ähnlich muß auch der politische Unterricht dieses praktische Denkmuster als vorgegeben betrachten; er kann es weder herstellen noch fundamental ändern, sondern nur korrigieren, erweitern, differenzieren. Auch die vorhin erwähnte Kunde trifft wie jedes denkbare andere didaktische Konstrukt auf eine solche Grundhaltung. Was liegt also näher, als von vornherein von ihr auszugehen?
In den politischen Alltagsvorstellungen drücken sich zudem fundamentale Bedeutungen des Politischen selbst aus, z.B. Fragen nach Freund und Feind, nach Recht und Unrecht, nach Macht und Ohnmacht. Diese Vorstellungen sind nicht einfach falsch, sondern nur begrenzt: Im allgemeinen werden nur bestimmte Fragen gestellt, andere nicht. Also kommt es darauf an, das Ensemble der Fragen zu erweitern und die Bedeutung dieser Erweiterung für die eigene Urteilsfähigkeit zu erkennen.
Die am politischen Handeln selbst orientierte didaktische Konzeption beruht also primär auf Fragen, nicht auf einer vorgängigen sachlichen Systematik; diese soll sich vielmehr erst durch die Suche nach Antworten aufbauen; es geht also primär um ein methodisches Verfahren, das zum Ziele hat, von erkennbaren politischen Handlungen her auf deren Hintergründe vorzudringen, um mit der dadurch gewonnenen Erkenntnis diese Handlungen besser beurteilen und vielleicht sogar Gegenhandeln mobilisieren zu können. Dieser didaktische Ansatz operiert also mit der Unterstellung, daß die Bürger das Handeln der Politiker und Verbandsfunktionäre gleichsam von außen betrachten, wie ein Schauspiel, das sie anschließend zu beurteilen haben. Ob sie es bei dieser Distanz bewenden lassen oder sich in konkreten Fällen zu mehr, etwa zu einer Demonstration oder einer Mitwirkung in Parteien oder Organisationen entschließen, bleibt dabei grundsätzlich offen. Es geht bei diesem Ansatz also im Sinne unserer früheren Unterscheidung primär um Bildungswissen, erst sekundär um das eigene Handelns, das Handeln der politischen Akteure wird gleichsam als Material für die eigene Bildung benutzt. Die Frage, wie man politisches Handeln lernen kann, zielt dagegen in eine andere Richtung; sie kann in der Schule durch Unterricht nicht beantwortet werden, entsprechende Erfahrungen lassen sich eher in außerschulischen Organisationen, etwa in Jugendverbänden, machen.
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Steht das politische Handeln selbst im Mittelpunkt der didaktischen Überlegungen, kann man zwischen dem problemorientierten und dem konfliktorientierten Ansatz unterscheiden, obwohl die didaktische Grundstruktur bei beiden sehr ähnlich ist. In letzter Zeit ist dem problemorientierten Konzept auch außerhalb des Faches Politik eine allgemeine didaktische Bedeutung beigemessen worden, und zwar mit dem Begriff der „Schlüsselprobleme". So hat Wolfgang Klafki (1996) in seiner Neufassung der Theorie der Allgemeinbildung unter diesem Begriff die unterrichtliche Behandlung solcher Probleme zu einer allgemeinbildenden Aufgabe aller Schulfächer erklärt, deren Lösung den „Schlüssel" für eine friedliche und befriedigende Gestaltung der Zukunft enthielten; deshalb müsse die nachwachsende Generation mit dem sachlichen und normativen Gehalt dieser Probleme umfassend bekannt gemacht werden, wozu alle Fächer ihre je eigentümlichen Aspekte beizutragen hätten. Allerdings gehört diese fachübergreifende Sicht zu den bereits erwähnten problematischen Versuchen, das eigentümlich Politische in einem allgemeinen didaktischen Konzept aufgehen zu lassen, wobei als Folge davon die Fächer ihr spezifisches Profil verlieren würden (vgl. Giesecke 1998). Gegen diese Tendenz, unter dem Postulat der Allgemeinbildung alle Fächer an der Bearbeitung der „Schlüsselprobleme" zu beteiligen, ist geltend zu machen, daß der problemorientierte Ansatz sogar für einen fachlich soliden Politikunterricht einigermaßen schwierig zu verwirklichen ist, schwieriger jedenfalls als im Fall der Kunde. Das hat vor allem folgende Gründe:
1. Die Schwierigkeit beginnt schon mit der Beantwortung der Frage, was eigentlich ein Problem ist. Probleme sind nämlich eine Frage der Definition, es gibt sie nicht naturwüchsig, sondern nur insofern jemand sie als solche mit öffentlicher Resonanz bestimmen kann. Die Benachteiligung von Frauen im Arbeitsleben ist nicht per se ein Problem, sondern erst dann, wenn jemand sie mit öffentlicher Wirkung zur Sprache bringt. Dieser Zusammenhang läßt sich zeigen an der Geschichte der modernen Emanzipationen: Die dahinter stehende Tatsache der öffentlichen Benachteiligung bestimmter Personengruppen (Arbeiter, Frauen, Jugendliche) ist zunächst immer von denen zum Problem gemacht worden, die sich benachteiligt fühlten, nicht von den anderen. Der Begriff „Problem" impliziert also
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immer einen Konflikt zwischen Gruppen von Personen in einem politisch-sozialen System, der auf widerstreitenden Interessen beruht. Gäbe es solche widerstreitenden Interessen nicht, so gäbe es auch kein Problem, sondern entweder Konsens oder Gleichgültigkeit.
2. Schwierigkeiten ergeben sich ferner daraus, daß das, was ein scheinbar klares „Schlüsselproblem" zu sein scheint - wie etwa das Problem des Friedens oder der sozialen Ungleichheit -, in Wahrheit sich als ungemein komplexer und sich ständig verändernder Sachverhalt darstellt, und zwar um so mehr, je präziser die didaktische Analyse wird und je mehr z.B. wegen der Verständnisfähigkeit der Schüler verdichtet und somit eben auch aus der Komplexität gestrichen werden muß. Ein auf dieser Grundlage konzipierter und strukturierter Unterricht setzt offensichtlich eine besonders hohe fachliche Kompetenz des Lehrers voraus, der ja diese Komplexität selbst erst einmal begriffen haben muß, um sie dann vernünftig didaktisch reduzieren zu können. Sonst bleibt leicht nur moralisierende Vereinfachung übrig.
3. Weil die „Schlüsselprobleme" in ihrem Kern ein politisches Phänomen sind, insofern sie auf einer interessenbedingten Definition beruhen, ist deren genauere Bestimmung in dem Sinne, daß sie als gleichsam exemplarische Kernprobleme weiterer Detailprobleme angesehen werden können, nicht so zuverlässig möglich, wie es für einen über Jahre verlaufenden schulischen Bildungsgang notwendig wäre. Das lehren uns schon die mit dem Zusammenbruch des Ostblocks entstandenen neuen Problemlandschaften, von denen wir vor dem Fall der Mauer kaum etwas geahnt haben. Entsprechend ihrem Definitionscharakter erwachsen solche Probleme aus dem politischen Handeln und seinen Begründungen selbst. Ein erheblicher Teil des politischen Argumentierens besteht bekanntlich darin, die jeweils eigene Problemdefinition ins politische Spiel und in die öffentliche Meinung zu bringen. Worin ein Problem denn nun bestehe, ist selbst eine Frage des politischen Streites.
Da die Beteiligten am problemfundierten Konflikt Partei sind, versuchen sie im allgemeinen auch, die Definition möglichst im Sinne ihrer Interessen vorzunehmen. Wenn etwa die einen das Problem der Kernkraftwerke als eines der Energieversor-
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gung definieren, die anderen als eines der Sicherheit, dann sind zwar beide plausibel, aber keineswegs identisch, vielmehr ergeben sich aus den verschiedenen Ausgangsdefinitionen ganz unterschiedliche politische Argumentations- und Begründungszusammenhänge. Kommen zu den unmittelbaren Interessenten noch die mittelbaren hinzu, die Wissenschaftler, Kulturkritiker, Pädagogen usw., dann erweist sich die Frage, worin das Problem denn nun „eigentlich" bestehe, als kaum mehr entscheidbar. Schon die Definition ist also interessenorientiert, weil eben die Artikulierung des Problems ursprünglich nicht aus einer abstrahierenden Erkenntnis erwächst, sondern im Rahmen einer politischen Auseinandersetzung entsteht.
4. Eine weitere Schwierigkeit, die die politische Bildung von Anfang an beschäftigt hat, ergibt sich durch den notwendigen Pluralismus jedes problemorientierten didaktischen Konzepts. Wenn aktuelle politische Probleme oder gar Konflikte in den Mittelpunkt des Unterrichts treten, stellt sich die Frage, wie dabei einerseits sachlich fundiert vorgegangen werden kann, andererseits aber einseitige Parteinahmen vermieden werden können, die leicht zur Agitation und Indoktrination geraten und damit den Konsens gefährden können. Im Prinzip ist das ein Problem aller Schulfächer, wenn sie sich aktuellen Fragen zuwenden, wenn etwa im Literaturunterricht zeitgenössische Literatur gelesen wird. Aber für keines stellt es sich so prekär dar wie für den politischen Unterricht. Hier werden Themen erörtert, die, wenn sie wirklich aktuelle sind, vielleicht auch das Familiengespräch beherrschen, so daß aus dem Unterricht hervorgegangene andere Meinungen der Kinder zumal dann als Einmischung verstanden werden können, wenn sie auch noch normative Grundfragen berühren. Wie empfindlich Eltern auf derartige Differenzen reagieren können, zeigte sich in den 70er Jahren angesichts eines allzu forsch vorgetragenen Sexualkundeunterrichts, der damals sogar zu Gerichtsentscheidungen führte, nach denen die Erziehungsziele der Schule in diesem Fach mit den Eltern abzustimmen seien. Beim Religionsunterricht entsteht ein solcher Widerstand in der Regel nicht, weil er nach konfessioneller Zugehörigkeit erteilt wird und der Schüler im Konfliktfalle sich abmelden kann. Anders verhält es sich wiederum bei dem in Brandenburg eingerichteten neuen Fach LER (Lebensgestaltung, Ethik,
Religionskunde), an dem alle Schüler teilnehmen sollen. Dagegen gab es nicht nur aus konfessionellen Gesichtspunkten Widerstand, sondern auch deshalb, weil es in diesem Fach um grundlegende Werte der persönlichen Lebensführung gehen soll. Ein politischer Unterricht also, der sich mit dem aktuellen politischen Geschehen befassen will, wird dafür eine überzeugende didaktische Struktur brauchen, um solchen Einwänden begegnen zu können - ähnlich wie das methodische Vorgehen der Wissenschaft derlei Zweifel auszuräumen vermag. Jedenfalls kann man nach den Erfahrungen der Vergangenheit, wie sie im I. Kapitel kurz resümiert wurden, besser verstehen, warum die Schule sich lange geweigert hat, in ihren Bildungskanon Aktuelles aufzunehmen; manche Schwierigkeiten sind ihr dadurch erspart geblieben.
5. Der problemorientierte politische Unterricht verlangt jedoch nicht nur eine besondere didaktische Konstruktion, um einseitigen Parteinahmen aus dem Wege zu gehen, sondern auch eine Differenzierung der Lehrer-Schüler-Beziehung. Mindestens zwei Ebenen sind dabei zu unterscheiden. Auf der einen Seite geht es um die unterrichtliche im Hinblick auf eine sachgerechte Analyse des Problems, auf der anderen um die Urteilsbildung als Resultat dieser Analyse. Während nun die Analyse - etwa gemäß den später zu erörternden didaktischen Kategorien - relativ bewertungsfrei erfolgen kann, geht es bei der Beurteilung um den Austausch von damit verbundenen Standpunkten, die aber nicht logisch zwingend aus der Analyse folgen, nicht deren „richtige" Anwendung sind; denn sonst gäbe es bloß richtige oder falsche politische Meinungen. In die Beurteilung eines Problems gehen vielmehr auch Bestandteile der bisherigen Erfahrungen, Interessen, der sozialen Herkunft usw. ein, die durch die Analyse zwar aufgeklärt, aber letzten Endes nicht außer Kraft gesetzt werden können. Vereinfacht gesagt: Es entsteht eine Spannung zwischen dem Schüler als Bürger, der Meinungen ohne Begründungen äußern darf, und dem Schüler als Unterrichtsteilnehmer, der nur unter dem Vorbehalt der Argumentationsbereitschaft sprechen darf. Für den Lehrer gilt entsprechendes. Zu lösen ist dieses Problem wohl nur dadurch, daß der Lehrer den Schülern ebenfalls in diesen beiden Rollen gegenüber tritt. Indem er je nach Sachlage zwischen ihnen wechselt und diesen Wechsel jeweils deut-
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lieh macht, vermag er wenigstens tendenziell die sachlichen Zusammenhänge, die zu unterrichten seine Aufgabe ist, von deren normativen Implikationen zu trennen, die - wie etwa alle politischen Entscheidungsfragen - der Diskussion unterliegen können. Stehen diese letzteren Fragen zur Debatte, hat er keinen Vorsprung mehr vor seinen Schülern, weil auf dieser Ebene alle Staatsbürger gleichrangig sind - was nicht ausschließt, daß der Lehrer wegen seiner Art der Argumentation und der persönlichen Stellungnahme durchaus vorbildliche Wirkungen haben mag; aber darauf kann er nicht setzen. Andererseits kann er auch nicht einfach neutral bleiben, etwa im Sinne einer bloßen Gesprächsmoderation. Vielmehr dürfen die Schüler von ihm erwarten, daß er - in gemäßigter und abgewogener Form - auch seine Meinung begründet darlegt und der Diskussion durch die Schüler aussetzt.
6. Während sich üblicherweise der Unterricht auf einigermaßen gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse stützen kann, gilt dies für die Problemorientierung nur mit erheblichen Einschränkungen. Das ist für das politische Handeln allgemein charakteristisch, das ja nicht aus bloßer Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse besteht, sondern in einen offenen Raum hinein mit immer ungewissem Ausgang erfolgt. Deshalb droht einem solchen Unterricht stets Unsicherheit in der Sache und der Verdacht eines laienhaften Umgangs mit den Phänomenen.
7. Schließlich müssen die Probleme ausgewählt werden, und dabei stellen sich ähnliche Schwierigkeiten ein wie auch sonst bei der Stoffauswahl. Welche der an sich möglichen und wichtigen Probleme sollen im Unterricht behandelt werden und welche warum nicht? Ist schon die Definition der Probleme selbst interessengeleitet, so gilt das erst recht für deren Auswahl. In den schon erwähnten niedersächsischen Richtlinien für die Realschule werden folgende „Schlüsselprobleme" als „verbindlich" vorgegeben:
• „Frieden und Gewalt
• Herrschaft und politische Ordnung
• Arbeit und Freizeit
• Ungleichheit der Lebensverhältnisse
• Umwelt und ihre Erhaltung
• Verhältnis der Geschlechter und Generationen" (S. 5).
Diese Auswahl verdankt sich offenkundig nicht einer politischen Analyse, sondern einem pädagogischen Konzept: Daraus sollen nämlich Themen entstehen, die Bezug zum Alltag der Schüler haben und ihnen moralische Hinweise für ihr Verhalten zu geben vermögen. Das kann man kritisieren, weil damit Problemdefinitionen ausgeschlossen werden, die sich nicht ohne weiteres oder allenfalls auf einer moralisierenden Schiene mit dem Schüleralltag in Verbindung bringen lassen; dieser kann zumindest allein kein hinreichender Maßstab für die Problemauswahl sein, weil das politische Leben sich nicht danach richtet. Sieht man von solchen pädagogisch motivierten Einseitigkeiten ab, dürfte durchaus ein Konsens darüber zu erzielen sein, daß etwa die Probleme des Friedens, der Arbeitslosigkeit, des Verhältnisses von Ökonomie und Ökologie, der sozialen Sicherung, der Migration, der Chancengerechtigkeit und ähnliche solche sind, die in die nächsten Generationen hineinragen und von deren Lösung oder zumindest Milderung das Wohl vieler Menschen abhängen wird. Über ihre Auswahl und Gewichtung ließe sich vermutlich eine pragmatische Übereinkunft erzielen.
8. Didaktisch gesehen besteht aber eine bedeutsame Schwierigkeit darin, daß die „Schlüsselprobleme" eine Abstraktion sind, so in der gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht vorkommen. Das „Schlüsselproblem" der Migration bzw. des Asyls etwa stellt sich im konkreten Alltag als jeweils besondere Konfrontation zwischen Einheimischen und „Fremden" dar. Die Transzendierung dieser unmittelbaren Erfahrung hin zum generellen Verständnis der Wanderungsproblematik wäre die Aufklärungsarbeit, die der politische Unterricht zu leisten hätte. Dies geschieht nicht, wenn - wie vielfach zu beobachten ist - der Unterricht einseitig die „Opferperspektive" wählt.
Bei näherem Zusehen zeigt sich also, daß ein scheinbar so klares Schlüsselproblem sich sofort als höchst komplex erweist. Lösen kann es die Didaktik nicht. Ihre Aufgabe ist, das Problem zum Zwecke des politischen Lernens zugänglich zu machen, und die
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Frage ist, wie das möglich sein sollte. Ein Problem, das sich in einem Konflikt verdichtet, kann man ja nicht einfach lehren, wie dies bei einer Kunde möglich ist, die ja eigens zu diesem Zwecke strukturiert und insofern von der Realität des politischen Handelns abstrahiert wurde.
Um ein Problem lehrbar zu machen, muß es also wie die Kunde in einer spezifischen Weise definiert werden. Das Problem der Kernenergie etwa läßt sich unter ökologischen, sicherheitstechnischen und ethischen (z.B. Belastung kommender Generationen) Gesichtspunkten darstellen unter Beachtung und Bewertung unterschiedlicher Positionen zu diesem Thema. Die unterschiedlichen Positionen und ihre Begründungen (z.B. Kernkraftbetreiber einerseits und Kernkraftgegner andererseits) lassen sich verstehen als potentielle, in eine bestimmte Richtung weisende Handlungsstrategien, als gleichsam kollektive Handlungsmuster; ein bestimmtes Handeln bestimmter Personengruppen in eine bestimmte Richtung läßt sich von daher erwarten. Solche Handhmgsrichtungen der Parteien, Verbände, Gewerkschaften, Unternehmerverbände - aber auch der Staaten in der Außenpolitik - ändern sich nicht täglich, sondern sind im allgemeinen langfristig orientiert, nicht zuletzt darauf beruht politische Stabilität und Kalkulierbarkeit. Insofern diese Handlungsstrategien langfristig sind, sind sie auch lehrbar im Hinblick auf die dahinterstehenden Begründungen und Interessen. In einem Schulbuch etwa ließen sich derartige Probleme der Reihe nach skizzieren auf der Grundlage der allgemeinen Handlungsstrategien, wie sie die politischen Parteien und die einschlägigen Verbände und Organisationen veröffentlicht haben.
Im Unterschied zur Kunde erreicht der didaktische Ansatz der Problemorientierung immerhin die Ebene grundlegender politischer Parteinahmen. Die Aufgabe des Unterrichts besteht dann in erster Linie darin, das Problem aus der Sicht ausgewählter (anders geht es nicht) unterschiedlichen Parteiungen darzustellen und diese einer vergleichenden Bewertung zu unterziehen. Das ist sachlich fundiert nur möglich unter Anwendung der später zu besprechenden Kategorien im Sinne grundlegender Fragehaltungen. Sonst endet die Sache im Nebeneinander unterschiedlicher Positionen, von denen sich die Schüler eine aussuchen können - ähnlich dem Angebot der Parteien im Wahlkampf. Eine geistige
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Bearbeitung dieses Nebeneinander wäre damit noch nicht gele-stet, dafür werden die didaktischen Kategorien gebraucht.
Auf dieser allgemeinen, relativ abstrakten Ebene sind die grundlegenden, in die Zukunft reichenden politischen Probleme verhältnismäßig leicht lehrbar, wie ein Blick in einschlägige Fachzeitschriften zeigt, die entsprechende fachliche und didaktische Analysen präsentieren. Auch dabei müßte selbstverständlich vereinfacht werden, aber dies ließe sich rechtfertigen mit dem Hinweis darauf, daß es sich hier ebenfalls um Orientierungswissen handelt, dessen vereinfachte Struktur weitere Differenzierungen etwa durch die Teilnahme an der politischen Publizistik ermöglicht. Erreicht werden damit jedoch nur Grundpositionen politischen Handelns, nicht dieses selbst. Gleichwohl sollte dieser Ansatz nicht gering geschätzt werden, er reicht näher an das politische Handeln heran als die Kunde und bereitet dem üblichen schulischen Unterrichtsverständnis kaum mehr Probleme als die Kunde. Selbst wer im allgemeinen skeptisch ist gegenüber einem politischen Unterricht, der sich auf die unmittelbaren politischen Auseinandersetzungen einläßt, weil dies die Möglichkeiten der Schule überschreite, könnte einem solchen didaktischen Ansatz wohl zustimmen.
Der konfliktorientierte Ansatz
Schwieriger wird es, wenn sich solche Probleme in einem aktuellen Konflikt verdichtet haben und dieser zum Ausgangspunkt des politischen Unterrichts genommen werden soll. Dann haben wir es mit unmittelbar Agierenden zu tun, die z.B. ein Zwischenlager verhindern wollen, und mit denen, die es für notwendig halten und es deshalb durchzusetzen trachten. Das generelle Problem wird nun konkret, aber die Konkretion ist mit der allgemeinen Problematik nicht mehr identisch bzw. nicht einfach nur deren bloße Erscheinung. Vieles mischt sich nämlich in die Konkretion hinein, Handeln und Gegenhandeln gewinnen ihre eigene Dynamik. Man kann also nicht sagen, daß ein konkreter Konflikt sich einem der genannten Probleme zweifelsfrei zuordnen ließe, vielmehr können bei einem Konflikt mehrere Probleme eine Rolle spielen. Anders gesagt: Die Probleme enthalten eine Reihe von latenten Konflikten, die in irgendeiner Form und aus irgendeinem Anlaß manifest werden können. Aber die Art und Weise
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ihres Ausbruchs ist auch dann nicht präzise prognostizierbar, wenn man die dahinter stehenden Probleme verstanden hat.
Zudem spielt die Zeitdimension eine ganz andere Rolle. Während ein Problem als relativ langfristiges betrachtet werden kann, weshalb seine grundlegenden Aspekte auch lehrbar sind, verändert sich die Konstellation eines Konfliktes unentwegt, seine Lösung kann sich über eine längere Zeit hinziehen. Wenn sich der Unterricht damit beschäftigt, kann er sich immer nur am jeweils aktuellen Stand der Sachlage orientieren. Das macht aber auch den Reiz der Sache aus, weil sie eben ein Ernstfall ist - noch nicht entschieden und offen für eine weitere Entwicklung.
Läßt sich für die unterrichtliche Bearbeitung solcher Konflikte nun eine didaktische Konstruktion finden, die das aktuelle politische Handeln einbeziehen kann und nicht nur auf der problemorientierten Ebene verbleibt, auf der man lediglich allgemeine Handlungsrichtungen zu erkennen und zu bearbeiten vermag?
Politisch-didaktische Kategorien
In meiner früheren „Didaktik der politischen Bildung" habe ich vorgeschlagen, dafür eine Reihe von politisch-pädagogischen Kategorien zu verwenden, in denen grundlegende Fragestellungen komprimiert sind, wie sie etwa auch die einschlägigen Wissenschaften verwenden. Damals habe ich folgende Kategorien näher beschrieben:
1. Worin besteht der Kern der aktuellen Auseinandersetzung (Problem)?
Man kann zwischen „latenten" und „manifesten" Konflikten unterscheiden. Die „latenten", die jederzeit „manifest" werden können, entsprechen den eben erörterten Problemen („Schlüsselprobleme"). In dieser ersten Kategorie geht es also darum, die grundlegende Struktur eines Problems zu ermitteln, auf dessen Hintergrund möglicherweise ein offener Konflikt entstanden ist. Das ist für den politischen Unterricht - im Unterschied etwa zur Politikwissenschaft - zunächst einmal nur insoweit möglich, als das Problem aus den veröffentlichten - meistens kontroversen - Stellungnahmen der Beteiligten rekonstruiert werden kann. Dar-
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über hinausgehende Deutungen können sich allerdings aus der Anwendung anderer Kategorien ergeben.
2. Worum geht es im einzelnen? (Konkretheit)
Politisches Handeln angesichts offen ausgebrochener Konflikte ist immer konkreter, einmaliger Art. Aus der allgemeinen Problemanalyse lassen sich also keine zuverlässigen Schlüsse auf das zu erwartende Handeln selbst ableiten. Möglicherweise verändert ein bestimmtes Handeln sogar die ganze Problemlage, verschärft oder mildert sie; oder es verursacht andere Handlungssequenzen, die sich irgendwann vom ursprünglichen Problem mehr oder weniger entfernen. Gerade wegen seiner konkreten Einmaligkeit können Handeln und Gegenhandeln im Bezug zum ursprünglichen Problem außer Kontrolle geraten. Erst die Konkretheit macht das Handeln zum Handeln. Dabei können gerade Einzelheiten von erheblicher Bedeutung sein, etwa für die Folgen einer politischen Entscheidung. Auch im Geschichtsunterricht läßt sich diese Kategorie gut anwenden, allerdings ist dort in der Regel das Ergebnis konkreter Handlungen bekannt, was die nachträgliche Überprüfung der Entscheidung erheblich erleichtert. Für gegenwärtiges Handeln gilt dies jedoch nicht, es ist nach vorne offen. Gerade das Risiko von „Erfolg" oder „Mißerfolg" unterscheidet politische Gegenwartsentscheidungen von historischen Fällen.
3. Welchen Einfluß kann wer geltend machen (Macht)?
Politische Handlungssituationen sind immer durch konkrete Machtkonstellationen definiert. Die Kategorie der Macht sollte weit gefaßt verstanden werden, als Inbegriff aller tatsächlichen Möglichkeiten, andere zu einem bestimmten gewünschten Verhalten zu veranlassen. Es gibt die Macht staatlicher Institutionen, ökonomische Macht, die Macht des Streiks, der öffentlichen Meinung, des spontanen kollektiven Widerstandes usw. Diese Kategorie fragt in erster Linie nach den durch Macht möglichen Realisierungschancen bestimmter Interessenpositionen angesichts eines Konflikts und wird dabei unter anderem entdecken, daß die einzelnen Interessenpositionen sowohl hinsichtlich des Machtumfangs wie der Machtformen keineswegs gleich sind. Deshalb fragt diese Kategorie nicht nur nach der realen Macht-
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Verteilung angesichts einer konkreten Konfliktlage, sondern auch nach der Möglichkeit der Machtvermehrung.
4. Welche Rechtslage liegt dem Handeln der Beteiligten zugrunde (Recht)?
Politisches Handeln bewegt sich jedoch nicht nur im Rahmen bestimmter Machtstrukturen, sondern auch im Rahmen rechtlich markierter Zusammenhänge. Das bedeutet zunächst einmal eine Einschränkung an sich möglicher Formen der Machtgewinnung und Machtanwendung, zugleich aber eben auch eine Art von Machtgarantie; denn nicht selten zielt politisches Handeln gerade darauf, versprochenes Recht einzulösen bzw. beschränktes Recht wiederherzustellen. Andererseits fragt diese Kategorie aber auch nach den Möglichkeiten und Bedürfhissen des Rechtsfortschritts; denn Rechtslagen haben historisch betrachtet immer auch den Charakter politischer Vereinbarungen, Rechtsetzungen sind in der Regel aus politischen Auseinandersetzungen hervorgegangen. Zwar sind die rechtlich zugelassenen Chancen vor allem im ökonomischen Bereich zum Teil höchst ungleich verteilt, andererseits dient das Rechtssystem im ganzen aber gerade auch denjenigen Gruppen in der Gesellschaft, die im Falle der Rechtsunsicherheit sofort der größeren Macht anderer ausgeliefert wären.
5. Inwiefern bin ich selbst betroffen (Interesse)?
Gemeint sind hier die unmittelbaren materiellen wie immateriellen persönlichen Wünsche und Bedürfnisse, deren Erfüllung irgendwie an politisch-gesellschaftliche Voraussetzungen gebunden und nicht allein im Rahmen der privaten Lebensführung zu erreichen ist. Davon zu unterscheiden sind kollektive Interessen, die erst mit der Kategorie „Solidarität" angesprochen werden. Das persönliche Interesse kann unmittelbar berührt werden wie bei innenpolitischen Krisen, aber auch mittelbar, wenn etwa Überlebensfragen im globalen Maßstab zur Debatte stehen. Ist beides nicht der Fall, dann mag von Politik in einem objektiven Sinne immer noch die Rede sein, aber didaktisch ist sie dann irrelevant. Wo es kein persönliches Interesse gibt, kann es auch keines für Politik geben. Deshalb ist die Aufklärung der persönlichen Interessen für die Bildung des Schülers generell von zentraler Bedeutung. Interessen werden auch angesonnen, etwa im Rahmen der (politischen) Werbung, empirisch vorfmdbare wer-
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den kritisiert, als seien sie nicht die „wahren". Sie unterscheiden sich auch je nach Alter und sozio-ökonomischem Status der Menschen, sind also nicht ein für allemal festgelegt. Zum politischen Kampf gehört immer auch der Versuch, anderer Menschen Interessen als identisch mit den eigenen auszugeben.
6. Mit wem muß ich mich zur Wahrung meiner Interessen verbünden (Solidarität)?
Im politischen Raum können persönliche Interessen jedoch nicht als solche erfolgreich durchgesetzt werden. Sie müssen sich mit anderen persönlichen Interessen zu einem kollektiven Zusammenhalt bündeln. Dafür sind etwa politische Parteien und die unterschiedlichen Verbände und Organisationen da. Aus der kollektiven Bündelung von Interessen folgt, daß jedes politisch-gesellschaftliche Handeln bestimmten Gruppen nützt, anderen jedoch nicht unbedingt zugute kommt oder gar schadet. Weil aber der einzelne Bürger seine Interessen, Wünsche und Bedürfnisse nur mit Hilfe einer oder mehrerer Parteien, Verbände oder anderer Gruppen realisieren bzw. verteidigen kann, muß er diesen gegenüber ein Mindestmaß an Solidarität aufbringen.
In der deutschen Arbeiterbewegung bezeichnete der Begriff „Solidarität" die schicksalhafte Verbundenheit derjenigen, die von den kapitalistischen Produktionsverhältnissen ausgebeutet und unterdrückt waren. Die Notwendigkeit, gleichsam unter allen Umständen - auch bei Meinungsverschiedenheiten und Konflikten - zusammenzuhalten gegen den „Klassenfeind", weil nur so die Beseitigung der gemeinsamen Not erreicht werden konnte, hat verständlicherweise solidarisches Verhalten mit einem hohen moralischen Anspruch ausgestattet. Unsolidarisches Verhalten galt nicht nur als politisch falsch, sondern auch als moralisch verwerflich. Diese hohe Emotionalität und Moralität ist inzwischen weitgehend abgeklungen. Die Einsicht, daß die individuellen Interessen politisch nur dann wirksam werden können, wenn sie so umfassend wie möglich als kollektive organisiert werden, verlangt zwar auch ein gewisses Maß an wechselseitiger Loyalität zwischen den Individuen und ihren Organisationen, aber doch auch ein bestimmtes Maß an rationaler Distanz. Solidarität ist nicht mehr ein für allemal festgelegt, sondern kann sich teilweise auf mehrere, wechselnde oder konkurrierende Gruppen erstrecken, so daß der Entzug der Solidarität - etwa gegenüber
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einer politischen Partei bei der Wahl - selbst ein wichtiger Aspekt des politischen Handelns sein kann. Deshalb sind das subjektive Interesse und die ihm angemessene kollektive Vertretung bzw. Organisation im konkreten Falle nicht vorgegeben, sondern müssen immer wieder neu erarbeitet und ermittelt werden.
Aber im Prozeß der kollektiven Bündelung können individuelle Interessen im allgemeinen nicht vollständig zur Geltung gebracht werden, wie sich an den politischen Parteien zeigt, die selten jemand mit voller Übereinstimmung in allen Punkten wählt. Deshalb bedarf der Übergang vom persönlichen Interesse zu seiner kollektiven Vertretung einerseits einer genauen Analyse, andererseits aber auch einer gewissen Frustrationstoleranz.
7. Welche Möglichkeiten der Mitwirkung habe ich (Mitbestimmung)?
Die kollektive Komprimierung von Interessen wäre nutzlos ohne reale Mitbestimmung sowohl der Individuen wie der Organisationen. Danach fragt die didaktische Kategorie der „Mitbestimmung". Sie soll einerseits die konkret vorliegenden Möglichkeiten dazu ermitteln, die auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen liegen - angefangen von der politischen Wahl über die Unterstützung eines gesellschaftlichen Interessenverbandes bis hin zu Bürgeraktionen; andererseits vermag sie auch die Grenzen der Mitbestimmung aufzuzeigen, wie sie etwa im repräsentativen Charakter unserer Verfassung vorgegeben sind.
8. In welchem politischen Zusammenhang bewegt sich das zu beurteilende Handeln und welche Folgen wird es deshalb voraussichtlich haben (Funktionszusammenhang)?
Politisches Handeln vollzieht sich jedoch nicht nur als jeweils einzelne Konfrontation von Interessen, vielmehr entstehen dabei Rückwirkungen auch auf diejenigen, die zunächst gar nicht daran beteiligt sind oder scheinen. Betroffen sind in der Regel alle Mitglieder eines politischen Gebildes, etwa einer staatlich verfaßten Gesellschaft wie der unseren. Die danach fragende Kategorie des ,,Funkionszusammenhangs" hat zwangsläufig nicht nur bloß faktische Wechselwirkungen im Blick, sondern auch das Ganze des politischen Zusammenlebens im ethischen Sinne. Wie und mit welchen Folgen wirkt ein bestimmtes politisches Handeln auf das Gemeinwesen im ganzen?
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9. Welche prinzipiellen Begründungen werden von den verschiedenen Akteuren ins Feld geführt (Ideologie)?
Unter Berufung auf eben dieses Gemeinwohl wird politisches Handeln im allgemeinen gegenüber der Öffentlichkeit begründet, selten unter Verweis auf das eigene, partikulare Interesse. Die Kategorie „Ideologie" unterwirft deswegen Rechtfertigungen des jeweiligen politischen Handelns einer rationalen Kontrolle. Jedes politische Handeln wird schon deshalb mit Begründungen versehen, weil Menschen dafür gewonnen werden müssen. Die Doppelbödigkeit des Ideologiebegriffs - Verdeckung des partikularen Interesses und Theorie für die Ordnung des Ganzen - müßte sich in der Relation zur Kategorie der Solidarität ergeben. Es kommt für die politische Beurteilung auf beide Seiten an: Keine politische Aktion erfolgt letztlich ohne ein Mindestmaß an übergreifenden Ordnungsvorstellungen; jede politische Aktion aber droht gerade diese Theorien zum Vorwand für partikulare Interessen zu machen. Die Kategorie der Ideologie hilft dem Bürger, seine Interessen wie auch deren angemessene und erfolgreiche Vertretung jeweils neu zu ermitteln.
10. Welche geschichtlichen Tatsachen und Erfahrungen fließen in das politische Handeln ein (Geschichtlichkeit)?
Diese Kategorie fragt nach dem geschichtlichen Entstehungszusammenhang eines Konfliktes bzw. eines Problems. Dabei ist es im Prinzip gleichgültig, wie weit der Blick im Einzelfalle zurückgehen muß - ob nur wenige Jahre oder Jahrzehnte. Im Idealfalle mobilisiert diese Leitfrage das, was die Schüler aus dem Geschichtsunterricht bereits wissen. Nicht nur auf historische Tatsachen kommt es jedoch an, sondern auch auf das, was davon in den Zeitgeist mit welcher Bewertung eingegangen ist. In welcher Weise die geschichtliche Erfahrung politisch bedeutsam ist, hängt nämlich wesentlich davon ab, wie sie im Bewußtsein der Zeitgenossen verankert ist. So spielen die Erinnerung und die teilweise unterschiedliche Deutung der NS-Vergangenheit und neuerdings der DDR-Geschichte bei der öffentlichen Beurteilung politischer Handlungen eine herausragende Rolle. Allerdings unterliegt das in der Öffentlichkeit präsente historische Bewußtsein der Veränderung durch den Wechsel der Generationen.
Unter dieser Leitfrage läßt sich jedoch kein Geschichtsunterricht im ganzen begründen, wie heute oft unter dem Gesichtspunkt der
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„Lebensweltorientierung" angenommen wird. Vielmehr setzt ihre ergiebige Anwendung ein bereits vorhandenes, einigermaßen zusammenhängendes historisches Bewußtsein voraus. Unter der politischen Kategorie der Geschichtlichkeit kann immer nur von einer politischen Verlegenheit der Gegenwart her in die Geschichte zurückgefragt werden. Die Antworten aber, die die Geschichte bzw. das historische Bewußtsein im Einzelfall darauf bereithält, hängen unter anderem davon ab, ob das historische Bewußtsein der Fragenden das, was jeweils gebraucht wird, übersteigt oder nicht. Wenn also auf der Ebene der historischen Vorstellungen nur das zu finden ist, was für die Aktualität der Gegenwart Bedeutung hat, dann gerät das historische Wissen in die Versuchung, als Legitimation für aktuelle Entscheidungen mißbraucht zu werden. Unter dem Aspekt des historischen Bewußtseins ist also nicht nur wichtig, was bestimmte historische Erscheinungen und Erfahrungen für die Gegenwart bedeuten, sondern auch, wie gegenwärtige Handlungen vor dem Anspruch bereits vorliegender historischer Erfahrungen zu bewerten sind.
11. Werden Grundsätze der Menschenrechte berührt (Menschenwürde)?
Die Kategorie der Menschenwürde ist eine normative, ergibt sich aus den Maximen der Grund- und Menschenrechte und prüft politisches Handeln daraufhin, in welcher Weise es das Leben der davon betroffenen Menschen bestimmt. Unter unseren demokratischen und sozialstaatlichen Verhältnissen richtet sich der Blick dabei in erster Linie auf soziale Randgruppen, weil im Zusammenhang mit ihnen oft von menschenunwürdigen Bedingungen die Rede ist. Aber die Normen der „Menschenwürde" gelten generell, auch wenn sie im normalen politischen Alltag nicht zur Beanstandung herausfordern; sonst stünden sie auch in besonderen Fällen nicht zur Verfügung.
Diese Kategorien beschreiben weder eine zusammenhängende Theorie der Politik, noch sind sie aus einem übergeordneten Prinzip abgeleitet, so daß sich unter ihnen eine Art von Hierarchie ergeben könnte. Sie drücken lediglich grundlegende Fragestellungen aus, die jede für sich eine eigentümliche Berechtigung haben. Weil das Kategorienensemble sich nicht einer systematischen Ableitung verdankt, erhebt es auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit; es kann in der Praxis des Unterrichts von Fall zu
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Fall reduziert, aber auch erweitert werden. Seine Aufgabe ist lediglich, vernünftige Zugänge zur politischen Wirklichkeit zu eröffnen.
Wie man an sich selbst und bei anderen beobachten kann, werden einige solcher Fragen spontan immer gestellt, andere nicht; diese anderen mit Begründung und Einsicht stellen zu lernen, ist bereits ein wichtiger Lernfortschritt. Insofern knüpft dieses didaktische Konzept an den Vorerfahrungen der Lernenden an und versucht diese weiter zu entwickeln. Auf diese Weise werden die schon vorhandenen Fragehaltungen der Schüler ernst genommen, aber auf andere wichtige ausgedehnt, und die Schüler werden dazu angehalten, darauf einigermaßen vernünftige Antworten zu suchen.
Der Katalog möglicher Kategorien ist natürlich verhältnismäßig umfangreich, wenn man alle diejenigen ins Auge faßt, die etwa in den politischen und historischen Wissenschaften tatsächlich verwendet werden. Wie schon bei der Stoffauswahl kann auch für die Auswahl der Kategorien kein über pragmatische Plausibilität hinausgehendes Kriterium angegeben werden. Entscheidend ist, daß der Politiklehrer selbst das didaktische Konzept so gut verstanden hat, daß er es angesichts eines bestimmten Themas und im Hinblick auf die Vorerfahrungen seiner Klasse kreativ anzuwenden in der Lage ist. Dann wird er diejenigen Kategorien auswählen, die den vorhandenen Erfahrungsstand weiterentwickeln können, und er wird vielleicht je nach Thema verschiedene Kategorien benutzen, also unter ihnen wechseln. Inzwischen ist die fachdidaktische Bedeutung von Kategorien nicht mehr umstritten. Unterschiede zwischen den einzelnen Autoren ergeben sich weniger aus grundsätzlichen als vielmehr aus praktischen Erwägungen. Im Zentrum dieses didaktischen Verfahrens steht also eine bestimmte Methode, sich politischen Sachverhalten über deren Aktualität zu nähern und dabei den Hintergründen auf die Spur zu kommen. Sie knüpft an das an, was die Menschen in ihrem Alltag sowieso denken. Um jedoch als didaktischer Theoriezusammenhang Bestand haben zu können, müssen diese Kategorien folgende Bedingungen erfüllen:
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1. Sie dürfen den Erkenntnissen der einschlägigen Wissenschaften nicht widersprechen, weil sonst der Grundsatz der Wissenschaftsorientierung des Unterrichts verletzt würde. Diese Bedingung ist bei den oben vorgestellten Kategorien erfüllt, wie sich bei der Lektüre einschlägiger wissenschaftlicher Arbeiten schnell erweist.
2. Sie müssen alle in jedem politischen Konflikt enthalten sein bzw. - als Fragen an ihn gestellt - zu sinnvollen Antworten führen. Es muß also zutreffen, daß in jeder aktuellen Auseinandersetzung von politischem Gewicht sich darüber hinausgehende Probleme repräsentieren; daß ein offener Konflikt dennoch nicht allgemein, sondern konkret entschieden wird {Konkretheit); daß in jeder Auseinandersetzung wenigstens mittelbar das Interesse eines jeden Bürgers betroffen ist; daß der Bürger Möglichkeiten der Mitbestimmung hat; daß er nur in Solidarität mit anderen - mit einer Gruppe, einer Partei, einem Verband - diese Mitbestimmung mit Aussicht auf Erfolg wahrnehmen kann; daß jede politische Entscheidung ausgesprochen oder unausgesprochen mit einem auf das Wohl des Ganzen zielenden Begründungszusammenhang versehen ist, der aber möglicherweise auch partikulare Interessen artikuliert {Ideologie); daß jede politische Entscheidung in der Kontinuität eines faktischen oder ideellen Zusammenhangs steht {Geschichtlichkeit); daß sie in einem Rechtszusammenhang steht; daß sie, obwohl meist mit partikularen Zielen besetzt, immer auch andere Teile des Funktionszusammenhangs und damit das ganze politische System berührt; daß sie immer die Daseinsbedingungen von Menschen betrifft {Menschenwürde); daß alle politischen Beziehungen zumindest auch solche der Macht sind. Nur wenn diese didaktischen Kategorien politischen Handlungen immer immanent sind, begründen und rechtfertigen sie auch grundlegende Fragestellungen an politische Sachverhalte. Dann aber lassen sich durch diese Kategorien auch solche Probleme aussondern, die nicht als politische, sondern etwa lediglich als private zu klassifizieren sind; auch im privaten Bereich gibt es ja Konflikte.
3. Wichtig gerade für den Schulunterricht ist auch, daß die nor-mativen Implikationen dieser Kategorien konsensfahig sein können, jedenfalls zum Grundgesetz nicht im Widerspruch
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stehen. Dies ist heute nicht mehr strittig, war aber in den 50er und auch noch in den 60er und 70er Jahren keineswegs Konsens, weil damals die konfliktorientierten didaktischen Konzepte in konservativen Kreisen per se als parteilich galten. Inzwischen leugnet jedoch kaum jemand mehr, daß es z.B. zulässig ist,
• individuelle Wünsche zu haben und sie politisch zur Geltung bringen zu wollen (Interesse);
• das individuelle Interesse mit dem einer Gruppe, Klasse oder Organisation zu verbinden (Solidarität);
• den Rechtsspielraum auszunutzen für die Verfolgung der eigenen Interessen und um einen Fortschritt der eigenen Rechtsposition zu kämpfen (Rechtlichkeit);
• legitimierte Macht anzuwenden und nach weiteren Durchsetzungsmöglichkeiten Ausschau zu halten (Macht) usw..
4. Wenn die politisch-didaktischen Kategorien fundamentale Tatsachen des Politischen zum Ausdruck bringen, müssen sie auch in Grundeinsichten für den politischen Unterricht umformuliert werden können, die dann auch unabhängig von einem konkret zu untersuchenden Handlungskomplex gelten und deshalb gleichsam als Quintessenz entsprechender Analy-sen gelernt werden können. Sie lassen sich in die Form fassen: „Eigentümlich für das Politische ist, daß..." - und entsprechend lassen sich die Kategorien umformulieren.
In diesem, am politischen Handeln im Rahmen von Konflikten orientierten fachdidaktischen Modell sind alle der Sache angemessenen didaktischen Ansätze also bereits enthalten, auch die Kunde. Wenn der Politiklehrer diese Kategorien nicht in seinem Kopf hat, wird er auch die Kunde nicht angemessen unterrichten können. Immerhin muß er ja dafür ein geeignetes Thema wählen. Auch ein Schlüsselproblem kann er nicht bearbeiten, wenn er dafür keine der Politik angemessenen Fragestellungen den Schülern vorträgt. Wie sollen diese sonst die unterschiedlichen Positionen im Rahmen eines politischen Problems bearbeiten? Diese Positionen sind ja kein Warenhauskatalog, aus dem sich jeder etwas aussuchen soll. Ausgehend von der Analyse aktueller politischer Konflikte, die als der eigentümliche und mit
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relativieren trachten. Jedenfalls zeigen die Beispiele, daß der Kampf um die Definition der Ursachen selbst Teil der politischen Auseinandersetzung ist, und es ist keineswegs so, daß es auf diese Frage eine objektive, des Streites enthobene Antwort gibt; selbst wenn es sie gäbe - z.B. mit Hilfe der Wissenschaften -, würde sie von den streitenden Parteiungen nicht unbedingt akzeptiert. Die Frage nach den Ursa-chen bzw. der Hinweis auf die angeblich „wahren" oder „eigent-lichen" Ursachen sind oft lediglich weltanschaulich gemeint, der konkrete Konflikt ist dann nur ein Beispiel, das die eigene Grundposition wieder einmal bestätigen soll. Oft wird aus diesem Grunde keine Lösung des Konfliktes, sondern nur seine Instru-mentalisierung angestrebt. Die Ursachen für wirklich bedeutsame Probleme, etwa Krieg oder soziale Ungerechtigkeit, lassen sich auch gar nicht einfach beseitigen; allenfalls lassen sich deren Folgen mindern, abschwächen oder kompensieren. Würde die Politik diese Grenze ihrer tatsächlichen Möglichkeiten ignorie-ren, käme sie schnell zu autoritären Phantasien.
4. Welche Folgen (für wen?) hat diese oder jene Handlungs-strategie, wenn sie sich durchsetzt?
Zu jedem bewußten und vor allem verantwortlichen politischen Handeln gehört die Abschätzung der Folgen, deren Antizipation also. Da solche Überlegungen sich auf die noch offene, unge-staltete Zukunft beziehen, bleiben sie letzten Endes ungewiß, auf mehr oder weniger begründete Vermutungen angewiesen. Eben
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deshalb aber sind sie Inhalt des politischen Streites. Mit dem Hinweis auf die schlimmen Folgen eines bestimmten Handlungskonzeptes läßt sich dieses leicht attackieren, umgekehrt lassen sich mit der plausiblen Aussicht auf Besserung für ein Konzept Anhänger und Zustimmung mobilisieren. So wird folgerichtig in der veröffentlichten Meinung nicht nur über die Ursachen von politischen Handlungen gestritten, sondern auch über deren Folgen. Wird die Ausländerfeindlichkeit einer Minderheit nicht doch zu allgemeinen neofaschistischen Strukturen fuhren? Tragen diejenigen Parteien oder Politiker, die „Das Boot ist voll!" rufen, nicht ebenfalls zu einer solchen Tendenz bei? Wird diese oder jene Kürzung im Sozialhaushalt nicht zu innenpolitischen Krisen führen? Wird die Lohnerhöhung zu einer Verstärkung der Ar-beitslosigkeit beitragen? Derartige Prognosen erwachsen leicht aus bestimmten politisch-ideologischen Grundpositionen, für deren Durchsetzung sie als Waffe dienen. Damit sind sie nicht vorweg abgewertet oder als falsch deklariert; welche dieser Prognosen in Zukunft eintreffen werden, kann jedoch niemand genau wissen, weil wir die künftigen Wirkungen politischer Handlungen nicht voraussehen können. Dennoch müssen die möglichen Folgen des politischen Handelns bedacht werden.
5. Wie ist die Rechtslage?
In unserer demokratisch verfaßten Gesellschaft muß sich jedes politische Handeln im Rahmen einer vorgegebenen Rechtlichkeit bewegen. Im Unterschied zu den bisher erörterten Grundfragen ist diese Frage verhältnismäßig klar zu beantworten, weil rechtliche Regelungen kodifiziert sind. Allerdings schafft das politische Handeln auch neues Recht, indem es etwa neue Gesetze durchsetzt oder bereits vorhandene ändert. Zudem wird es in vielen Fällen den Spielraum des rechtlich Möglichen auszuschöpfen trachten, so daß von politischen Gegnern eine verfassungsrechtliche Überprüfung angestrebt wird. Rechtliche Vorgaben stehen also nicht ein für allemal fest, sie werden vielmehr nicht nur in korrekten Verfahren geändert, sondern oft auch übergangen, solange sich kein Widerstand regt. Die ständigen Interventionen der Datenschutzbeauftragten sind dafür nur ein Beispiel unter vielen. Auch kann über Auslegungen des Rechtes Streit entstehen (hat die Polizei angemessen in einer bestimmten Situation gehandelt?)
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und natürlich darüber, ob rechtliche Grundsätze geändert werden sollen oder nicht.
6. Wie könnte eine Lösung des Konfliktes aussehen, welche die Beteiligten zu befrieden vermag?
Die bloße Analyse von Konflikten bleibt unbefriedigend, wenn nicht wenigstens imaginativ mögliche Lösungen durchgespielt werden können. Eine Antwort ist jedoch nur sinnvoll, nachdem die anderen fünf Leitfragen genügend Material dafür bereitge-stellt haben, sonst wird daraus moralisierende Gedankenspielerei. Jede Konfliktpartei serviert der Öffentlichkeit Lösungsvorschläge aus der Sicht ihrer Interessen, aber die Frage ist, ob auch die Kontrahenten damit einverstanden sein können. Wir stoßen hier auf die wichtige Kategorie des Kompromisses. In der Regel sind öffentlich relevante Konflikte nur dadurch zu lösen, daß alle Be-teiligten ihre Wünsche und Forderungen soweit zurückschrauben, daß Einigung möglich wird. Kompromisse zu finden ist eine Tu-gend der politischen Klugheit und liegt auf einer anderen Ebene als das Gefühl, im moralischen Sinne Recht zu haben.
Die knappen Hinweise zeigen noch einmal, daß es sich bei diesen Leitfragen nicht um solche handelt, die einfach zu beantworten wären; dies wäre nur dann der Fall, wenn die Antwort aus einem ideologischen Hintergrund heraus erfolgen würde und insofern von vornherein feststünde. Die Leitfragen unterliegen vielmehr selbst immer auch schon dem politischen Streit.
Entscheidend bei diesem konfliktorientierten didaktischen Ansatz ist also die Methode des Fragens und der Suche nach Antworten. Grundsätzlich ist ein solcher Unterricht offen, sein Ergebnis ist nicht in vollem Umfang vorhersehbar und deshalb auch nicht restlos zu antizipieren, was dieses Verfahren für Verfechter eines traditionellen, streng durchgeplanten Unterrichts, wie er ja auch bei Prüfungen von Referendaren in der Regel verlangt wird, ver-dächtig macht. Die Suche nach Antworten wird aber immer un-vollständig bleiben. Das wichtigste Ziel dieses didaktischen An-satzes ist, Fragen zu stellen, die von den Schülern noch nicht ge-stellt wurden - sei es durch den Lehrer, sei es durch die Schüler selbst. Ich halte aber diese sechs Leitfragen für das Minimum dessen, was ein an Aufklärung orientierter politischer Unterricht strukturieren muß, um sich den großen, in die Zukunft weisenden
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Problemen angesichts manifester Konflikte angemessen zu nä-hern. Dabei geht es nicht um fertige Ergebnisse, sondern um ei-nen sachlich fundierten Zugang, der wie beim erwähnten Orien-tierungswissen weiteres Lernen in der Zukunft fundieren und er-möglichen soll. Das Einüben der Fragehaltung ist dabei ebenso wichtig wie die dadurch recherchierten Ergebnisse selbst, denn diese können sich im Einzelfalle schnell ändern.
Mancher wird hier manches vermissen. Aber ein auf wenige Schulstunden beschränkter politischer Unterricht kann niemals das Politische in seiner Komplexität direkt anzielen, sondern muß sich darauf beschränken, Schneisen des Verstehens in die Un-übersichtlichkeit zu schlagen. Vielleicht mag überraschen, daß hier auf eine subjektive Kategorie, etwa auf die Frage nach dem persönlichen Interesse oder der individuellen Betroffenheit des Schülers verzichtet wird. Selbstverständlich kann man die Frage: „Was geht mich das an?" als eine ständige Leitfrage aufnehmen, wie es in meinem ursprünglichen Kategorienmodell auch vorge-sehen ist. Im allgemeinen wird der Schüler sich jedoch diese Fra-ge sowieso stellen, wenn das Thema ihm dafür brisant genug er-scheint, und dann wird er dies auch zum Ausdruck bringen. Wenn er hingegen nicht durchschaut, daß ein Thema ihn auch selbst betrifft, kann die Leitfrage nach den Folgen ihn darauf bringen. Im übrigen muß den Schüler nicht alles, was er an Wichtigem lernt, immer auch betroffen machen. Er hat nämlich auch das Recht, seine Gefühle und Überzeugungen für sich zu behalten, solange er dies aus welchen Gründen auch immer so will. Bezieht sich die Frage nach der persönlichen Betroffenheit jedoch nicht auf den einzelnen Schüler, sondern auf bestimmte Gruppen von Menschen, sind wir wieder bei einer objektiven politischen Kategorie, nämlich der des Interesses.
Auch eine auf die normative Dimension des Politischen zielende Kategorie wird mancher in der Aufzählung vermissen, zumal ge-rade diese oft für erzieherisch besonders wichtig gehalten wird. Es widerspricht diesem Ansatz nicht, entsprechende Fragen zu stellen, etwa die nach der Gerechtigkeit, und es gibt Themen, an-gesichts derer dies sachlich zwingend geboten erscheint - etwa für die Diskussion über das Abtreibungsrecht und überhaupt für die Behandlung der Grund- und Menschenrechte. Normative Überlegungen kommen auf jeden Fall zu ihrem Recht, wenn ent-
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sprechende Argumente für die Begründung eines politischen Handelns vorgetragen werden, das im Unterricht analysiert wer-den soll. Andererseits ist aus schlechten Erfahrungen Zurückhal-tung dagegen angebracht, moralische Aspekte grundsätzlich zur Geltung zu bringen, als seien sie ein spezifisches Kriterium der didaktischen Analyse. Im politischen Unterricht kommt es darauf an, moralische Fragen dort aufzusuchen, wo sie implizit oder ex-plizit tatsächlich eine Rolle spielen, nicht darauf, sie von außen wie selbstverständlich an politische Sachverhalte anzulegen.
Schwierigkeiten bei der Anwendung des Konfliktansatzes
Nun darf nicht übersehen werden, daß mit dem konfliktorientier-ten Konzept gerade für die Schule besondere Schwierigkeiten verbunden sind.
1. Schon in den sechziger Jahren hat man in Westdeutschland darüber diskutiert, ob ein solches konfliktorientiertes Konzept überhaupt seinen Platz in der Schule haben kann. In der Tat paßt es nicht gut in die herkömmliche Vorstellung von Unter-richt. Es gibt keinen klaren Stoffkanon, denn die Sachverhalte sind nicht einfach gegeben wie eine mathematische Formel oder ein literarischer Text, vielmehr ist es ein Stoff, der immer wieder neu durch politisches Handeln und Gegenhandeln her-gestellt und verändert wird. Demzufolge sperrt er sich auch weitgehend gegen eine unterrichtliche Planung und Erfolgs-kontrolle durch mündliche oder schriftliche Prüfungen. Was sollte hier nach welchen Kriterien beurteilt und bewertet wer-den? Hier entsteht eine Offenheit und unterrichtliche Unent-scheidbarkeit, die für das herkömmliche Unterrichtsverständ-nis der Schule zumindest ungewöhnlich ist. Wäre es deshalb nicht besser, derartige didaktische Ansätze anderen pädagogi-schen Institutionen zu überlassen, die wie die Einrichtungen der Erwachsenenbildung und der Jugendarbeit den Verpflich-tungen der schulischen Planungen und Erfolgskontrolle weit-gehend enthoben sind und die sogar partikulare politische Parteilichkeit anstreben dürfen?
Dieser Einwand läßt sich noch erweitern. Die konfliktorien-tierte didaktische Konstruktion entspricht weitgehend dem
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Verfahren, das die politische Publizistik etwa des Fernsehens anwendet. Da gibt es einen aktuellen Konflikt - z.B. den ag-gressiven Rechtsradikalismus -, der wird einerseits in seiner Unmittelbarkeit präsentiert, zugleich aber doch auch mit Hin-tergrundinformationen angereichert, die auf die allgemeine Problematik verweisen, wobei sinngemäß auch die vorhin er-wähnten didaktischen Leitfragen Verwendung finden. Wenn die Schule ebenso verfahren will, versucht sie dann nicht et-was, was die professionelle politische Publizistik nur besser machen kann? In der Tat verfährt der Fernsehjournalismus -um bei diesem zu bleiben - in etwa nach dem konfliktorien-tierten didaktischen Modell, und vielleicht sollte die Schule wirklich bei dem bleiben, was sie kann, um dies so gut wie möglich zu tun. Aber dann sollte man auch nicht mehr von politischem Unterricht sprechen.
Andererseits ist zu bedenken, daß die politische Publizistik zwar problem- bzw. konfliktorientiert vorgeht, daß aber ande-rerseits die meisten Kinder und Jugendlichen diese Publizistik von sich aus gar nicht oder kaum zur Kenntnis nehmen. Auch die Informationssendungen des Fernsehen werden zugunsten der Unterhaltungssendungen kaum genutzt. Deshalb spricht vieles dafür, politische Magazinsendungen, deren Beiträge re-lativ kurz sind, im Unterricht aufzugreifen und sie mit den Schülern nicht nur inhaltlich, sondern auch im Hinblick auf ih-re didaktische Struktur wie auf ihre Parteilichkeit hin zu ana-lysieren. Auf die Nutzung der Medien, die den Menschen täg-lich politische Informationen liefern, hat sich der politische Unterricht bisher nicht in nennenswertem Maße eingelassen, obwohl inzwischen der Videorecorder allgemeine Verbreitung gefunden hat. Selbst dort, wo gelegentlich Fernsehsendungen eingesetzt werden, fehlt es an didaktischen Kriterien des kriti-schen Umgangs damit. Was ist z.B. unter didaktischem Aspekt ein gelungener Magazinbeitrag? Der offensichtlich großen Zahl der Schüler, die den Fernseher nur als Unterhaltungsme-dium nutzen, müßte die Schule vorführen, wie er auch als po-litisches Informationsmedium genutzt werden kann.
2. Die grundlegenden, weil in die Zukunft reichenden politisch-gesellschaftlichen Probleme, von denen hier die Rede ist, und die daraus resultierenden Konflikte werden nicht nur im politi-
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sehen Unterricht eine Rolle spielen, sondern auch in anderen Fächern wie Religion und Deutsch wenigstens teilweise und unter anderen Aspekten behandelt werden. Im allgemeinen sind Lehrer geneigt, solche Stoffe auszuwählen, die sie für be-sonders motivierend halten, außerdem sind diese Probleme ja auch von facherübergreifender Bedeutung. Die Behandlung eines Themas in verschiedenen Schulfächern kann didaktisch gesehen eine Wiederholung unter neuen Aspekten sein. Aber auch das Gegenteil kann eintreten, daß nämlich die ständige Wiederholung nicht nur demotiviert, sondern auch den Ver-dacht bei den Schülern weckt, hier solle ihnen etwas von allen Seiten „untergejubelt" werden. Ein Beispiel dafür war die seit den siebziger Jahren zunehmende Thematisierung der NS-Zeit, vor allem ihrer politisch-kriminellen Aspekte wie des Holocaust. So verdienstvoll dieses Bemühen zur Aufklärung der NS-Vergangenheit auch war, so nutzte es sich doch auch schnell ab, wenn die Schüler dieses Thema in verschiedenen Fächern und im wesentlichen unter denselben moralischen Appellen vorgesetzt bekamen.
3. Die Bedeutung des konfliktorientierten didaktischen Ansatzes im Vergleich zu den anderen hat sich in den letzten Jahrzehn-ten verschoben, wenn man die gewandelte politische Soziali-sation in den Blick nimmt. In den 60er Jahren waren Konflikt und Interessen noch pädagogisch verpönte oder doch unge-wöhnliche Kategorien. Selbst Schüler der gymnasialen Ober-stufe zeigten sich damals erstaunt angesichts der Erkenntnis, daß Interessen und daraus resultierende Konflikte nicht ein-fach aus Miesmacherei, Neid und Querulantentum erwüchsen, sondern ein struktureller Bestandteil des politischen Lebens seien. Interessenwidersprüche kannten sie im wesentlichen nur als außenpolitisches Faktum aus dem Geschichtsunterricht. In-zwischen sind diese Kategorien in einer von Konflikten ge-schüttelten Gesellschaft längst selbst in hohem Maße proble-matisch geworden, was nicht zuletzt daran liegt, daß inzwi-schen ganze Berufsgruppen von den individuellen und kollek-tiven Problemen und Konflikten anderer leben. Heute muß man Schülern nicht mehr wie noch vor dreißig Jahren klarma-chen, daß ein wichtiger Teil des politischen Lebens aus Inter-essengegensätzen und daraus resultierenden Konflikten be-steht; mit dieser Erfahrung sind sie groß geworden. Solche
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Veränderungen der politischen Sozialisation haben zur Folge, daß das Kategorienmodell zwar weiterhin gültig bleibt, daß aber die Akzente seiner Verwendung sich verändern können. Fragen, die sich die Schüler von ihrer politischen Sozialisation her selbst stellen, können zurücktreten gegenüber solchen, die sie nicht von sich aus im Blick haben. Es geht im politischen Unterricht ja nicht um die Herstellung eines politischen Be-wußtseins, das ist immer schon in irgendeiner Form vorhan-den, sondern um seine Erweiterung, Differenzierung und Kor-rektur. Wenn also Schülern im Unterschied zu früher die Kategorie des Interesses längst geläufig ist, ist es vielleicht ange-bracht, den Akzent stärker auf solche Leitfragen zu legen, die die Kategorie des Interesses eher relativieren.
Die Veränderungen der politischen Sozialisation können auch rechtfertigen, die einzelnen didaktischen Ansätze neu zu bewerten. So wäre denkbar, der Kunde und dem problemorientierten Ansatz („Schlüsselprobleme") einen gewissen Vorrang einzuräumen, weil sie den planerischen Bedürfnissen der Schule ent-gegenkommen, die ja schlecht warten kann, bis ein Problem zum didaktisch ergiebigen aktuellen Konflikt wird. Der problemori-entierte Ansatz bietet zudem der heutigen jungen Generation, de-ren Interessen, Bedürfnisse, Selbstverwirklichung und Emanzi-pation zum pädagogischen Kult erhoben worden sind, eben dazu eine produktive Distanz an und gewährt, insofern hier objektive Dimensionen in den Blick rücken, ihrem Bewußtsein die Chance, sich von einer allzu fixen Selbstzentriertheit zu befreien. Die Kunde und der problemorientierte Ansatz lassen sich auch in Schulbüchern oder anderen Lehrmittelformen hinreichend präzi-sieren, was der Kontinuität und Planmäßigkeit des Unterrichts zugute kommen kann. Aktuelle Konflikte können dann immer noch zur Veranschaulichung eines Themas bzw. Problems bei-spielhaft aufgegriffen werden.
Es ist also denkbar und wäre nicht von vornherein unvernünftig, wenn sich die Schule auf die didaktischen Ansätze der Kunde und der Problemorientierung konzentrieren, die beiden anderen Ansätze anderen pädagogischen Feldern überlassen oder sie nur gelegentlich berücksichtigen würde. Auch für diesen Fall muß aber die didaktische Problematik erst einmal in hinreichender
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Breite entfaltet werden, weil es sonst für eine derartige Entscheidung keine tragfähige Begründung geben könnte.
Der tagespolitische Ansatz
Mit dem konfliktorientierten Ansatz sind wir dem politischen Handeln und seiner Aufklärung schon recht nahe gekommen. Aber wir haben dabei eine Vorentscheidung getroffen, insofern nur solche aktuellen Konflikte für den Unterricht in Frage kommen sollen, die mit bedeutenden „Schlüsselproblemen" in einem unbezweifelbaren Zusammenhang stehen. Nur dann nämlich kann auf Dauer jene sachliche Reichweite angestrebt werden, wie sie für eine eigenständige politische Fachdidaktik verlangt werden muß. Eine derartige Vorsortierung von Problemen und Konflikten entspricht jedoch nicht der Alltagserfahrung; die ist eine andere. Der normale Bürger erfährt aus den Medien tagespolitische Tatsachen, Meinungen, Kontroversen, Interpretationen und Hintergrundinformationen, die ihn in mehr oder weniger willkürlicher Reihenfolge erreichen. Er nimmt sie zur Kenntnis und baut sie im allgemeinen in seine politischen Vor-Urteile bzw. in seine politisch-ideologischen Präferenzen ein, die er seiner bisherigen politischen Sozialisation verdankt, indem er etwa für oder gegen bestimmte politische Parteien votiert. In diese angelernten Muster integriert er neue Informationen und Interpretationen der Tagesaktualität, und was dabei keinen Sinn ergibt, wird entweder übergangen oder umgedeutet. Diese grundlegenden Deutungsmuster sind nicht nur individuelle, sondern vor allem auch soziale, d.h. sie werden auch von anderen geteilt, insbesondere aber auch von solchen Menschen, die uns nahestehen. Der kollektive Charakter und die relative Dauerhaftigkeit solcher Grundmuster sichern uns eine gewisse persönliche Stabilität, ja Identität. Das trifft auch für die meisten Schüler zu, insofern sie aus dem Elternhaus entsprechend geprägt sind.
Von daher liegt es nahe, auf die politische Tagesaktualität auch dann einzugehen, wenn es sich dabei nicht unbedingt um Hinweise auf „Schlüsselprobleme" handelt bzw. wenn die Zeit fehlt, den Unterricht entsprechend komplex anzulegen. Außerdem werden die „großen" Probleme und Konflikte im Alltag der Schüler nicht unbedingt wahrgenommen, so daß sie dafür von sich aus Interesse aufbrächten. Wenn etwa künftig Renten gekürzt werden
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sollen, betrifft das die Schüler zwar in einem objektiven Sinne, nicht jedoch unmittelbar. Ihnen ist es Schulstoff wie anderes auch. Deshalb kann es durchaus Sinn machen, sich aktuellen Auseinandersetzungen zuzuwenden, die vielleicht nur als lokal begrenzte zu betrachten sind. Die vernünftige Anwendung von Kategorien läßt sich auch daran trainieren. Zu denken ist etwa an folgende Beispiele aus der unmittelbaren Lebenswelt:
• Gewalterfahrungen in der Schule bzw. auf dem Schulweg;
• fremdenfeindliche Aktionen in der unmittelbaren Umwelt;
• ein Konflikt, der in der eigenen Gemeinde Aufsehen erregt;
• ein überlokales Ereignis oder Thema, das in der Bevölkerung heftig diskutiert wird.
Die daraus resultierenden Unterrichtsthemen können zeitlich begrenzt werden und das Einüben politisch relevanter Fragestellungen und Beurteilungen fördern.
Zusammenfassung
1. Die Stoffauswahl für den politischen Unterricht und die entsprechenden Richtlinien der Kultusminister können nur in begrenztem Rahmen auf wissenschaftlichen Begründungen basieren. Eine Entscheidung kann letzten Endes nur durch Handeln erfolgen - durch politisches im Hinblick auf die Richtlinien, durch didaktisch-methodisches bei der Gestaltung des Unterrichts. Die politische Entscheidung für einen politischen Unterricht in der allgemeinbildenden Schule generell und über die dafür gültigen Lehrinhalte im besonderen läßt sich nur begründen mit dem Grundsatz der optimalen beruflichen, kulturellen und politischen Partizipationsrechte und -chancen aller Bürger. Dafür müssen sich die Heranwachsenden durch entsprechende Lernangebote in der Schule qualifizieren können. Die politische Beteiligung ist dabei gleichrangig mit den anderen beiden Formen zu sehen.
2. Was tatsächlich im politischen Unterricht der Schule gelehrt wird, wird also von verschiedenen Entscheidungsebenen her bestimmt. Die Erziehungswissenschaften, insbesondere die Didaktik der Politik, entwerfen einen allgemeinen Rahmen da-
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für unter der Fragestellung, was warum im politischen Unterricht überhaupt gelehrt bzw. gelernt werden soll. Die staatlichen Richtlinien orientieren sich im allgemeinen daran. Dazu sind sie jedoch keineswegs verpflichtet. Allerdings beziehen sie von didaktischen Konzepten zumindest einen wichtigen Teil ihrer Legitimation; denn sonst würden sie in der öffentlichen Diskussion den Einruck von Beliebigkeit bzw. von politischer Willkür erwecken. Andererseits selektieren sie dabei auch didaktische Begründungen für ihre bildungspolitischen Zwecke, wofür die generelle „Handlungsorientierung" allen Unterrichts ein aktuelles Beispiel ist. Jedenfalls planen die Lehrer in diesem vorgegebenen Rahmen ihren Unterricht als jeweils schöpferischen Akt, der nur sehr vage durch Richtlinien determiniert sein kann.
3. Der didaktische Kern des politischen Unterrichts ist das politische Handeln. Seine Beurteilung soll durch Anwendung entsprechender fachdidaktischer Kategorien gelernt werden. Das Kategorienensemble verbindet alle überhaupt sinnvollen Lernziele für den politischen Unterricht in einem logischen Zusammenhang, der jedoch nicht identisch sein kann mit einer praktikablen unterrichtlichen Sequenz. Deshalb sind verschiedene didaktische Ansätze möglich und nötig, die eher beim Handeln selbst ansetzen oder eher beim Handlungsumfeld. Zugänge sind also möglich von den objektiven politischen Strukturen her (Kunde), oder vom tatsächlich stattfindenden politischen Handeln aus (Konflikt- bzw. Problemorientierung). Diese Zugänge lassen sich weiter modifizieren; so kann die Kunde biographisch oder systematisch orientiert sein, der Konfliktansatz seinen Ausgang von aktuellen Konflikten oder von relativ dauerhaften Schlüsselproblemen her nehmen. Im politisch-didaktischen Kategorienmodell haben diese verschiedenen Ansätze aber ihren gemeinsamen Kern.
4. Die verschiedenen didaktischen Zugänge sind mit je spezifischen Schwierigkeiten verbunden, die zugleich die Grenzen ihrer Reichweite verdeutlichen. Deshalb ist es angebracht, längerfristig diese Ansätze zu kombinieren.
5. Die genannten didaktischen Ansätze sind ohne eine profunde Sachkenntnis des Lehrers und seine ständige politisch-pädagogische Weiterbildung nicht realisierbar. Didaktik kann
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solides Fachwissen nicht ersetzen, sondern muß es voraussetzen. Ohne ein angemessenes Fachwissen und ohne Kenntnis des komplexen fachdidaktischen Zusammenhangs würde der politische Unterricht absinken in ideologische Verfälschung oder vordergründige Moralisierung. Wer politisches Handeln zum Gegenstand seines Unterrichts machen will, muß zudem selbst das politische Geschehen aufmerksam verfolgen, weil ihm sonst die sinnvolle Anwendung der Kategorien nicht gelingen kann.
6. Nur ein politischer Unterricht, der fachlich und didaktisch hinreichend ausgewiesen ist, darf auch einen Platz im Kanon der Schulfächer beanspruchen. Sonst wäre es besser, ihn daraus zu streichen.
5. Die Schule als politisch-soziales Lernfeld
Die Schule ist Ort des Unterrichts, für dessen Gestaltung didaktische Grundsätze gebraucht werden, von denen bisher die Rede war. Der politische Unterricht nimmt im Kontext dessen, was der Schüler an politischen Informationen, Urteilen und Einstellungen ohnehin erwirbt, was also als Summe seine politische Sozialisation ausmacht, eine Sonderstellung ein. Unter Anleitung seiner didaktisch-methodisch geschulten Lehrer lernt er nämlich nicht nur Neues, sondern auch dasjenige einer geistig anspruchsvollen Prüfung zu unterziehen, was er sowieso schon weiß und gehört hat. Damit dies möglich wird, muß die Schule in eine Distanz zum üblichen Leben treten. Sie ist ein Ort geistiger Klärungsprozesse, den das Alltagsleben selbst nicht anbieten kann. Unterricht mit entsprechenden geistigen Ansprüchen ist das Kernstück der Schule, ihr eigentlicher Zweck.
Was jedoch tatsächlich in der Schule geschieht, geht darüber hinaus. Nicht nur durch Unterricht kann man in ihr etwas lernen. Sie ist auch eine öffentliche Institution und ein politisch-soziales Lernfeld, in dem es noch andere als bloß unterrichtliche Beziehungen gibt. Davon soll nun die Rede sein.
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Die Schule als Institution
Was in der Schule geschehen soll, kann nicht einfach im Belieben derjenigen stehen, die dort miteinander umgehen, kann also auch nicht einfach von den Lehrern und Schülern entschieden werden. Das wäre nur im Rahmen einer privaten oder einer vertraglichen Beziehung möglich, wie sie vielfach etwa beim Nachhilfeunterricht gegeben ist. Die Schule ist hingegen eine öffentliche Institution, also ein auf Dauer gestellter Handlungskomplex, dessen Akteure austauschbar sind. Nicht das konkrete Handeln an der Basis, also in den Schulklassen, konstituiert die Institution, sondern umgekehrt gibt die Institution den an der Basis Handelnden Zielvorgaben und definiert deren Handlungsspielräume. Eingebürgert in den letzten Jahrzehnten hat sich dagegen ein anti-institutioneller Affekt, ein Widerwille gegen alles, was aus dem institutionellen Charakter der Schule erwächst - aus der Hierarchie, aus den administrativen Regelungen und Erwartungen. Dabei wird übersehen, daß die Schule nicht nur eine pädagogische Anstalt ist - insofern sie Lernprozesse organisiert -, sie hat vielmehr auch die Funktion, Berechtigungen zu verteilen und damit den Heranwachsenden unterschiedliche Lebens- und Berufschancen - gegen entsprechende Leistungen - zu eröffnen. Um diesem Zweck gerecht zu werden, muß die Schule als Institution in ihren Räumen optimale Chancengleichheit garantieren; dazu gehört die Förderung leistungsschwacher Schüler, aber auch die Durchsetzung eines Mindestmaßes an Disziplin. Der lernwillige Schüler etwa muß geschützt werden vor dem, der ihn stört. Die für die Durchführung des Unterrichts nötige Disziplin ist nicht nur pädagogisch gefordert, sie ist auch ein Rechtsanspruch der Schüler gegeneinander, den der Lehrer zur Geltung zu bringen hat. Die Schule als Ort politischer Bildung sollte ihre Schüler über die institutionellen Implikationen aufklären - wozu auch der Hinweis gehören kann, daß institutionelle Vorgaben selbstverständlich auch kritisierbar und im Rahmen eines bestimmten Verfahrens auch veränderbar sind. Grundsätzlich jedoch ist die personenunabhängige Institution eine wichtige politisch-kulturelle Erfindung, weil sie - anders als personenbestimmte Konstruktionen - dauerhaftes und berechenbares gesellschaftliches Handeln gewährleistet. In Gestalt der Institution tritt den Schülern ein objektiver Forderungskatalog gegenüber, der nicht aus der Verlän-
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gerung ihrer subjektiven Strebungen resultiert, an dem sich diese vielmehr abarbeiten müssen.
Zur institutionellen Dimension gehört auch die innere Verfaßtheit der Schule, die den Schülern bzw. ihren gewählten Repräsentanten einen bestimmten Status und damit kalkulierbare Handlungsmöglichkeiten einräumt. Schule bietet also den Schülern die Möglichkeit, wichtige Erfahrungen mit und im Rahmen einer gesellschaftlichen Institution zu machen, die den politischen Unterricht nachdrücklich ergänzen können. So lassen sich die Erfahrungen mit der Schule als öffentlicher Institution im politischen Unterricht als beispielhaft für andere institutionelle Zusammenhänge darstellen, die gerade behandelt werden. Mit den institutionellen Dimensionen der Schule werden die Schüler zwangsläufig konfrontiert, die Frage ist nur, ob sie entsprechend interpretiert werden. Die Schule kann nur glaubwürdig über die politische Welt jenseits ihrer Mauern aufklären, wenn sie auch über ihren eigenen institutionellen Sinn und ihre rechtliche Verfaßtheit aufklärt.
Was damit gemeint ist, läßt sich am Beispiel von Gewalttätigkeiten im Umkreis der Schule verdeutlichen. Sie sind für die Institution unproblematisch, solange sie sich auf die immer schon bekannten alterstypischen Raufereien beschränken. Nehmen sie jedoch Formen an, die üblicherweise als gesetzwidrig angesehen werden - Nötigung, Erpressung, schwere Körperverletzung -, dann stellen sie einen Anschlag auf die institutionelle Integrität der Schule dar. Deswegen darf die Schule weder die Androhung noch die Ausübung von Gewalt akzeptieren. Für die Schüler wäre es eine verheerende politische Erfahrung, wenn sie eine für sie so wichtige Institution in einer derart desolaten Verfassung erleben würden, daß sie die Schüler nicht zu schützen in der Lage ist. Wenn solche Zustände nicht zügig mit pädagogischen Mitteln korrigiert werden können, muß die Schule die allgemein für die Verfolgung von Straftaten zuständigen Organe - Polizei und Staatsanwaltschaft - zur Hilfe rufen. Wer Gewalt anwendet, verläßt den Diskurs und stellt die Machtfrage, und diese muß als solche von der Institution beantwortet werden. Erst danach ist der pädagogische Diskurs wieder möglich. Die Bedeutung und Funktion der Schule als Institution darf also mit pädagogischen Argumenten nicht vernebelt werden. Der pädagogisch-therapeu-
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tische Zeitgeist hält sich viel darauf zugute, daß er für Fehlverhalten zumal von Kindern und Jugendlichen eine Fülle von Erklärungen parat hat, die tendenziell die Verantwortung des Täters relativieren, dabei die Opfer aber leicht aus dem Blick verlieren. Nicht zuletzt zum Schutz der Schwächeren sind aber Institutionen da. Die Pädagogik hat sich in den letzten Jahrzehnten bemüht bzw. sich dem Anspruch unterworfen, möglichst jedem Kind gerecht zu werden, bei Fehlverhalten nach den inneren Motiven und Gründen zu forschen und aus derlei Erkenntnissen Verständnis und pädagogische Hilfe zu mobilisieren. Das bleibt grundsätzlich richtig, darf allerdings nicht dazu führen, daß die „Problemkinder" bevorzugt werden; denn auch die meisten lernwilligen und disziplinierten Schüler hätten genügend innere Beweggründe, sich anders zu verhalten, und nicht jeder, der aus einer zerrütteten Familie kommt, entwickelt sich zum „Störer" oder wird gewalttätig.
Eine Institution interessiert sich nur dann für individuelle Motive und Beweggründe, wenn dies ausdrücklich zu ihren Aufgaben gehört wie bei der Rechtsprechung. Im allgemeinen jedoch erwartet sie ein bestimmtes Verhalten, wobei sie es dem einzelnen freistellt, aus welchen Gründen er das erforderliche Verhalten an den Tag legt. Nur auf angemessenes Verhalten gibt es einen Anspruch öffentlicher Institutionen, nicht auf Gesinnungen und Motive - vom Strafgericht einmal abgesehen. Das muß grundsätzlich auch für das Zusammenleben in der Schule gelten: Als Institution setzt sie Maßstäbe für Verhaltensstandards, die sie für ihren Zweck, erfolgreich zu unterrichten, benötigt. Disziplinloses Verhalten im Unterricht setzt zunächst einmal immer voraus, daß es zugelassen wird. Wird es dann auch noch mit pädagogisch-therapeutischem Blick in die Innerlichkeit des „Störers" problematisiert, dann wird dieses Verhalten erst einmal bestätigt und verstärkt. Die Erlaubnis, jede Frustration oder jede Mißgelauntheit den anderen um die Ohren schlagen zu dürfen, ist oft selbst das Problem, dessen Lösung zu sein sie vorgibt. Sie fördert nicht verantwortliche Individualisierung, sondern Weltfremdheit, weil ein Verhalten, das derart die Regeln der Institution mißachtet, den „Störer" außerhalb der Schule, also „im richtigen Leben", sofort isolieren würde. Wenn die Schule auf diese Weise ihre Schüler dissozialisiert, konterkariert sie einen aufklärenden poli-
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tischen Unterricht, wenn sie ihn denn unter diesen Umständen überhaupt noch betreiben will und kann.
Eine wichtige „erzieherische" Funktion der Schule liegt also darin, daß sie die sozialen Regeln, die zur Realisierung ihrer Zwecke benötigt werden, als Institution auch durchsetzt. Die Einhaltung dieser Regeln markiert den Normalfall, alles andere ist Abweichung davon, und je klarer dies den Schülern gemacht wird, um so mehr wird soziale Desorientierung vermieden. Erst wenn der Normalfall definiert ist, ergibt auch eine besondere, individuelle Förderung etwa schwächerer Schüler einen Sinn. Ohne diese Klarstellung bleibt eine solche Förderung jedoch ein zielloses Herumstochern in der Innerlichkeit des Schülers, dem damit letzten Endes die Verantwortung für den Aufbau seines Sozialverhaltens allein zugespielt wird.
Alle Regeln, auch die einer Institution, kann man ändern, aber nur auf den dafür vorgesehenen Wegen. Die sozialen Regeln der Institution Schule werden nicht in der einzelnen Schulklasse fes-gelegt, hier gelten sie vielmehr zunächst als Selbstverständlichkeiten, deren ständige permissive Problematisierung kein Beitrag zur politischen Aufklärung ist, sondern die Ichbezogenheit des Schülers nur ins Monströse steigert. Erst wenn die institutionellen Determinanten klar sind, kann es Sinn machen, die dadurch deutlich gewordenen Spielräume durch Regeln zu füllen, die mit den Schülern vereinbart werden - eine Strategie, die zu Recht als bedeutender Teil des „sozialen Lernens" gilt. Illusionär wird diese Strategie jedoch dann, wenn die institutionellen Vorgaben auf die beschriebene Weise okkupiert bzw. verdrängt werden sollen.
Die verschiedenen Rollen der Lehrer
Wird die Schule als Institution richtig gesehen, dann treten die Lehrer den Schülern also in mindestens zwei verschiedenen Rollen gegenüber: als Repräsentanten der Institution und als Pädagogen, also als Lernhelfer. In diesen beiden Rollen liegt ein Konflikt beschlossen. Als Repräsentant der Institution hat der Lehrer überindividuelle Leistungserwartungen und Verhaltensmaximen (z.B. Disziplin) geltend zu machen, als Pädagoge hat er den Lernfortschritt des Einzelnen im Blick. Der Konflikt wird manifest etwa bei der Zensurenvergabe. Als Pädagoge wünscht
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der Lehrer dabei den individuellen Lernfortschritt des Schülers zu kennzeichnen, als Repräsentant der Schule ist er jedoch gehalten, dafür objektive Maßstäbe anzulegen, die den individuel-len Lernfortschritt nicht würdigen, sondern nur messen. Die tatsächliche Zensur ist dann oft ein Kompromiß zwischen diesen beiden Ansprüchen.
Diese Doppeldeutigkeit der Beziehungen verlangt eine gewisse Distanz zu den Schülern. Der Lehrer kann nicht Gleicher unter Gleichen sein, so sehr er dies aus pädagogischen Gründen auch wünschen mag. Er hat etwas zu vergeben, was für die Schüler wichtig ist, nämlich eine für ihr Leben bedeutsame Berechtigung. Diesen Widerspruch muß der Lehrer - zumal der Politiklehrer - den Schülern verdeutlichen, wenn er die Art und Weise seiner Beziehung zu ihnen erklärt; im allgemeinen wissen die Schüler das nicht von sich aus, wenn sie in die Schule kommen. Allgemeiner gesagt: Er muß ihnen seine institutionelle Rolle von Anfang an klarmachen - als ein bedeutsames Stück ihrer politischen Aufklärung.
Das gilt auch für den früher schon erwähnten Rollenwechsel im Unterricht selbst. Solange der Lehrer den Stoff als Experte präsentiert, hat er einen Vorsprung vor seinen Schülern: er weiß etwas, was die Schüler nicht wissen, und die Schüler müssen sich bemühen, es zu verstehen. Geht es jedoch um die persönliche Beurteilung politischer Sachverhalte, um Parteiergreifen, dann stehen die Schüler gleichrangig zu ihm, so wie alle wahlberechtigten Bürger das gleiche Wahlrecht haben, mögen im übrigen die Unterschiede an Alter, Kenntnis, Bildung, Status zwischen ihnen noch so groß sein. Die politische Überzeugung und Parteinahme des Lehrers ist nicht „besser" oder „richtiger" als die seiner Schüler, mag sie auch schon wegen des geistigen Vorsprungs besser begründet und formuliert sein. Aber über die Gestaltung der Zukunft, auf die politisches Handeln und damit auch politische Parteinahme ja gerichtet sind, kann der Lehrer genau so wenig wissen oder gar verfügen wie seine Schüler; was er weiß, bezieht sich auf die Vergangenheit und gewährt ihm allenfalls einen Vorsprung für das Leben als jeweils gegenwärtiges. Für die politische Orientierung des Schülers sind solche Unterscheidungen von großer Bedeutung. Nur dann nämlich, wenn er die verschiedenen Rollen, die der Lehrer vorgibt, zu unterscheiden lernt,
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kann er seine eigenen Urteile nicht nur ernst nehmen, sondern auch ohne Gesichtsverlust einer Überprüfung unterziehen lassen. Die Einsicht, daß Lehrer und Schüler gleichermaßen unwissend sind im Hinblick auf die künftige Entwicklung der politischen Probleme und Konflikte, mag den Schüler ermutigen, gemeinsam mit seinen Mitschülern und seinen Lehrern über diese sie alle betreffende Zukunft nachzudenken. Von der jeweils zur Debatte stehenden Sache hängt es also ab, welche professionelle Rolle der Lehrer jeweils einnimmt, ob die des Experten oder die des Mitbürgers. Aber auch in dieser letzteren Rolle darf er seine Profession nicht aus dem Blick verlieren, muß er etwa übertriebene Urteile der Schüler durch Rückfragen an die Sache relativieren. In jeder Situation des Unterrichts bleibt er der pädagogische Profi, der den Gesichtspunkt nicht aus dem Blick verlieren darf, daß es in der Schule um planmäßiges Lernen geht, und daß er diese Aufgabe selbst angesichts heftiger Auseinandersetzungen zur Geltung bringen muß. Die Schulklasse bleibt in jeder Situation ein pädagogisches Arrangement. Das unterscheidet sie etwa von einem Freundeskreis Erwachsener, der über politische Probleme diskutiert. Hier wird unser Lehrer sich nicht „pädagogisch" verhalten, das würden sich seine Freunde verbitten, vielmehr wird er seine Argumente und Begründungen ins Feld führen und unter Umständen für seine politische Meinung zu werben versuchen. In der Schule dagegen wird er seine eigene Überzeugung zurückhaltend vortragen und so, daß die Schüler dabei etwas lernen können, er verhält sich also eher fragend als antwortend.
Der Lehrer muß also zwischen den Ansprüchen seiner Rollen als Repräsentant der Institution Schule einerseits und als Lernhelfer andererseits eine Balance finden; denn diese sind keineswegs kongruent, sondern zumindest teilweise widersprüchlich. Beide Rollen gemeinsam konstituieren seine Professionalität, und er muß diesen Widerspruch den Schülern in geeigneten Momenten erklären - einerseits, um sich selbst verständlich zu machen, andererseits, damit die Schüler an seinem Beispiel öffentliches Rollenhandeln anschaulich lernen können.
Die Probleme der Professionalität pädagogischer Berufe - also auch des Lehrers - habe ich an anderer Stelle ausführlicher beschrieben (Giesecke 1987). In unseren Zusammenhang gehört daraus aber der Hinweis, daß die Professionalität selbstverständ-
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Die verschiedenen Rollen der Schüler
Entsprechend den verschiedenen Rollen, die der Lehrer gegenüber den Schülern einnimmt, müssen diese ebenfalls ihre Erwartungen und ihr Verhalten zu differenzieren lernen. Den institutionellen Vorgaben entsprechen sie etwa dadurch, daß sie während des Unterrichts die nötige Disziplin und Aufmerksamkeit aufbringen, daß sie den dafür erforderlichen Ton und Stil akzeptieren. Während des Unterrichts wird anders gesprochen als möglicherweise in den Pausen oder am Wochenende in der Diskothek. Die Sprache des Unterrichts ist kein Jugendjargon, dieser kann allenfalls gelegentlich in ironischer Distanz zitiert werden. Andererseits haben die Schüler Anspruch darauf, daß der Zweck der Institution Schule möglichst effizient realisiert wird, daß der vorgesehene Unterricht auch erteilt wird und daß die Lehrer fachlich und methodisch qualifiziert sind. Aus der Sicht der Schüler ist die Schule eine Lerndienstleistung, deshalb dürfen sie auch ein entsprechendes professionelles Verhalten ihrer Lehrer erwarten. Dazu gehört neben anderem auch die Förderung lernschwacher Schüler sowie ein Umgangsstil, der die Schüler als Subjekte ihres Lebens und damit auch ihres Lernens ernst nimmt und respektiert. Die Rolle des Schülers als Schüler hat also wie die des Lehrers eine institutionelle und eine pädagogische Dimension, aber mit eigentümlichem Akzent: Die Schule ist für ihn da, als eine institutionalisierte Lemdienstleistung. Ihr eigentlicher Zweck ist, den Schülern die Entfaltung ihrer Fähigkeiten zu ermöglichen, soweit dies durch Unterricht möglich ist. Dieses Angebot gilt jedoch nicht zum Nulltarif, sondern nur unter der Voraussetzung, daß der Schüler die Regeln der Institution akzeptiert und lernwil-
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lig ist. Die Schule muß die Schüler zwar anleiten, geistig und sozial unterrichtsfähig zu werden, aber dies als Lernleistung auch fordern.
Eine andere Rolle nimmt der Schüler ein, wenn er seine Rechte und Pflichten im Rahmen der Mitbestimmung wahrnimmt, wie sie ihm bzw. seinen Repräsentanten inzwischen durch die Schulgesetze der Länder zugestanden werden. Diese Mitwirkung ist ein politisches und pädagogisches Faktum zugleich - ein politisches, insofern dabei Interessen mit Aussicht auf Durchsetzung wahrgenommen werden können, ein pädagogisches, insofern Schüler noch lernen müssen, dies sachlich und formgerecht zu tun. Die Lehrer fungieren hier pädagogisch als Berater, in der Sache unter Umständen als Kontrahenten, also als „die andere Seite". Das ist ein pädagogisch begründeter Sonderfall; denn normalerweise bringen Vertreter unterschiedlicher Interessen und Standpunkte einander nicht bei, wie sie am besten ihre eigene Position gegen die andere durchsetzen können. So entsteht die paradoxe Situation, daß die Lehrer die Schüler dazu anleiten sollen, ihre Interessen gegen die der Lehrer möglichst erfolgreich zu vertreten. Jedenfalls können Schüler im Rahmen der Mitbestimmung wichtige politische Fähigkeiten lernen:
• Die Fähigkeit, mit Rechtstexten umzugehen (Schulgesetz), in denen ihre Mitwirkungsmöglichkeiten beschrieben sind;
• die Fähigkeit, inhaltlich und methodisch eine Diskussion zu strukturieren, Diskussionsergebnisse zu protokollieren, Diskussionen zu leiten;
• die Fähigkeit, unter Beachtung psychologischer und gruppendynamischer Erkenntnisse andere für den eigenen Handlungszweck zu gewinnen und Koalitionen zu bilden, sowie andererseits die Fähigkeit, eigene Interessen von anderen kontrolliert vertreten zu lassen;
• die Fähigkeit, überlegte Freund-Feind-Unterscheidungen zu treffen und die Zahl der potentiellen Gegner der eigenen Interessen so gering wie möglich zu halten sowie ihnen zu erlauben, ihr Gesicht zu wahren;
• die Fähigkeit, Urteile und Forderungen wirksam zu artikulieren (z.B. in Form von Kurzreferaten, Flugblättern).
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Das Schulleben
Die Mitbestimmungsmöglichkeiten sind Teil des Schullebens. Darunter verstehe ich alle menschlichen Beziehungen in der Schule außerhalb des Unterrichts; beide Ebenen werden heute gemeinhin unter dem Begriff der „Schulkultur" zusammengefaßt. Kinder und Jugendliche verbringen einen erheblichen Teil ihrer jungen Lebenszeit in der Schule, gehen dort vielfältige Beziehungen auch außerhalb und jenseits des Unterrichts miteinander ein. Für die Lehrer gilt das ebenfalls. Nun kann man diese Tatsache auf sich beruhen lassen, sie gleichsam zur Privatsache erklären. Man kann sie aber auch gestalten im Sinne einer kulturellen Geselligkeit - etwa durch Feste und Feiern, Theater- und Musikaufführungen, Sportveranstaltungen. Manchen Schulen gelingt die Herstellung eines solchen Schullebens, anderen nicht. Dafür mögen viele Gründe ausschlaggebend sein, nicht zuletzt die vor allem in den Städten anzutreffenden Kultur- und Freizeitalternativen. Üblicherweise verbringen Schüler ihre Freizeit bekanntlich nicht in der Schule, sondern zu Hause oder im Rahmen der vielfältigen Angebote des Freizeitsystems. Wenn die Schule selbst Freizeitangebote unterbreitet, ist das eher die Ausnahme und meist eine sozialpädagogisch motivierte Notlösung. Andererseits spricht grundsätzlich nichts dagegen, daß Schulen sich unter die Freizeitanbieter für ihre Schüler und vielleicht auch für andere Jugendliche mischen. Allerdings begeben sie sich dann auf den Markt und sind somit ebenso dem Wettbewerb ausgesetzt wie die anschließend zu behandelnden Angebote der Jugendarbeit.
Seit geraumer Zeit bemühen sich viele - und offenbar immer mehr - Schulen um eine profilierte „Schulkultur", um sich im Wettbewerb um Schüler bzw. deren Eltern behaupten zu können. Dabei kann es durchaus gelingen, den Schülern über den Unterricht hinaus ein Identifikationsangebot zu machen. Stolz sein können auf die Schule, in der man so viel Zeit verbringt, sich ihr zugehörig fühlen, sie gegenüber der Öffentlichkeit vertreten und verteidigen - das sind keineswegs altmodische Bedürfnisse. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, daß die Lehrer ein entsprechendes „Klima" schaffen, in dem die Schüler sich nicht nur als Unterrichtsteilnehmer akzeptiert fühlen, sondern auch Fähigkeiten entfalten können, die der Unterricht nicht oder jedenfalls nicht in erster Linie herausfordert, etwa die Fähigkeit zur voraus-
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schauenden Organisation, zum angemessenen Auftreten gegenüber der Öffentlichkeit, zur kreativen Phantasie, zu sportlichen Leistungen usw.. Das Bewußtsein, als Mitglied einer Gemeinschaft akzeptiert zu sein, dort gegebenenfalls auch Ansprechpartner für Probleme zu haben, die nicht mit dem Unterricht zusammenhängen, mag in vielen Fällen Selbstvertrauen und Ermuti-gung hervorzurufen.
Die Schule als Unterrichtsinstitution verlangt eine gewisse emotionale Distanz. In Fest und Feier aber wird die Institution sinnlich anschaulich und zugleich symbolisch erfahrbar. Die Menschen, die sich zu einer Schulfeier einfinden - Lehrer, Schüler, Eltern, politische und verbandliche Repräsentanten, interessierte Bürger - kommen nicht irgendwie zufällig zusammen, sondern weil diese Schule ihnen etwas Gemeinsames gibt.
Dem widerspricht keineswegs, daß der Unterricht seine eigenen, der Aufklärung verpflichteten strikten Regeln hat, die weder durch erzieherische Vorgaben noch durch andere Bedürfhisse unterlaufen werden dürfen. Das eine ist eben nicht das andere. Im Rahmen des Schullebens dürfen auch solche Bedürfnisse aufgegriffen werden, die der Unterricht nicht befriedigt. Das ist im üblichen Arbeits- und Freizeitleben nicht anders. Schüler können dabei lernen, daß unterschiedliche soziale Situationen und unterschiedliche Aufgaben eine jeweils eigentümliche Balance von rationalen und emotionalen menschlichen Dimensionen erfordern. Das viel berufene „soziale Lernen" muß sich konkretisieren im Üben sozialer Differenzierungen.
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III. Politische Bildung in der Jugendarbeit
Im Anschluß an die eben beschriebenen didaktischen Grandlagen des politischen Unterrichts in der Schule müßte nun eigentlich die methodische Problematik erörtert werden. Daß dies noch nicht hier, sondern erst im nächsten Kapitel geschieht, hat folgende Gründe:
1. Didaktische Reflexionen, so ergab sich, sind nicht auf die Schule beschränkt; sie werden nötig, wo immer planmäßig unterrichtet werden soll - ob in der Schule, Jugendarbeit, Erwachsenenbildung oder Universität. Das gilt auch für die Methodik. Manche Methoden sind, wie sich zeigen wird, nur in der außerschulischen Jugendarbeit sinnvoll, einige sind von dort in die Schule übernommen worden, ohne daß sie den Unterricht wirklich verbessern konnten.
2. Inzwischen hat sich - anders als noch vor einigen Jahrzehnten - an vielen Orten eine Zusammenarbeit zwischen Schule und Jugendarbeit ergeben, und vermutlich wird und muß das Ausmaß der Jugendprobleme diese Tendenz verstärken. Schon aus diesem Grunde ist es zweckmäßig, daß diejenigen, die in dem einen oder anderen Bereich tätig sind, einerseits über die Grenzen ihres Feldes hinaussehen, andererseits sich auf ihre spezifischen Möglichkeiten besinnen können.
3. Methoden gibt es nicht nur im Hinblick auf den Unterricht, also in Verbindung mit didaktischen Überlegungen, sondern auch im Zusammenhang mit anderen pädagogischen Zielen. Der umfassende pädagogische Begriff ist nicht „Unterricht", sondern „Lernhilfe", also Lernen ermöglichen; Unterricht ist davon nur ein Teil. Unter planmäßiger pädagogischer Anleitung wird auch dort gelernt, wo nicht unterrichtet wird, und diese Formen pädagogischen Handelns spielen in der Jugendarbeit eine größere Rolle als in der Schule.
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4. Die Auswahl der jeweils angemessenen Methoden richtet sich nicht nur nach der Zielsetzung, sondern auch nach den beson-deren Bedingungen, die in einem bestimmten pädagogischen Feld anzutreffen sind. Der Vergleich zwischen Schule und Ju-gendarbeit unter diesem Aspekt schärft das Bewußtsein für Gemeinsamkeiten wie Unterschiede dieser beiden pädagogischen Felder.
1. Jugendarbeit als Institution
Die Jugendarbeit ist im Rahmen des kommerziellen Freizeitsystems ein pädagogisches Angebot und kann deshalb auch einen spezifischen Beitrag zur politischen Bildung Jugendlicher leisten. Allerdings werden ihre Angebote nur von einer Minderheit von Jugendlichen in Anspruch genommen. Ihre Geschichte kann hier nicht dargestellt werden (Vgl. Giesecke 1981), ihre Entstehung und Entwicklung war eine Reaktion auf die veränderte Stellung der Jugend in der Gesellschaft zwischen dem Anspruch auf begrenzte Selbsterziehung einerseits und dem Wunsch Erwachsener nach sozialer Kontrolle des dadurch ermöglichten Freiraums für Jugendliche andererseits. In ihrer gegenwärtigen Gestalt präsentiert sie sich - stark vereinfacht - im wesentlichen in drei Formen, nämlich
• in den Jugendverbänden mit ihren Einrichtungen,
• in den Jugendfreizeitstätten und
• in den Jugendbildungsstätten.
Diese Maßnahmen und Einrichtungen haben unterschiedliche Träger, nämlich Wohlfahrtsverbände und andere „freie Träger" einerseits und Kommunen andererseits. „Frei" sind die genannten Träger in dem Sinne, daß sie nicht staatlich sind, was auf historische Gründe zurückgeht. Allerdings sind die Träger so „frei" nun auch wieder nicht, weil sie in ganz erheblichem Maße von staatlichen Zuschüssen abhängig sind, wie sie im Rahmen des Bundesjugendplans, der Landesjugendpläne oder kommunaler Haushaltstitel vergeben werden. Solche Feinheiten können hier jedoch auf sich beruhen bleiben. In unserem Zusammenhang ist wichtig, daß die Einrichtungen der Jugendarbeit in mancher Hinsicht ein Gegengewicht zur Schule bilden, also solche Möglichkeiten der
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politischen Bildung anzubieten vermögen, die sich zumindest theoretisch als ideale Ergänzung des schulischen politischen Unterrichts verstehen lassen. Wenn also unsere Schüler aus der Schule kommen und sich anschließend in eine Einrichtung der Jugendarbeit begeben, treffen sie auf ganz andere institutionelle Bedingungen.
1. Im Unterschied zur Schule vergibt die Jugendarbeit im allgemeinen keine Zertifikate, mit denen weitergehende Berechtigungen verbunden wären.
2. Die Jugendarbeit ist ein primär geselliges Arrangement. Nicht planmäßiges Lernen steht hier im Vordergrund, sondern eine bestimmte Art und Weise des Zusammenlebens, dessen pädagogische Chancen (Lernchancen) genutzt werden können oder nicht. In der Schule dagegen bleibt die gesellige Dimension, das Schulleben, im Hintergrund.
3. Im Unterschied zur Schule gibt es keine Lernvorgaben in Gestalt von Lehrplänen; von außen vorgegebene Pensen müssen nicht erfüllt werden.
4. Im Unterschied zur Schule, die zumindest bis zum Ende der Schulpflicht besucht werden muß, erfolgt die Teilnahme an den Angeboten der Jugendarbeit freiwillig.
5. Im Unterschied zur Schule, die gerade im politischen Unterricht einen breiten Konsens wahren muß, darf die Jugendarbeit parteilich sein im Sinne der weltanschaulichen bzw. politischen Grundrichtung ihres jeweiligen Trägers. Die Träger gelten im Unterschied zur Schule als „Tendenzbetriebe". Die politische Bildungsarbeit der Gewerkschaftsjugend zum Beispiel darf durchaus von einem bestimmten politischen Standpunkt aus erfolgen, wie er im Verbandszweck begründet ist.
6. Im Unterschied zur Schule, die der sachlich fundierten Aufklärung verpflichtet ist und von den Schülern keine bestimmten außerschulischen Handlungen verlangen darf, dürfen außerschulische Träger Aufklärung und Handeln durchaus verbinden und ihre Mitglieder und Anhänger etwa zu politischen Aktionen auffordern, solange diese im Rahmen der geltenden Gesetze bleiben.
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7. Zwar stehen auch die einzelnen Schulen, vor allem die Gymnasien, in einem gewissen Wettbewerb miteinander, insofern die Schüler bzw. deren Eltern die ihnen am geeignetsten erscheinende Schule wählen dürfen. Aber diese Wahlmöglichkeiten halten sich angesichts des staatlichen Schulmonopols in Grenzen. Die Träger und Angebote der Jugendarbeit jedoch müssen sich in ganz anderem Maße einer Konkurrenz mit anderen stellen. Sie sind Teil des Freizeitmarktes und müssen sich einerseits gegen kommerziellen Wettbewerb behaupten, andererseits untereinander um Mitglieder und Teilnehmer konkurrieren.
Diese sieben institutionellen Besonderheiten im Vergleich zur Schule fuhren zu Konsequenzen im Hinblick auf die spezifischen Chancen und Grenzen des politisch-sozialen Lernens, die sich wie folgt zusammenfassen lassen:
1. Das Fehlen von Lehrplänen einerseits und die Freiwilligkeit der Teilnahme andererseits konstituieren eine eigentümliche Form der pädagogischen Beziehung. Die institutionelle Rolle des Pädagogen wird nur bestimmt durch die meist vagen Vorgaben des Trägers einerseits und der Zuschüsse gewährenden Behörden andererseits; im übrigen kann sie sehr viel offener sein als in der Schule. Ein gewerkschaftlicher Träger etwa wird zwar auf die Dauer nicht einverstanden sein, wenn sein Bildungsreferent zu häufig die Position des Arbeitgeberverbandes vertritt, und die öffentlichen Zuschüsse sind an bestimmte Zwecke und andere Bedingungen gebunden. (Wenn Mittel z.B. für „Politische Bildung" bestimmt sind, läßt sich damit kaum ein Fußballturnier finanzieren). Abgesehen von derlei Einschränkungen sind die Vorgaben für die pädagogische Beziehung jedoch vergleichsweise gering.
Die Beschaffung und den Bestimmungen entsprechende Verwendung von öffentlichen Mitteln für pädagogische Vorhaben ist übrigens gelegentlich durchaus kompliziert und verlangt eine besondere Sachkenntnis. Dieser Aspekt des institutionellen Rollenhandelns ist jedenfalls in der Schule von weitaus geringerer Bedeutung. Auch in der pädagogischen Beziehung im Rahmen der Jugendarbeit ist er oft nur wenig von Belang, kommt aber dann ins Spiel, wenn etwas nicht oder nur begrenzt finanziert werden kann. Die unmittelbare pädagogische
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Beziehung - also die pädagogische Rolle im engeren Sinne - kann sich demnach in der Jugendarbeit freier entfalten als in der Schule, sie ist von beiden Seiten her in einem hohen Maße gestaltungsfähig; was pädagogisch geschehen soll, bedarf der Verständigung zwischen beiden Seiten. Die teilnehmenden Jugendlichen können deshalb in einem erheblichen Maße die Ziele und Modalitäten pädagogischer Maßnahmen mitbestimmen, zur Not durch Abstimmung mit den Füßen, daß sie also die Teilnahme verweigern, wenn ihnen ein Programm nicht gefällt.
Darin liegt aber auch eine Grenze der pädagogischen Reichweite. Die Angebote sind nur eingeschränkt planbar, denn die Teilnehmer wechseln häufig und ihre Wünsche können sich ständig ändern. In weit geringerem Maße als die Schule kann also die Jugendarbeit von ihren Teilnehmern fordern, vorhandene Wünsche, Bedürfnisse und Interessen an objektiven Ansprüchen - wie sie die sachlichen Anforderungen des Schulunterrichts darstellen - abzuarbeiten.
2. Insofern die Jugendarbeit sich auf einem Markt unter Konkurrenten bewegen muß, entwickelt sie auch das dafür typische Verhalten. Einerseits wird sie gezwungen, sich Marktnischen zu suchen, also einen Bedarf zu entdecken, der nach Befriedigung ruft. Andererseits erliegt sie aber auch leicht den üblichen Banalisierungen, der Anpassung an das freizeitübliche Unterhaltungsbedürfnis.
3. Die Möglichkeit zur Parteinahme und zu einem daraus resultierenden politischen Handeln ist zwar prinzipiell vorhanden, aber nicht der Normalfall. Es unterliegt auch Einschränkungen je nach den Vorgaben und Erwartungen des Trägers. Ein kommunaler Träger wird Handlungsinitiativen, die aus seinem Jugendfreizeitheim hervorgehen, skeptisch gegenüberstehen, wenn er daraus resultierende Konflikte mit seinen politischen Instanzen befürchtet. Eine parteipolitisch orientierte Jugendorganisation wird ebenfalls darauf achten, daß aus ihr nur solche Aktivitäten hervorgehen, die von der „Parteilinie" nicht allzusehr abweichen. (Bis zu einem gewissen Grade werden Abweichungen als eine Art von Jugendbonus toleriert). Derartige Einschränkungen lassen jedoch im allgemeinen vor allem in innenpolitisch einigermaßen ruhigen Zeiten einen relativ gro-
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ßen Spielraum für politische und soziale Engagements. Sie sind ebenso legitim wie die Tätigkeit politischer Parteien, weil sie Teil des politisch-gesellschaftlichen Lebens sind. Dazu gehören eben auch mögliche Konflikte mit dem eigenen Träger, mit politischen Gegnern oder auch mit den Zuschüsse gewährenden Behörden - Konflikte, die die Schule so nicht kennt.
In der Jugendarbeit darf also der Pädagoge beruflich, was dem Lehrer nur in seiner Freizeit und auch dann nur unter den Einschränkungen seines Beamtenstatus erlaubt ist: sich für bestimmte politische Ziele öffentlich engagieren, also Politik betreiben. Andererseits ist die Jugendarbeit aber auch eine pädagogische Veranstaltung, was sie von einem rein politischen Verband - etwa einer politischen Partei - immer noch unterscheidet. Deshalb spielt der Pädagoge hier auch eine entsprechende Doppelrolle. Als Mitglied seines politischen Verbandes nimmt er wie alle anderen an den politischen Aktivitäten teil. Als Pädagoge jedoch muß er bestrebt sein, die Erfahrungen, die die Jugendlichen dabei machen, ins Bewußtsein zu heben und gemeinsam mit ihnen zu deuten, sie also politisch aufzuklären. Demnach ist die pädagogische Rolle - als Lernhelfer - von der politischen Rolle - als Akteur für die Ziele des Verbandes - nicht immer klar zu trennen, und für dieses Spannungsverhältnis sind verschiedene Lösungen denkbar. Der Jugendbildungsreferent im Rahmen einer gewerkschaftlichen Jugendorganisation etwa kann sich primär als Mitglied dieses Verbandes verstehen und sich deshalb engagiert für dessen Ziele einsetzen bzw. für diejenigen davon, für die er zuständig ist. Dann rückt die pädagogische Aufgabe in den Hintergrund. Oder er versteht sich primär von seiner pädagogischen Rolle her, dann tritt das politische Engagement zurück. Denkbar ist auch, daß der Mitarbeiter sich nur auf seine Bildungsaufgabe konzentriert und den politischen Zielen des Verbandes distanziert oder uninteressiert gegenübersteht. Im Zuge zunehmender Professionalisierung hat sich bei großen Verbänden inzwischen auch eine Arbeitsteilung für die einzelnen Aspekte des verbandlichen Handelns durchgesetzt. Gleichwohl gilt auch hier, daß das Pädagogische nicht darin besteht, zu politischen Aktionen anzustiften, sondern darin, die jugendlichen Akteure aufzuklären bzw. zu beraten.
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Die skizzierten institutionellen Unterschiede zwischen Schule und Jugendarbeit sind ein wesentlicher Grund dafür, daß ihre Aufgaben nicht vermischt werden dürfen. Manche didaktisch-methodischen Arrangements bieten sich nur für die außerschulische Jugendbildung an, nicht für die Schule; gleichwohl ist in der Vergangenheit manches in die Schule übernommen worden, was in der Jugendarbeit entstanden ist und nur dort seinen Sinn hat. Man denke etwa an das Prinzip der Handlungsorientierung, das in der Jugendarbeit, wo ernsthaft politisch gehandelt werden kann und darf, eine andere Bedeutung haben muß, als es in der Schule haben kann. Die Schule kann also schon von ihren institutionellen Bedingungen her die Jugendarbeit nicht ersetzen, wie umgekehrt die Jugendarbeit keine schulischen Aufgaben zu übernehmen vermag. Dies muß betont werden, weil von schulpädagogischer Seite immer wieder angeregt wird, die Schule zum Mittelpunkt einer weit über die Aufgabe der Unterrichtung hinausreichenden Betreuung der Schüler zu erweitern. Zwar können die Räume der Schule im Prinzip dafür verwendet werden, aber unterschiedliche Aufgaben müssen auch von unterschiedlichen institutionellen - nicht zuletzt auch rechtlichen - Voraussetzungen her angegangen werden. Sinnvoll wäre allerdings eine möglichst enge Zusammenarbeit zwischen Schule und Jugendarbeit; vielfach sind die örtlichen Angebote der Jugendarbeit nämlich nur wenig bekannt. Wenn Schüler sie nutzen wollen, sind sie dabei keineswegs nur auf den vorhandenen inhaltlichen und organisatorischen Rahmen angewiesen; vielmehr können sie ihn auch nutzen für eigene Interessen und Projekte, auch für solche, in denen sie die in der Schule erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten weiterentwickeln wollen.
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2. Jugendarbeit als politische Sozialisation
Die Jugendarbeit verträgt also nur ein begrenztes Maß an von außen kommender Pädagogisierung, weil sie in erster Linie in Stück gemeinsamen Freizeitlebens ist. Unterricht im schulischen Sinne wird zwar auch gelegentlich vor allem in den Jugendbildungsstätten erteilt, aber das ist die Ausnahme. Die Chancen der Jugendarbeit für die politische Bildung der Jugendlichen liegen in ihrem geselligen Charakter; wer an ihren Angeboten teilnimmt, will sich vor allem mit anderen Jugendliche dort treffen. Pädagogisch gesehen geht es dabei weniger um pädagogische Absichten als vielmehr um sozialisatorische Wirkungen - also um solche politischen und sozialen Erfahrungen, die aus dem Zusammenleben selbst erwachsen. Um diese Möglichkeiten etwas genauer zu verstehen, müssen wir zwischen den einzelnen Formen der Jugendarbeit unterscheiden.
Mitglied in einem Jugendverband wird man meistens eher zufällig. Selten ist es so, daß ein Jugendlicher sich auf seine weltanschauliche oder politische Grundposition besinnt und dafür einen Verband sucht, in dem er unter seines Gesinnungsgleichen sein kann. In der Regel sind es Freunde oder Bekannte, die zu einem solchen Schritt Anlaß geben. Wenn die Mitgliedschaft in einem solchen Verband länger dauert und Engagement für seine Ziele hervorruft, kann sie zu einem wichtigen Moment der Identitätsbildung werden, begründet durch das Gefühl und das Bewußtsein, zu einer Gruppe von Gleichgesinnten zu gehören, die als Jugendliche einerseits im wesentlichen die gleichen Probleme haben, unter denen man sich andererseits wohl fühlen kann, akzeptiert wird und mit denen man gemeinsam öffentlich für be-stimmte Ziele eintritt. Dieses Bedürfnis nach sozialer Akzeptanz und Zugehörigkeit ist allerdings auch die Ursache für das Zustandekommen rechtsorientierter oder radikaler Jugendorganisationen. Es vermag also auch ausgebeutet bzw. so übermächtig zu werden, daß es zur individuellen Unterwerfung unter ein Kollektiv bereit macht. In diesem Falle sind Lernprozesse nur sehr eingeschränkt möglich. Aufklärung würde nämlich den Unterwerfungsakt lockern und damit die so mühsam gewonnene Identität in Frage stellen. Unter dem Stichwort der „akzeptierenden Jugendarbeit" wird versucht, auf solche Gruppen Einfluß zu neh-
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men, indem man einerseits ihre Grundhaltung nicht von vornherein zurückweist, andererseits ihnen aber Kontakte anbietet, um etwa gewalttätige Aktionen zu verhindern oder wenigstens in Grenzen zu halten. Das sind in der Regel schwierige Projekte, weil der wesentliche Beweggrund für den Zusammenschluß mit anderen eben die Unfähigkeit ist, die offenen, pluralistischen gesellschaftlichen Horizonte zu ertragen. Der Normalfall sieht aber anders aus.
Nehmen wir als Beispiel eine katholische Jugendorganisation im Verhältnis zu ihrer Amtskirche. Immer wieder gibt es Konflikte zwischen beiden, bei denen es je nachdem um politische, kulturelle, innerkirchliche oder auch theologische Probleme geht. Auch diese Jugendorganisation hat offensichtlich einen Identitätswert für ihre Mitglieder. Aber in den Auseinandersetzungen ist die Lernbereitschaft nicht verschwunden. Im Gegenteil bieten sich hier bedeutsame Lernerfahrungen an:
• Daß man gerade deshalb ein Recht hat, seine Kirche zu kritisieren, weil man sich ihr zugehörig fühlt;
• daß man dies mit anderen gleicher Gesinnung erfolgreicher kann als allein;
• daß man gut daran tut, der Gegenseite bei aller Leidenschaft genau zuzuhören;
• daß die Auseinandersetzung einer bestimmten Kultur bedarf, eines bestimmten Stiles, der z.B. die andere Seite nicht zwingt, öffentlich ihr Gesicht zu verlieren;
• daß man auch taktisch vorgehen, etwa Verbündete auf der anderen Seite suchen muß.
Mit diesen Hinweisen will ich nicht idealisieren, was tatsächlich geschieht, sondern nur Möglichkeiten pädagogischer Aufklärung aufzeigen, die aus dem Handeln erwachsen können, wenn die Pädagogen Wert darauf legen, die Erfahrungen entsprechend zu deuten. Aus der Auseinandersetzung kann auch ein sachbezogenes Interesse erwachsen, etwa sich ein theologisches Thema durch einen am Konflikt möglichst nicht beteiligten Fachmann erklären zu lassen. Oder ein Rechtsexperte soll darüber informieren, ob eine administrative Maßnahme rechtlich zulässig ist und was man gegebenenfalls dagegen unternehmen könnte.
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Für die Aufklärung solcher Konflikte sind wieder jene kategorialen Leitfragen von Bedeutung, die vorhin beim „konfliktorientierten Ansatz" erläutert wurden. Während allerdings in der Schule die Schüler in den Konflikt, den sie im Unterricht bearbeiten, in der Regel nicht unmittelbar involviert sind, sind - jedenfalls in unserem Beispiel - die Jugendlichen davon durchaus betroffen, es hängt für sie etwas davon ab, wie sie den Konflikt zu lösen vermögen. Der Konflikt ist hier nicht Exempel für etwas oder Teilstück einer langfristig inszenierten politischen Aufklärung, er ist die Sache selbst, um die es geht, und die pädagogische Aufklärung dieses Konfliktes hat den Zweck, die politischen Handlungsmöglichkeiten zu erkennen und dafür Ziele und Mittel zu bestimmen.
Nun besteht das Miteinander in einem solchen Jugendverband nicht nur aus Konflikten, der Alltag wird wie auch in anderen Verbänden sehr viel trivialer ablaufen. Aber welche Erfahrungen die Mitwirkung in einem Jugendverband auch bringen mag, man lernt daraus nur, wenn man sie sich ins Bewußtsein hebt, und dies ist Aufgabe der Pädagogen.
Lernmöglichkeiten ergeben sich aber auch aus den normalen Veranstaltungen. Fast alle Verbände betreiben z.B. sogenannte „offene Jugendarbeit", bieten also Veranstaltungen an für außenstehende Jugendliche oder auch Erwachsene, die nicht zu den Mitgliedern zählen, Werbung für den Verband dabei betreibend. Bei der Vorbereitung und Durchführung solcher offenen Veranstaltungen können die daran beteiligten Jugendlichen manches lernen: Wie man so etwas plant und organisiert und dabei die möglichen Reaktionen der Gäste antizipiert; wie man die Kosten dafür kalkulieren muß; wie man sich gegenüber seinen Gästen präsentiert; wie man eine Diskussion moderiert und bei allzu heftigen Auseinandersetzungen verbindlich vermittelt. In der Vergangenheit sind nicht selten aus der Mitarbeit in Jugendverbänden politische Karrieren erwachsen, was zumindest zeigt, daß die Erfahrungen, die man in dieser Arbeit machen kann, durchaus nicht unbedeutend sind.
Während die Mitarbeit in einem Jugendverband auf relative Dauer angelegt ist und in entsprechenden Verbandsstrukturen erfolgt, kann ein Freizeitheim kaum von solchen Vorgaben ausgehen. Die Bedingungen sind im einzelnen sehr unterschiedlich, je nach
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Größe und personeller sowie materieller Ausstattung des Heims, seiner Lage, seiner Trägerschaft, des umgebenden Wohngebietes. Manchen Heimen gelingt es, längerfristig Gruppen an bestimmte Projekte - auch politischen Inhalts - zu binden, andere werden von Jugendlichen aus rein geselligen Motiven besucht, um andere junge Leute zu treffen, mit ihnen zu reden, zu spielen, zu tanzen, sich zu unterhalten. Im allgemeinen sind hier die Möglichkeiten einer längerfristig angelegten politischen Bildung eher gering. Dennoch bieten sich politisch-soziale Lernmöglichkeiten an.
Sie bestehen zunächst einmal darin, daß der Pädagoge seine in-stitutionelle Rolle zur Geltung bringt, wo es sich anbietet oder auch nötig wird. Er muß in seinem Heim den gegebenen rechtli-chen Rahmen (zumindest die allgemeine Gesetze) einhalten und die vorhandenen Mittel zweckentsprechend verwenden. Durch derartige Vorgaben können Konflikte mit den Besuchern entste-hen. Pädagogisch macht es nun einen Unterschied, ob solche Konflikte nur „irgendwie" durchgestanden, oder zu Erklärungen über den sachlichen bzw. rechtlichen Hintergrund genutzt wer-den. Auch wenn das Freizeitheim kein „selbstverwaltetes" ist, können zudem sinnvolle Formen der Mitwirkung durch die Be-sucher gefunden werden - von Stil und Ton des Umgangs ganz zu schweigen.
In seiner pädagogischen Rolle - als Lernhelfer - kann der Päd-agoge, wenn Gespräche mit den Jugendlichen auf politische Themen kommen, über seine eigene Meinungsäußerung hinaus durch eine bestimmte Fragehaltung, wie sie beim konfliktorien-tierten Ansatz dargestellt wurde, ein gewisses Maß an Nach-denklichkeit zur Geltung bringen, indem er von sich aus Fragen an den Sachverhalt stellt, die die Jugendlichen nicht stellen, oder indem er einseitige Behauptungen in Fragen zurück verwandelt. Auf diese Weise kann er eine Gesprächskultur anbieten, die vielleicht verfestigte Haltungen aufzulösen vermag. Viele Ju-gendliche, die ein Freizeitheim aufsuchen, legen durchaus Wert darauf, die Meinung der dort tätigen Erwachsenen zu hören -nicht nur über politische Themen, sondern über alles, was einen Jugendlichen eben bewegt. Die Bedeutung solcher Gespräche, die oft zufällig und am Rande entstehen, sollte pädagogisch nicht gering geschätzt werden. Unsere politische Urteilsbildung erfolgt im Normalfall ja auch durch Gespräche und Diskussionen mit
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anderen Menschen in der Familie, im Freundeskreis oder im Beruf. Dabei hören wir besonders aufmerksam denen zu, die wir aus welchem Grunde auch immer besonders schätzen. Dabei achten wir auch auf menschliche Faktoren wie Glaubwürdigkeit, Temperament, Toleranz. Übertragen auf die Gesprächssituation in einem Freizeitheim heißt das, daß die dort tätigen Pädagogen auf die politische Urteilsbildung bzw. auf politisch motiviertes Verhalten ihrer jugendlichen Gäste einwirken können, wenn sie diesen als menschlich akzeptabel erscheinen. Ein wichtiger pädagogischer Sinn des Freizeitheimes besteht nämlich darin, daß die dort verkehrenden Jugendlichen gesprächsbereite und gesprächsfähige Erwachsene antreffen, die im Leben außerhalb des Heimes keine Macht über sie haben und die ihnen auch nicht so nahestehen, daß aus Verlauf und Ergebnis eines Gesprächs unerwünschte persönliche Konsequenzen entstehen könnten. Für nicht wenige Jugendliche sind dies die einzigen Erwachsenen, die sie ernsthaft ansprechen können.
Im allgemeinen ist die Zusammensetzung der Besucher eines Freizeitheimes relativ homogen, entsprechend der jeweiligen Wohnumgebung. In nicht wenigen Fällen jedoch befinden sich solche Heime in sogenannten „sozialen Brennpunkten", in Wohngebieten also, in denen soziale Spannungen herrschen, die sich auch auf Jugendliche übertragen und diese in gegensätzliche Gruppen spalten. Die rivalisierenden Gruppen konkurrieren dann oft auch um die Benutzung des Heimes. Manchmal setzen sich die einen dabei durch, die anderen bleiben weg. Wenn es jedoch gelingt, allen weiterhin Zugang zu gewähren, dann ergibt sich die Notwendigkeit und somit auch die Chance, diese verfeindeten Gruppen miteinander verhandlungsfähig zu machen und so zu friedlichem Verhalten im Heim - und vielleicht sogar auch außerhalb des Heimes - zu bewegen. Wenn dieses nach aller Erfahrung schwierige Unterfangen gelingt, wäre das ein sehr wichtiger Beitrag zur politischen Bildung der beteiligten Jugendlichen. Gefordert wird dann nicht unbedingt eine Korrektur eventuell vorhandener extremistischer Gesinnungen und Einstellungen, sondern lediglich gewaltfreies Verhalten im Heimbereich im Sinne eines „Burgfriedens".
Die Jugendarbeit in den Jugendverbänden und den Freizeitheimen erfolgt also im Wohngebiet der Jugendlichen und stellt sich
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in erster Linie als eine Form des jugendlichen Gemeinschaftslebens dar. Die sich dabei ergebenden pädagogischen Chancen im Sinne von Lernmöglichkeiten können genutzt werden oder nicht. Anders zu betrachten sind die Jugendbildungsstätten, weil sie von vornherein pädagogische Einrichtungen sind, die entsprechende Lehr- und Lernprogramme anbieten. Es gibt verbandliche Bildungsstätten, die von den einzelnen Jugendverbänden betrieben werden, aber auch solche, die ohne den Hintergrund eines bestimmten Verbandes arbeiten. Sie laden zu thematisch orientierten Tagungen bzw. Kursen ein oder stehen anderen Veranstaltern dafür zur Verfügung. Im Vergleich zur Schule sind diese Veranstaltungen zeitlich sehr begrenzt, sie erstrecken sich über ein Wochenende oder dauern eine Woche, selten länger, weshalb diese Veranstaltungen auch als „Kurzzeitpädagogik" bezeichnet worden sind. Da für diese Veranstaltungen die erwähnten besonderen institutionellen Bedingungen der Jugendarbeit gelten - sofern der Träger sie nicht einschränkt -, können die Pädagogen hier mit einem breiten didaktisch-methodischen Spielraum arbeiten. In einigen dieser Einrichtungen sind in den sechziger Jahren didaktische Variationen entwickelt worden, die auch die Schulpädagogik animiert haben. Davon wird im nächsten Kapitel noch die Rede sein.
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IV. Methodische Variationen
Der Vergleich zwischen Schule und Jugendarbeit hat uns eine-seits die besondere Stellung der Schule als Ort des systematischen Unterrichts deutlich gemacht, andererseits in Gestalt der Jugendarbeit aber auch ein pädagogisches Feld vorgeführt, das ganz anderen Bedingungen unterliegt als die Schule und das mit dieser nicht verwechselt werden darf. „Pädagogik" findet in beiden statt, insofern es dabei um den Gesichtspunkt der Lernhilfe geht. Auch politische Bildung ist in beiden Feldern möglich, allerdings mit unterschiedlichen Akzenten. Diese Unterschiede verweisen nun gleichwohl auf etwas Gemeinsames, das sich im Begriff der „Methodik" fassen läßt. Lemhilfe, gleich welcher Art und mit welchem Ziel, bedarf einer bestimmten Vorgehensweise, wenn sie jedenfalls planmäßig erfolgen soll. In diesem Sinne gilt Methodik vielfach als die eigentliche Berufswissenschaft des Pädagogen. Im Unterschied zum Begriff Didaktik jedoch, der sinnvollerweise nur im Falle des planmäßigen Lehrens - etwa im Schulunterricht - verwendet werden kann, erstreckt sich die Bedeutung des Begriffs Methodik auf alle pädagogischen Tätigkeiten und Felder; er ist also umfassender und bedarf keineswegs unbedingt einer vorgängigen didaktischen Analyse. Das liegt daran, daß Lernhilfe auch möglich ist ohne Lehre, etwa in beiläufigen Gesprächen oder in den vielfältigen Formen der Beratung, oder anders: Gelernt werden kann auch, ohne daß gelehrt wird. In diesem Sinne besteht auch das Arrangement eines Freizeitheimes aus methodischen Einzelheiten. Im folgenden soll jedoch von Methodik im Zusammenhang mit planmäßiger Lehre, also Unterricht, die Rede sein; auf die Jugendarbeit wird gelegentlich le-diglich im Hinblick auf charakteristische Unterschiede zwischen beiden Feldern verwiesen.
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1. Was ist „Methodik"?
Das Verhältnis von Didaktik, die bereits erörtert wurde, und Methodik ist bis heute von der Erziehungswissenschaft nicht befriedigend im Sinne einer präzisen Begriffsbestimmung geklärt. Das liegt wohl in erster Linie daran, daß es sich bei dem, was damit gemeint ist, nicht einfach um Gegenstände handelt, die sich strikt voneinander unterscheiden ließen. Vielmehr haben wir es mit zwei verschiedenen Zugängen zum Problem des Lehrens und Lernens zu tun. Der didaktische Zugang ist ein theoretischer, insofern er die Lehrbarkeit einer Sache - hier der Politik - grundsätzlich, nämlich logisch-systematisch zu bestimmen sucht. Methodik dagegen zielt auf die praktische Inszenierung von Lernprozessen, also auf das tatsächliche unterrichtliche Handeln des Lehrers. Zwischen Didaktik und Methodik gibt es aber keine einfache Ableitung, etwa dergestalt, daß Methodik die praktische Ausführung eines didaktischen Konzeptes wäre. Soziales Handeln ist niemals nur die bloße Anwendung von irgendwelchen theoretischen Vorgaben, wie schon bei der Analyse des politischen Handelns festgestellt wurde. Ähnlich ist auch das Resultat des pädagogische Handelns, etwa im Unterricht, niemals die bloße Folge eines vorgegebenen prinzipiellen Konzeptes, weil das Handeln immer einen einmaligen, so und nicht anders verlaufenden Akt darstellt, der zwar typische, generalisierbare Anteile enthält, aber nicht restlos darin aufgeht. Gerade Berufsanfänger übersehen das leicht. Die didaktischen Prinzipien und Konstruktionen geben für den tatsächlichen Lehr- und Lernprozeß nur strategische Orientierungspunkte ab, die den Unterrichtsprozeß zwar zu steuern, aber nicht zu determinieren vermögen. Die didaktische Grundlegung des politischen Unterrichts muß zwar einer wissenschaftlichen Kritik standhalten, sonst könnte sich ja jeder einfach ausdenken, was er unter Politik zu verstehen geneigt ist. Aber der tatsächlich ablaufende Unterricht ist keine Inszenierung eines vorher festgelegten wissenschaftlichen Programms. An dieser Tatsache sind ja auch alle Versuche gescheitert, mit Hilfe einer Unterrichtswissenschaft Lernsequenzen dezidiert vorauszuplanen und entsprechend zu realisieren. Dabei handelte es sich um ein technisches Mißverständnis von sozialem Handeln - wie sich schnell herausstellte.
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Um den Unterschied zwischen Didaktik und Methodik zu kennzeichnen, wird gemeinhin eine pragmatische Faustregel verwendet: Didaktik klärt das Was und Warum des Unterrichts, Methodik das Wie. Diese Unterscheidung soll auch hier zunächst ausreichen.
Nun läßt sich das Wie weiter präzisieren. „Methode" heißt „Weg", und dieses Wort hat eine räumliche und eine zeitliche Dimension. Die räumliche können wir außer acht lassen, weil sie in unserem Zusammenhang keine praktische Bedeutung hat. Die zeitliche Dimension signalisiert jedoch das entscheidende praktische Problem. Jeder (geplante) Lernprozeß braucht nämlich seine Zeit, um verwirklicht zu werden, und Methodik ist zunächst nichts anderes als die Art und Weise der Gestaltung dieser Zeit. Methodik ist somit die Verzeitlichung eines didaktischen Konzeptes. Das läßt sich am Beispiel des Vortrags verdeutlichen. Der Vortragende hat das, was er seinen Zuhörern mitteilen will, gleichzeitig in seinem Kopf. Aber diese Gleichzeitigkeit kann er nicht mitteilen, das wäre nur denkbar im Sinne einer technischen Kopie, so wie sich eine Schallplatte pressen läßt, die im Moment ihrer Fertigstellung gleichzeitig eine Symphonie enthält, die anzuhören allerdings eine diesem Werk eigentümliche Zeit dauert. Unser Vortragender muß das, was er gleichzeitig in seinem Kopf hat, für seine Zuhörer in eine zeitliche Reihenfolge bringen, und als Methodik läßt sich die Art und Weise beschreiben, in der es dies tut. Zumindest wird er seinen Vortrag gut gliedern, damit der zeitliche Fortgang auch als ein logischer verstanden werden kann. Ferner könnte er seinen Vortrag unterstützen durch Bild- oder Tondokumente, er könnte zwischendurch Verständnisfragen zulassen u.a.m..
Dieses Beispiel zeigt aber noch eine weitere Dimension der Methodik, nämlich die soziale. Arrangiert wird bei der zeitlichen Gestaltung eines Lehr- und Lernprozesses eine soziale Beziehungsstruktur, und zwar eine solche, die sich nach einem bestimmten pädagogischen Zweck richtet, nämlich Lernen durch Lehren zu ermöglichen. Methodik ist demnach die kommunikative Gestaltung eines zeitlichen Ablaufes zum Zwecke des Lehrens und Lernens. Diesen zeitlichen Ablauf hat die didaktische Reflexion noch nicht im Sinn, sie beschäftigt sich vielmehr prinzipiell mit der Lehr- und Lerabarkeit von Politik.
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Daß Methodik als Kommunikation verstanden wird, ergibt sich aus dem Hintergrund des Handelns: Wie immer der Unterricht im einzelnen gestaltet werden mag, immer vollzieht er sich im Medium einer sozialen Beziehung - im Unterschied etwa zur Fernsehsendung, die als massenkommunikative für den Zuschauer eine solche soziale Dimension nicht zur Verfügung stellt. Aus diesem Verständnis von Methodik ergibt sich folgerichtig die Frage nach der Art der damit verbundenen menschlichen Beziehung. Wer definiert den Zweck dieser Kommunikation im konkreten Falle und setzt die Lehr- und Lernziele fest - der Lehrende oder die Lernenden? Zwischen diesen beiden Polen sind eine Reihe von Kombinationen möglich, und das tatsächliche Lehrgeschehen wird sich im allgemeinen zwischen ihnen bewegen.
In der Schule ist das Pensum weitgehend vorgegeben, in der Jugendarbeit - wie wir gesehen haben - nicht. Im ersten Falle haben wir es also, so scheint es, von vornherein mit einer asymmetrischen Beziehungsstruktur zu tun, im zweiten Falle mit einer gleichrangigen, symmetrischen. Aber so einfach liegen die Dinge nicht. Sobald im politischen Unterricht der Schule die Beurteilung analysierter Sachverhalte in den Mittelpunkt tritt, werden - wie wir gesehen haben - auch die Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern symmetrisch. Und sobald es in der außerschulischen Jugendarbeit um Unterricht geht, werden auch hier die Beziehungen asymmetrisch - auch wenn die Lernziele von den Teilnehmern festgelegt werden, was hier häufig vorkommt. Gleichwohl hat die Behauptung der grundsätzlichen Ungleichheit der Lehrer-Schüler-Beziehung in den letzten Jahrzehnten Widerspruch hervorgerufen. Man hat dagegen eingewandt, daß nur symmetrische Beziehungsstrukturen „demokratische" seien, asymmetrische dagegen autoritäre. Das stimmt so nicht, weil ja die Dominanz des Lehrers keine totale ist, sondern nur eine fachliche, der die anderen Teilnehmer deshalb zustimmen können, weil sie von diesem fachlichen Vorsprung lernen wollen. Wenn wie in der Schule der Lehrer über einen von seinen Partnern - den Schülern - akzeptierten Vorsprung verfügt, dann wird er auch die Methoden bestimmen, die er benutzt, um sein Wissen an seine Schüler weiterzugeben, dann werden die Methoden zum Zweck für das vorgegebene Lernziel, nämlich so arrangiert, daß sie möglichst effektvoll diesem Ziel dienen.
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Allerdings kommt es darauf an, was als Ziel des Unterrichts gelten soll. Wenn Aufgabe des Unterrichts die Aufklärung der Schüler über sich und ihre Welt und über ihre in dieser Welt vorhandenen Partizipationschancen ist, dann ist bloßes Wissen dafür nicht ausreichend. Hinzu kommen müssen vielmehr eine Reihe von Fähigkeiten, die dem Schüler ermöglichen, den Prozeß der Aufklärung selbständig weiter fortsetzen zu können, also etwa sich selbständig Wissen verschaffen, es bewerten und für seine Ziele einsetzen zu können. Wenn solche formalen Ziele mit den Wissenszielen des Unterrichts verbunden werden sollen, dann ergeben sich andere methodische Konsequenzen als beim reinen Frontalunterricht. Dann muß die Unterrichtskommunikation zumindest so gestaltet sein, daß Rückfragen, Meinungsverschiedenheiten, eigene Recherchen der Schüler und Diskussionen möglich sind. Aber auch für diese Modifikation der Zielsetzung gilt, daß der Lehrer die dafür geeignete methodische Kombination finden muß. Nicht das sogenannte „demokratische" Element ist also für die Beurteilung der angewandten Unterrichtsmethoden entscheidend, sondern die Frage nach den Zielen, die damit erreicht werden sollen. Insofern die Forderung nach einem „demokratischen" Umgang zwischen Lehrern und Schülern generell erhoben wird und von den jeweils zu erreichenden Zielen absieht, ist sie auch nur wieder eine von außen an den Unterricht herangetragene erzieherische Vorgabe. Aber eine Schulklasse ist kein Parlament, und wenn die Schüler ihre Repräsentanten im Rahmen der Schulverfassung wählen, ist das wieder eine andere Situation. Nun werden allerdings demokratische Grundsätze in anderer Form wirksam, etwa in der Rechtsstellung der Schüler bzw. ihrer Eltern, in Ton und Stil des Umgangs zwischen Lehrern und Schülern, und indem der Schüler als individuelle Persönlichkeit gesehen wird, die unter dem Schutz der Grundrechte steht. Handelt es sich also um eine pädagogische Veranstaltung, für die das Wissensgefalle von Lehrenden zu Lernenden konstitutiv ist wie beim Schulunterricht oder auch bei jedem Vortrag außerhalb der Schule, wird auch das methodische Arrangement von daher bestimmt sein. Deshalb muß dieses Arrangement auch ganz anders verlaufen, wenn die Expertenvorgabe entfällt. Solche Situationen finden sich häufig außerhalb pädagogischer Felder - etwa in politischen Versammlungen. Die dort stattfindenden politischen Diskussionen werden im allgemeinen nicht durch ein klar hervortre-
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tendes Expertentum bestimmt. Wenn hier Experten auftreten, ist ihre Kompetenz meist begrenzt auf bestimmte (z.B. juristische) Aspekte des Themas.
Auch in der Jugendarbeit finden sich nicht selten Gesprächsrunden und Diskussionsgruppen, die ohne Experten auskommen müssen, die die anderen unterrichten könnten; denn die Pädagogen etwa in Jugendzentren sind in der Regel keine politischen bzw. politikwissenschaftlichen Fachleute. Gleichwohl können solche sich teilweise spontan ergebenden Gespräche einen Beitrag zur politischen Bildung der Beteiligten leisten. In diesen Fällen setzen die Lernenden ihre Lernziele zunächst einmal selbst fest. Die methodische Aufgabe der Pädagogen besteht dann darin, solche Gespräche zu moderieren, neue Gesichtspunkte einzubringen und möglicherweise entstehende Konflikte zu bearbeiten - in der Erwartung, daß die Lernenden daraufhin ihre Lernziele entsprechend ändern werden. Auch für professionelle „Gesprächsführung" bedarf es eines methodischen Repertoires, aber das ist dann nicht aus didaktischen Überlegungen im Sinne unserer Definition abgeleitet. Gleichwohl sollte zur professionell fundierten Gesprächsführung gehören, einseitige Behauptungen in Fragen zurück zu verwandeln und solche Fragen zu stellen, die die Gesprächspartner von sich aus vermeiden. Jugendliche aus der rechtsradikalen Szene etwa müssen erst noch lernen, sich argumentativ mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen, und dafür bedarf es einer einfühlsamen Gesprächsführung.
Im politischen Unterricht der Schule dagegen haben methodische Überlegungen einen anderen Stellenwert, nämlich im Hinblick auf die zu vermittelnde Sache. Dieser Bezug von Methode und Sache kann allerdings unterschiedlich gesehen werden, nämlich eher sach- oder eher persönlichkeitsbezogen. Im ersten Falle wird Methodik primär als Technik verstanden, mit der die durch die didaktische Analyse ermittelten Lehrinhalte optimal und effektiv in einen Lernprozeß umgesetzt werden sollen. Im zweiten Fall geht es eher um die Stärkung persönlicher Fähigkeiten wie Selbstbestimmung, Freude am Lernen oder persönliche Autonomie, die im Prinzip unabhängig von der Kenntnis bestimmter Sachverhalte gedacht sind, wofür die zu vermittelnden sachlichen Einsichten gewissermaßen nur als Material dienen sollen. In einer solchen Vorstellung lösen sich die methodischen Entwürfe leicht
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von sachlichen Zusammenhängen, dienen anderen Zwecken als deren Aufklärung. Eine entsprechende schulpädagogische Entwicklung ist etwa seit den 70er Jahren zu beobachten. Die Verselbständigung der Methoden wurde zum Transportmittel für die schon früher kritisierte Edukatisierung der politischen Bildung, also für die Tendenz, Erziehungszielen den Vorrang vor Sachbezogenheit einzuräumen. Dafür werden im wesentlichen drei Begründungen ins Feld geführt: die Individualisierung, die Motivierung und die Handlungsorientierung.
1. Der Prozeß der Individualisierung werde durch vorgegebene Fächer und Stoffe behindert; es komme statt dessen darauf an, selbständig zu lernen („Lernen lernen") und dafür auch zumindest zeitweise diejenigen Gegenstände wählen zu können, die jeweils besonders interessant seien. Die Lernziele müßten weitgehend von den Schülern ausgehen, weil diese nur so in ihrer Individualität ernst genommen würden; diese würde andererseits unterdrückt, wenn alle das gleiche lernen müßten, zumal wenn es von außersubjektiven Instanzen, repräsentiert durch den Lehrer, vorgegeben werde. Schließlich lebe der Schüler in einer Gesellschaft, die von ihm in hohem Maße individuelle Entscheidungsfähigkeit, Verantwortung, Konflikt- und Kritikfähigkeit verlangt.
Was hier angeführt wird, ist nicht von der Hand zu weisen und hat gewiß im Rahmen der freizeitorientierten Jugendarbeit seinen Sinn. Gleichwohl wird hier eine höchst einseitige Vorstellung vom Prozeß der Individualisierung erkennbar, als befände sich nämlich der Motor der Individualisierung gleichsam in der Innerlichkeit der einzelnen Seele, deren Entfaltung nicht durch äußere Anforderungen gestört werden dürfe. Tatsächlich jedoch entfaltet sich Individualisierung in Form tätiger Auseinandersetzungen mit Ansprüchen, die die außersubjektive Wirklichkeit stellt. Dazu verhilft die Schule dadurch, daß sie verschiedene Fächer anbietet, die unterschiedliche geistige Fähigkeiten herausfordern; daß sie Fragen und Diskussionsbeiträge des Schülers ernst nimmt und von ihm selbständiges Arbeiten fordert. Der Individualisierungsprozeß wird also dadurch gefordert, daß an die Fähigkeiten des Schülers einlösbare Forderungen gestellt werden. Er wird andererseits abgeblockt, wenn die Schule die jeweils gegenwärtige Befindlich-
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keit des Schülers zum Mittelpunkt didaktisch-methodischer Überlegungen macht, indem sie unentwegt darüber nachsinnt, was ihn denn wohl zu interessieren und zu motivieren vermöchte. Damit nagelt sie ihn nur fest auf seine jeweils gegenwärtige Gestimmtheit und infantilisiert ihn somit. Der Schüler wird so ständig zur Introspektion gezwungen, was er denn wohl gerne möchte und was ihn wohl interessieren könnte. Derart begrenzt verstandene Interessen können aber nur zurückgehen auf Erfahrungen, die der Schüler bereits hat, nicht jedoch auch diejenigen einschließen, die der Unterricht ihm künftig vielleicht noch nahelegen wird. Es widerspricht der Individualisierung also nicht, wenn die Schüler einer Klasse in denselben Fächern unterrichtet werden und sich dort mit demselben Stoff beschäftigen müssen - falls diese Fächer und Stoffe tatsächlich bedeutsame Aspekte der Wirklichkeit repräsentieren.
2. Damit zusammenhängend wird ferner vielfach behauptet, der Unterricht müsse so gestaltet werden, daß die jeweils vorhandene Motivation der Schüler angesprochen wird; wenn diese also auf bestimmte Schulstoffe „keinen Bock" hätten, müsse der Unterricht sich eben darauf einstellen. Gerade der politische Unterricht ist nachgerade besessen von dem Willen, irgendwelche methodischen Konstruktionen zu finden, die das empirisch immer wieder anzutreffende Desinteresse an der Politik überwinden könnten. Nun ist aber das Politische ein außersubjektiver und in diesem Sinne objektiver Sachverhalt - wie der anderer Fächer auch -, der sich keineswegs nach den Bedürfhissen und Motiven der Schüler richtet, sondern seine eigene Logik hat. Konsequent zu Ende gedacht würde jene Begründung darauf hinauslaufen, das Politische solange umzudefinieren, bis es die vorfindbare Motivationslage erreicht hat. Das geschieht vielfach tatsächlich - mit der Begründung, Jugendliche hätten eben ein eigenes Verständnis von Politik, das man ebenso ernst nehmen müsse wie das der Politiker selbst. Das aber wäre das Ende eines sachlich fundierten politischen Unterrichts. Auch für andere Fächer und Stoffe sind Schüler nicht jederzeit motiviert, gleichwohl müssen sie deren Anforderungen erfüllen; wollte die Schule jedesmal auf erkennbare Motivationen warten, wäre ein geordneter Unterricht kaum zu realisieren.
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Zudem sind vorhandene Motivationen der Schüler angesichts eines bestimmten Themas kaum zuverlässig zu antizipieren und zu erkennen, weil gerade bei jungen Menschen sich die Motivationsstruktur ständig ändert; diese ist wesentlich ein Produkt bisheriger Erfahrungen und damit der voraufgegangenen Sozialisationsgeschichte. Deshalb führt die Suche nach den vorhandenen Motivationen zu kaum mehr als zu Spekulationen; zweckmäßiger ist es deshalb, diejenigen Motive aufzugreifen und nicht zurückzuweisen, die im Verlaufe des Unterrichts erkennbar werden. Die methodische Reflexion muß sich in erster Linie an der Verstehbarkeit der in Aussicht genommenen Unterrichtsstoffe orientieren. Wie kann der Stoff interessant gemacht werden, an welche bisherige Erfahrung kann er anknüpfen, was davon können die Schüler sich auch selbst erarbeiten? Wichtiger, als den angeblichen Lerninteressen der Schüler nachzulaufen, ist deren Vertrauen darin, daß das, was sie in der Schule lernen, wirklich wichtig für ihre Chancen in der Gesellschaft ist. Selbstverständlich soll der Unterricht auch Spaß machen, wo immer dazu Gelegenheit ist, aber das kann nur ein Nebenprodukt sein, weil jeder weiß, daß Wichtiges nicht ohne Anstrengung gelernt werden kann, und was wichtig und weniger wichtig ist, kann der Schüler im allgemeinen nicht wissen.
3. Daß der (politische) Unterricht nur als handlungsorientierter von Nutzen sei, ist eine weit verbreitete Unterstellung, von der schon kritisch die Rede war. Sie hat viele Facetten, die ich hier nicht im einzelnen erörtern kann (Vgl. Breit/Schiele 1998). Wie schon an früherer Stelle dargelegt wurde, hat der politische Unterricht die Aufgabe, politisches Handeln beurteilen zu lernen, nicht jedoch, die Schüler zu bestimmten politischen Handlungen zu ermuntern oder gar anzustiften. Allerdings hat in dieser Frage der politische Unterricht von Anfang an insofern eine Sonderstellung unter den Schulfächern eingenom-men, als er nach dem Kriege dazu dienen sollte, die neuen demokratischen Strukturen und Verhaltensweisen erst einmal durchzusetzen. Dafür schien die bloße gedankliche Arbeit nicht auszureichen, vielmehr wurde erwartet, daß aus Einsichten immer auch das richtige Tun im Hinblick auf eine Verbesserung der demokratischen Verhältnisse folge. In anderen Schulfächern wäre man nicht auf einen solchen Gedanken
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gekommen; der Deutschunterricht dient nicht dazu, Literatur, der Musikunterricht nicht dazu, Lieder zu produzieren, obwohl er zu beidem natürlich in Einzelfällen animieren kann. Später, in den siebziger Jahren, ging es um Handeln „gegen das Establishment". Es gab Schulen, deren Lehrer stolz darauf waren, wenn die Schüler ihre Schule mit mehr oder weniger törichten politischen Parolen verunzierten; nicht selten wurden Schüler sogar ungeniert von ihren Lehrern aufgefordert, gegen etwas, was diese für böse hielten - z.B. den Vietnamkrieg - zu demonstrieren. Das außerschulische Handeln der Schüler bleibt jedoch ihr Eigentum, gehört nicht dem Lehrer. Selbstverständlich müssen den Schülern, wenn ihnen die politische Struktur der Bundesrepublik erklärt wird, auch die Möglichkeiten des legalen politischen Handelns und auch des Widerstandes aufgezeigt werden - vom Leserbrief über die Demonstration bis zur politischen Wahl. Aber es ist unsinnig, bei je-dem behandelten politischen Thema darüber nachzusinnen, wie man denn nun aktiv werden könne, wenn man es denn wolle oder solle. Angesichts des tatsächlichen Handlungsspielraumes, den Schüler haben, entbehrt dieses Ansinnen auch nicht einer gewissen Lächerlichkeit. Dabei kann leicht herauskommen, daß es so demokratisch nicht zugehen könne, wenn der einzelne Bürger nicht sofort und nachhaltig, wenn ihm der Sinn danach steht, mit dem, was er denkt und meint, Wirkung erzielen kann. Mit einer solchen Erwartung wird jedoch nur die ohnehin vorhandene Tendenz zur Ignoranz gegenüber den Institutionen gefördert. Der gesellschaftliche Ort für ein praktisches politisches Engagement Jugendlicher ist die Jugendarbeit, nicht die Schule. Diese soll politisch aufklären, nicht appellieren.
2. Lehr- und Lernziele
Zusammenfassend könnte man also Methodik als Theorie der Unterrichtskommunikation bezeichnen. Deren Sinn ist nun, angestrebte Unterrichtsziele auch tatsächlich zu erreichen. Die Planung einer bestimmten Unterrichtsstunde besteht im wesentlichen darin, solche Ziele als Resultat dieser Stunde festzulegen und diese wieder in Teilziele zu zerlegen, die im Verlauf der Stunde Stück für Stück erreicht werden sollen, so daß am Ende
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das Ergebnis an der Tafel steht. Je nach den Zielen bzw. Teilzielen wird dann eine bestimmte Methode eingesetzt, so daß der Lernprozeß einer Stunde durchaus aus der Kombination verschiedener Methoden bestehen kann. In der schulpädagogischen Ausbildung wird der Fähigkeit, derart präzise den Unterricht zu planen und durchzuführen, große Aufmerksamkeit gewidmet.
Demgegenüber ist noch einmal daran zu erinnern, daß Unterricht eine Form des sozialen Handelns ist, das auf das Handeln anderer - in diesem Falle der Schüler - bezogen ist, und daß es deshalb auch im Sinne der Absichten des Lehrers scheitern oder nur eingeschränkt zum Erfolg führen kann. Insofern könnte man die methodische Reflexion auch als notwendig dafür ansehen, das Scheitern des Unterrichts in Grenzen zu halten.
Die Diskussion über die Lernziele und ihre Verwirklichung im Unterricht hat uns fast zwei Jahrzehnte in Atem gehalten. Dabei wurde oft übersehen, daß normalerweise der Erfolg eines sozialen Handelns in bezug zum Handeln anderer nicht vorausgesagt werden kann. Der Handelnde kann sich immer nur seiner eigenen Ziele vergewissern. So gesehen ist der Begriff Lernziel per se problematisch, festgesetzt werden können genaugenommen nur Lehrziele. Ob und in welcher Weise diese auch zu Lernzielen bei anderen werden, kann niemals mit Sicherheit festgestellt werden
- auch nicht durch sogenannte Lernkontrollen wie Klassenarbeiten; denn diese ermitteln nur eine begrenzte Menge von Wissen, das zudem nur in einer bestimmten Situation - nämlich der Klassenarbeit - abgerufen werden kann. Wie der Schüler sein Wissen in einer anderen Situation zu aktivieren vermag, bleibt grundsätzlich ungewiß.
Als Beispiel mag uns wieder der Vortrag dienen. Der Vortragende wird sich durchaus überlegen, welche Lehrziele für eine bestimmte zu erwartende Zuhörerschaft ihm wichtig sind, sonst könnte er seinen Vortrag gar nicht vorbereiten. Vielleicht wird er sich auch noch bemühen, an die vermutete Erfahrung seiner Hörer anzuknüpfen. Aber die anschließende Diskussion wird ihm wie üblich zeigen, daß er mehr oder weniger mißverstanden wurde, daß seine Lehrziele keineswegs bei allen und in vollem Umfange auch zu Lernzielen geworden sind. Das liegt zunächst einmal daran, daß wir bei wichtigen Alltagsfragen, wozu Politik zweifellos gehört, bereits über für uns sinnvoll strukturierte Vor-
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stellungszusammenhänge verfügen, denen der Vortrag mit seiner eigentümlichen geistigen Struktur nicht einfach additiv hinzugefügt werden kann; vielmehr ist, um ihn im Sinne des Vortragen-den zu verstehen, eine mehr oder weniger komplizierte Umorganisation unserer Vorstellungen nötig. Hinzu kommt, daß Politik, abgesehen von schlichten Tatsachen, uns nicht in Form von Wirklichkeiten entgegentritt, die sich einfach abbilden ließen wie etwa ein technischer Gegenstand, sondern auf uns eindringt als ein Ensemble von Meinungen über Wirklichkeiten, die der Interpretation und damit auch der normativen Bewertung bedürfen. Da aber Interpretationen und Bewertungen wohl als Lehrziele vorgetragen, nicht aber als Lernziele einfach erwartet werden dürfen, entsteht hier ein Bruch, der prinzipiell nicht gekittet, wohl aber minimiert werden kann, indem der Lehrer etwa seine Lehrziele den Schülern erklärt und über deren Erarbeitung Verständigung mit ihnen erzielt, auf die er sich im Verlaufe des Unterrichtsprozesses immer wieder beziehen kann. („Das haben wir schon erreicht, nun müssen wir uns dem zuwenden"). Aber auch dann bleibt letztlich unklar, was in den Köpfen der Schüler wirklich geschehen ist; im Prinzip setzen die Lernenden ihre Lernziele selbst fest, und diese können von denjenigen abweichen, die der Lehrende erwartet.
Aber nicht nur der soziale Charakter des unterrichtlichen Handelns gefährdet die volle Umwandlung der Lehr- in Lernziele, sondern auch der zeitliche Ablauf selbst. Nur wenn der Lehrer in der Lage wäre, ausschließlich die Souveränität über den Zeitablauf zu gewinnen, könnte er sich das Gegen- und Mithandeln der Schüler vielleicht unterwerfen. Sonst werden die Schüler einen Teil ihrer Zeit für sich in Anspruch nehmen, und sei es auch nur durch Einwände, die Erklärungen und Diskussionen nötig machen. Jeder halbwegs plausibel vorgebrachte Einwand ist aber auch ein potentieller Anspruch auf ein selbstbestimmtes Lernziel. Da nun aber die Zeit für ein bestimmtes Unterrichtsprojekt begrenzt ist, wird die Verfügung über diese Zeit oder über Teile von ihr auch zu einer Konkurrenz von Lehrzielen des Lehrers und Lernzielen der Schüler andererseits; denn was den Inhalt einer bestimmten Zeit tatsächlich ausfüllt, kann von anderen Inhalten nicht mehr besetzt werden.
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Die Schwierigkeiten, Lehrziele auch in vollem Umfang in Lernziele zu verwandeln, müssen nun nicht zur Resignation führen. Sie gelten auch nicht für alle Schulfächer in gleichem Maße, für die naturwissenschaftlichen nicht ebenso wie für die geisteswissenschaftlichen. Die Politik ist ein besonders herausragender Fall, eben weil ihr Gegenstand, ihr „Material" in erheblichem Maße nicht Wirklichkeiten sind, sondern Meinungen darüber. Gewiß muß jeder vernünftige Unterricht ergebnisorientiert sein und deshalb Ziele anstreben, aber das Verhältnis von Ziel und Ergebnis bleibt immer prekär, keine Unterrichtsmethode kann diese Unbestimmbarkeit ganz aufheben. Sie macht andererseits den besonderen Reiz des Unterrichtens aus und ist natürlich kein Grund, ohne planende Vorbereitung zu verfahren. Aber gerade unter dem Aspekt der Bildungswirksamkeit des politischen Unterrichts, also der Perspektive der subjektiven Aneignungsprozesse, muß den Schülern auch Gelegenheit gegeben werden, ihrerseits etwa durch Fragen und Assoziationen den tatsächlichen Unterrichtsverlauf mitzubestimmen, auch wenn sie damit von der ursprünglichen Lehrplanung abweichen sollten.
3. Methoden
Nach den bisherigen Erörterungen ist Methodik also der Oberbegriff für alles, was zur Inszenierung eines Lernprozesses im Zeitablauf gehört. Sieht man sich die dabei möglichen Variationen genauer an, so ergibt sich eine begriffliche Schwierigkeit. Gemeinhin werden als „Methoden" Arbeitsweisen wie etwa Vortrag, Diskussion oder Gruppenarbeit bezeichnet, die bei einem konkreten Unterrichtsvorhaben entweder jeweils ausschließlich oder im zeitlichen Wechsel verwendet werden. Gemeint sind dann gleichsam themenunabhängige Kommunikationsbausteine, die je nach Zweck und Ziel eingesetzt werden können. Dieser Mikroebene gegenüber steht aber noch eine Makroebene, auf der entschieden wird, nach welchen Modalitäten die Bearbeitung eines politischen Themas überhaupt erfolgen soll. Man kann sich z.B. über ein politisches Thema einfach belehren lassen, man kann darüber aber auch etwas produzieren oder es spielend zur Sprache bringen, also die Form des Lehrgangs, der Produktion oder des Rollen- oder Planspiels wählen. Wenn ein Lernprozeß langfristig angelegt ist wie in der Schule, lassen sich
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diese Formen auch als Versatzstücke verstehen, die in einer bestimmten zeitlichen Reihenfolge einander ablösen. Die Frage ist nun, wie man diese beiden Ebenen begrifflich unterscheiden soll. Wie schon in meiner früheren „Methodik des politischen Unter-richts" möchte ich die Varianten auf der Makroebene als „Methoden", die auf der Mikroebene als „Arbeitsweisen" bezeichnen. Diese begriffliche Unterscheidung ist in der didaktisch-methodischen Literatur nicht überall anzutreffen, und gewiß wäre sie auch in anderer Weise möglich; so oder so ist aber eine sachliche Differenzierung nötig, weil sonst die verschiedenen Ebenen zu sehr miteinander vermischt würden.
Wie immer man die Unterschiede bezeichnen will, so stellt sich doch schnell heraus, wie schwierig es ist, das, was sich im tatsächlichen Unterricht abspielt, so zu klassifizieren, daß sich daraus eindeutig von einander abgrenzbare Faktoren ergeben kön-nen. Jede Unterrichtsstunde hat ihren eigentümlichen Verlauf, gleicht keiner anderen. Wie soll man da ein Schema finden, das alle Äußerungen, Haltungen und Gesten von Lehrern und Schülern in sich aufzunehmen vermag? Wer als Nichtfachmann eine solche Veranstaltung beobachtet, bemerkt im wesentlichen Spre-chen und Zeigen, einen dahinter stehenden methodischen Plan wird er kaum entdecken. Jedenfalls gibt es keine allseits akzeptierte systematische Methodologie des Unterrichts, in der Literatur werden in der Regel nur einzelne Methoden beschrieben, deren angebliche Vorzüge oft kämpferisch gegen andere ins Feld geführt werden. Die folgenden Überlegungen können den Mangel an Systematik ebenfalls nicht beseitigen, sondern nur versuchen, eine gewisse Ordnung in die Sache zu bringen. In diesem Sinne und mit dieser Einschränkung ist nun zunächst von den Methoden die Rede, also von den Modalitäten der Bearbeitung eines politischen Themas.
In einem sozial relevanten Sinne gibt es ein Thema überhaupt erst, insofern darüber kommuniziert wird. Wir nennen eine intentionale, also zweck- und zielgerichtete Kommunikation über ein Thema seine Bearbeitung. Das bedeutet andererseits, daß die Art und Weise seiner Bearbeitung ein Thema auch mit konstituieren, daß also die meist vorherrschende Vorstellung, erst habe man ein Thema und dann wähle man die geeignete Modalität seiner Bearbeitung, so einfach nicht zutrifft. Indem man vielmehr
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sich für eine bestimmte Form der Bearbeitung entscheidet, entscheidet man sich auch für eine bestimmte Strukturierung des Themas, nämlich für das Hervorheben einiger Aspekte unter Zurückstellung anderer. Methoden sind keine bloßen Techniken, mit denen festgesetzte Lehrziele realisiert werden könnten. Bis zu einem gewissen Grade bestimmt die methodische Inszenierung die Lehr- und Lernziele mit; das Mitzuteilende ändert durch die verzeitlichte Form der Mitteilung seinen Charakter. Man könnte sagen, die Art der in Aussicht genommenen Bearbeitung macht Sachverhalte überhaupt erst zu einem Thema.
Dies gilt übrigens auch für den Gebrauch unterschiedlicher methodischer Ansätze in der Wissenschaft. Die gewählte Methode bestimmt auch den Gegenstand der Untersuchung und präzisiert zugleich das Thema. Welche Methode für eine wissenschaftliche Untersuchung auch gewählt wird, eine der wichtigsten Vorüberlegungen ist, was man mit dieser Methode erreichen kann und was nicht. Das gilt auch für die Verwendung der unterschiedlichen Methoden und Arbeitsweisen im pädagogischen Zusammenhang. Jede von ihnen hat einen spezifischen Zugang zur Sache und vermag bestimmte Fähigkeiten der Lernenden zu mobilisieren, aber keine ist für sich genommen allein zu favorisieren. Vielmehr kommt es darauf an, sie optimal miteinander zu kombinieren.
Alle bisher bekannt gewordenen (und vermutlich alle überhaupt denkbaren) Methoden lassen sich in drei Grundformen zusammenfassen: Lehrgang, Produktion, Spiel. Das soll heißen, daß man sich über politische Themen belehren lassen (Lehrgang), über sie etwas produzieren (Produktion) und sie spielerisch inszenieren (Spiel) kann. Diesen Grundformen lassen sich eine Reihe von Varianten zuordnen. Zur Produktion gehört etwa das Projekt, die Sozialstudie, die Reportage, zum Spiel das Rollenspiel, das Planspiel, die Talk-Show, die Provokation, die Pro- und Kontra-Debatte. Die Aufzählung zeigt zweierlei: Erstens gibt es beim Lehrgang keine Variationen - der Grund dafür wird uns noch beschäftigen -, und zweitens kennt die Version des Spiels die meisten Variationen. Dazu sollte man wissen, daß die Schule früher kaum eine andere Methode als den Lehrgang kannte, erst seit etwa Anfang der 70er Jahre haben die anderen Methoden auch dort Einzug gehalten. Erfunden wurden sie nicht in der
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Schule, sondern in der außerschulischen Jugendbildung. Die Schule hoffte, durch die Übernahme der beiden anderen Methoden ihren Unterricht interessanter und motivierender gestalten zu können; es ist jedoch mehr als fraglich, ob dies wirklich gelungen ist. Diese anderen Methoden sind nämlich keineswegs einfacher für die Schüler als der Lehrgang. Sie sind nicht nur verhältnismäßig zeitaufwendig, sondern setzen in der Regel auch einen relativ hohen intellektuellen Standard bzw. eine erhebliche Verbalisierungsfähigkeit bei den Akteuren voraus. Die dafür benötigten intellektuellen und zeitlichen Ansprüche erweisen sich schnell als ineffektiv im Vergleich zum normalen Unterricht. Aber werfen wir zunächst einen genaueren Blick darauf.
Der Lehrgang
Der Lehrgang ist das Grundmodell jeder planmäßigen Unterrichtung. Seine Voraussetzung ist, daß ein Thema von einem (oder mehreren) Experten (Fachlehrer) behandelt wird und daß die Lernenden keine Experten sind. Professoren, die ein gemeinsames Fach vertreten, halten miteinander zwar Kongresse ab, die im wesentlichen aus Vorträgen und Diskussionen bestehen, aber sie würden miteinander keinen Lehrgang veranstalten. (Bei anderen Themen kann man selbstverständlich auch mit Professoren Lehrgänge durchführen, wenn sie als Nichtexperten etwa Schwimmen, Autofahren oder das Ausfüllen von Steuererklärungen lernen wollen). Aufgrund des Expertentums übernimmt der Lehrende die Führung und Leitung des Lernprozesses. Daraus folgt keineswegs, daß der Lernprozeß im Stile des Frontalunterrichts gesteuert werden muß, vielmehr kann der Lehrende durchaus unterschiedliche Arbeitsweisen anwenden, auch solche, in denen die Schüler etwa im Rahmen von Gruppenarbeiten selbst tätig werden. Entscheidend ist nur, daß der Lehrende als Experte die inhaltliche Steuerung behält. Der Lehrgang ist das Kernstück des schulischen Unterrichts sowie der Hochschullehre, aber er spielt auch in der außerschulischen Jugendbildungsarbeit eine Rolle. Diese Methode kann sehr flexibel gestaltet werden, sie ist anpassungsfähig an das Vorverständnis der Lernenden sowie an zeit-räumliche Vorgaben wie die Schulstunde einerseits oder ein ganzes Wochenende in der Jugendbildungsarbeit andererseits.
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Allerdings sollte der Begriff „Lehrgang" nur dann verwendet werden, wenn es sich wie in der Schule um längere Vorhaben handelt. Der Grundgedanke des Lehrgangs ist, daß Wissen und der produktive Umgang damit in einer planmäßigen Reihenfolge vermittelt werden, die als sinnvoll oder zweckmäßig von den Lernenden auch verstanden werden kann; daß nichts einfach additiv aneinander gereiht wird, sondern alles einen klaren Aufbau erkennen läßt, etwa vom Einfachen zum Schwierigeren, vom Nahen zum Fernen, vom Prinzipiellen zum Komplexen. Der Lehrgang ist nach vorne prinzipiell offen, kann durch weitere Lehrgänge ergänzt werden. Der über Jahre sich erstreckende Schulunterricht wird zumindest im Idealfall verstanden als eine plausibel aufeinander folgende Sequenz von Lehrgängen. Der Schüler muß - wiederum idealiter - diese Sequenzen erleben können als Fortschritt seiner Bildung, seines Wissens und Könnens. Anschaulich erfahrbar werden kann der Fortschritt des Wissens etwa am Maßstab des Schulbuches: Was daraus wurde schon gelernt und was wird künftig noch dazukommen? (Das setzt allerdings voraus, daß das Schulbuch wirklich als Lehrbuch verfaßt ist und nicht als Unterhaltungslektüre). Nicht jeder Schulunterricht entspricht also der Methode des Lehrgangs. Wo er lediglich von Thema zu Thema sich bewegt, jedes auf dem gleichen Niveau behandelt, nur immer neuen Stoff, aber keine neuen Einsichten oder Schwierigkeiten bietet, da wäre nicht von Lehrgang zu sprechen, sondern eher von einem additiven Gelegenheitsunterricht. Die innere Struktur des Lehrgangs entspricht in etwa der eines gut gegliederten und aufgebauten Sachbuches.
Die Produktion
Man kann ein politisches Thema nicht nur im Rahmen eines Lehrgangs erarbeiten, sondern darüber auch etwas produzieren, etwa einen Videofilm, ein Tonbandfeature, eine Fotoausstellung oder eine Wandzeitung. Diese methodische Variante ist in den sechziger Jahren in Jugendbildungsstätten entwickelt worden, weil sich dort herausstellte, daß Lehrlinge und Hauptschüler nicht auch noch in ihrer Freizeit „Schule" haben wollten bzw. weil der im wesentlichen verbal orientierte Unterricht in Form des Lehrgangs sie überforderte. Im Grunde werden hier in vereinfachter Form journalistische Verfahren angewendet, und mit dieser Me-
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thode kann grundsätzlich jedes politische Thema bearbeitet werden. Sollen die Schüler bzw. Jugendlichen jedoch außerhalb der Schule selbst recherchieren, dann sind sie schon aus Kostengründen auf ihre Wohnumgebung angewiesen und somit auf Themen, die dort auch tatsächlich von Bedeutung sind. Aber davon gibt es auf der kommunalen Ebene genug. Unter dem Begriff „Produktion" fasse ich hier eine ganze Reihe von Möglichkeiten zusammen, die sich noch weiter unterscheiden ließen: Ästhetische Bearbeitungsmöglichkeiten politischer Themen in den künstlerischen Schulfächern etwa oder das, was man gemeinhin „Projektunterricht" nennt.
Vorausgehen muß eine erste Einführung in das Thema, wofür in der Regel die Methode des Lehrgangs am effektivsten ist. In der Schule ergibt sich der Wunsch, etwas zu produzieren, sogar in der Regel aus dem üblichen Verlauf der Lehrgänge. Jedenfalls müssen Hypothesen für die Recherche gebildet werden (wen will man was fragen?), anschließend muß das Material erhoben und schließlich ausgewertet und dargestellt werden. Ein Vorteil dieser Methode ist, daß im Vergleich zum Lehrgang unterschiedliche Fähigkeiten der Schüler benötigt und deshalb auch gefordert werden können - einerseits etwa bei der Recherche, andererseits bei der Veröffentlichung der Ergebnisse. Ein weiterer Vorteil ist, daß arbeitsteilig vorgegangen werden, das gesamte Unternehmen also von einzelnen Gruppen bearbeitet werden muß, was unterschiedlichen persönlichen Interessen und Fähigkeiten der Schüler entgegen kommt. Eine Produktion ist nämlich kein Selbstzweck, sie braucht ein Publikum, dem sie präsentiert und mit dem sie diskutiert werden kann. Dafür bieten sich zunächst die erwähnten arbeitsteilig arbeitenden Gruppen an, die ihre Ergebnisse einander vorführen; oder ein Elternabend oder Schulfest wird dafür ins Auge gefaßt.
Diese Methode kann mit mehr oder weniger Aufwand angewendet werden. Tonband- und Videoarbeiten verlangen eine entsprechende technische Ausstattung. Das Projekt darf kein Mißerfolg werden, weil die Jugendlichen etwa ihre Möglichkeiten überschätzen. Deshalb muß der Lehrer bzw. Pädagoge die möglichen Schwierigkeiten antizipieren und durch Beratung dafür sorgen, daß sie entweder vermieden oder gelöst werden können. Ferner muß der zeitliche Aufwand in einem angemessenen Verhältnis
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zum Ergebnis stehen, und dieses Ergebnis muß sich zumindest in dem Sinne lohnen, daß es Interesse beim Publikum findet. Die Schüler bzw. Teilnehmer dürfen am Schluß nicht den Eindruck gewinnen, es habe sich um eine Spielerei gehandelt, um sie „handlungsorientiert" bei Laune zu halten. Andererseits kann diese Methode Spaß machen und vor allem über die sachlichen Erkenntnisse hinaus organisatorische und ästhetische Fähigkeiten herausfordern, die beim üblichen Unterricht nicht zur Geltung kommen.
Diese Methode kann ebenso wie der Lehrgang sehr variabel eingesetzt werden, auch ohne daß dafür in der lokalen Umgebung recherchiert wird, wie die folgenden Beispiele zeigen.
• Eine kontroverse Dokumentation über ein im Prinzip beliebiges politisches Thema wird aus Pressematerial angefertigt.
• Das für ein Thema vorliegende Schulbuchkapitel wird überprüft und durch zusätzliche Texte, Bilder, Dokumente usw. korrigiert bzw. ergänzt.
• Dasselbe kann mit anderen Unterrichtsmitteln geschehen.
• Eine Collage wird angefertigt. Dabei werden aus Zeitungen und Illustrierten Schlagzeilen und Bilder herausgeschnitten und unter dem Gesichtspunkt des Themas zu einem Wandbild zusammengefügt.
• Auch satirische Varianten lassen sich z.B. durch verfremdende Zuordnungen von Bildern und Slogans (aus Politik und Werbung) realisieren. Die Tages- und Illustriertenpresse bietet dafür genügend Material.
Der Lehrende hat bei dieser Methode eine andere Funktion als beim Lehrgang. Gebraucht wird er hier vor allem als Berater, der mit dafür sorgt, daß die Pläne der Schüler realistisch bleiben, daß ihr Produkt möglichst gut bzw. effektvoll ausfällt, der sachliche Unzulänglichkeiten, Einseitigkeiten oder auch Geschmacklosigkeiten verhindert. Auch die Produktion hat letztlich Lernprozesse zum Ziel, deshalb ist die Mitarbeit des Pädagogen unentbehrlich. Der Lehrer muß die notwendige Vorbereitung übernehmen, bevor das Projekt überhaupt anläuft. Er muß Vorrecherchen anstellen, sich eine grundlegende Vorstellung über die zu erwartenden
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Sachverhalte verschaffen, mögliche Gesprächspartner zur Mitarbeit gewinnen usw.
Ein wichtiger Unterschied zum Lehrgang ist die sehr viel größere Offenheit im Hinblick auf das Ergebnis. Die didaktische Analyse verläuft deshalb hier anders als beim Lehrgang. Sie wird zunächst der Frage nachgehen, welches Thema sich für eine Produktion überhaupt eignet, welches Ergebnis sich voraussichtlich einstellen wird (Hypothese), welches Material wie beschafft werden könnte. Die Lehrziele werden - anders als beim Lehrgang - nur grob vorgegeben, die Lernziele für die Schüler entwickeln sich teilweise erst im Verlauf des Projektes selbst. Ferner werden die Lernziele erheblich vom angestrebten Endprodukt her bestimmt. Wenn etwa ein Videofilm hergestellt werden soll, wird die Aufmerksamkeit sich im wesentlichen auf das konzentrieren, was sich in diesem Medium auch darstellen läßt. Das angestrebte Produkt bestimmt also wesentlich die Struktur der Sache, man könnte fast sagen: es ist das Zentrum der didaktischen Analyse. Da die Herstellung eines Produktes eine zielgerichtete Handlung ist, wird das ausgeblendet oder zumindest nur marginal behandelt, was dafür nicht benötigt wird; sonst droht die Produktion zu scheitern. Die Komplexität politischer Probleme wird folgerichtig bei einer Produktion reduziert auf das, was auch hergestellt werden kann. Die Aufmerksamkeit der Schüler gilt folgerichtig und verständlicherweise ihrem Werk, den politischen Sachverhalten nur insofern, als sie damit in Verbindung zu bringen sind.
Produktionsorientierte Projekte gelten unter Schulpädagogen vielfach als methodischer Idealfall, weil sie „ganzheitliche" Fähigkeiten der Schüler mobilisieren und handlungsorientiert sind. Ein didaktisch-methodischer Königsweg sind sie jedoch nicht, weil sie durchaus auch ihre Tücken haben.
1. Würde der Schulunterricht nur aus einer Folge von Produktionen bzw. Projekten besteben, würde er die Schüler nicht weniger langweilen und von ihnen als ebenso mühsam erlebt werden, wie der übliche Unterricht auch. Es ist ein Irrtum anzunehmen, daß solche Projekte per se besonders motivierend sind. Ihre Chance liegt vielmehr darin, daß sie im Rahmen des üblichen Unterrichts einen attraktiven Perspektivenwechsel ermöglichen.
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2. Im Falle bloßer Aneinanderreihung solcher Produktionen könnte sich auf Dauer auch kein systematischer Vorstellungszusammenhang ergeben, sondern nur eine Addition einzelner Vorhaben. Produktionen sind nur sinnvoll, wenn im übrigen und im Normalfall lehrgangsorientierter Unterricht erteilt wird. Als die Methode der Produktion in der Jugendarbeit favorisiert wurde, setzte sie den Lehrgang der Schule voraus und wirkte auf diesen zurück.
3. Theoretisch eignet sich zwar jedes denkbare politische Thema für eine Produktion, was der seriöse Journalismus schließlich beweist. Für Schüler jedoch sind praktisch wegen der technischen und intellektuellen Grenzen nur relativ wenige Themen geeignet, die zusammen auch nicht annähernd das abdecken können, was der politische Unterricht mindestens behandeln muß. Insofern darf die Methode der Produktion die des Lehrgangs nicht ersetzen, nicht einmal ernsthaft in Konkurrenz zu ihr treten.
4. Die erwähnte notwendige Arbeitsteilung innerhalb der Klasse hat auch einige sozial nicht unbedingt erwünschte Folgen. Die Berichte zeigen immer wieder, daß zwar einerseits im normalen Unterricht verdeckt bleibende Fähigkeiten herausgefordert werden, daß andererseits aber gerade deswegen auch nicht alle Schüler gleichmäßig gefordert werden können. Intellektuell unsichere Schüler neigen etwa dazu, sich mit untergeordneten Tätigkeiten zu begnügen, was schon deshalb nicht verhindert werden kann, weil derlei Arbeiten für das Gelingen des Projekts schließlich benötigt werden. Aus diesem Grunde ist das Verfahren auch nicht so „ganzheitlich", wie es zunächst scheinen mag. Für eine Rotation der verschiedenen Aufgaben, die zumindest auf Dauer das Übel korrigieren könnte, reicht andererseits die Zeit nicht. Dieser Mangel ist im Rahmen eines einzelnen Projektes nicht weiter bedenklich, würde aber auf Dauer zu problematischen Hierarchien innerhalb der Klasse führen.
5. Die Methode der Produktion mag in der Schule als Abwechslung willkommen sein, sie ist aber keineswegs weniger mühsam und anspruchsvoll als der Lehrgang und ihm hinsichtlich der Effektivität der Lernorganisation und der Ergebnisbilanz deutlich unterlegen. Das wird besonders sichtbar, wenn man
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den für eine wirklich gelungene Produktion benötigten Zeit-und Organisationsaufwand mit dem für einen entsprechenden Lehrgang erforderlichen vergleicht. Nichts ist bei guter didaktisch-methodischer Planung und Durchführung so leicht zu verstehen wie ein lehrgangsgerecht dargebotener Stoff.
Das Spiel
Man kann politische Probleme auch spielerisch darstellen, etwa durch Aufführung einschlägiger Szenen aus der Theaterliteratur, oder in Form des Sprechtheaters, wobei eine Szene mit verteilten Rollen gelesen wird. Auch die Jugendliteratur bietet ergiebige Passagen an. In diesen Fällen geht es darum, von Schriftstellern vorgegebene Texte spielerisch nachzugestalten. Dabei tritt jedoch nicht die Politik selbst in den Blick, sondern eine bereits gestaltete künstlerische Deutung davon, die wiederum an ihren eigenen Maßstäben zu messen ist: Literatur bleibt Literatur, auch wenn sie Politisches zum Thema hat. Gleichwohl vermögen derartige Stoffe im fachübergreifenden Unterricht über ein bedeutsames „Schlüsselproblem" einen wichtigen Beitrag zu leisten.
Von solchen, an vorliegender Literatur orientierten und schauspielerische, jedenfalls Fähigkeiten des sprachlichen Ausdrucks verlangenden Darbietungen setzen sich Spielformen ab, die meist als Simulationsspiele bezeichnet werden, für die es keinen fertigen Text gibt, der vielmehr erst aus der Analyse politischer Probleme und Konflikte gewonnen werden muß; das politische Material muß in Spieltexte übersetzt werden. Inzwischen sind eine Reihe von Spielformen erprobt worden, die teilweise dem Fernsehprogramm entnommen wurden wie die Talk-Show und die Pro- und Kontra-Debatte. Die Möglichkeiten für Planspiele haben sich durch den Computer erheblich erweitert. Während nämlich beim klassischen Planspiel die gegenseitigen Handlungsinformationen mühsam über schriftliche Mitteilungen erfolgen mußten, läßt sich mit Computersimulationen wesentlich schneller operieren. Deshalb gibt es inzwischen dafür relativ komplexe Verfahren wie etwa das Agieren mit „Scheinfirmen", mit deren Hilfe wirtschaftliches Handeln und Gegenhandeln verhältnismäßig realitätsgerecht imitiert werden können. Die klassischen Formen sind jedoch das Rollenspiel und das Planspiel.
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Beim Planspiel geht es darum, für ein tatsächliches Problem eine Lösung zu suchen - etwa für einen örtlichen Konflikt, der noch nicht entschieden ist. Beispielsweise soll am Ort eine Umgehungsstraße gebaut werden, und der Streit geht darum, ob und unter welchen Modalitäten dies geschehen soll. In vereinfachter Form können die entsprechenden grundlegenden Positionen und ihre Begründungen dazu durch Gruppen von Schülern recherchiert werden. Anschließend wird dann etwa im Rahmen einer fingierten Stadtratsitzung eine Entscheidung erörtert und schließlich auch gefällt. Zu den Spielregeln gehört, daß die Gruppen diese Positionen nicht als eigene, persönliche dabei vertreten, sondern so, wie sie von den Kontrahenten auch gemeint sind. Dabei lernen die Schüler, sich in die innere Logik einer anderen Position hinein zu versetzen. Ein real gegebener politischer Konflikt wird hier also planspielerisch, nämlich denkend und argumentierend, begleitet und schließlich probeweise entschieden, wobei es reizvoll sein mag, die eigene Lösung mit derjenigen zu vergleichen, die dann tatsächlich erfolgt; sind beide nicht identisch, können die Ursachen dafür ermittelt werden, was zu neuen Recherchen und Reflexionen anleiten mag.
Auf den ersten Blick scheint ein solches Projekt dem Ideal eines „handlungsorientierten" Unterrichts weitgehend zu entsprechen: Die Schüler sind ständig in Aktion, die zu bewältigenden Aufgaben sind vielfältig, zu lernen gibt es genug. Aber auch die Schwierigkeiten liegen auf der Hand:
1. Soll das Spiel einigermaßen sach- und realitätsgerecht gestal-tet werden, verlangt es eine erhebliche Mühe von allen Beteiligten und einen entsprechenden Zeitaufwand. Wird darauf verzichtet, lohnt sich der Einsatz nicht und die Sache wird zur Spielerei. Ebensowenig wie die Produktion ist also das Spiel „leichter" für die Schüler als das Lernen im Rahmen eines Lehrgangs.
2. Mühe und Zeitaufwand sind nicht zuletzt dafür erforderlich, überhaupt erst einmal die sachlichen Voraussetzungen zu erarbeiten, die nötig sind, um das Spiel vernünftig in Gang bringen zu können. Das ist wesentlich Aufgabe des Lehrers, der sich einen grundlegenden Überblick verschaffen muß, um diesen dann in Form des Lehrgangs den Schülern zu präsentieren. Eine solide Vorinformation ist nämlich Voraussetzung dafür,
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daß die Schüler verständig in ihren Gruppen Einzelaspekte zu recherchieren vermögen und sich in ihre jeweilige Teilaufgabe hineinversetzen können.
3. Soll die Rekonstruktion des Falles nicht allgemein bleiben - dann wäpraktischen oder einen pädagogischen. Wird versucht, alle diese Zwecke und darüber hinaus noch andere in ein und derselben Gruppe wahrzunehmen, so ist völlige Konfusion ihrer Mitglieder das notwendige Ergebnis. So ist es etwa kaum möglich, die the-rapeutische Bedeutung einer Aussage (das, was diese emotional ausdrücken will) ständig mit ihrer sachlichen Beurteilung zu ver-binden (also ob sie einer rationalen Überprüfung standhält).
Von der Gruppenarbeit zu unterscheiden ist die Arbeit mit Grup-pen, wie dies in der Jugendarbeit - etwa in Jugendverbänden -üblich ist. Hier ist die Gruppe keine arbeitsteilig eingesetzte Ar-beitsweise, sondern eine Gemeinschaft, die mit oder ohne Anlei-tung durch Pädagogen Aktivitäten unternimmt. Die pädagogische Bedeutung dieser Gruppen liegt auf einer anderen Ebene. Hier ist sie eine Lebensform, die dem Einzelnen Zugehörigkeit, vielleicht Geborgenheit, Anerkennung und Selbstbewußtsein zu verschaf-fen und gemeinsame Freizeittätigkeiten anzubieten vermag.
Die Einzelarbeit
Jede Lernarbeit ist letzten Endes eine individuelle. Lernen kann nur das Individuum, weil nur dieses ein Bewußtsein hat, das durch Lernen bearbeitet werden kann. Daran vermag auch nichts zu ändern, daß die sozialen Kontexte von Lernprozessen durch-aus wichtig bleiben. Gerade politisches Lernen ist ausgerichtet auf soziale und gesellschaftliche Partizipation, also auf soziales Handeln im Kontext des sozialen Handelns anderer. Ferner wer-den in Schule und Jugendarbeit die anderen benötigt als Rück-melder für das Gelernte, als Lernkontrolleure also, aber auch als Maßstab für die soziale Relevanz der eigenen politischen Über-zeugungen und Positionen. Auch Einzelarbeit ist zumindest ima-ginativ auf Mitteilung hin angelegt; wer etwas liest, muß es zwar allein tun, möchte aber meist mit anderen darüber sprechen.
Im üblichen Schulbetrieb findet Einzelarbeit im allgemeinen nur in der Form statt, daß kurze Lesepausen angesetzt werden. Im übrigen beschränkt sie sich auf die Hausaufgaben. Dies wäre nur dann eine Arbeitsweise im Sinne unserer Definition, wenn deren Ergebnisse wieder im Unterricht zur Sprache kämen, etwa in Form eines Schülervortrags. Dann aber wäre von der Arbeitswei-se „Vortrag" zu sprechen. Sonst ist die Hausaufgabe keine Ar-
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beitsweise im Unterricht, weil sie in seinem Zeitablauf keine Rolle spielt. Gleichwohl kann die Fähigkeit zur gezielten und er-folgreichen Einzelarbeit in der Schule geübt werden.
Die Exkursion
Die Schule ist als Lehr- und Lerninstitution abgehoben vom übli-chen Leben. Wenn sie über dieses Leben (politisch) aufklärt, muß sie es so zurechtrücken, daß es in der Form des Unterrichts dar-gestellt werden kann. Selbst wenn sie im politischen Unterricht sich an tagespolitische Kontroversen heranwagt, muß sie diese didaktisch-methodisch - durch die Anwendung von politisch-pädagogischen Leitfragen (Kategorien) - so umstrukturieren, daß man daraus etwas lernen kann. Das Leben sozialisiert zwar, aber es unterrichtet nicht. Um es bildungswirksam zu machen, muß es entsprechend verändert werden, und für dieses Dilemma steht ja das Problem der Didaktik und Methodik. Immer wieder ertönt andererseits der Ruf, die Schule lebensnäher zu gestalten. Diese Forderung ist jedoch ambivalent. Einerseits ist sicher richtig, daß die Schüler nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen sollen. Andererseits aber hält das Leben nicht jene Distanz bereit, die nötig ist für seine Aufklärung. Je „lebensnäher" die Schule wird, um so mehr gerät sie in Gefahr, mit diesem Leben und sei-nen Beschränktheiten zu verschmelzen. Die Schule kann sich je-doch dem (politischen) Leben zeitweise öffnen, indem sie es in Form von Exkursionen dort aufsucht, wo es stattfindet - etwa durch Teilnahme an Parlamentssitzungen, Besuch wichtiger öf-fentlicher Einrichtungen oder einschlägiger Ausstellungen oder Aufführungen.
Die Exkursion kann Einstieg in eine thematische Bearbeitung sein, so daß von ihr aus ein Lehrgang seinen Anfang nimmt. Sie kann aber auch an anderer Stelle des Lehrgangs piaziert sein oder auch seinen Abschluß bilden. Auf jeden Fall muß sie vorbereitet werden, so daß die Schüler gezielt beobachten oder Fragen stel-len können. Das muß nicht heißen, daß nicht auch andere, spon-tane Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse zum Ausdruck ge-bracht und anschließend bearbeitet werden dürfen, die teilweise sogar subjektiv bedeu'samer sein mögen als die vorgefaßte Fra-gestellung. Aber die Exkursion ist kein Kinobesuch, den man zum Zeitvertreib macht. Planmäßig inszeniertes Lernen verlangt
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re die spielerisch zu fällende Entscheidung wirklichkeitsfremd -, sondern auch die Besonderheiten des konkreten Konflikts hinreichend berücksichtigen, dann werden auch solche Informationen und Hintergrundkenntnisse für diesen speziellen Fall benötigt, von denen nicht von vornherein sicher ist, ob sie verallgemeinerungsfähig sind und deshalb das politische Bewußtsein wirklich zu erweitern vermögen. Denkbar ist nämlich, daß spezifische örtliche Personalquerelen, Kungeleien und von außen undurchschaubare Interessen eine Rolle spielen. Gewiß sind aucpraktischen oder einen pädagogischen. Wird versucht, alle diese Zwecke und darüber hinaus noch andere in ein und derselben Gruppe wahrzunehmen, so ist völlige Konfusion ihrer Mitglieder das notwendige Ergebnis. So ist es etwa kaum möglich, die the-rapeutische Bedeutung einer Aussage (das, was diese emotional ausdrücken will) ständig mit ihrer sachlichen Beurteilung zu ver-binden (also ob sie einer rationalen Überprüfung standhält).
Von der Gruppenarbeit zu unterscheiden ist die Arbeit mit Grup-pen, wie dies in der Jugendarbeit - etwa in Jugendverbänden -üblich ist. Hier ist die Gruppe keine arbeitsteilig eingesetzte Ar-beitsweise, sondern eine Gemeinschaft, die mit oder ohne Anlei-tung durch Pädagogen Aktivitäten unternimmt. Die pädagogische Bedeutung dieser Gruppen liegt auf einer anderen Ebene. Hier ist sie eine Lebensform, die dem Einzelnen Zugehörigkeit, vielleicht Geborgenheit, Anerkennung und Selbstbewußtsein zu verschaf-fen und gemeinsame Freizeittätigkeiten anzubieten vermag.
Die Einzelarbeit
Jede Lernarbeit ist letzten Endes eine individuelle. Lernen kann nur das Individuum, weil nur dieses ein Bewußtsein hat, das durch Lernen bearbeitet werden kann. Daran vermag auch nichts zu ändern, daß die sozialen Kontexte von Lernprozessen durch-aus wichtig bleiben. Gerade politisches Lernen ist ausgerichtet auf soziale und gesellschaftliche Partizipation, also auf soziales Handeln im Kontext des sozialen Handelns anderer. Ferner wer-den in Schule und Jugendarbeit die anderen benötigt als Rück-melder für das Gelernte, als Lernkontrolleure also, aber auch als Maßstab für die soziale Relevanz der eigenen politischen Über-zeugungen und Positionen. Auch Einzelarbeit ist zumindest ima-ginativ auf Mitteilung hin angelegt; wer etwas liest, muß es zwar allein tun, möchte aber meist mit anderen darüber sprechen.
Im üblichen Schulbetrieb findet Einzelarbeit im allgemeinen nur in der Form statt, daß kurze Lesepausen angesetzt werden. Im übrigen beschränkt sie sich auf die Hausaufgaben. Dies wäre nur dann eine Arbeitsweise im Sinne unserer Definition, wenn deren Ergebnisse wieder im Unterricht zur Sprache kämen, etwa in Form eines Schülervortrags. Dann aber wäre von der Arbeitswei-se „Vortrag" zu sprechen. Sonst ist die Hausaufgabe keine Ar-
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beitsweise im Unterricht, weil sie in seinem Zeitablauf keine Rolle spielt. Gleichwohl kann die Fähigkeit zur gezielten und er-folgreichen Einzelarbeit in der Schule geübt werden.
Die Exkursion
Die Schule ist als Lehr- und Lerninstitution abgehoben vom übli-chen Leben. Wenn sie über dieses Leben (politisch) aufklärt, muß sie es so zurechtrücken, daß es in der Form des Unterrichts dar-gestellt werden kann. Selbst wenn sie im politischen Unterricht sich an tagespolitische Kontroversen heranwagt, muß sie diese didaktisch-methodisch - durch die Anwendung von politisch-pädagogischen Leitfragen (Kategorien) - so umstrukturieren, daß man daraus etwas lernen kann. Das Leben sozialisiert zwar, aber es unterrichtet nicht. Um es bildungswirksam zu machen, muß es entsprechend verändert werden, und für dieses Dilemma steht ja das Problem der Didaktik und Methodik. Immer wieder ertönt andererseits der Ruf, die Schule lebensnäher zu gestalten. Diese Forderung ist jedoch ambivalent. Einerseits ist sicher richtig, daß die Schüler nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen sollen. Andererseits aber hält das Leben nicht jene Distanz bereit, die nötig ist für seine Aufklärung. Je „lebensnäher" die Schule wird, um so mehr gerät sie in Gefahr, mit diesem Leben und sei-nen Beschränktheiten zu verschmelzen. Die Schule kann sich je-doch dem (politischen) Leben zeitweise öffnen, indem sie es in Form von Exkursionen dort aufsucht, wo es stattfindet - etwa durch Teilnahme an Parlamentssitzungen, Besuch wichtiger öf-fentlicher Einrichtungen oder einschlägiger Ausstellungen oder Aufführungen.
Die Exkursion kann Einstieg in eine thematische Bearbeitung sein, so daß von ihr aus ein Lehrgang seinen Anfang nimmt. Sie kann aber auch an anderer Stelle des Lehrgangs piaziert sein oder auch seinen Abschluß bilden. Auf jeden Fall muß sie vorbereitet werden, so daß die Schüler gezielt beobachten oder Fragen stel-len können. Das muß nicht heißen, daß nicht auch andere, spon-tane Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse zum Ausdruck ge-bracht und anschließend bearbeitet werden dürfen, die teilweise sogar subjektiv bedeu'samer sein mögen als die vorgefaßte Fra-gestellung. Aber die Exkursion ist kein Kinobesuch, den man zum Zeitvertreib macht. Planmäßig inszeniertes Lernen verlangt
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h solche Aspekte dem politischen Handeln eigentümlich, aber die Frage bleibt, was sich daraus lernen läßt. Auch aus diesem Grunde muß sich der Lehrer einen fundierten Überblick über die Sachlage verschaffen, und es reicht nicht, sich lediglich auf die ,Betroffenenperspektive" angeblicher Opfer zurückzuziehen, wie das in veröffentlichten Unterrichtsprojekten dieser Art oft zu lesen ist. Sind derlei Klippen umgangen, dann kann die Recherche unter den Leitmotiven der politisch-didaktischen Kategorien vorgenommen werden.
4. Die Sache bleibt aber dennoch ein Spiel, wird nicht zum Ernstfall, weil die Schüler nicht die Verantwortung für die Entscheidung tragen, nicht für die Folgen und deren Kosten verantwortlich sind. Diese Tatsache kann den Blick für die politische Dimension der Sache trüben, indem etwa die Akteure lediglich als Personen gesehen werden ohne Berücksichtigung der hinter ihnen stehenden institutionellen, verbandlichen und anderen kollektiven Zwänge. Aus diesem verengten Blickwinkel scheinen Entscheidungen von der Gutwilligkeit dieser Personen abzuhängen. Damit zusammen hängt eine weitere Erfahrung, die immer wieder gemacht wurde: Im Unterschied zur wirklichen Politik entsteht bei Planspielen leicht eine Tendenz zur Harmonisierung von Konfliktsituationen - sei es, weil man zu einem Ende kommen will, sei es, weil die Gutwilligkeit siegen soll. Wie die Schüler bei der Produktion dazu neigen, ihr Produkt im Blick zu haben und weniger die
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objektiven politischen Zusammenhänge, um die es eigentlich gehen soll, so ist ihnen auch das Spiel selbst leicht wichtiger als der thematische Hintergrund.
5. Ein Planspiel setzt also immer einen systematischen Unterricht voraus und muß wieder in einen solchen überführt werden. Würde der Unterricht insgesamt lediglich aus einer Kette solcher Spiele bestehen, wären systematische Kenntnisse und Einsichten kaum zu erlangen; nur das aber, was systematisch begriffen wurde, kann auch auf neue Situationen übertragen werden. Abgesehen davon würde eine Serie solcher Spiele die Schüler ermüden und irgendwann nicht weniger langweilen als der übliche Unterricht. Nur als Variation, als Höhepunkt oder Abschluß einer Unterrichtssequenz, sind derartige spielerische Lernformen sinnvoll.
Beim Planspiel steht eine noch offene Entscheidung im Mittelpunkt, man kann aber auch von einer bereits getroffenen Entscheidung ausgehen und diese nachträglich bewerten und beurteilen, etwa in der Form eines Tribunals. Diese Variante ist auch in der Literatur zu finden, wenn man etwa an Stücke von Bert Brecht denkt. Ziel kann vernünftigerweise nicht sein, eine tatsächlich gefallene Entscheidung zu korrigieren; vielmehr geht es darum, aus ihr unter Anleitung durch die politisch-didaktischen Kategorien zu lernen: Warum ist so entschieden worden, welche Macht konnte dafür eingesetzt werden, welche öffentlichen Begründungen (Ideologie) spielten dabei eine Rolle usw. Die Spielanlage ähnelt im übrigen der des Planspiels. Übrigens bietet auch der Geschichtsunterricht eine Fülle von interessanten Beispielen dafür. Das Spiel kann jedoch nur sinnvoll beginnen, wenn hinreichende Fachkenntnisse bereits vorliegen, wofür der Lehrer sorgen muß. Während des Spiels selbst kann der Lehrer dadurch zu einer möglichst realitätsgerechten Beurteilung beitragen, daß er als „advocatus diaboli" diejenige Position vertritt, die ihm zu kurz gekommen erscheint, um so die Schüler zu einer Präzisierung ihrer Urteile zu ermuntern. Von allen Formen des Spiels ist das Tribunal wohl dasjenige, das politisches Denken am ehesten zu trainieren vermag.
Von den eben genannten beiden Varianten unterscheidet sich das Rollenspiel. Hier geht es - im Unterschied zum Planspiel - nicht um einen politischen Konflikt, der der Lösung harrt, auch nicht
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um die Beurteilung einer bereits getroffenen Entscheidung, sondern um die Darstellung und Reflexion typischer Alltagssituationen, wobei das Typische („Rollenverhalten" im soziologischen Sinne) im Vordergrund steht und die individualisierende Interpretation zurücktritt; deshalb sind dafür auch keine besonderen schauspielerischen Fähigkeiten nötig. An einem Rollenspiel kann sich jeder beteiligen, allerdings mit der Einschränkung, daß ihm die Situation, die gespielt werden soll, aus seiner eigenen Alltagserfahrung wenigstens annähernd geläufig ist; das Handeln von Politikern gehört dazu nicht. Nehmen wir als Beispiel die Situation „Vorstellungsgespräch" zur Bewerbung um eine Lehrstelle. Reizvoll daran ist, daß man diese Situation nicht nur so spielen kann, wie sie nach Ansicht der Beteiligten üblicherweise abläuft, sondern auch so, wie sie die Spieler sich wünschen. Die Texte werden von den Spielern selbst verfaßt bzw. von der Schulklasse erarbeitet. Wichtig ist, daß diese Texte und die Aufführungen diskutiert werden, daß als Folge dieser Diskussionen das Spiel möglicherweise verändert wird, also auch Variationen oder Alternativen durchgespielt werden. Wegen seiner Flexibilität wird das Rollenspiel auch zum Training in der Wirtschaft verwendet, etwa bei der Übung von Verkaufsgesprächen. Das Verfahren ist hier eher induktiv: Vom Spiel und seiner Diskussion gehen erst die systematischen Reflexionen aus, die das Spiel wiederum verändern. Die Reichweite dieser Methode ist natürlich begrenzt, sie kann Alltagserfahrung ausdrücken und Wünsche artikulieren, aber von sich aus kann sie nichts erklären. Deshalb ist sie auf die aufklärende Interpretation sowohl durch die anderen Mitspieler als auch durch den Lehrer angewiesen. Sie taugt vor allem zur Mobilisierung bisheriger Erfahrungen und folgerichtig auch dazu, diese in die Reflexion zu nehmen.
Lehrgang, Produktion und Spiel sind also die drei grundlegenden Methoden der Bearbeitung politischer Themen; Produktion und Spiel sind vor allem in der außerschulischen Jugendarbeit entwickelt worden. Für die Schule bleibt jedoch der Lehrgang die Königin der Methoden, weil nur mit seiner Hilfe die Welt systematisch und in einem plausiblen zeitlichen Fortschreiten erschlossen werden kann. Er kann die anderen Variationen in seine Struktur einbeziehen, aber keine andere kann ohne ihn auskommen, weil sie sonst schnell in Belanglosigkeit versinkt. Die Suche nach Alternativen zum Lehrgang hat, was nicht vergessen werden
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darf, einen wesentlichen Grund auch darin, insbesondere für jüngere Schüler leichtere und interessantere Zugänge zur Sache zu finden, weil sie für die eigentliche geistige Bearbeitung der Welt noch zu jung, zu unerfahren und zu leicht ermüdet sind oder scheinen. Aus dieser Not sollte man keine Tugend machen.
4. Arbeitsweisen
Methoden bezeichnen in unserem Sprachgebrauch also die Makrostruktur des Lernprozesses, die grundlegenden Modalitäten der Bearbeitung eines politischen Themas. Dessen Inhalt gegenüber sind sie unterschiedlich offen: Während der Lehrgang im Prinzip - altersgemäße Verstehbarkeit vorausgesetzt - offen ist für alle denkbaren Inhalte, auf diese hin jeweils strukturiert werden kann, finden wir bei den beiden anderen Formen deutliche Begrenzungen: Eine Produktion muß auch herstellbar sein und präjudiziell von daher auch das, was hergestellt werden soll, Spiele müssen schließlich spielbar sein.
Von den Methoden zu unterscheiden sind die Arbeitsweisen; sie ergeben zusammen gleichsam die Mikrostruktur des Unterricht. Sie finden als Bausteine Verwendung sowohl im Lehrgang wie in der Produktion und beim Spiel je nach den jeweiligen Phasen des Prozesses. Deshalb kann man sie als formale Kommunikationsvarianten bezeichnen, die im Verlaufe eines Lernprozesses je nach Zielsetzung und je nach Effektivität eingesetzt werden. Im Gegensatz zu den Methoden enthalten sie von sich aus keine inhaltlichen Vorgaben. Vortrag, Diskussion, Debatte und die anderen Arbeitsweisen präjudizieren noch keine bestimmten Inhalte. Deshalb gibt es auch keinen Grund, eine der Arbeitsweisen prinzipiell zu favorisieren, als sei sie per se pädagogisch sinnvoller als andere. Vielmehr kommt es in der Praxis auf die optimale Kombination an. Die Arbeitsweisen spielen bei den eben vorgestellten Methoden eine unterschiedliche Rolle, aber ohne sie könnten die Methoden des Lehrgangs, der Produktion und des Spiels nicht realisiert werden. Gleichwohl bezeichnen sie das, was sich sinnlich erfahrbar tatsächlich im Unterricht abspielt. „Lehrgang" ist eine Abstraktion, die als solche nicht erkennbar wird für die Schüler. Die erleben vielmehr den Vortrag des Lehrers, die Diskussion mit ihm oder die Arbeit in kleinen Gruppen.
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Andererseits stellen die Arbeitsweisen auch kommunikative Basisqualifikationen dar, die die Schüler lernen und üben müssen; denn sie sind auch außerhalb der Schule, nicht zuletzt für die Beteiligung am politischen Leben, sehr bedeutsam. Dort muß man seine politische Position etwa in einem gut gegliederten Kurzvortrag anderen werbend mitteilen, sich in Diskussionen den Regeln entsprechend behaupten, an Debatten teilnehmen und gemeinsam mit anderen in Gruppen etwas erarbeiten können.
Im folgenden sollen die wesentlichen Arbeitsweisen kurz vorgestellt werden - ohne die Absicht, damit Vollständigkeit zu erreichen. Der tatsächliche Unterricht als Form des sozialen Handelns kann damit nämlich nicht vollständig erfaßt werden, er ist mehr als die Summe seiner einzelnen, zudem nur idealtypisch zu beschreibenden Bausteine. Im tatsächlich ablaufenden Unterricht gehen diese einzelnen Arbeitsweisen außerdem oft ineinander über.
Der Vortrag
Der Vortrag ist die grundlegende Arbeitsweise jeder Lehr- und Lernkommunikation. Er wird bei allen Methoden in irgendeiner Weise und zu irgendeinem Zeitpunkt des Lernprozesses gebraucht. Beim Lehrgang ist dies ohnehin klar, aber auch die Produktion und das Spiel benötigen diese Arbeitsweise. Das Rollenspiel etwa wird durch einen Vortrag vorbereitet oder abschließend systematisch interpretiert; im Rahmen einer Produktion muß ein Vortrag je nach Projekt unter Umständen mehrmals eingesetzt werden - etwa um Recherchen einander mitzuteilen oder die Ergebnisse gegenüber dem Publikum zu präsentieren. Die Entscheidung, wann worüber ein Vortrag angesagt ist, um den Lernprozeß voran zu bringen, hängt vom Verlauf dieses Prozesses selbst ab. Er ist zumindest dann erforderlich, wenn eine systematische Darstellung benötigt wird.
Entscheidend für den Vortrag ist nicht seine Dauer, sondern seine geistige Struktur. Er muß systematisch aufgebaut und gegliedert und den Zuhörern verständlich sein. Ein einfacher Redebeitrag wie im Rahmen einer Diskussion ist also noch kein Vortrag. Dieser braucht vielmehr ein definiertes Thema, das den Zuhörern bekannt ist, von diesen vielleicht sogar im Rahmen ihres Projek-
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tes gewünscht wird. Grundsätzlich können alle am Lernprozeß Beteiligten diesen durch einen Vortrag weiterbringen, sofern sie für das Thema eine ausreichende Kompetenz erworben haben; denn nur dann sind sie in der Lage, ihren Beitrag systematisch zu gliedern. In der Schule etwa kann ein Schüler durchaus einen Teilbeitrag zum Gesamtthema leisten, wenn er sich entsprechend darauf vorbereitet hat. Vorträge entstehen also nicht spontan wie Diskussionsbeiträge, vielmehr brauchen selbst Experten eine gewisse Zeit, um ihre Gedanken für einen Kurzvortrag zu sammeln und zu ordnen.
Wenn wie in der Schule die Kommunikationsstruktur durch das Gefalle von Experten zu Nichtexperten bestimmt ist, wird der Experte - also der Lehrer - nicht nur die meisten Vorträge selbst halten, sondern auch die der Schüler anregen, indem er ihnen dafür ein begrenztes und somit bearbeitbares Thema stellt, sie berät und die Einzelbeiträge in einem übergeordneten Themenzusammenhang koordiniert. Dabei muß er auch dafür sorgen, daß die Schüler die Arbeitsweise des Vortrags in formaler Hinsicht lernen, etwa sorgfältig zu recherchieren, die Ergebnisse gut gegliedert zu präsentieren und dabei die Vorerfahrungen der Zuhörer anzusprechen. Ferner muß der Beitrag anknüpfen an das, was vorher schon erörtert wurde.
Ein Vortrag darf nicht von zu langer Dauer sein, weil selbst geschulte Zuhörer die dafür nötige Konzentration nur für eine be-renzte Zeit aufzubringen vermögen. Ferner sollte er sich auf die geradlinige, möglichst unkomplizierte Darstellung eines logisch strukturierten Zusammenhangs beschränken. Für eine im Detail differenzierte Argumentation eignet er sich dagegen weniger gut als etwa die Diskussion. Nach einem Vortrag sollte schon deshalb diskutiert werden, um zu prüfen, ob der im Vortrag dargelegte Zusammenhang auch verstanden und akzeptiert wurde.
In der Schule wird oft der Vortrag durch das Unterrichtsgespräch ersetzt. Das ändert aber an der Grundstruktur dieser Arbeitsweise nichts. Auch hier wird das, was der Lehrer weiß, an die Schüler weitervermittelt, nur mit dem Unterschied, daß er nicht einseitig vorträgt, sondern seinen Vortrag auflockert, indem er etwa durch Fragen an die Schüler diese zu beteiligen versucht und dabei Wissen mobilisiert, das bereits vorhanden sein kann oder sollte. Das Unterrichtsgespräch ist also nicht mehr als eine aufgelok-
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kerte Form des Vortrags - es sei denn, die Schüler können den Lehrer dazu bewegen, von seinem ursprünglichen Plan abzuweichen und ihre Fragestellungen als thematische Variation zuzulassen.
Die Diskussion
Bestünde der Unterricht lediglich aus Vorträgen des Lehrers oder der Schüler, dann könnten die Zuhörenden nicht feststellen, ob sie das Gesagte auch verstanden haben. Schon aus diesem Grunde ist eine Diskussion erforderlich. Sie ist ein Sonderfall des Gesprächs, wie es allenthalben in der Familie, in der Freizeit, am Stammtisch oder unter Freunden stattfindet. Diskussionen können sich aus solchen Gesprächen ergeben, wenn auf einmal ein Thema aufkommt, das alle interessiert. Dann geht es den Beteiligten darum, für sich zu einem Ergebnis zu kommen und die anderen für die eigene Sicht der Dinge zu gewinnen. Im Unterschied zum bloßen Gespräch ist eine Diskussion also immer zielgerichtet. Im pädagogischen Zusammenhang des Unterrichts artikulieren die Zuhörer (die Schüler) die Spannung zwischen ihren bisherigen Erfahrungen und Kenntnissen und dem, was neu vorgetragen wurde. Die Diskussion hat hier - als Baustein des Unterrichts - also zwei Funktionen: Einmal die Vergewisserung darüber, ob das Gehörte auch im Sinne des Vortragenden verstanden wurde, andererseits die Bewertung des neu Vernommenen. Für den politischen Unterricht ist diese zweite Ebene von besonderer Bedeutung, insofern die Beurteilung politischen Handelns nur unter Gleichrangigen stattfinden kann.
Die Kommunikationsstruktur der Diskussion ist also - im Unterschied zur Situation des Vortrags - gekennzeichnet durch die grundsätzliche Gleichrangigkeit der Diskutanten. Deshalb wird diese Arbeitsweise oft fälschlich als besonders demokratische Beziehungsstruktur eingeschätzt und gegenüber dem Vortrag favorisiert. Richtig daran ist, daß die Diskussion in der Tat auf der Gleichrangigkeit der jeweils in den Beteiligten repräsentierten Lebenserfahrungen beruht, wie groß die Unterschiede an Alter, Expertentum usw. sonst auch sein mögen. Jeder Mensch bringt in eine Diskussion das ein, was ihm aufgrund seiner bisherigen Lebenserfahrung - wozu ja auch schulische Lernprozesse gehören - plausibel erscheint. Es ist also der Respekt vor dem bisher ge-
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lebten Leben der anderen, der diese Gleichrangigkeit konstitutiert, auch wenn die Wissensunterschiede erheblich sein sollten. In der Diskussion hat Expertentum - auch das des Lehrers - keinen Vorrang mehr - es sei denn, es kann die anderen überzeugen. Wenn also der Lehrer während seines Unterrichts Fragen und Beiträge der Schüler zuläßt, aber nur diejenigen aufgreift, die ihm im Rahmen seines vorgefaßten Konzeptes genehm sind, dann mag dies aus anderen Gründen zweckmäßig sein (Unterrichtsgespräch), aber eine Diskussion ist dies nicht. In einer Diskussion machen die Teilnehmer gleichsam ihre eigenen Lernziele geltend.
Die Teilnehmer an einer Diskussion kommen je nach ihrer bisherigen Erfahrung mit einem bestimmten Vor-Urteil zum Thema in die Runde, das sie zunächst einmal als ihre Position in der Sache vertreten. Indem sie jedoch diese Position der Bearbeitung durch die anderen aussetzen, werden sie gezwungen, ihren Standpunkt entweder zu präzisieren oder zu korrigieren. Ist das Thema ein subjektiv sehr bedeutsames, so kann die Diskussion emotionale Schärfe gewinnen und zu heftigen Auseinandersetzungen führen.
Soll eine Diskussion gelingen, müssen Regeln für deren Ablauf vereinbart werden. Gebraucht wird ein Diskussionsleiter - in der Schule ist es meist der unterrichtende Lehrer -, der die Wortmeldungen regelt; er wird neudeutsch auch „Moderator" genannt. Für den Ablauf der Diskussion gibt es im Prinzip zwei Möglichkeiten: Entweder wird das Wort in der Reihenfolge der Meldungen erteilt oder zunächst einmal nur zu einem gerade angesprochenen Aspekt. Über dieses oder jenes Verfahren muß Verständigung erzielt werden. Ferner muß die Moderation, ohne Partei zu nehmen, die Kommunikation aufrechterhalten und zu optimieren versuchen. Sie vermittelt z. B., wenn ein Beitrag nicht verstanden wurde, sie sorgt dafür, daß das Thema nicht verlassen wird. Ferner wird sie versuchen, Zwischenergebnisse zu formulieren sowie diejenigen Punkte, über die Übereinstimmung herrscht, von denjenigen zu trennen, die weiterhin umstritten sind. Auf diese Weise sorgt sie dafür, daß die Diskussion zu einem fortschreitenden Prozeß wird, der sich nicht durch den Austausch immer gleicher Argumente im Kreise dreht. Diesem Zweck dient auch, wenn die Diskussionsleitung durch die Einführung weiterer, bisher unberücksichtigter Gesichtspunkte und
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Alternativen dem Gespräch neue Impulse erteilt. Schließlich stellt die Diskussionsleitung das Endergebnis fest, gegebenenfalls unterschieden nach Übereinstimmung einerseits und weiterhin kontrovers gebliebener Punkte andererseits.
Die Fähigkeit, sich an Diskussionen unter Einhaltung der vereinbarten Regeln subjektiv befriedigend zu beteiligen, müssen die Schüler bzw. Jugendlichen lernen, weil sie einerseits Selbstbewußtsein vermittelt, andererseits aber auch politische Partizipationschancen eröffnet. In der Kommunikationsform der Diskussion machen die Schüler zudem die wichtige Erfahrung, daß die Suche nach Wahrheit oder nach befriedigenden Problemlösungen immer nur gemeinsam mit anderen gelingen kann und daß deshalb unterschiedliche Meinungen und Positionen kein Ärgernis sind, sondern geradezu Voraussetzung dafür, den Dingen auf den Grund zu kommen. Das allerdings gelingt nur, wenn Meinungen begründet und somit argumentierbar werden. Die Förderung einer differenzierten und disziplinierten Diskussionskultur ist eine der wichtigsten Aufgaben der politischen Bildung - in der Schule wie in der Jugendarbeit.
Die Debatte
Im Unterschied zur Diskussion bezieht sich die Debatte auf die Vorbereitung einer formellen Entscheidung und zielt insofern immer auf eine Abstimmung. Die Voraussetzung für eine Debatte, die in ihrer Kommunikationsstruktur sehr viel Ähnlichkeit mit der Diskussion hat, ist das Vorliegen eines formellen Antrags für ein zur Entscheidung kompetentes Gremium (die Schülervertretung in einer Schule oder entsprechende Gremien in der Jugendarbeit). Das Ziel der aus diesem Anlaß entstehenden Debatte ist dann die Annahme, Ablehnung oder Modifizierung dieses Antrages. Im normalen politischen Unterricht der Schule gibt es also - außer im Rahmen eines Planspiels - kaum Anlaß für Debatten, es sei denn, es geht um Anträge im Rahmen der Mitbestimmung der Schüler, die aber meist in besonderen Veranstaltungen erörtert werden. In der Jugendarbeit dagegen sind Anlässe für Debatten sehr viel häufiger anzutreffen. Im Jugendzentrum zum Beispiel kann es um förmliche Regelungen innerhalb der Hausordnung oder um Art und Zeit der Benutzung von Räumen oder Ressourcen gehen. In Jugendverbänden sind häufig Be-
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Schlüsse über verschiedene Anliegen der Gruppe oder des Verbandes zu fassen.
Im Unterschied zur Diskussion, die im wesentlichen der gemeinsamen Aufklärung von Sachverhalten dient, ohne daß daraus konkrete Handlungen erwachsen, steht bei der Debatte ein persönliches oder gruppenspezifisches Interesse im Vordergrund, das auch offengelegt werden darf. Weil dabei im allgemeinen mit Interessenkonflikten zu rechnen ist, ist die Suche nach einem allgemein akzeptablen Kompromiß oft das wichtigste Ziel einer Debatte. Will also jemand in einer Debatte möglichst erfolgreich sein im Hinblick auf seine eigenen Interessen, muß er möglichst viele Mitdebattierer für seine Position zu gewinnen versuchen. Dabei sollte der eigene Standpunkt grundsätzlich revidierbar bleiben durch die besseren Argumente anderer; denn diese könnten dem eigenen Interesse vielleicht näher liegen, als bisher angenommen wurde, oder auf unerwünschte Folgen der eigenen Position aufmerksam machen. Zum taktischen Geschick gehört:
• Deutlich machen, an welchen Punkten der eigene Vorschlag auch im Interesse der Kontrahenten liegen könnte.
• Da es hier um Werbung für den eigenen Standpunkt geht, sollten potentielle Verbündete nicht unnötig etwa durch Aggressivität abgeschreckt werden.
• Bei der eigenen Position muß zwischen der Substanz und den Details unterschieden werden. Je mehr man in der Lage ist, die Details gegebenenfalls aufgrund von Einwänden zu modifizieren, um so mehr gibt man den Kontrahenten Gelegenheit, bei einer eventuellen Zustimmung ihr Gesicht zu wahren.
Für die Debattenleitung gilt das, was schon über die Diskussionsleitung gesagt wurde. Hinzu kommt nun die Aufgabe, die Debatte streng an die Sache zu binden, die Begründungen und Argumentationen müssen auf die vorliegenden Anträge bezogen sein, auf deren Annahme, Ablehnung oder Modifizierung.
Die Gruppenarbeit
Teilaufgaben eines größeren Lernprojektes können an Gruppen übertragen werden, die ihre Ergebnisse dann dem Plenum vorlegen. Gruppenarbeit setzt also das Plenum voraus. Die einzelnen
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Methoden sind im unterschiedlichen Maße darauf angewiesen. Bei der Produktion steht sie im Mittelpunkt, für den Lehrgang ist sie eher marginal. In der außerschulischen Jugendarbeit wird sie bei Tagungen manchmal zu Beginn eingesetzt, damit die einander meist unbekannten Teilnehmer sich kennenlernen und sich zur Sache in ersten Stellungnahmen äußern können, was in der kleinen Gruppe mit geringeren Hemmungen möglich ist als in einer großen Versammlung.
Diese Arbeitsweise wird oft mit dem Hinweis bevorzugt, daß sie wichtig für soziales Lernen und im übrigen eine besonders demokratische sei. Das ist aber nur zum Teil zutreffend. Gruppenarbeit ist bestimmt durch begrenzte Lern- oder Ermittlungsaufgaben im Rahmen eines darüber hinausgehenden Projektes, also kein Selbstzweck. Deshalb kann man hier auch nur das lernen, wozu sie eingesetzt wurde. Insofern ist diese Arbeitsweise nicht demokratischer als andere auch. Hier soll nicht abgestimmt werden nach Minderheit oder Mehrheit, sondern arbeitsteilig ein Ergebnis angestrebt werden. Oft ist auch der Hinweis zu vernehmen, Erfahrung mit Arbeit in Gruppen sei wichtig im Hinblick auf die spätere berufliche Notwendigkeit der Teamarbeit. Aber dieser Schluß ist nur analogisch zutreffend; denn der spätere berufliche Zweck der Teamarbeit ist spezifisch und kann in der Schule nicht vorweggenommen werden, weil es hier um die Organisation von Lernprozessen geht, nicht etwa um die optimale Organisation einer betrieblichen Produktion. Die Erfahrungen der einen Situation sind nur begrenzt - etwa im Sinne einer kooperativen Grundeinstellung - auf die einer anderen Situation übertragbar. Die Wirtschaft setzt nur dort auf Teamarbeit, wo sie sich davon eine größere Effektivität verspricht.
Wichtiger ist die Überlegung, welche Aufgaben eine Gruppe inhaltlich wie auch in der vorgegebenen Zeit erfüllen kann. Das hängt wesentlich vom Alter und von der Vorbildung der Mitglieder ab und natürlich von ihrer kooperativen Disziplin. Grundsätzlich läßt sich sagen:
• Die Gruppe kann gedanklich mobilisieren, was die Mitglieder an bisheriger Erfahrung einzubringen haben. Sie kann diese Erfahrungen im Hinblick auf eine bestimmte Frage diskutieren und klären und das Ergebnis den anderen (Gruppen) mitteilen.
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• Sie kann im Hinblick auf eine bestimmte Frage Material sichten und das Ergebnis präsentieren. Andere Gruppen können dies unter anderen Fragestellungen ebenfalls tun.
• Sie kann eine Lernvorgabe - z.B. einen Vortrag - diskutieren, um anschließend mit Fragen oder Gegenthesen ins Plenum zurückzugehen.
Die Möglichkeiten von Gruppen, ohne pädagogische Leitung zu arbeiten, sind also begrenzt, und wenn ihr Effekt geringer ist, als es eine andere Arbeitsweise - z.B. der Vortrag mit anschließender Diskussion - wäre, ist diese Arbeitsweise unzweckmäßig und wird von den Teilnehmern meist auch als unbefriedigend erlebt.
Anders ist jedoch ein Verfahren zu bewerten, das oft in der Tagungsarbeit angewendet wird: Nach einem Vortrag teilt sich das Plenum in Gruppen auf, die unter pädagogischer Leitung das Thema weiter vertiefen. Diese Aufteilung hat u.a. den Sinn, jeden Teilnehmer möglichst ausgiebig zu Wort kommen zu lassen. In diesem Fall kann die Gruppenarbeit auch Selbstzweck sein, ein in sich selbst plausibler Lernprozeß. In der Regel aber werden die Ergebnisse der Gruppen noch einmal im Plenum vorgestellt, um erneut diskutiert zu werden.
Die Gruppe ist nicht nur eine Chance für gemeinsames Handeln und Lernen, sie markiert auch eine Grenze. Abgesehen von den bekannten gruppendynamischen Prozessen neigen Gruppen zur Normierung des Denkens und Verhaltens ihrer Mitglieder, der Wille des Kollektivs kann daher leicht in Konflikt mit dem der Individuen geraten. Für die Borniertheit von Gruppenverhalten bietet die Forschung wie auch die Lebenserfahrung eine Fülle von Beispielen. Die Chance der Arbeit in Gruppen für Innovationen, für neue Erkenntnisse und neues Verhalten, besteht also gerade nicht in der Identifikation mit ihr, sondern in der Distanz, also etwa darin, daß man Gruppenzugehörigkeit wechseln kann, wenn eine bestimmte Gruppe ihren Zweck erfüllt hat.
Dies wiederum setzt voraus, daß die Gruppen und die in ihnen anzustrebenden Beziehungen vom jeweiligen Zweck her definiert werden. Erst wenn über die Zweckbestimmungen Klarheit herrscht, können auch die Beziehungen der Gruppenmitglieder sich strukturieren. Es ist also ein Unterschied, ob die Gruppe einen therapeutischen Zweck verfolgt oder einen politischen, einen
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praktischen oder einen pädagogischen. Wird versucht, alle diese Zwecke und darüber hinaus noch andere in ein und derselben Gruppe wahrzunehmen, so ist völlige Konfusion ihrer Mitglieder das notwendige Ergebnis. So ist es etwa kaum möglich, die therapeutische Bedeutung einer Aussage (das, was diese emotional ausdrücken will) ständig mit ihrer sachlichen Beurteilung zu verbinden (also ob sie einer rationalen Überprüfung standhält).
Von der Gruppenarbeit zu unterscheiden ist die Arbeit mit Gruppen, wie dies in der Jugendarbeit - etwa in Jugendverbänden - üblich ist. Hier ist die Gruppe keine arbeitsteilig eingesetzte Arbeitsweise, sondern eine Gemeinschaft, die mit oder ohne Anleitung durch Pädagogen Aktivitäten unternimmt. Die pädagogische Bedeutung dieser Gruppen liegt auf einer anderen Ebene. Hier ist sie eine Lebensform, die dem Einzelnen Zugehörigkeit, vielleicht Geborgenheit, Anerkennung und Selbstbewußtsein zu verschaffen und gemeinsame Freizeittätigkeiten anzubieten vermag.
Die Einzelarbeit
Jede Lernarbeit ist letzten Endes eine individuelle. Lernen kann nur das Individuum, weil nur dieses ein Bewußtsein hat, das durch Lernen bearbeitet werden kann. Daran vermag auch nichts zu ändern, daß die sozialen Kontexte von Lernprozessen durchaus wichtig bleiben. Gerade politisches Lernen ist ausgerichtet auf soziale und gesellschaftliche Partizipation, also auf soziales Handeln im Kontext des sozialen Handelns anderer. Ferner werden in Schule und Jugendarbeit die anderen benötigt als Rückmelder für das Gelernte, als Lernkontrolleure also, aber auch als Maßstab für die soziale Relevanz der eigenen politischen Überzeugungen und Positionen. Auch Einzelarbeit ist zumindest imaginativ auf Mitteilung hin angelegt; wer etwas liest, muß es zwar allein tun, möchte aber meist mit anderen darüber sprechen.
Im üblichen Schulbetrieb findet Einzelarbeit im allgemeinen nur in der Form statt, daß kurze Lesepausen angesetzt werden. Im übrigen beschränkt sie sich auf die Hausaufgaben. Dies wäre nur dann eine Arbeitsweise im Sinne unserer Definition, wenn deren Ergebnisse wieder im Unterricht zur Sprache kämen, etwa in Form eines Schülervortrags. Dann aber wäre von der Arbeitsweise „Vortrag" zu sprechen. Sonst ist die Hausaufgabe keine Ar-
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beitsweise im Unterricht, weil sie in seinem Zeitablauf keine Rolle spielt. Gleichwohl kann die Fähigkeit zur gezielten und erfolgreichen Einzelarbeit in der Schule geübt werden.
Die Exkursion
Die Schule ist als Lehr- und Lerninstitution abgehoben vom üblichen Leben. Wenn sie über dieses Leben (politisch) aufklärt, muß sie es so zurechtrücken, daß es in der Form des Unterrichts dargestellt werden kann. Selbst wenn sie im politischen Unterricht sich an tagespolitische Kontroversen heranwagt, muß sie diese didaktisch-methodisch - durch die Anwendung von politisch-pädagogischen Leitfragen (Kategorien) - so umstrukturieren, daß man daraus etwas lernen kann. Das Leben sozialisiert zwar, aber es unterrichtet nicht. Um es bildungswirksam zu machen, muß es entsprechend verändert werden, und für dieses Dilemma steht ja das Problem der Didaktik und Methodik. Immer wieder ertönt andererseits der Ruf, die Schule lebensnäher zu gestalten. Diese Forderung ist jedoch ambivalent. Einerseits ist sicher richtig, daß die Schüler nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen sollen. Andererseits aber hält das Leben nicht jene Distanz bereit, die nötig ist für seine Aufklärung. Je „lebensnäher" die Schule wird, um so mehr gerät sie in Gefahr, mit diesem Leben und seinen Beschränktheiten zu verschmelzen. Die Schule kann sich jedoch dem (politischen) Leben zeitweise öffnen, indem sie es in Form von Exkursionen dort aufsucht, wo es stattfindet - etwa durch Teilnahme an Parlamentssitzungen, Besuch wichtiger öffentlicher Einrichtungen oder einschlägiger Ausstellungen oder Aufführungen.
Die Exkursion kann Einstieg in eine thematische Bearbeitung sein, so daß von ihr aus ein Lehrgang seinen Anfang nimmt. Sie kann aber auch an anderer Stelle des Lehrgangs piaziert sein oder auch seinen Abschluß bilden. Auf jeden Fall muß sie vorbereitet werden, so daß die Schüler gezielt beobachten oder Fragen stellen können. Das muß nicht heißen, daß nicht auch andere, spontane Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse zum Ausdruck gebracht und anschließend bearbeitet werden dürfen, die teilweise sogar subjektiv bedeu'samer sein mögen als die vorgefaßte Fragestellung. Aber die Exkursion ist kein Kinobesuch, den man zum Zeitvertreib macht. Planmäßig inszeniertes Lernen verlangt
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immer Fragestellungen, denen nachgegangen werden muß. Allerdings ist dabei Übertreibung unangebracht, vielmehr muß die Vorbereitung eine Balance finden zwischen frageorientierter Recherche einerseits und spontanen Eindrücken andererseits, sonst ist nicht nur die Motivation bedroht, sondern u.U. auch der Blick für das Wesentliche.
Die Expertenbefragung
Die Schule kann aber auch das Leben in ihre Räume holen. Nicht nur aus Büchern ist etwas zu lernen, sondern auch von besonders gut informierten Personen. Politische Journalisten etwa beschaffen sich ihre Informationen nicht nur aus schriftlichen Texten, sondern vor allem auch von zahlreichen Informanten. Politische Magazinsendungen in Funk und Fernsehen fuhren dieses Verfahren ständig vor. Es hat nicht nur den Vorteil besonderer Authentizität, es führt auch verhältnismäßig schnell zum Ziele.
Im Rahmen der Schule kann die Expertenbefragung sich zunächst einmal auf den Lehrkörper der Schule erstrecken. Fächerübergreifender Unterricht in einem Team von Lehrern ist nur selten möglich, möglich wäre jedoch - wenn auch wegen der Stundenplanorganisation nur begrenzt - die Befragung von Mitgliedern des Lehrkörpers, um im Rahmen eines bestimmten Lernprojektes bestimmte Informationen schnell zu bekommen. Erstaunlicherweise wird von dieser Gelegenheit nur selten Gebrauch gemacht, obwohl sie sehr viel leichter zu organisieren wäre als der Teamunterricht. Möglicherweise spielt dabei die Befürchtung der Lehrer eine Rolle, sie könnten auf die Fragen der Schüler nicht spontan zutreffend antworten und sich deshalb vor ihnen blamieren.
Verbreiteter ist, außerschulische Experten einzuladen, allerdings ist dies im allgemeinen wegen deren beruflicher Verpflichtungen nicht leicht zu organisieren. Am ehesten sind solche Experten zu gewinnen, zu deren beruflichen Aufgaben die Öffentlichkeitsarbeit gehört: Vertreter von Verbänden und Organisationen, Jugendoffiziere der Bundeswehr. Aber auch und gerade bei solchen Personen muß die Befragung durch den Lehrer vorbereitet werden, denn es ist noch keineswegs üblich, daß solche Experten Fragen beantworten statt Referate halten. Die Befragung kann bei größe-
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ren Projekten - etwa Produktionen - auch die Form eines Hearing annehmen, indem etwa mehrere Experten gemeinsam oder der Reihe nach eingeladen werden.
So oder so müssen die Fragen gründlich vorbereitet sein. Es reicht jedoch nicht, wenn sie nur notiert sind, vielmehr muß auch ihr Hintergrund, ihr sachlicher Zusammenhang, fundiert recherchiert sein, weil man sonst nicht nachfragen kann, wenn die Antwort unbefriedigend ist oder die Frage nicht verstanden wurde. Expertenbefragung setzt also eine gründliche Vorkenntnis des Themas voraus. Andererseits muß man sich auch überlegen, welche spezifischen Kenntnisse und Erfahrungen der Experte hat, und es ist zweckmäßig, ihm die erarbeiteten Fragen schriftlich vorzulegen und ihn über die Ziele des Projektes im ganzen zu informieren.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß es keine an und für sich „gute" oder „schlechte" Arbeitsweise gibt, daß keine von vornherein abzulehnen ist, sondern daß es um deren optimale Kombination geht. Jede Arbeitsweise hat ihre eigenen Chancen und keine ist deshalb auch durch eine andere einfach zu ersetzen. Für die Gestaltung politischer Lernprozesse steht eine Fülle von Varianten zur Verfügung. Keine dieser Arbeitsweisen genügt für sich genommen, sogar der Vortrag muß zumindest durch eine Diskussion ergänzt werden.
5. Lehren und Lernen als zeitlicher Prozeß
Methodik sei die Art und Weise, wie ein Lernprozeß in seinem zeitlichen Ablauf gestaltet werde, war unsere Definition. Die zuletzt erörterten Arbeitsweisen sind kommunikative Versatzstücke, die an unterschiedlichen Stellen des Prozesses eingesetzt werden können, aber sie enthalten noch keine inhaltliche Perspektive. Die kann erst mit der Festsetzung des Themas beginnen, und alles weitere wird dadurch bestimmt, in welcher Weise dieses Thema nun bearbeitet werden soll.
Bisher haben wir also nur Elemente des Lernprozesses als eines zeitlichen beschrieben, aber noch nicht den Prozeß selbst ins Auge gefaßt. Er kommt ja dadurch in Gang, daß der Lehrende mit der Vorgabe eines Themas eine soziale Handlung eröffnet, die
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wir Unterricht nennen, und die dadurch charakterisiert ist, daß sie auf das Handeln anderer, in diesem Falle der Schüler, bezogen ist. Unterricht ist eine Intervention in bereits vorliegende Erfahrungen, dient der Erweiterung, Ergänzung und Strukturierung des bereits vorhandenen Bewußtseins. Es gibt für politische Lernprozesse keinen biographischen Nullpunkt. Organisierte Lernprozesse begleiten die Lernenden eine Zeitlang, um sie danach wieder ihrem normalen Alltag zu überlassen.
Unabhängig nun davon, welche grundsätzliche Modalität der Bearbeitung gewählt wird (Lehrgang, Produktion, Spiel) und welche Arbeitsweisen in welcher Form kombiniert werden, erwachsen aus der Planmäßigkeit dieses sozialen Handelns einige charakteristische Phasen, die dem zeitlichen Prozeß eine gewisse logische Struktur verleihen:
• Vorbereitung,
• Einstieg,
• gemeinsame Arbeitsplanung,
• Lernkontrolle,
• Korrektur des Lernprozesses,
• Feststellung des Ergebnisses.
Die Vorbereitung
Die Vorbereitung hat zum Ziel, ein Thema und seine methodische Bearbeitung festzusetzen sowie die dafür benötigten Lehrmittel bereitzustellen. Dafür geben die Richtlinien nur allgemeine Hinweise. Ein Thema ist mehr als ein Titel oder eine Überschrift; es benötigt - einem Sachbuchkapitel ähnlich - vielmehr eine geistige Struktur, die von den Schülern auch nachvollzogen werden kann. Im einzelnen ist dabei folgendes zu bedenken:
• Um ein geeignetes Thema zu finden, muß der Lehrer den inhaltlichen Komplex kennen, dem es entnommen werden soll, also fachlich dafür qualifiziert sein. Das wird auf Dauer nur dann der Fall sein, wenn er sich auch nach seinem Studium weiterbildet und zumindest als sorgfältiger Beobachter am politischen Zeitgeschehen teilnimmt. Seine einmal erworbene
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didaktisch-methodische Professionalität reicht dafür allein nicht aus. Methodische Einfälle sind kein Ersatz für die immer wieder erforderliche fachliche Reflexion. Wer von dem, was er unterrichten will, wirklich etwas versteht, wird sehr viel eher auch die richtige Methodenkombination für den Unterricht finden. Die fachliche Vorbereitung darf sich auch nicht beschränken auf den vermeintlichen Verständnishorizont der Schüler. Wer das lange genug so handhabt, denkt irgendwann selbst wie ein Schulkind, oder schlimmer: wie er glaubt, daß ein Schulkind denkt. Die fachliche Vorbereitung muß vielmehr den Lehrer auch persönlich interessieren; denn nur dann, wenn er ohne Rücksicht auf seine Schüler eine intellektuelle Existenz führt, kann sein Bewußtsein auch den Schülern von Nutzen sein. Der Lehrer muß also sein Thema selbst so recherchieren, als ob er es für den Unterricht noch gar nicht benötigen würde.
Das neue Thema muß anknüpfen an das, was bisher im Unterricht behandelt wurde. Die Schüler müssen den Unterricht immer wieder als Fortschritt ihrer Beschäftigung mit politischen Themen erfahren können.
Welches Material eignet sich für die Bearbeitung des Themas und wie kann es beschafft werden? In diesem Zusammenhang ist das Schulbuch von besonderer Bedeutung, worauf später noch eingegangen wird.
Welche politisch-didaktischen Kategorien sind für das Thema bzw. das Material besonders ergiebig, und wie lassen sie sich in einer den Schülern verständlichen Weise für das Thema präzisieren?
In welcher methodischen Grundform bzw. in welcher Methodenkombination soll das Thema bearbeitet werden?
Welche Arbeitsweisen sollen in welcher Reihenfolge verwendet werden?
Welcher Zeitaufwand muß für die Durchführung des Themas ungefähr veranschlagt werden?
Welche organisatorischen Vorbereitungen müssen vor Beginn des Projektes erfolgt sein?
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Sollen die Schüler an der Festsetzung des Themas und an den Modalitäten seiner Bearbeitung beteiligt werden? Ob und in welchem Maße dies sinnvoll ist, ist keine grundsätzliche Frage, schon gar nicht Ergebnis einer „demokratischen" Haltung. Die Probleme, die im Unterricht behandelt werden, sind von anderer Art als politische Willenserklärungen. Als Irrtum hat sich die Annahme erwiesen, daß Schüler, wenn sie von sich aus Unterrichtsthemen vorschlagen, deswegen auch mit besonderer Motivation bei der Sache seien. Zwar erhält jeder Lehrer, der entsprechende Fragen stellt, auch Antworten, aber das mobilisierte Interesse erlischt sehr oft in dem Augenblick, wo dafür gearbeitet werden muß. Gibt es im Rahmen der fachlichen und didaktischen Analyse einen Optionsspielraum, können die Schüler durchaus einbezogen werden. Andererseits haben sie aber auch einen Anspruch darauf, daß sie von dem professionellen Vorsprung des Lehrers profitieren können. Schon deshalb können die Schüler dem Lehrer die letzte Entscheidung über die Wahl des Themas wie der Methoden nicht abnehmen, und der Lehrer darf die Verantwortung dafür nicht den Schülern überlassen.
Ein Thema ist dann sinnvoll gewählt, wenn diese Fragen in einer befriedigenden Weise beantwortet werden können.
Nun muß der Politiklehrer nicht alles wieder neu erfinden, und niemand kann das ernsthaft von ihm erwarten. Er erhält inzwischen auch mannigfache Hilfen. Es gibt Zeitschriften und andere Veröffentlichungen - nicht zuletzt auch der Bundeszentrale für Politische Bildung und der jeweiligen Landeszentralen -, die wichtige politische Themen fachlich wie didaktisch-methodisch aufarbeiten, und es ist keineswegs ehrenrührig, sich dieses Zwi-schenhandels zu bedienen.
Die Vorbereitung des Lehrers hat also zum Ziel, ein Thema so zu definieren, daß es bearbeitbar wird für seine Klasse und daß zumindest in groben Zügen der zeitliche Verlauf ins Auge gefaßt wird. Ferner muß er seine wesentlichen Lehrziele notieren, so wie er dies für einen Vortrag auch tun würde.
In der Jugendarbeit stellen unterrichtliche Formen die Ausnahme dar, ist Expertentum in diesem Sinne keineswegs die Regel. Meist arrangieren hier die Pädagogen Begegnungen zwischen
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Experten für ein Thema und daran interessierten Nichtexperten. In diesem Fall hat die Vorbereitung andere Schwerpunkte. Selbstverständlich wäre es kein Fehler, wenn der Pädagoge sich auch in der Sache so kundig wie möglich machen könnte, schon damit er als Diskussionsleiter agieren kann. Aber der Schwerpunkt seiner Vorbereitung wird sich um die Optimierung des Arrangements drehen: Welcher Experte soll gewonnen werden? Welcher ist nicht nur für ein bestimmtes Thema geeignet, sondern auch für die zu erwartenden Teilnehmer? Welche Vorbildung und welches Interesse am Thema lassen sich bei den Zuhörern vermuten, so daß diese Details dem Experten, verbunden mit bestimmten Wünschen für die Behandlung des Themas, mitgeteilt werden können? Welche Räumlichkeiten sind geeignet und wie können diese technisch und ästhetisch hergerichtet werden? Dagegen wird die sachliche Vorbereitung des Pädagogen vielleicht nur darin bestehen, daß er sich die für ihn selbst besonders wichtigen Fragen oder Aspekte oder auch solche Fragen notiert, die er stellvertretend für sein Publikum stellen will, wenn er vermutet, daß aus seinen Reihen solche Fragen - aus welchen Gründen auch immer - nicht gestellt werden.
Exkurs: Die Funktionen des Schulbuches
Inzwischen stehen für den politischen Unterricht eine Fülle von Arbeitsmitteln zur Verfügung. Schulbücher, Lose-Blatt-Sammlungen, Ton- und Videobänder werden auf einem kaum noch zu überblickenden Lehrmittelmarkt angeboten. Mit Hilfe des inzwischen weit verbreiteten Videorecorders können Unterrichtsmittel aus den TV-Programmen hergestellt werden. Angesichts dieser Fülle von Angeboten und Variationen stellt sich die Frage, ob das altmodische Schulbuch nicht überflüssig, gleichsam technisch rückständig geworden ist.
Das Politikschulbuch ist bis heute umstritten geblieben. Während es jedermann für selbstverständlich hält, daß in den meisten anderen Schulfächern ein Schulbuch benutzt wird, stößt das Politikschulbuch vielfach auf grundsätzliches Mißtrauen. Während der Richtlinienauseinandersetzungen in den 70er Jahren wurden gegen bestimmte Schulbücher regelrechte Kampagnen geführt, weil ihnen Indoktrinationsabsichten oder zumindest entsprechende Wirkungen unterstellt wurden. Zu den politisch-ideologischen
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Vorbehalten und von diesen beeinflußt kamen administrative. Schulbücher müssen von den zuständigen Kultusministern zugelassen werden, und im Falle der Politikschulbücher wird in den einzelnen Ländern teilweise höchst unterschiedlich verfahren. Einige verlangen eine volle Übereinstimmung mit ihren Lehrplänen und monieren diejenigen Passagen, die über den Lehrplan hinausgehen. Nun finden sich in Lehrplänen aber keine systematisch aufgebauten Stoffpakete, sondern bloß additive Reihungen von Stoffen oder Themen. Ein entsprechend additiv geschriebenes bzw. gegliedertes Buch wäre jedoch ein miserables und würde bei jedem ernsthaften Rezensenten durchfallen. Die politischen und administrativen Schwierigkeiten haben dazu geführt, daß viele Schulbuchautoren sich möglichst auf Dokumentationen beschränken und auf eigene Deutungen, Einführungen, Informationen und Interpretationen weitgehend verzichten. Oder sie konzentrieren sich auf Human-Touch-Geschichten und Tatsachen, die politisch nicht weiter problematisch sind. Nicht wenige Politiklehrer verzichten gänzlich auf ein Schulbuch, um Ärger aus dem Weg zu gehen und/oder weil die Schulbücher ihnen wenig brauchbar erscheinen. Statt dessen arbeiten sie mit anderen Materialien, die nicht genehmigungspflichtig sind, oder sie geben den Schülern Kopien von Schulbuchteilen zu einzelnen Themen. Inzwischen hat die schulpädagogische Ideologie der „Handlungsorientierung" vielfach dazu geführt, daß Politikschulbücher wie Kaufhauskataloge aufgemacht sind und jede systematische Gliederung vermissen lassen. Nur in dieser Form werden sie von manchen Kultusministerien unter Berufung auf den „didaktischen Fortschritt" noch genehmigt, der ein wichtiges, auch rechtswirksames Kriterium für Annahme oder Ablehnung ist.
Inzwischen läßt sich aus den jahrzehntelangen Erfahrungen vielleicht folgendes festhalten: Von allen denkbaren Lehrmitteln ist das Schulbuch das einzige, das für einen längeren Zeitraum (ein bis zwei Jahre) vom Schüler benutzt wird; daran gemessen sind die anderen Lehrmittel „Wegwerfware", d.h. sie haben ihren Wert für den Schüler verloren, wenn das Thema behandelt worden ist. Andererseits kann das Schulbuch wegen seiner langfristigen Benutzbarkeit nicht alles enthalten, was für den politischen Unterricht benötigt wird. Von den im zweiten Kapitel vorgestellten vier didaktischen Ansätzen sind nur die ersten beiden (Kunde, Problemorientierung) schulbuchfähig, der konfliktorien-
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tierte und der tagespolitische Ansatz können schon deshalb nicht im Schulbuch berücksichtigt werden, weil der Autor die entsprechenden Ereignisse nicht voraussehen kann. Daraus folgt, daß der Unterricht sich nicht ausschließlich auf das Schulbuch stützen kann, wie das in anderen Fächern vielleicht möglich ist, vielmehr kann der Unterricht sich zwar am Schulbuch orientieren, muß es jedoch immer wieder verlassen bzw. durch andere Materialien ergänzen. Trotz dieser Einschränkungen plädiere ich für das Schulbuch aus folgenden Gründen:
1. Ohne Schulbuch wird der Unterricht erlebt als eine additive Sequenz von jeweils punktuellen Vorhaben mit punktuellen Materialien. Die unmittelbare Kommunikation des Unterrichts bleibt in sich ruhen, kann sich nicht objektivieren. Anders als die „Wegwerfmaterialien" - deren Nutzen im übrigen nicht bestritten werden soll - symbolisiert das langfristig geltende Schulbuch anschaulich das die unmittelbare Kommunikation transzendierende Objektive, nämlich die zu bearbeitende politische Thematik.
2. Ohne Schulbuch kann das, was gelernt wird, kaum über die aktuelle Lernsituation hinausweisen. Kontinuität kann nicht entstehen, der Unterricht von gestern kann mit dem von morgen nicht verbunden werden. Irgendwann muß sich die mündlich Kommunikation des Unterrichts aber festmachen lassen an den Erklärungen des Buches. Der Schüler muß nachlesen und vorauslesen, etwas wiederholen und in der Verdichtung des Schulbuchtextes noch einmal auf neue Weise verstehen können.
3. Das Schulbuch wird benutzt, damit der Lernprozeß fortschreiten kann. Andererseits ist es nicht sakrosankt, sondern bleibt auch Gegenstand der gemeinsamen kritischen Arbeit. Für die Schüler kann es eine wichtige Erfahrung sein, daß der Lehrer dort, wo er es mit Gründen tun kann, das Schulbuch auch kritisiert, es durch andere Materialien ergänzt, Fehlendes bemerkt und bemängelt, also vorführt, wie man kritisch mit einem Sachbuch umgeht, ohne seinen Nutzen zurückzuweisen. Die Schüler könnten diese Erfahrung als beispielhaft für den kritischen Umgang mit politisch-publizistischen Produkten nutzen.
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4. Das Schulbuch versachlicht die Beziehung zwischen Lehrer und Schülern. Es ist ein Unterschied, ob nur der Lehrer den Unterricht bestimmt oder ob er sich dabei auch zu dem nicht von ihm verfaßten Schulbuch verhalten muß, das die Schüler vor sich liegen haben. Das Schulbuch emanzipiert die Schüler vom Lehrer und legt zugleich die Vorstellung nahe, daß Lehrer und Schüler gemeinsam an der gleichen Sache arbeiten.
5. Ohne Schulbuch kann der Schüler seinen Lern- bzw. Erkenntnisfortschritt nicht wahrnehmen, weil er nirgendwo nachsehen könnte, was er alles schon gelernt hat; er kann nicht erfahren, daß sein Lernen in der Zeit erfolgt, nicht in der immer wiederkehrenden Gegenwärtigkeit des Unterrichts versinkt, sondern daß es eine Vergangenheit hat und eine Zukunft haben wird.
6. Ohne Schulbuch kann der Schüler das, was er in der Schule lernt, nicht zu Hause mit seinen Angehörigen diskutieren; er kann statt dessen immer nur mitteilen, was der Lehrer (angeblich) gesagt hat. Gespräche in der Familie über schulische Erfahrungen sind aber von großer Bedeutung für die Entwicklung des politischen Bewußtseins. Wenn das in der Schule Gelernte außerhalb der Schule keine soziale Resonanz findet, obwohl das Thema selbst - vielleicht im Unterschied zu anderen Schulfächern - durchaus von allgemeinem Interesse ist, dann bleibt es auf die Schule bezogen und ein nur dort gültiges Wissen. Anläßlich von Gesprächen oder gar Diskussionen müssen die Eltern oder älteren Geschwister das Schulbuch zur Hand nehmen können, um sich zu informieren. So wie man vom literarischen Jugendbuch sagt, daß es nur tauge, wenn es auch Erwachsene interessiere, so muß das Politikschulbuch auch für Eltern von Interesse sein können.
Nimmt man diese Begründungen ernst, so ergeben sich daraus Schlußfolgerungen für die Gestaltung des Schulbuches: Es sollte
• informativ sein,
• Sachverhalte veranschaulichen (Karten, Grafiken, Bilder),
• grundlegendes Orientierungswissen anbieten,
• längerfristig gültige, also nicht dem aktuellen Verschleiß unterworfene Materialien enthalten.
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Der Einstieg
Bei der Vorbereitung muß nicht nur das Thema definiert und damit auch begrenzt, sondern auch überlegt werden, wie der Einstieg in das Thema beschaffen sein, wie also der Anfang des Lernprozesses konstruiert werden soll. Im Idealfalle erfüllt der Einstieg die Funktion einer guten Einleitung in ein Sachbuch, die die wesentlichen Probleme, die das Buch behandeln wird, in ihrem grundlegenden Zusammenhang bereits erkennbar werden läßt. Der Einstieg sollte das Thema in seinen wichtigsten Aspekten bereits vorstellen und die Aufgaben verdeutlichen, um die es gehen wird. Im besten Falle läßt sich die weitere Arbeit immer wieder auf die Exposition des Einstiegs beziehen. Je nach Thema gibt es dafür u. a. folgende Möglichkeiten:
• Wenn das Thema dem Leben der Schüler bzw. Teilnehmer nahesteht, kann es in Form einer Frage vorgelegt werden („Müssen wir den Zuzug von Ausländern begrenzen?"). Die aus den Antworten sich ergebenden unterschiedlichen Aspekte können in Stichworten notiert werden (Tafel), fehlende wichtige Aspekte kann der Lehrer hinzufügen. Hier können bereits die Kategorien zur Geltung kommen.
• Schließt das Thema an ein bereits abgeschlossenes Thema sinnvoll an, kann der Einstieg aus diesem Abschluß folgerichtig erwachsen, so daß der Lehrer kurz beschreibt, was nun warum folgen wird.
• Als Einstieg dient eine Kontroversen aufzeigende Dokumentation, die diskutiert wird, so daß sich daraus eine Vorstellung vom Gesamtthema ergeben kann.
• Einstieg kann auch eine Exkursion sein.
Entscheidend ist also, daß der Einstieg als eine Exposition des Gesamtthemas gelten kann, daß sich aus ihm Perspektiven für seine Bearbeitung entwickeln lassen. Der Einstieg ist also kein „Aufhänger", der die Schüler nur emotional mobilisieren soll und von dem dann anschließend nicht mehr die Rede ist.
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Die Arbeitsplanung
Hat der Einstieg die Funktion, die Aufgaben in einem möglichst umfassenden, wenn auch noch unstrukturierten Zusammenhang zu bestimmen, so ergibt sich als nächster Schritt daraus die gemeinsame Arbeitsplanung. Die Schüler sollten nach Möglichkeit in diese Planung einbezogen werden, schon weil sie dabei die Organisation geistiger Arbeit lernen können. Daraus entsteht für sie eine Perspektive: Was wird jetzt warum und auf welche Weise geschehen, und was kommt auf sie an eigener Arbeit - einzeln oder gemeinsam - zu? Dabei können die Schüler durchaus ihre eigenen Vorstellungen einbringen, etwa zum Ausdruck bringen, was sie an dem Thema besonders interessiert. Während des Lernprozesses müssen sich alle auf diese Planung rückbeziehen können, damit jeder weiß, welcher Punkt bereits erreicht ist und was noch folgen wird.
Kontrolle und Korrektur des Lernprozesses
Lernprozesse verlaufen jedoch selten so, wie sie zunächst geplant wurden, weil der Lehrer nicht über alle in Frage kommenden Variablen verfügen kann. Er kann nur ungenau voraussehen, welche Schwierigkeiten auftauchen, welche Motivationen durchhalten, welche neu entstehen werden. Eine wichtige Aufgabe des Lehrers besteht also immer auch darin, solche Störungen zu entdecken und entsprechend zu korrigieren. Entweder muß dann die ursprüngliche Planung angehalten und die entstandene Schwierigkeit ausgeräumt werden, oder aber die ursprüngliche Planung muß modifiziert werden, d.h. auch die vorher gesteckten Ziele werden geändert. Beides kann richtig sein. Die Notwendigkeit, die ursprüngliche Planung zu ändern, kann vor allem bei den vorhin beschriebenen Methoden der Produktion und des Spiels auftauchen. Im Lehrgang selbst kann eine Änderung nötig werden, weil aus Gründen des Verständnisses Exkurse eingefügt oder Zwischenschritte ausführlicher als geplant behandelt werden müssen. Oder es erweist sich als nützlich, den Lehrgang durch eine andere Methode, etwa durch ein Rollenspiel, zu unterbrechen.
Eine neue Standortbestimmung sollte gemeinsam mit den Schülern vorgenommen werden. Nur dann nämlich können sie nicht
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nur Stoffe, sondern auch die Verfügung über ihre eigene Arbeitsplanung lernen. Handelt es sich um wiederholte, immer wieder auftauchende Schwierigkeiten, so kann eine Unterbrechung des ursprünglich geplanten Lernprozesses zugunsten einer systematischen Thematisierung der Kommunikationsprobleme nützlich sein. Solche „fruchtbaren Momente", die sich innerhalb eines geplanten Lernprozesses ergeben, sollten nach Möglichkeit genutzt werden.
Eine weitere Aufgabe des Lehrers bei der Steuerung des Lernprozesses besteht in der Lernkontrolle. Deren Überprüfung kann nicht einfach auf das Ende des Lernprozesses verschoben werden, weil die Schüler dann unter Umständen viel Zeit verloren haben, bevor sie entdecken, daß sie etwas nicht oder falsch verstanden haben. Deshalb muß die Lernkontrolle den Lernprozeß ständig begleiten, indem Rückfragen möglich werden und Zeit für die Diskussion einzelner Aspekte bleibt. Nicht die Klassenarbeit, sondern die Diskussion ist die beste Möglichkeit der Lernkontrolle. Die Klassenarbeit fördert nur zutage, was in dieser Situation, die ja u.a. durch Leistungs- und Zensurendruck gekennzeichnet ist, erhoben werden kann. Was der Schüler in anderen Situationen präsentieren würde, bleibt dabei jedoch offen. Die von diesem Druck befreite Diskussion ist viel offener für Rückfragen und Klarstellungen. Im ständigen Wechsel von Lernen und Lernkontrolle erfährt der Schüler, daß sein Verständnis fortschreitet, daß sich seine Mühe gelohnt hat. Lernkontrolle und daraus resultierende Korrektur sind übrigens bei der Methode der Produktion leichter einzusehen als beim Lehrgang, weil sie dort sinnfällig erfahrbar werden: Daß etwas nicht stimmen kann, merkt man einfach daran, daß es nicht recht weitergeht mit der Herstellung des geplanten Produktes.
Die Fähigkeit, einen Lernprozeß zu steuern und zu korrigieren, ist als eine sehr bedeutende professionelle Fälligkeit des Lehrers anzusehen. Oft wird das deshalb übersehen, weil die Ausbildung sich eher konzentriert auf die Festlegung von Lehrzielen und darauf, diese möglichst effektiv in Lernziele umzuwandeln. Diese einfache logische Zweck-Mittel-Relation, das wurde schon früher betont, geht aber an der Tatsache vorbei, daß der Unterricht eine Form des sozialen Handelns ist, die sich auf das Handeln anderer und nicht auf tote Objekte bezieht.
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Feststellung des Ergebnisses
So wie der Anfang eines Lernprozesses - also der Bearbeitung eines Themas - allen Beteiligten deutlich vor Augen stehen muß, so auch sein Ende. Am Schluß eines solchen Prozesses werden in den Köpfen der Schüler bzw. Teilnehmer sehr unterschiedliche Ergebnisse sich niedergeschlagen haben, je nachdem, in welcher Weise sich die neuen Informationen und Einsichten mit den jeweiligen Vorerfahrungen zu neuen Vorstellungen verbunden haben. Diese individuelle Seite des Ergebnisses ist nicht feststellbar, weil niemand in die Köpfe anderer hineinsehen kann und weil es deshalb nicht einmal möglich ist, diejenigen Fragen zu formulieren, die diesen je individuellen Vorstellungskomplex zum Vorschein bringen könnten.
Im wesentlichen lassen sich also nur die kollektiven Ergebnisse des Lernprozesses noch einmal ins Bewußtsein heben. Dabei liegt es nahe, an den Anfang zurückzugehen, also noch einmal an die gemeinsame Arbeitsplanung zu erinnern. Was davon wurde erreicht? Gemeinsam mit den Schülern bzw. Teilnehmern können nun die Ergebnisse z.B. an der Tafel festgehalten werden. Im Falle der Produktion ist es das Produkt selbst, das den Lernerfolg sinnlich erfahrbar werden läßt.
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V. Fazit: Vom Nutzen der Fachdidaktik Politik für die Praxis
Die Überlegungen in diesem Buch sind von der Tatsache ausgegangen, daß die politische Bildung des Menschen insgesamt ein Ergebnis seiner Sozialisation ist, insofern diese für die Entwicklung seiner politischen Vorstellungen und Einstellungen relevant ist. Ein Teil dieser Sozialisation besteht aus geplanten pädagogischen Einwirkungen, wie sie für Kinder und Jugendliche vor allem durch Schule und für Minderheiten von ihnen teilweise auch in der Jugendarbeit erfolgen. Diese Interventionen sind Formen des sozialen Handelns. In der Schule liegt der Schwerpunkt auf der Handlungsform des Unterrichtens, also der planmäßigen Lehre. Seinem Begriff nach ist soziales Handeln immer bezogen auf das Handeln anderer, die mit- oder gegenhandeln können oder aus dem Handlungszusammenhang auszusteigen versuchen - was als eine Form des Gegenhandelns zu verstehen ist. Da das Handeln der anderen nicht in vollem Umfange voraussehbar ist, bleiben Erfolg wie auch Verlauf des eigenen Handelns grundsätzlich ungewiß. Ferner folgt aus der komplexen Wechselwirkung der Handelnden, daß der tatsächliche Verlauf des konkreten unterrichtlichen Handelns ein je besonderer, unwiederholbarer ist. Das bedeutet, daß es sich in dieser Einmaligkeit nicht vorausbestimmen, aber auch nicht ableiten läßt aus einer didaktischen Theorie. Umgekehrt kann es in dieser Einmaligkeit auch nicht durch irgend eine Theorie restlos nachträglich erklärt werden. Wenn der Sinn der didaktisch-methodischen Reflexion sein soll, dieses Handeln aufzuklären bzw. dem Handelnden für die Selbstaufklärung einen Interpretationshorizont anzubieten, kann dies also nur durch das Herausarbeiten allgemeiner Bedingungszusammenhänge geschehen, in deren Rahmen das Einmalige als nicht weiter aufklärbare Variation auftritt.
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Die Ermittlung solcher allgemeiner Bedingungen, die als Aspekte des unterrichtlichen Handelns gelten können, ist nicht in einem einzigen Zugriff möglich. Erforderlich sind vielmehr mindestens zwei, die nicht auseinander ableitbar sind. Die didaktische Perspektive fragt nach der grundsätzlichen Lehr- und Lernbarkeit der Sache Politik im Hinblick auf eine bestimmte Gruppe von Lernenden - in unserem Falle von Schülern. Dabei muß die objektive Bedeutung der Sache verbunden werden mit den objektiven wie subjektiven Lernbedürfnissen der Lernenden - subjektiv im Hinblick auf die je aktuellen Bedürfnisse, Motive, Erfahrungen und Interessen, objektiv im Hinblick auf die tatsächliche Bedeutung bestimmter Sachverhalte für die gegenwärtige und künftige politische Partizipation. Die objektive Bedeutung der Sache kann der Schüler im allgemeinen vorher nicht wissen, weshalb sie ihm nahegebracht werden muß. Die didaktische Frage hat also immer zwei Seiten. Die Suche nach der prinzipiellen Lehrbarkeit einer Sache würde ins Leere gehen, wenn nicht zugleich in den Blick tritt, für wen warum etwas lehrbar werden soll. Schüler sollen nicht deshalb angemessene Vorstellungen über Politik erwerben, weil sie später Politiker werden - diese Möglichkeit bleibt lediglich offen -, sondern damit sie im Rahmen ihrer tatsächlichen bürgerlichen Partizipationsmöglichkeiten politisches Handeln beurteilen und nach ihrem Willen dann auch intervenieren können.
Bedeutsam ist nun, daß das Lehrbare nicht irgendwo in der Sache selbst verborgen ist, so daß es darauf ankäme, es auf geeignete Weise in ihr selbst zu finden. Vielmehr muß die Sache unter dem Aspekt ihrer Lehrbarkeit in geeigneter Weise definiert werden. Die Sache Politik besteht aus an und für sich unübersehbaren komplexen Handlungen im Rahmen von Institutionen und Organisationen und einer unüberschaubaren Fülle von wissenschaftlicher Literatur darüber. Diese Wirklichkeit hat sich aber nicht aus Gründen ihrer optimalen Lehrbarkeit so entfaltet, wie sie ist, Politik ist vielmehr ein Teil des gemeinsamen menschlichen Lebens, und das Leben verhält sich generell nicht nach pädagogischen Regeln. Vier didaktische Definitionen von Politik wurden durchgespielt, die zu unterschiedlichen didaktischen Ansätzen führen (Kunde, Problemorientierung, Konfliktorientierung, Tagespolitik). Diese stehen dem eigentlichen Thema des politischen Unterrichts - politisches Handeln - unterschiedlich nahe und wer-
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den durch politisch-didaktische Kategorien miteinander verbunden.
In einem zweiten Anlauf ging es um einen anderen Handlungsaspekt, nämlich um den politischen Unterricht als zeitlichen Prozeß. Dieser Prozeß ist ebenfalls ein Stück Leben, das wie andere Lebensäußerungen nicht einfach nach den Regeln der Logik abläuft, nach denen jedoch die didaktische Analyse verfahren muß. Der von mir Methodik genannte zeitliche Ablauf ist schon deshalb nicht einfach aus der didaktischen Analyse ableitbar, weil die methodische Reflexion überall gilt, wo bewußt pädagogisch gehandelt wird; denn jedes pädagogische Handeln erfolgt in einem bestimmten Zeitablauf. Die didaktische Analyse ist aber nur dort erforderlich, wo eine planmäßige Lehre angestrebt wird.
Die einzelnen Aspekte der methodischen Reflexion - die Methoden, die Arbeitsweisen, die zeitlichen Phasen des Lernprozesses -sind ebenfalls nicht auseinander ableitbar, weil sie wiederum unterschiedliche Aspekte des Handelns beleuchten: das grundsätzliche Arrangement des Unterrichts, die kommunikativen Variationsmöglichkeiten und die zeitlichen Phasen.
Läßt man dies alles noch einmal Revue passieren, dann stellt sich die Frage, welchen Nutzen der Unterrichtende aus den didaktisch-methodischen Reflexionen für seine Praxis zu ziehen vermag. Auf den ersten Blick erscheint das Ergebnis eher mager - jedenfalls im Vergleich zu den Erwartungen, die die Didaktiker seit Beginn der 60er Jahre im Hinblick auf den Fortschritt des unterrichtlichen Handelns geweckt haben, wenn erst einmal die Fachdidaktiken an den Hochschulen etabliert seien. Den hochgesteckten Hoffnungen ist inzwischen Ernüchterung gefolgt. Die didaktischen Reflexionen, die Methoden der Bearbeitung und die Arbeitsweisen können offensichtlich nur einen Reflexionshorizont, gleichsam strategische Perspektiven, abgeben, aber sie bringen keine Rezepte für gelingenden Unterricht hervor. Nicht einmal eindeutige Themen lassen sich daraus ableiten, so daß sich sagen ließe, nur diese eine Festlegung eines Themas sei pädagogisch vertretbar, alle anderen nicht. Alle seit Beginn der 60er Jahre vorgelegten Konzepte und Versuche haben den relativ großen Spielraum der Unbestimmbarkeit zwischen Theorie und Praxis nicht wesentlich einengen können. Lediglich ideologisch festgelegte Positionen können dieses Dilemma überspielen, aber
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nur um den Preis offenkundiger Indoktrination. Selbst wenn man erzieherische Vorgaben macht, ändert sich an der didaktisch-methodischen Unbestimmbarkeit wenig, weil eben kaum vorhersehbar ist, welche Stoffe bzw. welche Einsichten über diese Stoffe zu welchen erzieherischen Wirkungen im Hinblick auf Gesinnungen, Einstellungen und Verhalten führen. Darauf beruht aber gerade die Hoffnung ideologischer Positionen, wenn sie eine logisch konsequente Linie von der didaktischen Analyse zur unterrichtlichen Verwirklichung anstreben. Die Erfahrung mit solchen Versuchen sollte uns nachdenklich stimmen, weil sie uns darüber belehrt, was aus dem politischen Unterricht wird, wenn man ihn konsequent erzieherischen Zielen unterwirft. Hinzu kommen Schwierigkeiten im Verhältnis von theoretischer Analyse und praktischer Verwirklichung im Unterricht, die dem politischen Unterricht im Unterschied zu anderen Fächern von der Sache her eigentümlich sind: Sein eigentlicher Gegenstand, das politische Handeln, ist nicht klar zu fassen, weil er in einem hohen Maße offen und kaum prognostizierbar ist im Hinblick auf seine Resultate und Folgen.
Sind aus diesen Gründen fachdidaktische und methodische Überlegungen nutzlos für die Praxis? Diese Vermutung könnte gestützt werden durch die kaum zu leugnende Tatsache, daß in den Schulen didaktische Analysen weitgehend verschwunden sind und ersetzt wurden durch „handlungsorientierte" Inszenierungen, deren wichtigstes Kriterium ist, ob die Schüler Spaß haben und in Aktivitäten zu versetzen sind. Dafür werden in der Tat keine komplexen didaktisch-methodischen Reflexionen mehr gebraucht. Aber diese Entwicklung zeigt auch, was dabei verloren geht, nämlich professionelles Selbstbewußtsein.
1. Ein Politikunterricht, der so vordergründig daherkommt, verliert seine Reputation bei den Schülern. Der Verzicht auf sachliche Strenge und Stringenz hat seine Akzeptanz bei ihnen offensichtlich nicht erhöht, stellt seinen Sinn eher in Frage.
2. Soll vielmehr seine eigentümliche Bedeutung im Kanon der anderen Fächer wieder deutlich werden, dann ist dafür eine fachdidaktische Rekonstruktion unerläßlich, wie sie in diesem Buch versucht wird. Dazu gehört auch die Einsicht, daß unmittelbare Handreichungen für die Praxis auf diesem Wege nicht zu bekommen sind. Vielmehr kommt es zunächst einmal
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darauf an, sich eine hinreichend komplexe Vorstellung von der Sache selbst und den Möglichkeiten und Modalitäten ihrer Lehrbarkeit zu erarbeiten. Nur in einem derart differenzierten Vorstellungshorizont ergeben sich dann auch Spielbreiten für das konkrete pädagogische Handeln.
3. In diesem nicht weiter feststellbaren Spielraum bleibt Unterrichten eine immer wieder neue schöpferische Leistung des Lehrers. Nur er vermag aus Lehrplanvorgaben - die an und für sich keinen Sinn ergeben - für seine Schüler, nicht überhaupt und im allgemeinen - eine sinnvolle Lernstruktur zu gestalten, bei der das, was schon dran war, vernünftig und einsehbar verbunden wird mit dem, was noch kommen soll. Auf diese Weise schreibt er gleichsam für seine Schüler ein unsichtbares, gleichwohl sinnvolles Sachbuch. Für die schöpferische Arbeit des Lehrers sind die didaktisch-methodischen Reflexionen nötig, weil sie sonst als willkürlich erscheinen würde; Beliebigkeit kann aber keine Professionalität fundieren. Mit seiner Kreativität muß der Lehrer gerade die Lücke ausfüllen, die selbst die exakteste didaktisch-methodische Reflexion ihm offen lassen muß. Wenn er aus einem Stoff ein für seine Klasse realisierbares Thema finden will, dann muß er nicht nur die Verständnisfähigkeit seiner Klasse bedenken, sondern auch, welche Methode und welche Arbeitsweisen er verwenden will, weil diese Faktoren letzten Endes die Form des Themas mitbestimmen; denn die rein logische Zweck-Mittel-Relation, nach der erst das Ziel gesetzt wird, um anschließend nach den Mitteln der Realisierung zu suchen, greift zu kurz. Methoden und Arbeitsweisen sind nicht einfach nur Mittel, sondern immer auch Teile des Zieles. Gleichwohl beruht die Festsetzung des Themas letzten Endes auf einer Entscheidung des Lehrers, die er nur persönlich begründen kann. Der Lehrer fungiert also keineswegs als bloßer Exekutor didaktisch-methodischer Strategien, sondern sein Unterricht verrät notwendigerweise zu einem erheblichen Teil seine persönliche Handschrift. Der wesentliche Wert didaktisch-methodischer Reflexionen besteht dann offenbar darin, dem Praktiker dazu zu verhelfen, eine Fülle von unterrichtlichen Varianten zu entdecken, die er in mannigfacher Weise kombinieren kann. Diese Möglichkeiten im Hinblick auf eine bestimmte Lerngruppe und ein be-
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stimmtes Thema zu optimieren, ist ein Kernstück pädagogischer Professionalität.
4. Didaktisch-methodische Souveränität beschreibt jedoch nicht nur den Handlungsspielraum des Politiklehrers, er rechtfertigt ihn auch. Sie erst begründet eine eigentümliche berufliche Kompetenz, die sowohl gegenüber der Administration, der Öffentlichkeit wie auch gegenüber Wünschen der Schüler und deren Eltern eine relative Distanz und Unabhängigkeit zu fundieren vermag.
5. Im pädagogischen Alltag wird allerdings die pädagogische Planung nicht in der Reihenfolge der Kapitel dieses Buches erfolgen. Nicht bei jedem neuen Thema wird eine komplexe didaktische Analyse vorgenommen werden. Ausgangspunkt wird im allgemeinen das vorgesehene Thema sein, das im Hinblick auf seine zeitliche, also methodische Planung reflektiert wird. Der Lehrer hätte gar nicht die Zeit, jedesmal wieder vom Nullpunkt an über seinen Unterricht nachzudenken. Aber gerade deshalb braucht er einen einmal erworbenen Vorstellungszusammenhang über die didaktisch-methodischen Dimensionen seines Handelns, weil er sonst unsicher würde im Hinblick auf die Rechtfertigung seiner Arbeit.
Die Frage nach dem Resultat unserer didaktisch-methodischen Reflexionen und ihrem Nutzen läßt sich jedoch auch in Richtung auf die Fachdidaktik als wissenschaftliche Disziplin stellen. Das wissenschaftliche Selbstverständnis der Fachdidaktik Politik ist wie das anderer Fachdidaktiken noch höchst unklar. Ist sie ein Teil der jeweiligen Fachwissenschaft oder über den Begriff der allgemeinen Didaktik ein Bestandteil der Erziehungswissenschaft? Und worin besteht eigentlich ihre Aufgabe im Unterschied zur Fachwissenschaft?
Die heutigen Fachdidaktiken sind - wie wir schon gesehen haben - verhältnismäßig junge Disziplinen, kaum älter als 40 Jahre. Da es für diesen Wissenschaftszweig keine Tradition gab und infolgedessen auch kein entsprechender wissenschaftlicher Nach-wuchs zur Verfügung stand, griff man zunächst meist auf Lehrer zurück. Es gelang jedoch nicht, auch die praktische Ausbildung zu übernehmen, die findet nach dem Hochschulstudium im sogenannten „Vorbereitungsdienst" statt. Erst relativ spät hat sich die
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Einsicht durchgesetzt, daß diese traditionelle Zweiteilung nicht unproblematisch ist, weil die praktisch orientierte „zweite Phase" notwendigerweise mit ihren didaktischen Vorlieben auch inhaltliche Entscheidungen trifft, die als solche eigentlich von der Fachwissenschaft bzw. Fachdidaktik überprüft werden müßten. Tatsächlich jedoch unterliegen die dort vertretenen Positionen keiner derartigen Kontrolle, und so verwundert es nicht, daß didaktisch-methodische Moden wie „Handlungsorientierung" unkontrolliert zum Maßstab gemacht werden, dem sich die Referendare unterwerfen müssen - gleichgültig, was sie darüber in ihrer Ausbildung an der Hochschule gelernt haben.
Wozu ist also die Fachdidaktik Politik da? Was soll sie noch erforschen und lehren, wenn es zutrifft, daß das unterrichtliche Handeln kaum mehr aufklärbar ist, als es in diesem Buch beschrieben wurde?
1. Diese Behauptung gilt nur grundsätzlich, nicht im Detail. Die allgemeine Lehr- und Lernforschung, die Unterrichtsforschung im allgemeinen wie die über den politischen Unterricht im besonderen sowie die Erforschung der Schulwirklichkeit im engeren und weiteren Sinne werden weiter fortschreiten. Daran kann sich die Fachdidaktik beteiligen, auf jeden Fall muß sie die Ergebnisse für die Aufklärung des politischen Unterrichts verfügbar machen.
2. In den letzten dreißig Jahren sind die prinzipiellen didaktisch-methodischen Fragen weitgehend durchbuchstabiert worden. Es gibt nichts Einschlägiges, was in diesem Zusammenhang nicht bereits erörtert und praktisch erprobt worden wäre. Deshalb muß die Fachdidaktik dafür sorgen, daß dieser Erfahrungsfundus nicht verloren geht, sondern etwa im Sinne einer historischen Forschung zur kritischen Verfügung gestellt wird. Dabei wird sich auch zeigen, wie sehr didaktisch-methodische Konstruktionen mit politisch-gesellschaftlichen Strömungen vermengt sind. Die Erfolge, aber auch die Irrwege der politisch-didaktischen Diskussion werden auf diese Weise greifbar, wodurch den heute auszubildenden Politiklehrern eine kritische Distanz zu ihren eigenen Vorstellungen ermöglicht wird.
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3. Eine wichtige Aufgabe der Fachdidaktik Politik war immer schon die kritische Überprüfung von didaktischen Konzepten und Unterrichtsprojekten. Im Mittelpunkt standen dabei oft lediglich ideologiekritische Analysen, deren Resultate jedoch begrenzt blieben. Was heißt es schon, wenn man nachweist, daß ein bestimmtes Unterrichtsprojekt sachlich einseitig ist, so daß dabei bestimmte für wichtig gehaltene Einsichten nicht gelernt werden können? Erstens kann dieser Mangel bei einem anderen Thema ausgeglichen werden und zweitens und vor allem ist Einseitigkeit prinzipiell nicht vermeidbar, sie resultiert gleichsam aus einem didaktischen Dilemma, das sich grundsätzlich nicht auflösen läßt. Selbst das Orientierungswissen ist in diesem Sinne immer einseitig. Gleichwohl bleibt die kritische Funktion der Fachdidaktik gegenüber der pädagogischen Wirklichkeit von Bedeutung. Sie übt eine Art von Wächteramt aus, indem sie sich zu Wort meldet, wenn anti-demokratische Konzepte zum Vorschein kommen oder wenn neue Richtlinien oder andere administrative Maßnahmen den Sinn des politischen Unterrichts gefährden. Kritik ist aus ihrer Perspektive auch angebracht gegenüber modischen pädagogischen Strömungen, wenn sie etwa durch Überbetonen des Methodischen inhaltliche Aspekte des Unterrichts vernachlässigen. Die Fachdidaktik Politik hat auch die Aufgabe, die expliziten oder auch nur immanenten politischen Implikationen pädagogischer und bildungspolitischer Konzepte zum Vorschein zu bringen; denn der politische Unterricht befindet sich immer in einem Kontext mit anderen Fächern und wird beeinflußt durch den jeweiligen pädagogischen Zeitgeist.
4. Von Anfang an war die Fortbildung der Lehrer eine bedeutsame Aufgabe. Diese nimmt die Fachdidaktik wahr, indem sie fachwissenschaftliche und didaktisch-methodische Analysen miteinander verknüpft und dadurch Themen für den politischen Unterricht erschließt. Daraus hat sich inzwischen ein eigentümlicher Typus von wissenschaftlicher Literatur entwickelt, der sich nicht nur in Büchern, sondern vor allem auch in Zeitschriften niedergeschlagen hat. Zeitschriften können nämlich besonders flexibel auf aktuelle Ereignisse mit der Präsentation entsprechend aufgearbeiteter Materialien und Themen reagieren. Auf diese Weise betätigt sich die Fachdidaktik Politik als Zwischenhandel, indem sie nämlich den Politiklehrer
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einerseits fachlich weiterbildet mit einem Anspruch, den er von seinem Zeitbudget her auch erfüllen kann, und ihm andererseits zugleich Hinweise für die Verwendung dieses Wissens im Unterricht zukommen läßt. Wenn wir nämlich mit Recht vom Politiklehrer eine permanente fachliche wie didaktische Fortbildung fordern, dann wäre es ja ganz illusionär, dabei von ihm als Berufstätigem das Lektürepensum eines Doktoranden zu erwarten. Dadurch, daß die Fachdidaktik auch gegenüber dem Lehrer didaktisch verfährt, indem sie ihn - bezogen auf sein Tätigkeitsfeld - zusammenfassend mit neuen fachlichen Erkenntnissen versorgt, leistet sie einen wichtigen Beitrag zu seiner Fortbildung, für die niemand sonst mit vergleichbarer Sachkenntnis sorgen könnte.
Die genannten Aufgaben werfen die Frage nach dem Standort der Fachdidaktik im Rahmen des Wissenschaftsgefüges auf. Ist sie ein Teil der Erziehungswissenschaft oder der zugehörigen Fachwissenschaft? Darüber sind die Meinungen geteilt. Während sich etwa die Politikwissenschaft noch bis in die 70er Jahre als Demokratiewissenschaft verstand, in diesem Sinne das Gemeinwesen als ganzes im Blick hatte, ist sie wie auch die Soziologie inzwischen zu einer in sich differenzierten und spezialisierten Wissenschaft geworden. In dieser Form taugt sie kaum noch wie früher dazu, sich der Frage nach der Lehrbarkeit des Politischen außerhalb ihrer selbst - nämlich im Hinblick auf die schulische Allgemeinbildung - zuzuwenden. Dieser Wechsel drückt sich auch in einer Veränderung der Studentenschaft aus; nicht mehr die Lehrerbildung steht im Mittelpunkt der Anstrengungen, sondern das eigenständige Magister- oder Diplomstudium - was nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, daß die Zahl der Lehrerstudenten abgenommen hat. Wegen dieser Entwicklung liegt es nahe, die Fachdidaktik Politik nicht mehr in der Politikwissenschaft zu verankern, sondern in der Erziehungswissenschaft, nämlich als Teil der allgemeinen Didaktik. Aber damit begibt sie sich vom Regen in die Traufe. Die „Allgemeine Didaktik" hat nämlich keinen eigenen Gegenstand wie die Fachdidaktiken und steht deshalb in der Gefahr, den Fachdidaktiken allgemeine, meist erzieherisch formulierte und gemeinte Vorgaben zu machen. Sie steht mangels eigener Sachbezüge in der Versuchung, die fachlichen Gesichtspunkte durch allgemeine Normierungen zu überwältigen. Dabei kommen dann einseitige Strategien wie „Hand-
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lungsorientierung" heraus, oder der „fachübergreifende" Unterricht wird als Allheilmittel gepriesen. Eine eigenständige Fachdidaktik Politik kann jedoch nur existieren, wenn sie zu solchen Tendenzen in Distanz tritt. Weder ergibt sich eine „allgemeine" Didaktik - was immer das sein mag - als Summe der einzelnen Fachdidaktiken, noch darf eine Fachdidaktik wie die der Politik aus den Vorgaben einer „allgemeinen" einfach deduziert werden. Deshalb ist es wohl ratsam, die Fachdidaktik Politik im Rahmen der politischen und sozialen Wissenschaften selbst anzusiedeln. Sonst kämen über kurz oder lang Profilierungsprobleme auf, und es bestünde die Gefahr, in eine - wie immer erzieherisch begründete - Gesinnungsdidaktik zu verfallen, der es dann nicht mehr um die Vermittlung von Wirklichkeit und Subjekt, sondern um die Verbreitung normativer politisch-erzieherischer Postulate geht.
Das Problem der Profilierung bedroht die wissenschaftliche Dignität der politischen Didaktik aber noch in anderer Weise. Schon im ersten Kapitel habe ich darauf hingewiesen, daß der Prozeß der Professionalisierung nicht nur erfreuliche Seiten hatte und hat. Der Zwang für den wissenschaftlichen Nachwuchs zur akademischen Qualifizierung verführte schon in den siebziger Jahren dazu, immer neue didaktische Positionen zu entwickeln, die sich auch ohne ideologische Polarisierung leicht finden lassen, wenn man bestimmte normative pädagogische Akzente setzt. Oder es werden - von der pädagogischen Praxis aus gesehen - abseitige Themen gesucht, die auf die politische Bildung bezogen werden, obwohl sie allenfalls mittelbar etwas mit ihr zu tun haben. Auf diese Weise entsteht dann ein umfangreiches Forschungsmaterial, das seinerseits nun wieder die Ausbildung mitbestimmt, diese aber von den Problemen der Praxis immer weiter entfernt. Die Probleme der Praxis sind dann nur noch ein Anlaß, den in sich selbst ruhenden akademischen Betrieb am Laufen zu halten. Dann muß der Politiklehrerstudent z.B. alle möglichen didaktischen Positionen lernen, obwohl das sein didaktisches Vorstellungsvermögen eher behindert als fördert. Solche Konsequenzen eines harten personellen Wettbewerbs finden wir inzwischen in allen akademischen Berufen. Was auf den ersten Blick als wünschenswerte Differenzierung erscheinen mag, die dem Fortschritt der Erkenntnis wie der Verbesserung der Praxis dienen könnte, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als von bei-
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dem abgehobener Selbstlauf, als Überlebensstrategie auf einem überfüllten Markt. Der Sinn des Marktes wird dabei in sein Gegenteil verkehrt; er dient nicht mehr in erster Linie den Bedürfnissen der Konsumenten, sondern der Produzenten. Das gilt inzwischen zumindest teilweise auch für die Politikdidaktik. Der Graben zwischen dem, was als Fachdidaktik an den Hochschulen betrieben wird, und dem, was die pädagogische Praxis braucht, ist tief geworden. Wenn er nicht überbrückt werden kann, brauchen wir bald eine Fachdidaktik der Fachdidaktik.
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